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    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
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    Niemals wird ein Botschafter in Warschau eine ungünstige Entwicklung des Verhältnisses von Polen zur Sowjetunion erreichen. Dazu kann man nur sagen: wenn ein Botschafter mit diesem Ziele nach Warschau käme, wäre er wahrhaftig ein törichter Mann oder hätte eine törichte Regierung zu Hause, die ihm falsche Aufträge gäbe. Wer so spricht, der weiß gar nicht, was dort lebendig ist, was dort aufgewühlt worden ist, welche geistige Revolution sich dort vollzogen hat, nun, Gott, mit allen Schwierigkeiten und Belastungen. Mir sind in Warschau diese entscheidenden Stunden im November 1956 geschildert worden. Sie machen sich keine Vorstellung von der Dramatik der Ereignisse, als der Chruschtschow mit Schukow anfuhr, um den Gomulka klein zu machen, und am Ende mit dem Rokossowski, dem russisch-polnischen Marschall, als geschlagener Mann abzog. So waren die Dinge.

    (Lachen in der Mitte.)

    — Ach, da können Sie lachen? Wenn noch dazu eine
    Frau lacht, statt zu erwägen, was ich immerhin auf
    Grund eigener Eindrücke festgestellt habe, ist es schlimm. Man kann doch nicht glauben, ein deutscher Botschafter könne dort hinübergehen, der Intrigen macht. Aber eines habe ich festgestellt: dieser Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik, wie sie sich nennt, steht bei allen Zusammenkünften gemieden, verachtet in der Ecke. So also ist die Situation, und wir nutzen sie nicht!
    Ich habe festgestellt, daß für Polen die sowjetisch besetzte Zone, oder, ich will einmal sagen, die sowjetisch beherrschte Zone, eine schlimme Belastung ist. Durch sie umklammert doch die Sowjetunion Polen, das aus vielfachen Gründen — aus konfessionellen Gründen, aus geschichtlichen Gründen, aus kulturellen Gründen — die Nachbarschaft mit Deutschland will. So sind die Dinge. Dieser Aufgabe könnte sich ein deutscher Botschafter in Warschau widmen. Polen könnte für uns Partner für die die Erreichung des Ziels der deutschen Einheit sein. Meine persönliche Meinung: ich bin gegen jede Vorleistung; diplomatische Beziehungen sind richtig, wenn wir uns dieser Kampfgemeinschaft sicher geworden sind. Ich bin der Meinung, die Möglichkeit ist gegeben. Aber darum muß man sich doch bemühen, und durch Indolenz, durch Nichtstun, durch Passivität, wie sie die Regierung in unverantwortlicher Weise an den Tag legt, erreicht man gar nichts.
    Ich will die waffentechnischen Dinge nicht mehr erwähnen und auch nichts zu dem sagen, was Herr Strauß von Schaukelpolitik gesagt hat. Wer will eine Schaukelpolitik? Mit dieser lächerlichen These verbaut man doch alles. Wir wollen doch nicht schaukeln, wir gehören zum Westen, selbstverständlich. Und wir wollen doch nicht kommunistisch werden. Wir wollen auch nicht unter bolschewistischen Einfluß kommen. Wenn man über diese Grundvoraussetzungen einer Politik reden muß, wie traurig ist es dann bestellt, meine Damen und Herren!

    (Zustimmung bei der FDP und bei der SPD.)

    Wenig, nichts ist geschehen. Wo die Politik beginnen sollte, verzagt man eben und gibt das auf, was uns als geschichtliche Aufgabe in dieser Zeit gestellt ist.
    Nun, ich will zu dem Entscheidenden kommen, was mir auf der Seele liegt.

    (Zuruf von der Mitte: Wird aber Zeit! — Lachen und weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Ach, glauben Sie, ich habe diese Aussprachen, wie sie heute wieder stattgefunden haben, bis hierher satt!

    (Lachen und Zuruf von der Mitte: Wir auch!) — Ach, da höre ich doch lieber auf?!


    (Anhaltendes Lachen in der Mitte.)

    Nein, nein, so geht es nicht weiter. Seit 1950 immer dieselben Geschichten, dieselben Personen. Man kann sich ja wirklich beinahe gegenseitig nicht mehr hören. Man weiß, dann kommt der Herr Strauß usw. usw. Ja, meine Damen und Herren, glauben Sie, dadurch, daß wir fortgesetzt an den entscheidenden Dingen vorbeireden, machen wir in diesem Hause Politik?



    Dr. Dehler
    Eines hat der Herr Bundeskanzler mir nie verziehen, nämlich das, was ich einmal auf unserem Oldenburger Parteitag im Jahre 1954 gesagt habe: Ein Volk, das sich nicht zu dem Ziel gemeinsamer Außenpolitik zusammenfindet, taugt politisch nichts. Ich habe gesagt: Da kann man natürlich den Kurt Schumacher beschuldigen, da kann man sagen, die Sozialdemokratie will nicht; aber am Ende trägt die geschichtliche Verantwortung der, der die Regierung führt. — Herr Dr. Adenauer hat mir das nicht verziehen. Ich halte den Vorwurf aufrecht.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Warum gibt es keine gemeinsame Außenpolitik? Herr Kiesinger hat heute das entscheidende Wort gesagt. Ach, er hat das natürlich in seiner bestrikkenden Liebenswürdigkeit ganz anders gemeint. Er hat gesagt: Ihr lieben Sozialdemokraten, wir sind uns doch so einig; es ist doch nur ein Streit um die Methode. — Ist es nur ein Streit um die Methode? Sind wir uns alle einig in dem, was wir aktuell wollen?
    Die Einheit Deutschlands angehen? Sie sagen: Sofort, selbstverständlich ohne ein Risiko unserer Freiheit. Ganz ohne Risiko wird es nicht gehen. Sind wir bereit, auch dieses Risiko zu tragen? Wollen wir zu diesem Zwecke alles unternehmen, was möglich ist, oder nicht?
    Ich spreche darüber vor allem deswegen, meine Damen und Herren, weil diese Frage für meine Partei und mich schon in der Vergangenheit von großer Bedeutung war. Mein Bruch mit Dr. Adenauer beruht auf dieser Frage. Ich habe ihm nicht mehr geglaubt. Ich habe nicht mehr geglaubt, daß er das deutsche Ziel, die Wiedervereinigung, anstrebt.

    (Zuruf von der Mitte: Und wir haben Sie nicht mehr ernst genommen!)

    Meine Partei ist aus der Koalition herausgegangen, weil wir nicht mehr geglaubt haben, daß die CDU/CSU und die Bundesregierung die deutsche Einheit wollen.

    (Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Bis zum heutigen Tage noch bewegen uns diese Fragen und Zweifel. Das war und ist die Frage! Das liegt zwischen ihm und mir.

    (Lachen in der Mitte.)

    Ich glaube ihm nicht.
    Da gerade Herr Pferdmenges hinter Ihnen, Herr Bundeskanzler, sitzt: Sie wissen es vielleicht noch, es war für mich sehr eindrucksvoll. Wir haben damals — wann war das? im Herbst 1956, wir waren schon lange aus der Koalition ausgeschieden — erwogen, ob nicht aus bestimmten Gründen wieder ein Zusammenwirken möglich sei. Wir haben uns im Hause des Herrn Pferdmenges getroffen. In seiner sehr lockeren, überlegenen Art hat Dr. Adenauer dabei zu mir gesagt: Na also, Herr Dehler, wir wollen vergessen, was da alles vorgefallen ist! Aber eines hat mich schwer verletzt: daß Sie mir vorwerfen, ich wolle die Wiedervereinigung nicht. — Ich habe ihm geantwortet: Herr Bundeskanzler, Sie
    haben sich ein ganz bestimmtes Ziel gesetzt: diese Bundesrepublik, diese 50 Millionen Menschen zu Wohlfahrt zu bringen, ihnen Sicherheit zu geben. Das ist verständlich. Sie gehören einer anderen Generation an als ich. Mein Ziel ist ein anderes. — Er hat mir nicht mehr widersprochen. Aber darum geht es, meine Damen und Herren, und da kommt es nicht auf Alter und Generation an, sondern darauf, daß die uns vor der Geschichte jetzt aufgegebene Verantwortung getragen und die uns gestellte Aufgabe erfüllt wird.
    Da muß ich nun ein klein wenig in die Vergangenheit zurückgehen. Wir handeln ja nicht nur aus der gegebenen Situation, sondern die gleichen Vorstellungen standen doch schon seit 1950 immer und immer wieder vor uns. Vieles wäre in einem kritischen Überblick hierzu zu sagen; ich will nur einige markante Ereignisse erwähnen.
    Ich bedaure, Herr Kiesinger, daß ich Sie mitten im genußfrohen Gähnen stören muß.

    (Abg. Kiesinger: Das ist leider nicht genußfroh!)

    — Doch, Sie sahen sehr glücklich dabei aus, wie ein Kind vor dem Einschlafen.

    (Heiterkeit.)

    Sie haben heute vormittag von dem Mythus gesprochen, den der Herr Sethe aufgerichtet hat von den Möglichkeiten des Jahres 1952, die außer acht gelassen worden sind usw. Meine Damen und Herren, ein Politiker, der nicht dauernd überdenkt, ob er nicht Fehler gemacht hat, der nicht zurückdenkt, der nicht beachtet, was ein anderer, der leidenschaftlich über diese Dinge nachdenkt, an Bedenken geltend macht, der ist fehl am Platze. Wenn wir überdenken, was wir 1952 ausgelassen haben!

    (Abg. Stücklen: Da waren Sie noch Minister! Da waren Sie in der Regierung!)

    — Ich erzähle Ihnen das genau, Herr Stücklen,

    (Abg. Stücklen: Ja bitte!)

    warten Sie nur, haben Sie nur Geduld; ich sage Ihnen genau, wie die Dinge waren.
    Damals hatten wir ein Angebot Stalins, ein Jahr vor seinem Tod, am 10. März 1952. Man muß sich das wieder einmal in die Erinnerung zurückrufen, was dem deutschen Volke damals an Verhandlungsmöglichkeiten — mehr zu sagen wäre nicht zu verantworten — geboten war. Stalin hat uns damals angeboten: gesamtdeutsche freie Wahlen unter Viermächtekontrolle, Freiheit der Presse usw. usw., Friedensvertrag, Abzug aller Truppen innerhalb eines Jahres, nationale Bewaffnung des wiedervereinigten Deutschlands — von 300 000 Mann war die Rede —, eine Rüstungsproduktion für diese 300 000 Mann unter bestimmten Beschränkungen, keine Neutralisierung — nicht Neutralität war die Bedingung, sondern es war lediglich gefordert, daß Deutschland nicht in eine Militärallianz eintritt —,

    (Abg. Stücklen: Da hatten wir ja gar keine!)

    Einverständnis damit, daß eine gesamtdeutsche
    Regierung sofort, wenn sie gebildet ist, in Beziehungen zu allen anderen souveränen Völkern tritt.



    Dr. Dehler
    Vom Abzug habe ich schon gesprochen. Was war damals die Gegenbedingung? Verzicht auf EVG! Das lag darinnen: Verzicht auf den Vertrag, der dann nach Jahr und Tag, am 30. August 1954, in der Französischen Nationalversammlung auf schändliche Weise vom Tisch gefegt wurde; man ging darüber zur Tagesordnung über. Hier hätte man eine Verhandlungsmöglichkeit gehabt.

    (Abg. Stücklen: Was haben Sie getan, Herr Dehler? Sie waren in der Regierung!)

    — Sie sind zu übereifrig, Herr Stücklen! Kümmern Sie sich um Ihre Post!

    (Heiterkeit bei der FDP und der SPD.)

    Ich sage es Ihnen: Der Herr Bundeskanzler — — (Abg. Stücklen: Was haben Sie getan?)

    — Schreien Sie nicht so; haben Sie doch Geduld! Ich weiche doch nicht aus. Ich war Mitglied des Kabinetts.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Na also!)

    Der Herr Bundeskanzler hat uns damals erklärt: Das ist ein Störungsmanöver! — Genau das gleiche, was er heute erklärt. Ich habe ihm vertraut.

    (Abg. Stücklen: Was haben Sie getan?)

    — Ach Herr Stücklen, seien Sie doch — —

    (Abg. Stücklen: Sie sind in der Regierung geblieben, Herr Dehler!)

    — Ich bin in der Regierung geblieben. Ich schäme mich, ja!

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich beneide den Heinemann wegen seines Mutes. (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Aber Herr Heinemann, lieber Herr Stücklen, kannte
    seine Pappenheimer besser; er war ja in der CDU.

    (Große Heiterkeit bei der SPD und der FDP.)

    Ich war am Ende ein kleiner Mann, der glaubte, was dieser große, geniale Staatsmann uns sagt, sei richtig.
    Aber das Entscheidende ist doch, daß sich erwiesen hat und daß jeder von Ihnen, selbst der Herr Stücklen, heute einsehen muß, was damals falsch gemacht, was geschadet worden ist. Wir wissen doch heute viel mehr. Wir haben inzwischen den 20. Bolschewistischen Kongreß erlebt, wir haben die Reden von Chruschtschow gelesen. Wir wissen jetzt, daß damals, im März 1952, Stalin innenpolitisch in einer verzweifelten Lage war. Das laste ich dem Herrn Bundeskanzler und den Westalliierten an. Damals war die Pause — die Pause, von der er uns heute etwas vorgaukelt —, die ihm geboten war, die er hätte benutzen müssen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Wir wissen heute, wie dieser so allmächtig erscheinende sowjetrussische Diktator in Wirklichkeit ein vereinsamter Mann war. Die Ärzteprozesse! Lesen Sie doch nach, was Chruschtschow gesagt hat! Er hat uns in dieser schwierigen inneren Lage,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist „Er"?)

    um seine Schwierigkeiten nach außen abzulenken
    — gerade das, worauf Sie spekulieren —, diesen Vorschlag gemacht. Und was das Schlimme war: man hat nicht einmal darüber debattiert; man hat nicht einmal versucht, ein Wort zu wechseln.
    Das sage ich, ohne, so glaube ich, meine Pflicht zur Diskretion zu verletzen: daß die Haltung Dr. Adenauers auch für das Verhalten der drei Westmächte wesentlich war.

    (Abg. Stücklen: In dieser entscheidenden Stunde haben Sie versagt!)

    — Ich war nicht Außenminister, Herr Stücklen.

    (Abg. Stücklen: Sie haben versagt, jawohl!)

    — Versagt hat der, der die Verantwortung trug, der die Richtlinien der Politik gab.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Stücklen.)

    — Warten Sie doch erst einmal, welche Schlußfolgerung ich aus diesen Tatsachen ziehe, daß dieser Dr. Adenauer nicht nur versagte — er war Bundeskanzler, er hatte die Richtlinien der Politik bestimmt —, sondern daß er uns auch nicht richtig ins Bild setzte, und ich frage Sie — deswegen sage ich es ja —: Welcher Wille stand dahinter?
    Aber noch einmal etwas zu den Tatsachen. Antwort der drei Westmächte vom 25. März, maßgebend von Dr. Adenauer mit bestimmt: „Nicht zu billigen ist der sowjetische Vorschlag, Deutschland nationale Kräfte zu gewähren". — Meine Damen und Herren, stellen Sie sich einmal diese Illusion, nein, ich sage: diese Ironie der Situation vor. Die Sowjetunion bietet uns nationale Streitkräfte an, so wie wir sie heute auf Grund der Westeuropäischen Union und der Pariser Verträge haben, und die drei Westmächte lehnen dieses Angebot auf Veranlassung des Bundeskanzlers ab.
    Aber ich will die ganze Geschichte nicht weiter verfolgen.

    (Abg. Dr. Kliesing: Das ist nicht Geschichte, das ist Geschichtsklitterung, was Sie machen!)

    - Herr Kliesing, was klittere ich? Bitte sagen Sie es mir! Sagen Sie mir, was ich klittere!

    (Abg. Dr. Kliesing: Ihr Ziel ist hier heute abend eine neue Dolchstoßlegende! — Lebhafte Pfui-Rufe von der SPD.)

    — Herr Kliesing, Sie sind ein Lügner! (Pfui-Rufe von der CDU/CSU.)

    Sie sind ein Lügner! Sie machen mir den Vorwurf, ich klitterte, das heißt, ich stellte unwahre Behauptungen auf oder zöge bewußt unwahre Folgerungen. Dieser Vorwurf ist ungerechtfertigt, ist für mich beleidigend.

    (Zuruf von der SPD: Sehr wahr! — Abg. Dr. Greve: Die Wahrheit ist Ihnen unangenehm, Herr Kliesing!)

    In späteren Noten, die gewechselt worden sind, wieder die Erklärung der Sowjetunion: „Deutschland muß die zu seiner Verteidigung erforderlichen Streitkräfte haben." Dr. Adenauer hat es abgelehnt!



    Dr. Dehler
    Nun mein Schluß aus diesem Tatbestand. Aber, Herr Stücklen, damit wir uns recht verstehen: ich denke keinen Augenblick daran, meine Verantwortung, die ich damals trug, zu leugnen. Darum geht es doch nicht, sondern die Frage ist: Was damals beschlossen wurde — war es richtig, war es falsch? Welche Intentionen waren bei dem, der diese Entscheidung traf, maßgebend? Herr Stücklen, Sie sind ja jetzt Mitglied des Kabinetts. Ich weiß nicht, ob die Dinge sich geändert haben. Ich sage für das ganze Haus: Dem Kabinett geht es um kein Haar besser als Ihnen, meine Damen und Herren.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Meine Erfahrung: die eigentlichen Entscheidungen gehen wie am Parlament, so auch am Kabinett vorbei.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Schlußfolgerung aus dem, was damals geschah: Hier fehlte der Wille, das Mögliche zu tun, eine Chance zu ergreifen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine böse Entstellung!)

    Das müssen Sie wissen. Da hat sich das Schicksal der Sibyllinischen Bücher wahrlich vollzogen. Von Jahr zu Jahr ist unsere Chance schlechter geworden. Und auch heute will die Bundesregierung die noch angebotenen letzten Bücher nicht ergreifen und nicht bezahlen.
    Ich muß Ihnen natürlich auch ein bißchen aus meinen persönlichen Eindrücken erzählen. Ich war nicht mehr im Kabinett, da kam die Berliner Konferenz, Januar bis Februar 1954. Sehr wichtig! Was hat die Bundesregierung getan, damit etwas zustande kam? Ich will Ihnen nur eine Szene schildern. Ich bin damals im Auftrage meiner Fraktion nach Berlin gefahren. Beobachter bei dieser Konferenz war der jetzige Botschafter Blankenhorn. Er empfing mich mit den Worten: „Herr Dehler, Sie brauchen keine Angst zu haben; es kommt nichts zustande."

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat hinterher gesagt: „Da war nichts auszuhandeln, und da ist nichts einzuhandeln." Auch hochinteressant, was der Herr Bundeskanzler nach der Berliner Konferenz sagt! Es zeigt, welcher Geist, welcher Wille in ihm stecken: „Es ist nichts auszuhandeln und nichts einzuhandeln." „Die europäische Integration ist notwendiger denn je." „Ich bin bereit, die Einführung einer gemeinsamen deutsch-französischen Staatsbürgerschaft zu erwägen." — Das sind die Vorstellungen, in denen sich der Herr Bundeskanzler bewegt.
    Was war die Folge der Berliner Konferenz, meine Damen und Herren? Die Folge, unter der wir leiden: die Erklärung der Sowjetunion, daß sie in Zukunft die Deutsche Demokratische Republik als souveränen Staat anerkennen werde. Das war die Konsequenz davon, daß wir, Herr Bundeskanzler, unsere Pflicht nicht erfüllten. Den Zustand haben wir mit verschuldet.

    (Zuruf von der CDU/CDU: Unerhört!)

    „Unerhört!", sagen Sie. Bitterste Tatsache! Ich sage Ihnen doch nur, was geschehen ist, auch als Folge unseres Versagens.
    Nur einige Tatsachen noch. Die Bindungsklausel! Wenn Sie erkennen wollen, was im Herzen dieses Mannes, der die deutsche Politik bestimmt, vorgeht, dann müssen Sie sich die Geschichte der Bindungsklausel vergegenwärtigen. Sie wissen, worum es geht. Im ursprünglichen Deutschland-Vertrag vom 26. Mai 1952 war vorgesehen: Bindung eines wiedervereinigten Deutschland an die Verträge. Professor Grewe hat es einmal so umschrieben, daß diese ursprünglich vorgesehene Fassung auf eine automatische Bindung des wiedervereinigten Deutschlands an die Bonner Verträge sowie an die europäischen Integrationsverträge abzielte. Diese Bindungsklausel hat der Herr Bundeskanzler damals mit den Alliierten ausgehandelt. In letzter Stunde haben wir uns dagegen gestemmt. Sie wissen, was diese Bindungsklausel bedeutet hätte. Wenn im Falle einer Wiedervereinigung Mitteldeutschland ohne weiteres in sämtliche vertraglichen Verpflichtungen, damals die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, in sämtliche Europaverträge eingetreten wäre, hätte die Sowjetunion niemals zustimmen können, die Zone freizugeben. Das ist selbstverständlich.
    Der Herr Bundeskanzler hat diese Bindungsklausel, die die deutsche Wiedervereinigung unmöglich machte, gewollt.

    (Abg. Huth: Unverschämtheit ist das!) — Wie können Sie sagen „Unverschämtheit"?


    (Beifall bei der SPD. — Pfui-Rufe bei der CDU/CSU. — Weitere Zurufe.)

    Dann sagen Sie wieder einmal, ich klittere. Das sind doch Tatsachen! Der Herr Bundeskanzler regt sich nicht so auf. Das ist sein Wille!

    (Oho-Rufe bei der CDU/CSU. — Beifall bei der SPD.)

    Er weiß, daß ich die Wahrheit sage.

    (Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.)

    Ich rechne es mir, ich rechne es uns Freien Demokraten als ein geschichtliches Verdienst an, daß wir uns damals dagegen gewandt haben. Herr v o n Brentano war damals Vorsitzender der CDU/ CSU-Fraktion und ist in sehr loyaler und sehr kluger Weise — damals war er noch nicht im Joche des Kabinetts —

    (Heiterkeit)

    mit uns gegangen. Wir haben gemeinsam den Herrn Bundeskanzler bedrängt, auf diese Bindungsklausel zu verzichten. Er hat es abgelehnt; er hat es nicht getan.
    Daraufhin sind wir — Herr von Brentano war dabei — unmittelbar an den damals schon anwesenden amerikanischen Staatssekretär Dean A c h es o n herangetreten, und, meine Damen und Herren, in kürzester Zeit — bitte, fragen Sie Herrn von Brentano! — hat Dean Acheson gesagt: „Na selbstverständlich, gar keine Frage für uns!" Wir haben dann



    Dr. Dehler
    eine Formulierung gefunden, die er aus dem Handgelenk geschüttelt hat, die diese Bindungsklausel aufgehoben hat. Der Herr Bundeskanzler hat — Sie wissen ja, er ist ein Jupiter tonans —

    (Heiterkeit)

    noch monatelang den Beteiligten, auch Herrn von Brentano, besonders auch Herrn Blücher deswegen gezürnt.
    Nun gibt es etwas sehr Interessantes. (Lachen und Rufe: Aha! bei der CDU/CSU.)

    Es gibt wunderbare Zusammenhänge, die es rechtfertigen, wenn ich sage, diese Bindungsklausel ist von ihm und nicht von den Westalliierten gewollt gewesen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Auch hier ist Herr von Brentano Zeuge. Er hat ja
    — wann war es? — am 29. Juli eine Berliner Erklärung der Vertreter der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Bundesrepublik zur Frage der Wiedervereinigung abgegeben, eine schöne Deklamation, Makulatur, an sich längst in den Papierkorb gewandert. Wer glaubt, daß man so die Welt bewegen könnte, — was ist er für ein Illusionist! Aber da steht in Ziffer 8:
    Die Westmächte haben nie verlangt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland der Organisation des Nordatlantikvertrages beitreten muß; die Bevölkerung eines wiedervereinigten Deutschlands wird durch ihre frei gewählte Regierung selbst bestimmen können, ob sie an den Rechten und Pflichten dieses Vertrages teilhaben will.
    Das erklären die Westalliierten: sie haben es niemals verlangt. Es stand aber in dem Vertrag. Wer
    hat es also verlangt? Ein Mann, Konrad Adenauer!

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich sage es Ihnen, damit Sie wissen, was ich will. Es kommt doch nicht auf schöne Reden an. Der Mann der schönen Rede, Herr Kiesinger, ist schon geflüchtet, er war doch sehr müde von den Strapazen. Nein, nicht auf die Rede kommt es an. Hier, Herr Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, haben Sie bewiesen, daß Sie alles taten, um die Wiedervereinigung zu verhindern.

    (Abg. Stücklen: In Bamberg haben Sie gesagt, Adenauer sei ein Geschenk Gottes an das deutsche Volk!)

    — Da war ich noch der gläubige Thomas! (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Herr Stücklen, stellen Sie sich einmal vor, was geschehen sein muß, daß ich, ein gläubiger Mann, ein Mann, der ihm auch vertraute, so erschüttert wurde, daß eine Welt zwischen ihm und mir liegt. Was mußte hier geschehen, daß es zu den Erkenntnissen führte, die ich unter Schmerzen gesammelt habe!
    Deswegen sollten Sie es mit ein bißchen Respekt anhören, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Der Herr Bundeskanzler ist ja ein, — — ach, er ist nicht nur ein charmanter Mann, er kann ja jonglieren, er kann heute das und er kann morgen jenes sagen mit einer Sicherheit, und wenn er dann die Stimme ein bißchen erhebt, — — dieser ganze Haufen da, — — er kann sagen, was er will, eine Oktave höher, — —

    (Lebhafte Zustimmung und Beifall bei der FDP und der SPD. — Stürmische Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Ich will es Ihnen ja beweisen, — —

    (Anhaltende lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU: Unerhört! Aufhören! — Glocke des Präsidenten.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Einen Augenblick!

(Anhaltende große Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

— Einen Augenblick! Es ist mir völlig unmöglich, festzustellen, was gesagt worden ist, total unmöglich.

(Anhaltende lebhafte Zurufe.)

Meine Damen und Herren, der Bundestagspräsident kann nur gegen etwas vorgehen, was er selber hört oder was er aus dem Protokoll entnimmt. Ich stelle fest, daß ich einfach nichts verstehen konnte.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich habe keinen beleidigenden Ausdruck gebraucht.

    (Zurufe von der Mitte: Selbstverständlich! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU.)

    — Wer hat soeben gesagt: „unverfroren"?