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ID0300912800

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    Vokabeln: 8
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner, der Herr Abgeordnete Dr. Dehler, hat hier eine Reihe von Behauptungen aufgestellt

    (Zuruf von der SPD: Von Wahrheiten!)

    — Behauptungen —, die nicht unwidersprochen bleiben können. Die Achtung vor der Würde des Hauses verbietet mir allerdings, in den Ton zu fallen, in dem er gesprochen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und Zurufe von der FDP und von der SPD.)




    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    Der Herr Kollege Dr. Dehler hat sich zunächst darüber beschwert, daß ich in meiner Antwort auf die Rede des Herrn Kollegen Dr. Mende seine Partei und ihn diffamiert hätte. Ich möchte Herrn Dr. Dehler unterstellen, daß er nicht gehört hat, was Herr Mende gesagt hat. Ich darf es aus dem stenographischen Protokoll verlesen. Er hat erklärt:
    Wenn der Regierungschef sich über den kleindeutschen Rundfunk in außenpolitischen Fragen ... an das Volk wendet, wie seinerzeit über den großdeutschen Rundfunk in ähnlicher Weise der Reichstag ausgeschaltet wurde ...

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Herr Dr. Mende hat dann weiter gesagt, er protestiere, weil er nicht wolle, daß der Deutsche Bundestag ähnlich denaturiert werde, „wie seinerzeit der Reichstag nur noch zum Gesangverein degradiert wurde".

    (Zurufe von der SPD: Vollkommen richtig! — Völlig wahr!)

    — Das ist sehr klar gesagt, meine Damen und Herren. Es war so klar, daß ich es zurückgewiesen habe und jetzt auch noch einmal feststelle: wenn ein Mitglied dieses Hohen Hauses den traurigen Mut findet, dieses Parlament und diese Regierung mit den Erscheinungsformen des Dritten Reiches zu vergleichen, verdient das eine Zurückweisung.

    (Beifall in der Mitte. — Lachen bei der FDP. — Abg. Dr. Greve: Wer schimpft, hat Unrecht!)

    — Meine Damen und Herren, ich habe nicht geschimpft, sondern Sie haben angefangen zu schimpfen.
    Der Herr Kollege Dehler hat dann erklärt — ich zitiere ziemlich wörtlich —, er denke von der Bundesregierung schlecht, denn sie spreche von der Wiedervereinigung, erstrebe sie aber nicht ernstlich.

    (Zurufe von der Mitte: Unerhört!)

    Meine Damen und Herren, wollen wir denn dieses traurige Spiel hier weiterspielen?

    (Abg. Welke: Quälen Sie sich mal weiter!)

    — Ja. Es ist nicht ganz leicht, eine Formulierung zu finden, um das auszudrücken, was ein anständiger Mensch empfinden muß, der dieser Regierung angehört und der für sich in Anspruch nimmt, daß ihm diese Schicksalsfrage des deutschen Volkes mindestens so viel am Herzen liegt wie den Kritikern in diesem Hause.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich meine, wer den Appell des Herrn Bundeskanzlers vorhin gehört hat, sollte doch empfunden haben, daß aus ihm vielleicht mehr Wärme und Überzeugungskraft sprach als aus der theatralischen Darstellung, die wir hier erleben mußten.

    (Beifall in der Mitte.)

    Herr Dr. Dehler findet keine andere Formulierung als die Frage an die Regierung: „Wollen Sie die Politik des Kalten Krieges fortsetzen?" Nun,
    Herr Dr. Dehler, soll ich Ihnen die Frage zurückgeben? Wollen Sie vor dem Bolschewismus kapitulieren?

    (Beifall in der Mitte. — Lachen und Zurufe von der FDP. — Zurufe von der SPD.)

    — Sie verwahren sich gegen diese Frage, aber Sie klatschen Beifall, wenn man die andere Frage an die deutsche Bundesregierung richtet.

    (Erneuter Beifall in der Mitte.)

    Welches Maß, erlauben Sie mir zu sagen, von Verfolgungswahn aus diesen Worten sprach,

    (Sehr gut in der Mitte — Zurufe von der SPD)

    zeigt doch auch das Zitat aus der Ansprache, die der Heilige Vater Pius XII. an den Herrn Bundespräsidenten gerichtet hat. Meine Damen und Herren, hat denn jemand nicht empfunden, daß hier in Wahrheit ein warmer Freund des deutschen Volkes sprach und daß diese Formulierung — lesen Sie sie doch nach, Herr Dr. Dehler — nichts anderes war als der Appell eines Menschen mit Gewissen, der sagte: Um Gottes willen habt ein wenig Geduld, damit sich in diesem Deutschland nicht das ereignet, was in Ungarn geschehen ist!?

    (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

    Haben Sie dafür kein Verständnis? Wollen Sie damit unterstellen, daß dieser Mann die Teilung wünscht, wenn er hier in dieser menschlichen Wärme das ausspricht, wenn er warnt und bittet, damit das Schicksal des ungarischen Volkes nicht das deutsche werde?
    Meine Damen und Herren, die Rede, die Herr Dr. Dehler gehalten hat, war der Versuch — erlauben Sie mir zu sagen, der peinliche Versuch —, die Politik der Bundesregierung unglaubwürdig zu machen.

    (Abg. Welke: Sie ist es auch!)

    — Herr Kollege Welke, ich spreche soeben nicht mit Ihnen, ich spreche mit Herrn Dr. Dehler.

    (Abg. Welke: Ist mir völlig gleichgültig!)

    — Deswegen ist es mir auch völlig gleichgültig, was Sie sagen.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Kriedemann: Das ist der diplomatische Ton!)

    Ich möchte, daß wir hier ernsthaft diskutieren,

    (Zurufe von der SPD)

    so wie es heute morgen geschehen ist, auch in den Worten des Herrn Kollegen Ollenhauer, in den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmid und in den Ausführungen anderer Redner. Meine Damen und Herren, das ist, glaube ich, gut.
    Aber ich spreche nur für die Bundesregierung und sage: es steht einem Abgeordneten hier nicht zu,

    (Zuruf von der SPD: Na, na!)




    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    die Bundesregierung, den Bundeskanzler, die gesamte Außenpolitik für unglaubwürdig zu erklären. Das steht niemandem hier zu.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, ob Sie schreien oder nicht, ich wiederhole diese Erklärung: das ist nicht der Stil, in dem wir diskutieren wollen. Kritisieren Sie uns, aber halten Sie uns mindestens für so glaubwürdig und verantwortungsbewußt, wie Sie das für sich selbst in Anspruch nehmen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich sehe deswegen auch davon ab, andere Unrichtigkeiten — objektive Unrichtigkeiten — in der Rede des Herrn Kollegen Dr. Dehler richtigzustellen. Ich begnüge mich mit der Feststellung, daß ich hoffe, daß solche Reden nicht mehr gehalten werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Heinemann.

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gustav W. Heinemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 71/2 Jahren trennten sich die Wege, die der Bundeskanzler und ich nach dem Kriege zunächst gemeinsam gegangen waren.

    (Zuruf von der Mitte: Schreibt jetzt jeder seine Memoiren?)

    Nun begegnen wir uns hier erstmalig wieder in einem Augenblick, da der Herr Bundeskanzler sagte, es habe noch nie so ernst um uns gestanden wie heute, d. h. mit anderen Worten, daß die Sicherheit der Bundesrepublik noch nie so gefährdet war und daß die Wiedervereinigung unseres Volkes noch nie so wenig in Sicht war wie gegenwärtig. An diesem Urteil ist leider vieles richtig, und dieses Urteil besagt zugleich, daß die Zeit gegen uns gearbeitet hat und daß wir alle miteinander gerufen sind, die Richtigkeit des Weges zu überprüfen, der in den letzten Jahren verfolgt wurde.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Thema des Gesprächs von 1950, als wir auseinandergingen, und von heute ist im Grunde unverändert. Damals ging es auch um Eigenmächtigkeiten des Bundeskanzlers. Er war es ja, der ohne einen Beschluß der Bundesregierung den Westmächten westdeutsche Soldaten gegen die vierte, östliche Besatzungsmacht anbot.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    so wie heute zur Erörterung steht, ob er die Bundeswehr nun auch eigenmächtig in atomare Bewaffnung verstricken wird.
    Im Jahre 1950 ging es um die Frage Bundespolizei oder Aufrüstung. Auch damals rumorte in den Köpfen — ich muß mich wirklich wundern, daß das immer noch der Fall ist — Korea. Die Koreageschichte sieht anders aus, als sie damals erzählt wurde.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich will nur schnell das allerletzte Stück aus der Koreageschichte hinzutragen. In diesem Januar hat der Generalstaatsanwalt von Südkorea die Koreanische Fortschrittspartei für ungesetzlich erklärt, weil sie die friedliche Wiedervereinigung Koreas betreibt, das Ziel der Politik Syngman Rhees aber nur die Wiedervereinigung mit Gewalt, mit Krieg, ist. Ich hoffe, daß man die Freundschaft mit Südkorea nicht auch hierauf ausdehnt.
    Meine Damen und Herren, wir haben heute dieselbe Schwarzmalerei vernommen wie damals. Aber ich sage Ihnen: das beeindruckt nachgerade nicht mehr.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Denn auch mir geht es, wie es Herrn Dehler gegangen ist. Das Vertrauen ist zerbrochen, und die Wahrheiten, die nun nachgerade ausgesprochen worden sind und zu denen ich einige hinzufügen werde, sind bitter. Es wird nicht genügen, sehr verehrter Herr von Brentano, daß Sie das mit einer großen Geste zurückweisen, anstatt zu den vorgetragenen Tatsachen Stellung zu nehmen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und FDP.)

    Der erste politische Konflikt in der ersten Bundesregierung ergab sich über die Frage, ob die Bundesrepublik dem Europarat beitreten sollte. Darüber gab es im Mai 1950 in der Bundesregierung eine stundenlange Aussprache. Jakob Kaiser und ich waren gegen diesen Beitritt, weil er geeignet erschien, die Spaltung Deutschlands zu vertiefen. Nach stundenlanger Beratung im Kabinett wurde eine Kompromißformulierung gefunden, und drei Wochen später erlebte ich in der Bundesratssitzung, daß der Berichterstatter einen anderen Text vortrug, als die Bundesregierung ihn beschlossen hatte!

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das ist Konrad Adenauer!)

    Der zweite Konflikt, der entscheidende, ergab sich
    aus dem eigenmächtigen Angebot der Aufrüstung.
    Meine Damen und Herren, Herr Dehler ist besonders auf die Vorgänge vom März 1952 zu sprechen gekommen, als die Sowjetunion anbot: Wiederherstellung der deutschen Einheit, Redefreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, freie wirtschaftliche Entwicklung, nationale Streitkräfte für ein wiedervereinigtes Deutschland, Aufnahme in die Vereinten Nationen, gesamtdeutsche Regierung, hervorzugehen aus freien Wahlen, alles das unter der Bedingung, daß Deutschland sich nicht an Militärbündnissen beteilige.
    Verehrte frühere Freunde aus der CDU! Als diese Note der Sowjetunion 1952 auf den Tisch kam, gab es in Ihren Reihen eine weite Zustimmung zu dieser Note. Damals tagte in den gleichen Tagen des März 1952 der Evangelische Arbeitskreis der CDU in Siegen. Sie können im CDU-Informationsdienst über diese Tagung nachlesen, daß dort ausgesprochen wurde:
    Wir sehen in der Note der Sowjetunion vom
    10. März 1952 einen Erfolg der Politik der Bundesregierung, da damit ein Gespräch zwischen



    Dr. Dr. Heinemann
    den Mächten veranlaßt wird, auf denen die Verantwortung für die Teilung Deutschlands ruht. Wir bitten die Bundesregierung, bei ihren Beratungen mit den Westmächten sich dafür einzusetzen, daß auch diese nichts unversucht lassen, das von ihnen gleichfalls bejahte Ziel der deutschen Wiedervereinigung zu verwirklichen.
    Was wurde aus diesem Appell des Evangelischen Arbeitskreises? Der Herr Bundeskanzler hat damals, als die Note ihm bekannt wurde, gleich wegwerfend gesagt — wie ja immer, wenn so etwas passiert —: „Belanglos". Er nahm in Siegen zu dem Arbeitsergebnis des Evangelischen Arbeitskreises selbst Stellung und sagte: Der Westen muß erst stärker werden, ehe wir in eine Verhandlung eintreten können! Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen! Und als Inhalt dieser anzustrebenden Verständigung beschrieb er: Wiedervereinigung Deutschlands sowie Bereinigung und Neuordnung im Osten.

    (Abg. Dr. Mommer: Hört! Hört!) Was hieß das?

    Wenige Tage vorausgegangen war die Rede des Bundeskanzlers vor dem CDU-Tag in Heidelberg am 1. März 1952, wo er mit aller Klarheit gesagt hatte „Erst stärker werden", und dann sollte es gehen, so hieß es wörtlich, „um die Neuordnung der Verhältnisse in Osteuropa". Ebenso hieß es im Rundfunk in einer Rede vom 5. März 1952, es gehe nicht nur um die Ostzone; es gehe darum, ganz Osteuropa östlich des Eisernen Vorhangs zu befreien.
    Kaum wurde eine Möglichkeit sichtbar, mit der Sowjetunion wirklich weiterzukommen, da war auch schon der ganze Übermut, die ganze Hybris wieder im Spiel, es uns als Aufgabe zuzuschreiben, ganz Osteuropa neu zu ordnen.

    (Abg. Dr. Krone: Ach! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, Herr Dr. Krone, ich verweise Sie wörtlich genau auf die Reden von damals. Was heißt denn das: „ganz Osteuropa östlich des Eisernen Vorhangs befreien"? Das war doch schon der Anlauf auf die Zumutung an die Sowjetunion zur Kapitulation.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Dem Volke hier gegenüber wurde das alles zugedeckt durch eine ungewöhnlich verheerende Parole, verheerend, weil sie in einer tückischen Weise das Richtige und das Falsche miteinander vermengte, nämlich die Parole: „Zuerst freie Wahlen!" — Gewiß, freie Wahlen wollen wir alle. Aber zu sagen „zuerst" — das mußte genau den Weg zu diesen Wahlen verschließen. Wenn Herr Dr. Gradl heute morgen hier gesagt hat, daß es ihm nicht im Sinne stehe, daß die freien Wahlen der Anfang seien, sondern daß sie das Ergebnis von mancherlei Zwischenbemühung sein müßten, so kann ich nur dankbar zur Kenntnis nehmen, daß diese Einsicht mittlerweile da ist. Aber 1952 hieß es und noch lange danach: „Zuerst freie Wahlen", also eben nicht voraufgehend die Lösung der militärischen, strategischen Fragen in bezug auf das mitteleuropäische Gebiet.

    (Abg. Dr. Bucerius: Herr Dr. Heinemann, Herr Professor Schmid hat uns gesagt, daß er damals die gleiche Denkweise gehabt habe!)

    — Das mag ja sein, und trotzdem: die Wahrheit, auch wenn sie eine Geschichte hat, ist deshalb nicht falsch.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Diese Auffassung haben alle gehabt!)

    — Entschuldigen Sie gütigst, nicht alle haben das damals so trompetet wie Sie von der CDU, ich jedenfalls nicht!
    Zu den „freien Wahlen" will ich noch folgendes sagen. Es gab auch einmal einen Augenblick — längst vor der Bundesrepublik —, wo die Sowjetunion die freien Wahlen anbot, nämlich. 1947, wo sie eine vorläufige gesamtdeutsche Regierung aus Wahlen entstehen lassen wollte. Damals sagte der englische Außenminister Bevin: „Ich bin nicht gewillt, die Sicherheit Englands einer Volksabstimmung durch die Deutschen auszusetzen." Also: von der westlichen Seite so gut wie von der östlichen Seite in bezug auf freie Wahlen von Anfang an die Überlegung: was hat das für Sicherheitsauswirkungen für uns Besatzungsmächte? Für die Westmächte so gut wie für die östliche Besatzungsmacht liegt der Schlüssel zu jeder Änderung hier in Deutschland bei den Sicherheitsfragen. Erst wenn wir über diese hinwegkommen, kommen wir im deutschen oder mitteleuropäischen Bereich zu politischen Ordnungen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber jedenfalls 1952, als die Sowjetunion diese Offerte auf den Tisch legte, von der ein großer Teil der CDU damals sagte, das sei ein Erfolg und darauf solle man zugehen, wurde vom Bundeskanzler der Weg verfolgt: erst stärker werden! Nicht wahr? Der stärkste Bundesgenosse, der Amerikaner, ist ja auf unserer Seite.
    1953 traten Eisenhower und Dulles ihr erstes Regiment in den Vereinigten Staaten an, und der Herr Bundeskanzler machte seinen ersten Besuch bei dem amerikanischen Präsidenten. Verehrte Freunde von der CDU, haben Sie in Erinnerung, was auf Ihrem Parteitag in Hamburg im April 1953 von dem unmittelbar von Amerika nach Hamburg zurückgekommenen Bundeskanzler gesagt wurde -
    wörtlich, Informationsdienst der CDU, 29. April 1953 —:
    In unserer Hand, in der Hand der CDU und CSU zusammen mit den beiden anderen Koalitionsparteien,
    — damals waren die Freien Demokraten noch dabei, die mittlerweile von ihrem Ausflug in die Politik der Stärke zurückgekehrt sind —
    liegt bei der zukünftigen Wahl in Wahrheit das Schicksal der Welt. ... Die Nachwelt wird einmal darüber das Urteil fällen, ob in der Bundesrepublik Deutschland sich in diesem historischen Jahr 1953 Männer und Frauen zusammengefunden haben, die erkannt haben, daß Deutschland jetzt tatsächlich im Mittel-



    Dr. Dr. Heinemann
    punkt des Weltgeschehens steht und daß es von uns abhängt, ob die Welt Frieden bekommt. ... Sternstunden der Menschheit sind nur einmal da; wenn man sie ungenutzt verstreichen läßt, kehren sie nicht wieder.
    Richtig an alle dem ist nur das allerletzte: daß die Stunde, die man verstreichen läßt, nicht wiederkehrt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wo sind die Sprecher der CDU, die heute noch
    sagen wollen: „Sternstunden der Menschheit",
    „Deutschland im Mittelpunkt des Weltgeschehens"?
    Im Januar 1954 folgte die Berliner Konferenz. Haben Sie in Erinnerung, was die Bundesregierung damals auf sämtlichen Plakatsäulen in der ganzen Bundesrepublik als Anrede an diese Berliner Konferenz plakatieren ließ? Nämlich die drei Thesen: „Freie gesamtdeutsche Wahlen" - jawohl; „Verfassunggebende Nationalversammlung" — jawohl; „Gesamtdeutsche Regierung mit völliger Handlungsfreiheit" — da steht es wieder; da sollte wieder einmal überrannt werden, was die Besatzungsmächte an Sicherheitserfordernissen uns gegenüber erheben, ehe sie Wahlen, Nationalversammlung, gesamtdeutsche Regierung und all dergleichen zulassen.
    Eine letzte Chance, lediglich über die Sicherheitsfragen zu einer Wiedervereinigung zu kommen, war im Winter 1954i55, eingeleitet durch eine Note der Sowjetunion vom 23. Oktober 1954, in der noch einmal die Vorschläge vom März 1952 auflebten, nämlich der Vorschlag einer Viererkonferenz, freier Wahlen in Deutschland unter internationaler Kontrolle, aber alles unter der Bedingung, daß eine Einigung über den militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands erreicht werde. Und die Antwort des Westens: „Erst die Pariser Verträge! Die Sowjetunion wird hinterher auch noch verhandeln. Lassen wir uns nicht einschüchtern! Erst stärker werden!" Das war die Antwort.
    Wie sieht denn nun das Ergebnis eben dieser ganzen Politik heute aus? Sie müssen ja selber sagen, daß die DDR stärker im Spiele ist als je zuvor. Wahrscheinlich fühlte die Sowjetunion in all diesen Jahren, daß ihr mehr und mehr an Stärke zuwuchs. Das heißt mit anderen Worten, daß die Politik der eingebildeten Stärke das Spiel der Sowjetunion gespielt hat,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    daß diese Politik der eingebildeten Stärke, während der man die Chancen ausließ, der Sowjetunion die Zeit gab, aus dem Handicap herauszukommen, das doch noch so lange für sie bestand, als sie keine Wasserstoffbomben, keine Raketen usw. hatte. Heute ruft die CDU, ruft die Bundesregierung nach der Viererkonferenz. Als der Osten sie anbot, war die wegwerfende Antwort: „Belanglos!" Herr Bundeskanzler, was Sie in diesen Jahren betrieben haben, war die gleiche Politik der Preissteigerung in der deutschen Politik, wie wir sie auch hier in der Wirtschaft erleben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich erachte es für die historische Schuld der CDU, daß sie bis zum Jahre 1954 in dieser leichtsinnigen Weise die damaligen Möglichkeiten ausgeschlagen hat, denen wir heute nachtrauern müssen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wie lange wollen Sie dieses Spiel noch fortsetzen? Wie lange noch?
    Herr Dr. Gradl hat heute morgen namens der CDU mit sehr viel sachlicher Berechtigung auf die Zustände in der DDR hingewiesen. Herr Dr. Gradl, wir begegnen uns jetzt nach zehn Jahren erstmalig wieder. Uns beide haben die Nachkriegsjahre zusammengeführt zu einer Zeit, als Sie in der Führung der ostzonalen CDU standen, als Sie 1946, 1947 Parteitage und andere Konferenzen in Ost-Berlin veranstalteten und immer wieder CDU-Freunde aus dem Westen einluden. Manch einer ist hier, der gleich mir diesen Einladungen folgte. Aber einer ist diesen Einladungen damals nicht gefolgt. Es ging darum - das war der Wunsch der ostzonalen CDUFreunde —, einen Rückhalt an den westdeutschen CDU-Mitgliedern und Organisationsvertretern zu gewinnen. Einer beteiligte sich nicht daran, und als genau vor zehn Jahren, im Dezember 1947, die Schlußrunde zwischen Jakob Kaiser und Ernst Lemmer und den Sowjets um die Führung der ostzonalen CDU gespielt wurde, als Sie, Dr. Gradl, wieder einmal Freunde aus dem Westen aufgeboten hatten, an dieser Schlußrunde teilzunehmen, war Dr. Adenauer wiederum nicht dabei. Ich habe mein Lebtag nicht vergessen, wie bitter Sie, Herr Dr. Gradl, sich im Dezember 1947 uns Westdeutschen gegenüber beklagten, daß es nicht zu einer gesamtdeutschen CDU gekommen sei.

    (Abg. Wehner: Hört! Hört!)

    Die Hausmacht in der britischen Zone stand hindernd im Wege.
    Heute klagen Sie — und ich kann nur sagen, mit viel sachlicher Berechtigung — über die Zustände in der Deutschen Demokratischen Republik. Sie haben insbesondere die schweren Auseinandersetzungen erwähnt, die dort mit der Kirche im Gange. sind. Aber, lieber und verehrter Herr Dr. Gradl, darf ich Sie mal eins fragen. Erachten Sie es für gut, daß der Westen unter dem Schild und der Parole einer christlichen Front aufmarschiert? Wir hatten 1950 eine Synode der Evangelischen Kirche in Elbingerode, bekanntlich im östlichen Teil des Vaterlandes. Da hat einer der Sprecher auf dieser Synode gesagt: Ihr Westdeutschen, tut uns doch den Gefallen, macht das, was ihr politisch vorhabt, nicht unter dieser christlichen Parole; denn das hat zur Folge, daß wir hier in der Ostzone als 5. Kolonne des Westens angesprochen und behandelt werden.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die politische Differenz ist ja tief genug. Wozu muß sie mit dieser christlichen Parole überkleidet werden?
    Ein Letztes, Herr Dr. Gradl! Es ist ja heute auch manchmal von allerlei Presseerzeugnissen, von der Provinzpresse und dergleichen, die Rede gewesen.



    Dr. Dr. Heinemann
    Es gibt ein Blatt „Evangelische Verantwortung", herausgegeben vom Evangelischen Arbeitskreis der CDU. In der Nummer vor der Wahl, der Nummer vom August 1957, war eine Zuschrift zu lesen, wonach der Westen ja noch eine Waffe gegen das „Untier im Osten" habe und diese Waffe die aufhaltende Macht im Sinne des 2. ThessalonicherBriefes gegen den Antichristen sei. Ich bitte Sie herzlich, verehrte Freunde von der CDU und dem evangelischen Teil darin: sorgen Sie doch dafür, daß solche Klänge endlich verschwinden. Es geht nicht um Christentum gegen Marxismus.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sondern?)

    — Sondern? Es geht um die Erkenntnis, daß Christus nicht gegen Karl Marx gestorben ist, sondern für uns alle.

    (Stürmischer Beifall bei der SPD und der FDP. — Unruhe in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren! Unsere politische Aufgabe nach dem Krieg war von Anfang an und ist bis zur Stunde eine doppelte, und das heißt mit anderen Worten, um ein wesentliches Stück schwerer, als die CDU sie uns vorstellt. Sie ist eine doppelte, nämlich das harte, das unerschütterliche Nein zum totalitären System zu verbinden mit dem Ja zur Nachbarschaft der totalitär regierten Ostvölker.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das müssen wir miteinander fertigbringen, dieses Nein und gleichzeitig dieses Ja. Ich habe dem Herrn Bundeskanzler nie und keinen Augenblick vorgeworfen, daß er mit den westlichen Nachbarn einen Ausgleich betrieb. Das war unerläßlich. Aber ich habe ihm immer vorgeworfen und tue es auch in dieser Stunde, daß er mit diesem westlichen Ausgleich neue Ostfeindschaft verbunden hat, in der Art, wie geredet wurde, von ihm und seinen Mitarbeitern bis tief in die Reihen der CDU hinein, und in der Art, wie gefordert wurde: Neuordnung usw. Bis wohin denn?
    Diese doppelte Aufgabe endlich anzufassen, das ist das Gebot der Stunde, und dem gilt alle Bemühung um eine neue Überlegung, nachdem Sie ja selber sagen müssen: Es stand noch nie so schlecht um uns wie heute. Die Rüstung löst diese Doppelheit der Aufgabe nicht. Ehe die zwölf westdeutschen Divisionen da sind, sind ja zwölf westalliierte längst aus Europa abmarschiert, und vor allen Dingen haben die Sowjets längst das Tausendfache an Waffenkraft aus dem dagegen entwickelt, was sie heute haben. Das ist doch die Bilanz des ganzen Rüstungswettlaufs, oder ich will sagen: dieses dreifachen Wettlaufs in neuen Waffen, in alten Waffen und in der Wirtschaftshilfe gegenüber den Völkern in aller Welt. Dieser dreifache Wettlauf trägt sich nicht mehr aus. Wenn man diesen Weg trotz dieser Gegebenheit, trotz dieser Erkenntnis heute immer noch fortsetzen will, dann muß allerdings auch ich sagen: Wer Deutschland immer noch tiefer spalten will, kann es nicht besser machen als in Fortsetzung immer noch dieses Weges.

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Herr Bundeskanzler, für mich persönlich bedeutet dieses alles an Sie die Frage, ob Sie nicht nachgerade zurücktreten wollen.

    (Beifall bei der SPD und FDP. — Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe.)

    — Warum, Herr Bundeskanzler? Ich bitte Sie, das jetzt einen Augenblick zu hören. Ich verstehe zur Genüge, daß Sie sich in eine politische Sicht und in einen politischen Weg begeben haben, von denen Ihnen persönlich der Rückweg schwerfällt. Das verstehe ich. Dafür haben Sie vieles darangesetzt, die Dinge dahin zu entwickeln, wohin Sie sie geführt haben. Aber ich meine, daß eine ruhige Überlegung und Prüfung der gesamten Gegebenheiten es nachgerade nahelegen sollten, den Weg freizugeben für andere Kräfte, die nun aus dieser Gegebenheit wirklich und glaubwürdig das entwickeln, was geboten ist.
    Ich verbinde damit an die früheren Freunde der CDU nun noch eine ganz besonders ernste Frage im Hinblick darauf, daß sie christliche Politik zu treiben angetreten sind. Ich meine dieses: Es soll ja nun — und das ist doch wohl klar durchzufühlen durch alles, was wir heute hier gehört haben — die Fortentwicklung auf die atomare Bewaffnung der Bundeswehr hingetrieben werden. Früher konnte man sicher sein, wenn man so stark war, den Gegner zerschlagen und erschlagen zu können. So stark ist der Westen heute auch. Aber er würde darüber selbst zerschlagen werden, und das bedingt die Notwendigkeit eines gründlichen Umdenkens. Dazu sind wir, wir Deutschen in dieser Mittellage, in diesem Eingeklemmtsein vielleicht mehr berufen als andere Völker.
    Nun erstaunt es mich, nein, ich muß so sagen: es macht mich bis ins tiefste betroffen, mit welch einer Selbstverständlichkeit Sie im Begriff sind, auf eine' atomare Bewaffnung hier in Deutschland zuzugehen. Steht Ihnen überhaupt nicht zur Überlegung — und zwar so zur Überlegung, daß Sie sich getrauen möchten, das hier auch einmal auszusprechen —, daß die Massenvernichtungsmittel von heute einfach keine Waffen mehr sind? Herr von Brentano hat das am vergangenen Sonntag in seiner Berliner Rede laut Bulletin sogar wörtlich so gesagt. Wenn das eben keine Waffen mehr sind, sondern wenn das etwas ganz anderes ist, dann können Sie doch unmöglich in dieser Selbstverständlichkeit auf solch eine „Bewaffnung" zugehen.
    Die Warnungen davor werden immer dringender. Ich muß es beklagen, daß der Herr Bundesverteidigungsminister hier von einer „Panikmache" redet. Verehrter Herr Dr. Strauß, Albert Schweitzer ist kein Panikmacher, die 18 Göttinger sind keine Panikmacher,

    (lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    die 9000 Wissenschaftler aus 40 Ländern, die gerade eine Eingabe an die Vereinten Nationen eingereicht haben, sind keine Panikmacher!
    Aber die Geister scheiden sich nicht in den Erklärungen, sondern in den Konsequenzen, die sie



    Dr. Dr. Heinemann
    mit den Erklärungen verbinden. Das Aufregende an der Erklärung der 18 Göttinger war, daß sie ein persönliches Engagement mit ihrer Erklärung verbanden, indem sie nämlich sagten: Keiner von uns ist bereit, sich an Herstellung, Erprobung oder gar an dem Einsatz von Atomwaffen zu beteiligen. Da wurde die allgemeine Linie verlassen —

    (Zuruf von der Mitte)

    — auch in der Sowjetunion gibt es einen gewissen Kapizka, der genauso erklärt hat —, daß man allgemein warnt, daß man anderen zuredet und dann wartet, was die anderen tun oder nicht tun. Hier wurde etwas Persönliches gesagt: Wir tun nicht mit.
    Nun beobachten Sie doch bitte einmal, wie diese Bewegung in steigendem Maße um sich greift, insbesondere im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ich weise im Augenblick auf die Erklärung hin, die die sechs Dekane der sechs theologischen Fakultäten in der DDR im April 1957 abgaben, in der sie einen Dank an die Göttinger Professoren aussprachen und einen Dank an die ostdeutschen Atomforscher, die ähnliche Erklärungen abgaben, wo sie sagten:
    ... In den Massenvernichtungsmitteln werden Gottesgaben ... mißbraucht, wird der Mensch verraten. Wir warnen davor, in dieser Sache mitzumachen oder sich verantwortungsloser Gleichgültigkeit und Resignation zu überlassen. Die Weltgefahr, die nicht nur das gegenwärtige Geschlecht, sondern unsere Kinder und Kindeskinder bedroht, fordert den Einsatz jedes einzelnen, um das Ziel einer allseitigen Ächtung und Abschaffung der Massenvernichtungsmittel zu erreichen.
    Diese Erklärung, die also zunächst von den Dekanen der theologischen Fakultäten in der DDR ausging, wurde alsbald von sämtlichen Bischöfen der evangelischen Gliedkirchen in der DDR einschließlich des Bischofs Dibelius in Berlin aufgegriffen. Sie wurde von einer Mehrzahl von Kirchenleitungen hier aus Westdeutschland aufgegriffen, und sie wurde in besonderer Weise vor sechs Wochen auf einer Synode der Kirchen der Union aufgegriffen. Aus dieser Entschließung von west- und ostdeutschen Kirchen auf einer Tagung in Berlin lese ich folgende Sätze vor:
    Die Synode bekennt sich zu der vergebenden Langmut Gottes, der seinen Menschen auch in den notvollsten Verhältnissen das Leben schenkt und erhalten will bis an den Tag, an dem Er selbst die Welt und ihre Geschichte an sein Ziel bringt. Darum verwirft die Synode alle Massenvernichtungsmittel und alle Versuche, sie durch irgendwelche Zwecke rechtfertigen zu wollen. Durch die Massenvernichtungsmittel wird in jedem Falle verraten, was man retten will, und seien es Freiheit und Frieden. In ihrer Mitverantwortung für den Frieden in der Welt und für die Heilung des Risses, der durch unser Volk geht, warnt die Synode nicht nur vor einer Fortsetzung des selbstmörderischen atomaren Wettrüstens der Weltmächte, sondern insbesondere auch vor einer atomaren Bewaffnung deutscher Armeen. Sie warnt jeden einzelnen, in dieser Sache durch Beteiligung, Verharmlosung oder Gleichgültigkeit vor Gott und den Menschen schuldig zu werden.
    Und immer noch weiter rollt das. Im Januar dieses Jahres tagte z. B. die Synode der Evangelischen Kirche Rheinland in Rengsdorf. Auch sie nahm diese Erklärung wieder auf, und so könnte ich Ihnen eine steigende Fülle derartiger Erklärungen aus dem kirchlichen Bereich vorlegen. Etwa noch drei Sätze aus einer Erklärung der rheinischen Pfarrbruderschaft:
    Es ist Illusion, von den Massenvernichtungsmitteln die Erhaltung von Frieden und Freiheit zu erwarten. ... Darum verpflichten wir uns, auf dem Wege der atomaren Bewaffnung nicht einen einzigen Schritt mitzugehen. Darum werden wir das Gewissen der uns anvertrauten Menschen in der Erkenntnis schärfen, daß kein Zweck die Herstellung oder Anwendung von Massenvernichtungsmitteln rechtfertigt.
    Seien Sie versichert, nein, seien Sie sich darüber klar, daß diese Entwicklung noch weiterschreiten wird! Als Beleg dafür nenne ich nur die Entschließung der Württembergischen Landeskirche vom November vorigen Jahres, wo gesagt wird, daß die Christenheit unausweichlich vor der Aufgabe steht, zu klären, ob sie sich an Massenvernichtungsaktionen beteiligen darf, auch wenn sie zur Verteidigung des Lebens und der Freiheit nötig erscheinen. Die Württembergische Landeskirche hat in ihrer Erklärung gesagt, daß die gesamtevangelische Kirche insbesondere die Fragen des Kriegsdienstes für den Christen in heutiger Zeit zu einer gründlichen Überprüfung führen möge. Seien Sie sich klar darüber, daß hier eine Entwicklung im Gange ist, die sich weiter ausbreiten wird und die letzten Endes uns alle, aber sonderlich eine christliche Partei immer wieder vor die Frage zwingen wird: Wie wollen wir das rechtfertigen, jemals etwa zu solchen Waffen — sogenannten — zu greifen?
    Herr Bundeskanzler, der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat Ihnen Ende vorigen Jahres — im November — ebenso wie der Regierung in Ostberlin den Beschluß des Zentralausschusses des Weltkirchenrates in New Haven, Vereinigte Staaten, unterbreitet, und darum nachgesucht, mit dem Rat der Evangelischen Kirche darüber in ein Gespräch einzutreten. In diesem auch Ihnen unterbreiteten Beschluß des Weltprotestantismus — angeschlossen sind auch orthodoxe Kirchen usw. — steht — ich lese nur zwei Sätze — u. a.:
    Die Verurteilung solcher Methoden stützt sich auf die Tatsachenerkenntnis, daß der Krieg, in dem alle Methoden erlaubt sind, mit dem Gewissen der Menschheit einfach nicht zu vereinen ist. Wir glauben, daß die Anwendung derartiger Kriegsmethoden unausweichlich eine Erniedrigung der geistigen Würde des handelnden Volkes bedeutet.
    Die Regierung der DDR hat auf diesen Beschluß in einem Schreiben und in einer Erklärung in der Volkskammer geantwortet. Ich darf die Hoffnung

    Dr. Dr. Heinemann
    aussprechen, daß die Bundesregierung auch in einiger absehbarer Zeit Gelegenheit findet, darauf zu antworten. Das sage ich ohne jeden Ton des Vorwurfs. Ich weiß, daß besondere Behinderungen vorlagen. Aber die Hoffnung darf ich aussprechen.
    Verehrte frühere Freunde von der Christlich-Demokratischen Union! Ich appelliere hier unter besonderem Hinweis auf Erklärungen aus kirchlichem Kreise an Sie mit der Frage, ob oder wie Sie glauben verantworten zu können, auf Massenvernichtungsmittel zuzuschreiten, von denen auch Herr von Brentano sagt, daß sie keine Waffen mehr seien. Sie werden nicht etwa mit dem Satz durchkommen, daß eine solche atomare Bewaffnung zwangsläufig sei, weil andere Mächte, weil die Sowjetunion solche Massenvernichtungsmittel besitze. „Zwangsläufig" — das ist eine atheistische Denkkategorie!

    (Beifall bei der SPD.)

    Von Zwangsläufigkeit kann nur derjenige sprechen, für den Gott nicht mehr im Weltregimente sitzt.

    (Zurufe von der Mitte: Notwehr!)

    — Diese Dinge will ich jetzt nicht bis ins letzte vertiefen. Ich höre den Zwischenruf „Notwehr". Nehmen Sie einmal zur Hand, was der Professor Gollwitzer, der ja bis vor kurzem in Bonn gewirkt hat, dazu in seinem Vortrag vor der Bonner Studentenschaft im Juli gesagt hat! So billig kommt niemand davon — niemand —, daß hier einfach gesagt wird „zwangsläufig" oder „Notwehr" oder dergleichen.
    Es wird auch nicht gelingen, die Menschen hierzulande an die Massenvernichtungsmittel einfach zu gewöhnen, so wie man ihnen die Aufrüstung nach 1950 angewöhnt hat. Seien Sie sich klar darüber. Ich spreche hier gar keine Drohungen aus, das liegt mir völlig fern. Ich möchte nur dazu helfen, daß hier nicht auf irrtümlichen Grundlagen, auf brüchigen Grundlagen politisch gehandelt wird. Seien Sie sich klar darüber, daß das, was der Herr Strauß „Panikmache" nennt, einer tiefen, nur zu begründeten, unüberwindlichen Furcht im Volke entspringt, daß hier ein Verhängnis heraufzieht, dem man sich entgegenstellen wird, so wie etwa das japanische Volk es tut, so wie etwa im Augenblick die Engländer sich dagegen auflehnen, daß ununterbrochen mit Atom- und Wasserstoffbomben ausgerüstete Flugzeuge über ihrem Vaterland umher-kreisen.

    (Abg. Kiesinger: Die Engländer!)

    Das, was hier Panikmache genannt worden ist — ich kann diesen Ausdruck nur tief bedauern —, wird nicht weggewischt werden können, einfach weil hier die Wunden, die Sorgen viel zu tief brennen, viel zu echt sind; hier wird sich etwas mobilisieren.
    Meine Damen und Herren, Sie haben heute in der Aussprache von den Sprechern der Opposition immer wieder zu hören bekommen, daß wir es leid sind, von Ihnen, von den Regierungsgruppen immer, wenn dies oder das gesagt oder vorgeschlagen wird, als Antwort zu erhalten, das sei belanglos, Störmanöver, Propaganda, Panikmache, „Keine Zeit zum Lesen", und wie das alles heißt. Nehmen Sie
    bitte zur Kenntnis, daß niemand von uns irgendwie Apologet von Ostvorschlägen ist. Das haben wir gar nicht nötig. Aber uns treibt die Sorge, daß hier Versäumnisse geschehen. Sie werden uns unablässig am Werke finden, hier die Initiative, wenn Sie so wollen, auch die Phantasie anzuregen und zu beflügeln, damit wir über den toten Punkt hinwegkommen, ehe denn die Katastrophe vollends da ist und Sie uns noch einmal wieder sagen, es sei noch böser um uns bestellt und es sei noch viel risikoreicher geworden usw., wie wir das von Ihnen bis dato zu hören bekamen.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Halten Sie uns bitte auch nicht entgegen, daß auch das, was wir wollen, daß auch das, was wir anregen, mit Risiken verbunden sei. Das wissen wir selbst. Aber das Kriegsrisiko, das hier so drohend vor uns steht, das wird uns munter machen und, wie ich meine, auch willig machen müssen, ein anderes Risiko, ein Risiko friedlicher Begegnungen und Auseinandersetzungen einzugehen. Denn jedes Risiko ist geringer als das Risiko des Krieges.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Wiederholen Sie bitte auch nicht den Satz, daß die Sozialdemokratische Partei mit ihrer Politik den Untergang Deutschlands verursachen werde. Die Bundesrepublik ist nicht Deutschland. Sie, verehrte Damen und Herren, haben Deutschland nicht wiederhergestellt; wieso sollte ein anderer Deutschland untergehen lassen können?!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Der Untergang Deutschlands — das ist unsere Sorge - kann kommen, wenn nicht endlich wenigstens mit dem Wettrüsten Schluß gemacht wird, wenn nicht endlich einmal in all diesen Entwicklungen, von denen Sie selber sagen, daß sie sich bis heute zum Bösen ausgetragen haben, ein Stopp und ein Haltepunkt kommt. Das ist es, was uns veranlaßt hat, auf Rapacki-Plan, auf Kennan-Vorschläge und dergleichen hinzuweisen als eine Möglichkeit, wenigstens einen Ansatz zu finden, eine Möglichkeit, die ausgestaltet werden muß.
    Ich will alles mit einem einzigen Satz zusammenfassen. Die Verdünnung des militärischen Aufmarschs in alten, sogenannten klassischen Waffen ist in Europa längst im Gange; lassen Sie bitte davon ab, diese Verdünnung in alten, klassischen Waffen aufzufüllen mit Atomwaffen! Darum geht es uns.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP.)