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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Die Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich und Italien, ferner auch mit einigen anderen Staaten hat ihre besondere, im Rahmen der WEU und der NATO vorgesehene Vorgeschichte. Wir bemühen uns im Rahmen der NATO im sogenannten Standardisierungsausschuß seit Jahren, im Rahmen der WEU im sogenannten Rüstungsausschuß auch seit geraumer Zeit, zu gewissen konkreten Fortschritten zu kommen. Die dabei erzielten Fortschritte sind aus einer Reihe von Gründen sehr gering gewesen. Die Infanteriepatrone, die Lastwagenkupplung und der Tankanschluß bei Flugzeugen sind die prominentesten Errungenschaften dieser jahrelangen Arbeit.

    (Heiterkeit.)

    Wir sind deshalb zu der Überzeugung gekommen, daß die beste Standardisierung z. B. die Lieferung amerikanischer Waffen an alle europäischen Staaten war. Damit löst sich das Problem von selbst.
    Aber so läßt sich das Problem nicht weiterhin lösen. Deshalb sind wir zu der Auffassung gekommen, daß eine bilaterale oder trilaterale Zusammenarbeit viel leichter zu den gewünschten Ergebnissen führt als eine Zusammenarbeit im SiebenerRahmen oder im Fünfzehner-Rahmen. In diesem Rahmen — das sind immerhin drei kontinentale Staaten, die im kontinentalen Gebiet der NATO
    ausschlaggebend sind: Frankreich, Italien und Deutschland — kann man — nicht hinsichtlich der bestehenden Waffen, aber hinsichtlich derer, die dann kommen, der Flugzeuge, der Abwehrraketen gegen Panzer, der Abwehrraketen gegen Flugzeuge, der Raketen gegen Flugziele — viel leichter zu gemeinsamen Lösungen kommen, als wenn man von Kanada bis Luxemburg eine Fünfzehner-Lösung herbeizuführen versucht. Ich werde deshalb vielleicht wieder in einem gewissen Kreise getadelt werden. Im Dreier-Rahmen sind trotz verschiedener militärtechnischer Auffassungen — die überbrückt werden können — und trotz nicht einheitlicher industrieller Interessen — die Produktion wird im Ausland jedenfalls zum Teil in Staatsbetrieben durchgeführt — auch die industriellen Möglichkeiten aufeinander abzustimmen.
    Kollege Ollenhauer hat eine Antwort auf die Frage verlangt, ob damit eine Produktion von Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik in Zusammenarbeit von Frankreich, Deutschland und Italien vorgesehen ist. Darüber ist nicht gesprochen worden. Wir stehen nach wie vor zu dem in den Brüsseler Verträgen hinsichtlich der ABC-Waffen ausgesprochenen Verzicht.
    Es gibt aber in dem zweiten Protokoll zu den Brüsseler Verträgen einige Punkte, bei denen ein Versehen passiert ist, z. B. bei der ferngesteuerten Panzerabwehrrakete. Man hat vergessen, sie in die Ausnahmeliste aufzunehmen, wie Ihnen selbst bekannt ist. Daß wir hier punktartig verschiedene Änderungen herbeizuführen versuchen werden, entspricht nicht nur unseren Notwendigkeiten, das entspricht auch dem Sinn der NATO-Beschlüsse vom Dezember, die darauf hinauslaufen, daß das ganze geistige, technische und wissenschaftliche Potential der NATO-Mächte in der ökonomischsten Weise für die wirksamste Form der Verteidigung konzentriert werden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, es hat eine interfraktionelle Vereinbarung stattgefunden, nach der wir die Tagesordnung durchberaten sollen, solange sich Redner bereitfinden, zu sprechen. Es haben sich eine Reihe von Rednern gemeldet.
Die Vereinbarung geht weiter dahin, daß, falls wir mit unseren Beratungen heute die Mitternacht überschreiten sollten, dafür der morgige, Tag als Sitzungstag ausfällt.

(Abg. Dr. Schröder [Düsseldorf]: Schulfrei! — Heiterkeit.)

Wir bekommen gewissermaßen, wie der Herr Innenminister sagte, schulfrei. Ihm untersteht ja auch so nebenbei das Kulturdezernat; das hat ihm wohl dieses Wort aus der Jugendzeit auf die Zunge gelegt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dehler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten hat mich etwas so traurig gestimmt wie die heutigen Ausführungen des Herrn



    Dr. Dehler
    Bundespräsidenten; Entschuldigung, des Herrn Bun-
    deskanzlers, — des präsumtiven Bundespräsidenten.

    (Heiterkeit.)

    Von solchen Erwägungen, meine Damen und Herren, und von solchen Entscheidungen

    (Zurufe: Lauter!)

    — ich bin kein Lautsprecher; hier sind ja wohl welche —, wie wir sie heute gehört haben, hängt das Schicksal unseres Volkes ab. Nun, wir tragen dafür nicht die Verantwortung. Aber er verkörpert diese Politik, die heute wieder zur Debatte steht. Wir haben ganz entscheidende Fragen, Sachfragen zu dieser Politik gestellt. Wir sind der Meinung, sie sind zum Teil nicht, zum Teil" ungenügend, sie sind auch in schlechter Form beantwortet worden. Eine schlechte Form ist ein Beweis für eine schlechte Sache, manchmal auch ein Beweis für ein schlechtes Gewissen.

    (Oh-Rufe von der CDU/CSU. )

    Ich muß noch einmal darauf zurückkommen. Der Herr von Brentano — ich muß schon sagen: „Noblesse oblige" — hat es für richtig gehalten, uns, die Freie Demokratische Partei, politisch zu diffamieren,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er hat Grund dazu gehabt!)

    zu behaupten, wir seien nazistisch.

    (Abg. Dr. Bucerius: Herr Mende hat es doch getan!)

    — Herr Mende hat etwas ganz anderes gesagt; ich werde darauf eingehen. Herr Mende hat von der Entwertung unserer Demokratie und unseres Parlamentarismus gesprochen und als schlechtes Vorbild das angeführt, was mit dem Parlamentarismus in einer schlimmen Zeit geschehen ist. Das war der Zusammenhang. — Herr von Brentano hat es für richtig gehalten, uns zu diffamieren. Herr Kiesinger, das ist eines der Mittel, wie sie auch im Wahlkampf angewandt worden sind und wodurch man dann die Mehrheit in diesem Hause bekommen hat

    (Große Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    - Ja, ich unterhalte mich mit Ihnen noch darüber!
    — Meine Damen und Herren! Ich habe mein persönliches Schicksal mit dieser Partei verbunden. Ich bin der Überzeugung, das Schicksal dieser Partei ist mit der Frage, ob es geistige, ob es politische, ob es wirtschaftliche Freiheit in unserem Staate gibt und ob diese Demokratie Bestand hat, ganz entscheidend verknüpft. Ich lasse mir den Vorwurf, den Herr von Brentano zu machen für richtig gehalten hat, nicht gefallen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Deshalb sage ich ein persönliches Wort. Ich lasse es mir nicht gefallen, daß diese Partei, die ich mit geschaffen habe, für die ich die Verantwortung mit getragen habe,

    (Abg. Rasner: Hannover! — weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    und mit der ich nach wie vor verbunden bin, der-
    artig beschmutzt wird. Und deshalb sage ich Ihnen
    auch ein Wort von mir. Meine Damen und Herren, ich möchte einen in diesem Raume kennen, der — verzeihen Sie, wenn ich von mir spreche, aber das tut not; nicht meinetwegen, sondern der Sache wegen — so klar und so unbeirrt nun fast vierzig Jahre lang eine politische Überzeugung, die gegen die Grundsätze des Nationalsozialismus stand, durchgehalten hat.

    (Abg. Kiesinger: Das hat niemand bezweifelt!)

    — Das ist bezweifelt worden, wenn Sie generell, kollektiv unsere Partei herabzusetzen wagen. Ich habe die Möglichkeit gehabt, mehr und besser als ein anderer die Gefahr des Nationalsozialismus zu erkennen. Ich habe ihn an der Wiege, in seinem Entstehen, ich habe ihn in München seit 1918 erlebt.

    (Zuruf des Abg. Dr.-Ing. E. h. Arnold.)

    — Nun, ich habe erlebt, Herr Arnold, daß dort eine geistige und politische Atmosphäre — ich möchte fast sagen, ein geistiger und politischer Morast — geschaffen worden ist von der Bayrischen Volkspartei, die damals die christliche Partei in Bayern war, und daß auf diesem Morast dort die Giftblüte des Nationalsozialismus gewachsen ist.

    (Beifall bei der SPD. — Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Ich bin seit 1919 in den Kampf gegen den Nationalsozialismus gegangen. Ich bin in die nazistischen Versammlungen gegangen und habe mich verfolgen lassen. Ich habe Versammlungen gehalten, die man gesprengt hat. Ich habe diese Überzeugung durchgehalten, und ich lasse nicht zu

    (Abg. Rösing: Niedersachsen!)

    — aus Gründen, die mein Freund Reinhold Maier heute auch sehr treffend dargelegt hat —, daß man in diesem Kreis uns herabzusetzen versucht und eine schlimme Atmosphäre schafft, meine Damen und Herren, wenn es in Wirklichkeit gilt, eine böse Vergangenheit zu überwinden.
    Schlecht — ich muß es noch einmal sagen — war die Form, in der diese politische Aussprache vor dem heutigen Tage und heute stattfand, und es gibt keine Entschuldigung dafür. Nicht darum geht es, daß man sich geäußert hat, nicht darum, daß man über außenpolitische Fragen im Rundfunk oder in Versammlungen gesprochen hat; es geht darum. daß man Entscheidungen getroffen und verkündet hat, so daß das, was sich heute vollzieht, eben doch zu einer reinen Form, zu einer Farce geworden ist.
    Herr Kollege Höcherl hat vorhin meine frühere Äußerung zu dieser Frage vorgelesen. Herr Kollege Höcherl, das war reizend. Wenn mir etwas von dem vorgelesen wird, was ich einmal gesagt habe — mir geht es ähnlich wie dem Herrn Bundeskanzler; ich lese nie etwas nach, was ich jemals rednerisch oder schriftlich verbrochen habe —

    (Heiterkeit — Abg. Höcherl: Soll ich es noch einmal vorlesen?)

    — nein, gar nicht! —, freue ich mich immer wieder, was für gescheite und richtige Dinge ich schon gesagt habe.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)




    Dr. Dehler
    Meine Damen und Herren, ich habe doch ausdrücklich erklärt, daß selbstverständlich die Bundesregierung die Außenpolitik treibt, aber erst nach der Aussprache, nachdem — das steht ausdrücklich in meiner Erklärung — die Opposition gehört worden ist. Das ist ja das Wesen des Parlaments, daß man hier zusammenkommt und spricht. Ich möchte auch mit einer Wendung des Herrn Bundeskanzlers etwas dazu sagen. Ich bin der Meinung, auch bei der CDU/CSU gibt es nicht nur anständige,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    sondern auch kluge Leute, mit denen zu reden sich lohnt. Aber hier ist die Stätte der Rede, und hierauf beruht das Parlament, das seinen Namen von parlare bezieht, daß die Chance besteht, in Rede und Gegenrede die Probleme zu entscheiden. Es ist doch einfach unwürdig, wie die Bundesregierung vorgeht.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, der Herr Bundeskanzler hat mich so lange nicht mehr gesehen, daß er richtige Wiedersehensfreude an mir hat.

    (Abg. Stücklen: Beruht auf Gegenseitigkeit! Sind Sie höflich!)

    Meine Damen und Herren, hier soll man parlieren und dann am Ende entscheiden. Das Gegenteil ist geschehen, und das ist wahrlich ein schlechter Stil. Es ist schlecht — ich muß es noch einmal sagen —, wenn man das vornehmste Recht des Parlaments verkümmert. Es ist bedauerlich, wenn man dafür keinen Sinn hat, wie schlimm es ist, daß man mit kleinen Mätzchen Politik macht, daß man dann, wenn eine Partei das vornehmste Recht im Parlament in Anspruch nimmt, nämlich ihr Kontrollrecht dadurch auszuüben, daß sie Fragen stellt und die Bundesregierung zwingt, hier Rede und Antwort zu stehen, ihr dieses Recht dadurch nimmt, auf jeden Fall weitgehend aushöhlt, daß man eine Regierungserklärung vorschaltet.
    Es sind Symptome für eine schlechte Art, die sich auch sonst äußert. Was wir im Außenpolitischen Ausschuß erleben, meine Damen und Herren, das ist eine Karikatur des Parlamentarismus und der Demokratie.

    (Oho-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Sie hören, daß dieser Ausschuß vertraulich ist. Wir erfahren aber weniger, als ein aufmerksamer Zeitungsleser feststellen kann, und wir erfahren das Wenige noch dazu tendenziös präpariert. So sind doch die Dinge!

    (Hört! Hört! rechts.)

    Es sind Symptome einer schlechten Haltung.
    Ich sage: unsere Fragen sind nicht beantwortet oder ungenügend beantwortet. Aber wir sind über eines einig, und ich nehme hier auch wieder ein Wort des Antwortbriefes an Bulganin, ein Wort, das heute zitiert worden ist, vielleicht noch viel mehr ernst auf, wirklich mit Ernst. Auch nach meiner Meinung war die Lage nie so ernst wie jetzt. Das Wort ist abgegriffen. Man muß sich erst wieder vor Augen stellen, wie ernst es ist. Ich
    meine: der gegenwärtige Abschnitt der Nachkriegsgeschichte und der Geschichte der Bundesrepublik wie der Geschichte der weltpolitischen Entwicklung ist entscheidend. Wenn je, dann müssen wir jetzt sorgfältigst überlegen, ob der bisherige Weg weiter gegangen werden kann.
    Der bisherige Weg hat dazu geführt, daß die Lage immer ernster geworden ist. Er führt zur Verhärtung der Weltlage, zum Wettlauf der Rüstungen mit ihren unabsehbaren Folgen auf allen Gebieten, nicht nur militärischen, sondern auch politischen und wirtschaftlichen, mit der Folge — das ist meine Überzeugung —, daß Deutschland auf Generationen hin zerrissen ist.
    Was uns heute von der Regierungsbank gesagt worden ist, was heißt denn das anders, als daß dieser Weg weiter gegangen wird!? Man sieht zwar in der Ferne eine Abrüstung. Aber zu der Abrüstung will man dadurch kommen, daß man zunächst aufrüstet, daß man sogar atomar aufrüstet. Also wie wird das Bild sein?
    Das müssen wir als Resümee der heutigen Aussprache feststellen: in wenigen Monaten — auf jeden Fall in wenigen Jahren — Atombasen in der Eifel, vielleicht im Fichtelgebirge, im Bayerischen Wald,

    (Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Was machen denn die „braven" Russen?!)

    Atombasen drüben im Thüringer Wald und in Pommern. Und dann glauben Sie an Entspannung, und dann glauben Sie an die Möglichkeit, daß das getrennte Deutschland zusammenkommt! Ich möchte meinen, das Gegenteil wird diese Politik herbeiführen. Es wird nach dem Wort von Dulles weiterhin hart am Rande des Abgrunds marschiert werden.

    (Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Was machen denn die Russen?!)

    Das ist die traurige Überzeugung, die man heute von hier mitnehmen muß.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Wir sind tief ergriffen von dem, was uns Kollege Dr. Gradl heute von dem unerträglichen Zustand drüben in der Sowjetzone gesagt hat. Wer etwas weiter denkt, weiß doch, daß diese Dinge von Tag zu Tag schlimmer werden, sich immer mehr verhärten, daß auch die Existenz der ostdeutschen Regierung immer fester und stärker wird, daß uns dadurch immer härtere Bedingungen für die Erreichung unserer politischen Ziele gesetzt werden.
    Wie schlecht ist es schon um die deutsche Einheit bestellt! Spielt sie in der Weltpresse, im Weltbewußtsein überhaupt noch eine Rolle? Ja, ich möchte schon fragen: Ist das deutsche Volk, ist gerade auch das Volk in der Bundesrepublik noch angerührt von dieser heiligen Aufgabe, die deutsche Einheit wieder herbeizuführen?

    (Abg. Rasner: Denken Sie nicht so schlecht!)




    Dr. Dehler
    — Das ist das Schlimme, Herr Kollege Rasner: weil ich von Ihrer Politik schlecht denken muß, muß ich auch von der Wirkung Ihrer Politik leider schlecht denken.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das ist die Bedeutung der Führung. Am Ende ist ein Volk sehr feinhörig und sehr feinfühlig.

    (Lachen, Beifall und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Es weiß ganz genau, wie die Männer denken, die oben stehen. Der letzte in unserem Volk weiß, daß man hier zwar von deutscher Einheit und von Wiedervereinigung spricht, aber sie nicht ernstlich erstrebt. Darum geht es doch.

    (Ohound Pfui-Rufe von der CDU/CSU. — Beifall bei der FDP und der SPD. — Abg. Stücklen: Das ist nicht bewiesen!)

    — Ich werde mich mit Ihnen darüber auseinandersetzen. Was ist denn geschehen? Was haben Sie getan, um im deutschen Volk das Gefühl, daß diese Spaltung ein Unglück, ein Unrecht ist, lebendig zu halten? Haben Sie sich verhalten wie das französische Volk, das niemals Elsaß und niemals Lothringen vergessen, aber den Verlust immer gefühlt hat?

    (Abg. Dr. Hellwig: Aber nicht dauernd davon geschwätzt hat!)

    Wo fühlt man denn noch in Deutschland? Das ist doch das Traurige!

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! Nur Sie glauben es!)

    Sie haben doch alle Möglichkeiten unterbunden, wenn wir Freien Demokraten aus heiliger Verpflichtung heraus gesagt haben:

    (Abg. Dr. Kliesing: Geschwätzt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wir wollen den Eisernen Vorhang nicht anerkennen, sondern wir wollen uns leidenschaftlich dagegen wenden, wir wollen das Gespräch, wir wollen diesen Eisernen Vorhang durchstoßen, wir suchen das Gespräch mit den deutschen Menschen drüben, koste es, was es wolle. Sie haben die Schale Ihres Hohnes über uns ausgegossen, und die Tatsache ist, daß der Eiserne Vorhang zwei Teile des deutschen Volkes auseinanderreißt.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ach, wir haben uns doch Gedanken gemacht! Wenn ich daran denke, wie Sie mich ironisiert haben, als ich einmal forderte, eine Volksbefragung durchzuführen, als ich vorschlug, das Volk hier und dort zum Bekenntnis zur Wiedervereinigung auch unter bestimmten militärtechnischen Voraussetzungen aufzurufen. Sie haben das abgelehnt, wie Sie doch alles abgelehnt haben und wie Sie alles ablehnen.
    Meine Damen und Herren, das ist nicht nur die Reaktion im deutschen Volke, daß man an schönen Feiertagen von der deutschen Einheit und der deutschen Wiedervereinigung spricht und daß niemand mehr ernstlich daran glaubt und sie gar nicht mehr
    will und daß dem satten deutschen Bundesbürger seine Ruhe, sein Behagen wichtiger ist und daß er auch nicht die politische Belastung, die konfessionelle Änderung und vieles andere, was damit verbunden sein könnte, in Kauf nehmen will! Welche Verkümmerung des gesunden nationalen Empfindens! Glauben Sie doch nicht, daß ein Volk sein Schicksal besteht, wenn es sich in den nationalen Lebensfragen so verhält!
    Das Ausland denkt — wir wissen es doch, was in Princeton in den USA gesagt wurde, und was Taylor in Oxford sagt —: Es gibt doch nichts Schöneres als die Lösung, die der Hitler-Krieg herbeigeführt hat! Glauben Sie, daß die Franzosen anders empfinden: Deutschland ist geteilt, damit sind die Gefahren beschworen? Ach, wie weit reichen diese Dinge!
    Ich möchte doch, nicht in Kritik, sondern als ein historisches Zeitdokument, als eine Äußerung höchster Stelle für das, wie man die deutsche Frage empfindet, die Sätze wiedergeben, die Papst Pius XII. beim Empfang des Bundespräsidenten im November gesagt hat:
    Wir kennen die Sorge des deutschen Volkes um die Zone. Es
    — das deutsche Volk —
    tut jedoch wohl daran, die Bekundung, die es dieser Sorge verleiht, immer am Gemeinwohl auszurichten und so zu bemessen, daß sie die Staatsführung nicht erschwert, sondern erleichtert.
    Ein Zeitdokument! So wird es empfunden, mit Recht empfunden, weil es hier so empfunden wird und weil die Regierung diese entscheidende Lebensfrage unseres Volkes so vorlebt, so vorfühlt, so dem deutschen Menschen und der Welt darstellt. Und da bin ich ein Hegelianer: In der Welt geschieht nichts, was nicht mit Leidenschaft gefühlt, gewollt, durchgesetzt wird, nicht mit Nüchternheit, wahrlich nein! Wenn nicht das deutsche Volk leidenschaftlich eine Einheit sein will, zusammenkommen will, dann geben wir dieses nationale Ziel der deutschen Einheit auf. Wie stellt sich die Bundesregierung die Wiedervereinigung vor? Was haben wir heute gehört, was hat schon die Regierungserklärung vom 29. Oktober gebracht? Immer wieder die alten Dinge! Die Regierungserklärung — sehr charakteristisch! —: „Es ist unsere Überzeugung, daß nur die Befreiung der sowjetisch besetzten Gebiete Deutschlands von der bedrückenden Gewaltherrschaft, auf lange Sicht gesehen, Europa Frieden und Freiheit bringen kann." Ist das ein Aktionsprogramm? Ist das Politik auf nahe Sicht? Glauben Sie, daß die Menschen drüben — hören Sie doch Ihren Freund Gradl — das ertragen werden?
    Die entscheidende Frage, die wir an die Regierung gerichtet haben: Glaubt die Bundesregierung immer noch, wie in der ersten Zeit der Bündnispolitik, daß die Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen der NATO-Klammer erreicht werden kann, daß die Wiedervereinigung im Rahmen eines Druckes auf die Sowjetunion erzielt werden kann?



    Dr. Dehler
    Das ist die entscheidende Frage, die wir gestellt haben. Man kann die Frage auch anders formulieren: Glaubt die Bundesregierung, daß man die Politik des Kalten Krieges fortsetzen soll, oder nicht? Was wir heute vom Bundesaußenminister, vom Bundeskanzler und vom Verteidigungsminister gehört haben, das ist die Fortsetzung dieses Kalten Krieges, wie er 1949/50 begonnen worden ist.

    (Zurufe von der Mitte: Von wem?)

    — So einfach sind ja die Dinge nicht,

    (Heiterkeit)

    daß ein Zustand nur von einem Teil begonnen worden ist. Ich stehe wahrlich nicht hier, um die sowjetrussische Politik zu verteidigen. Im Gegenteil, ich halte sie auch vom sowjetrussischen Standpunkt aus für schlecht, für komplexbeladen, für unsicher. Darum geht es doch nicht. Es geht doch darum, ob w i r die richtige Politik machen, ob wir überhaupt Politik machen, ob wir auch den Kreml am Ende bestimmen, von seinen Fehlern abzulassen. Das ist doch die Aufgabe unserer Politik!
    Die Politik des Kalten Krieges ist in Wirklichkeit keine Politik, ist Verzicht auf Politik, ist Verzicht darauf, im Wege der Politik — d. h. doch des Verhandelns, des Einwirkens auf allen möglichen Wegen der Rede — den politischen Willen des anderen zu beeinflussen. Der Kalte Krieg, der begonnen worden ist, ist der Verzicht auf diese Politik gewesen, und was wir heute hören, heißt doch in Wirklichkeit: Man will trotz allem diesen Weg weitergehen. Das ergibt sich auch aus dem, was der Herr Kollege Kiesinger gesagt hat. Ach Gott, man hat dann viele Gründe, Scheingründe, und am Ende sagt man doch: Mit den Russen kann man nicht. Mit diesen Sowjetrussen ist es nicht möglich zu verhandeln. Die sind nicht verhandlungsfähig, die sind nicht verhandlungswürdig. Man kann ihnen nicht vertrauen, sie 'halten ja nicht ihr Wort. Die Vorstellung des Kalten Krieges erwartet eine ganz andere Entwicklung: Diese Sowjetunion ist ja innerlich zersetzt; man muß warten, bis sich dieser Zersetzungsprozeß fortsetzt. Der Herr Bundeskanzler hat heute in geradezu klassischer Weise diese Meinung wieder vertreten: Wir müssen warten, bis die Russen eine Pause einlegen — nämlich infolge der inneren Schwäche —, und die Pause müssen wir dann ausnützen. Und dann kommt unser großer Augenblick, dann werden wir handeln!
    Man will nichts aus den letzten 40 Jahren lernen, man will nichts erkennen. Nicht die einfachsten Tatsachen nimmt man zur Kenntnis, daß innere Vorgänge einer Diktatur niemals die Haltung einer Diktatur nach außen ändern. Wir haben es doch am eigenen Leib erfahren!

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich brauche Sie an die Vorgänge von 1945 nicht zu erinnern. Wir wissen doch, daß in Rußland Millionen und aber Millionen Menschen umkamen, daß man sie verhungern ließ. Wie kann man sich dieser trügerischen Hoffnung hingeben, wie sie uns heute der Herr Bundeskanzler zeigt, daß dann mit einem
    Male eine Pause bei den Russen kommt, daß sie schwach werden, daß sie weiche Knie bekommen, um uns dann zu Gebote zu stehen?
    Und was der Herr Kiesinger sagt, — ach, es sind ja immer wieder die alten Erwägungen: Die Sowjetrussen haben zusammen mit den anderen das und das beschlossen, und das beweist doch, was sie für gemeine Kerle sind.
    Der Herr Kiesinger hat wie viele andere in den Weihnachtsferien das Buch gelesen, das Milovan Djilas, der frühere Kampfgefährte Titos, im Gefängnis geschrieben und herausgeschmuggelt hat. Da steht doch schwarz auf weiß, wie zwangsläufig alles bei den kommunistischen Diktatoren ist. Und was ist die Konsequenz? Also keine Politik! Statt umgekehrt zu sagen: Es ist viel schwerer, mit diesen Leuten Politik zu machen. Das verlangt also einen viel stärkeren Einsatz des Intellekts, des Verstands, des Willens. Das ist doch die Konsequenz! Was nützt denn der Weg, den Sie sich jetzt wieder vorgenommen haben!
    Der Herr Verteidigungsminister hat auch diese merkwürdige Vorstellung entwickelt. Vielleicht ist er schon professionell etwas belastet, wenn er glaubt, die Sowjets würden eines Tages zurückgehen, die Sowjets würden die Zone und würden auch irgendwelche Zwischenländer räumen, wenn sie dieser Länder — so führte er aus — leid geworden seien. Das soll Politik sein? So soll Jahr auf Jahr ins Land gehen? Welche trügerische Hoffnung, daß gerade eine Diktatur Räume aufgibt, ohne Grund, aus Mißstimmung! Welche Naivität, auch welche Verkennung der Kraft des ideologischen Bandes, das zwischen diesen Scheinregierungen und der Sowjetunion besteht!
    Aber man will diesen Weg, der keinen Erfolg gehabt hat, weitergehen. Zu den Erwägungen hat Erler nach meiner Meinung — in Übereinstimmung mit meinem Freund Mende — doch entscheidende Dinge, militärtechnische Dinge gesagt. Wenn es notwendig wäre zur Sicherheit des Westens, wenn es notwendig wäre auch nur zur Sicherheit der Bundesrepublik, hier atomare Waffen zu haben, hier aufzurüsten, hier nicht nur Kleinraketen, sondern auch Mittelraketen zu haben, wenn das notwendig wäre, um unsere Sicherheit oder die Sicherheit des Westens zu schaffen, dann ja. Das Gegenteil ist doch der Fall. General Norstad hat ganz klar und eindeutig gesagt, daß es nicht notwendig ist, in diesem Raum Mittelraketen zu postieren, daß sie durchaus peripher aufgestellt werden können. Alles, was Strauß gesagt hat, liegt doch neben der Sache.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wer spricht denn davon, daß wir die NATO auflösen wollen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die löst sich von selber auf!)

    — Ach, wieso denn!? Lesen Sie nach, was der General Norstad gesagt hat! Das Gegenteil werden Sie daraus erkennen. Die anderen sind viel vernünftiger und verständiger und haben viel mehr Sinn für unsere Lage als Sie selbst!

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23 Januar 1958 389
    Dr. Dehler
    Wir sind Mitglied von NATO. Wir haben für diesen Vertrag mitgestimmt und wollen ihn auch nicht lösen. Der Weg ist doch ein ganz anderer. Wir wollen für ein wiedervereinigtes Deutschland einen anderen militärischen Status schaffen. Wieweit er dann mit einer Mitgliedschaft bei der NATO vereinbar ist, ist eine Frage für sich. Aber darüber zu reden und darüber zu verhandeln, das ist doch der Witz des Ganzen. Nichts geschieht, und man glaubt, weil man mit einem Mal von den Russen nicht mehr als von Gangstern und Verbrechern spricht und eine höfliche Note schickt, daß sich damit der politische Wille drüben geändert habe. Ich glaube es nicht. Nein, man betreibt die gleiche Politik wie bisher. Natürlich ist es die „Politik der Stärke". Was ist es denn sonst? Vielmehr: es ist das Verhalten der Stärke. Es ist das Verhalten der Stärke, wenn man darauf verzichtet, politisch zu wirken. Das ist der Witz der ganzen Geschichte.
    Nun, man hat es dann — Sie wissen es — in den Vereinigten Staaten anders formuliert: Strategie der massiven Vergeltung, Abschrecken durch drohende Stärke — das ist der offizielle Terminus, den I man gewählt hat —, eingesetzt an selbstgewählten Punkten mit selbstgewählten Mitteln; so hieß es. Strategie der massiven Vergeltung! Hat es einen Sinn gehabt? Es hat nur die Verteidigungsbestrebungen der Russen noch intensiviert. Sie haben nicht nur die Rückstände aufgeholt, sie haben die Wasserstoffbombe geschaffen, sie haben jetzt sicherlich einen großen Vorsprung in den interkontinentalen Raketen.
    Sehr reizend das, was in der Regierungserklärung heute dazu gesagt worden ist! Da ist gesagt worden: Man muß den Eindruck haben, daß die technische Entwicklung der jüngsten Zeit die Sowjetunion dazu verführt hat, an die Stelle einer Politik der Entspannung eine Politik der massiven Einschüchterung zu setzen, — nämlich dadurch, daß sie Noten in die Welt schickt. Wenn man daran denkt, was die Strategie der massiven Vergeltung in Amerika bedeutet hat: Einsetzen militärischer Stärke an selbstgewählten Punkten mit selbstgewählten Mitteln, dann ist die Bedrohung mit Noten, und mögen sie noch so lästig sein, jedenfalls ein ziemlich unschuldiges Mittel.

    (Abg. Dr. Bucerius: War Korea auch so ein unschuldiges Mittel?)

    — In Korea ist vieles vorgefallen, was die Skepsis gegen die Sowjetunion zweifellos rechtfertigen konnte, nicht anders als in Nordgriechenland, in der Türkei, in Nordpersien, in der Tschechoslowakei.
    Was war Korea? Ich war damals der festen Überzeugung, das ist eine russische Aggression. Wenn man den Dingen nachgeht, kommt man immerhin zu der Möglichkeit anderer Hintergründe.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Man muß ungeheuer viel wissen, wenn man in der Außenpolitik ein Urteil abgeben will.

    (Beifall links. — Ironischer Beifall in der Mitte.)

    Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern — weil Sie gerade von Korea sprechen —, daß im Januar 1950 Dean Acheson eine Rede hielt, in der er die Stützpunkte aufführte, auf die die Vereinigten Staaten Gewicht legen. Bei diesen Stützpunkten war Korea nicht erwähnt. Ich weiß es nicht: auf jeden Fall ist die Deutung beinahe zwingend, ,daß die Sowjetunion daraus den Schluß gezogen hat, Korea gehöre nicht zum Interessengebiet der USA. So war der Zusammenhang.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich verteidige die Sowjetunion doch nicht! Ich will nur erklären, wie die Dinge waren.
    Mao Tse-tung war im Februar 1950 in Moskau und hat damals einen ersten Vertrag mit der Sowjetunion geschlossen. Meine feste Überzeugung ist, damals ist diese Aggression auf Korea beschlossen worden, wobei es noch sehr strittig ist, wer die erste Aktion ausgeführt hat. Herr Syngman Rhee — —

    (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wir sind ja nicht für ihn verantwortlich. Vielleicht entdeckt Herr Majonica demnächst Sympathien für ihn und fährt zu ihm; ein würdiger Bundesgenosse!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wie ist die augenblickliche militärtechnische Situation? Dazu sagen uns ja die Vertreter der Regierung sehr wenig. Worum hat es sich denn in Paris im wesentlichen gehandelt? Wenn es notwendig war, sich abzustimmen, sich zu konsultieren, einen gemeinsamen Willen zu schaffen: dazu brauchte man nicht zusammenzukommen. Es ging doch offensichtlich, wenn man zugrunde legt, was der amerikanische Verteidigungsminister McElroy gesagt hat, um ganz andere Dinge, um das Abfangen der Überlegenheit der Sowjetunion in interkontinentalen Raketen. Bis nach dem Gaither-Plan die Vereinigten Staaten aufgeholt haben, sollen als Drohung Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden. Das ist doch die Situation.
    Da kommt immer wieder die Frage: Haben wir irgendeinen Anlaß, uns daran zu beteiligen? Haben wir nicht noch viel mehr als Norwegen und Dänemark — im Hinblick darauf, daß wir ein gespaltenes Volk sind — das Recht, etwas, was militärtechnisch nicht notwendig ist, abzulehnen?

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Ich habe das Gefühl, wir suchen mit einem gewissen Masochismus das Heil in Entwicklungen, die für Deutschland nur schädlich sein können.
    Was war eigentlich das Wesen unserer Außenpolitik in den letzten Jahren? Wir haben nur zwei Ziele gehabt: die Vereinigten Staaten nicht verstimmen, nach Möglichkeit ihren Willen erfüllen, und auf der anderen Seite nach Osten verhindern, daß die mitteldeutsche Zone, die sich Deutsche Demokratische Republik nennt, als Staat anerkannt wird. Bei dem ersten politischen Ziel darf man nicht verkennen, in welch starkem Maße die Haltung der Vereinigten Staaten durch den Bundeskanzler Dr.



    Dr. Dehler
    Adenauer mitbestimmt worden ist, in wie weitern Maße er der Initiator dieser außenpolitischen Haltung der Vereinigten Staaten war. Ich habe heute so oft den Ratschlag gehört, wir sollten uns doch nicht überschätzen. Nun, Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer hat sich nicht unterschätzt, sondern hat die Entwicklung, auch die Haltung seinerzeit — -

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Nun, ich weiß es doch; das ist mein Vorteil, daß ich mehr weiß als viele andere.

    (Lachen und Zurufe von der Mitte.)

    - Ich habe hinter die Kulissen geschaut, ich habe hinter die Masken geschaut, meine Herren!

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Das war keine Freude, das waren schmerzhafte Prozesse. Ich bin ein gläubiger Mensch, ich habe es schon einmal gesagt. Ich habe das Wort wichtig genommen, bis ich erkannt habe, daß Talleyrand recht hat, daß dem Menschen die Sprache gegeben ist, um Gedanken zu verbergen. Es hat lange gedauert, und das Erwachen war dann um so schlimmer.
    Eines verstehe ich nicht. Wie kann sich der Herr Strauß hierherstellen und es wagen, von einer Atompanik zu sprechen? Wer hat sie in die Welt gebracht? Wer hat die erste Bombe über Hiroshima abgeworfen? Wir wollen unsere intellektuelle Mitschuld an der wissenschaftlichen Entwicklung nicht leugnen. Ich bin zufällig — so kurios ist die Welt — nun etwas damit befaßt. Es ist gut, einmal über diesen dramatischen Kampf um die kriegerische Verwertung der Atomenergie nachzudenken. Wer hat sie in die Welt gebracht, wer hat den Vorsprung gehabt und wer hat die Politik der Stärke auf den Besitz der nuklearen Waffen, auf den Besitz der Wasserstoffbombe gestützt? Wer will diesen Weg weitergehen? Da hat der Herr Strauß den Mut, sich hierherzustellen und von Atompanik zu sprechen. Weiß er, was Männer, die höchstes Ansehen genießen, gesagt haben, oder weiß er es nicht mehr? Er war doch einmal Atomminister. Weiß er, was Jaspers, was Einstein, was Papst Pius XII., was Albert Schweitzer, was die Göttinger und Heidelberger Professoren gesagt haben? Und das alles ist Atompanik?
    Ich denke daran, was uns der Herr Bundeskanzler als großer Stratege — Strategie ist, glaube ich, ein bißchen mehr, wenn man an die Vielfalt der Gebiete denkt — gesagt hat: „Ach Gott, die weiterentwickelte Artilleriewaffe! Laßt Euch doch nicht verrückt machen durch das Atomgerede" und „Da steckt doch nichts drin in dem Rapacki-Plan!". — Ist das die Sachkunde, die notwendig ist, um die politischen Entscheidungen zu treffen? Die Frage werfe ich auf, ganz abgesehen von dem Maße der Verantwortung, die ein Staatsmann haben muß.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Der Herr Strauß hat, als die erste Meldung über den Aufstieg des Sputniks kam, von einem Bluff
    gesprochen. Der Herr Bundeskanzler sagte: „Der fliegt hoch, aber nicht flach."

    (Heiterkeit.)

    Das sind Weisheiten, die von keiner Sachkenntnis zeugen;

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD)

    ich spreche noch gar nicht einmal von der politischen Verantwortung, von der die Entscheidungen dieser Regierung getragen sein sollen. Wir sollen dazu schweigen und sollen das hinnehmen!
    Kann man es wagen, zu sagen, es handele sich jetzt um die Sicherheit Deutschlands? Dadurch, daß irgendein Plan verwirklicht werde, werde die Sicherheit Deutschlands gefährdet. Das Gegenteil ist doch richtig. Atomare Aufrüstung bei uns heißt, die Bundesrepublik zum Ziel von atomaren Angriffen zu machen.
    Ich wiederhole: Es ist nicht wahr, daß die Sicherheit des Westens oder die Sicherheit der Bundesrepublik von einer atomaren Aufrüstung der Bundeswehr oder auch nur von der Lagerung atomarer Waffen in der Bundesrepublik abhängig wäre.

    (Abg. Stücklen: Hängt sie von den Amerikanern ab?)

    - Ach, Sie sind jetzt bei der Post; Sie kommen nicht mehr mit, natürlich.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Bei der schlechten Zustellung der Post bekommen Sie die Briefe und Zeitungen auch acht Tage verspätet.

    (Fortgesetzte Heiterkeit.)

    Nein, Herr Stücklen, lassen Sie die Hände von der Sache! Ich habe Ihnen doch erzählt, was der maßgebende Mann für Europa, der Kommandeur von NATO — wenn ich so sagen darf —, der General Norstad, gesagt hat. Wir Freien Demokraten haben es nicht nötig, uns auf Pläne zu beziehen. Mein Kollege Reinhold Maier hat das richtig gesagt. Wir brauchen uns nicht auf die Herren Kennan und Rapacki zu beziehen. Lesen Sie nach, was wir seit 1951, seit 1952 fortgesetzt an Vorschlägen gemacht haben! Wir sind auf Ihren Hohn gestoßen. Ich beneide Sie nicht, meine Damen und Herren, und am wenigsten diese Bundesregierung ob der Verantwortung, die sie wegen ihres bisherigen Verhaltens zu tragen hat.
    Ich will noch ein Wort darüber sagen, daß sie jede Chance ausgelassen hat. Wir haben überhaupt keine Politik betrieben, sondern uns nur auf militärische Stärke, nur auf die Politik der massiven Vergeltung verlassen.

    (Oh! Oh! in der Mitte.)

    Was der Herr Bundeskanzler über Polen gesagt hat, kann ja nur meine Heiterkeit, muß ich schon sagen, erregen. Ich war in Warschau und habe mir die Dinge einmal angesehen. Stellen Sie sich vor:



    Dr. Dehler
    ich war im Juni vorigen Jahres in Warschau, ich war der erste deutsche Politiker — —

    (Rufe von der Mitte: Haha! — Weitere Zurufe von der Mitte. — Heiterkeit.)

    — Na, ich meine, es war so. Es ist ja keine Ruhmestat. Ich war der erste deutsche Politiker, der den Mut hatte, als deutscher Bundestagsabgeordneter nach Warschau zu gehen

    (erneute Zurufe von der Mitte)

    mit den Möglichkeiten des Gesprächs mit allen Schichten — wahrlich nicht mit einer einseitigen Beeinflussung —, auch mit der Möglichkeit, gerade westliche Diplomaten mit ihren gewaltigen Erfahrungen dort kennenzulernen.
    Ich bin nicht unterrichtet, was der Herr Bundeskanzler von Polen weiß. Ich weiß ja nicht, aus welcher Quelle er Informationen bezieht. Vielleicht hat er sie auch nicht nötig.
    Dieser ganze europäische Zwischenraum ist nicht politisch bearbeitet. Ich war auch in Jugoslawien. Wir haben die Möglichkeit, einen Vorposten in Belgrad zu haben, durch eine doktrinäre Politik leichtfertig verscherzt, nämlich dadurch, daß wir uns einen Galgen aufgerichtet haben, an dem wir uns am Ende selber aufgehängt haben. Eine Doktrin war die Ursache!

    (Zuruf von der Mitte: Sehr interessant!)

    In Moskau hat man zwei deutsche Botschafter zugelassen — ich werde noch ein Wort darüber sagen —; aber anderswo darf es nicht sein, da ist es auf einmal Todsünde.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Wer sagt das?)

    Die unverzeihliche Todsünde, die Sünde, die nie verziehen wird, die zur Hölle führt, war, die beiden deutschen Botschafter in Moskau hinzunehmen und dadurch die deutsche Spaltung sinnfällig zu machen.