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ID0300910700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
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    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Bitte sehr!


Rede von Fritz Erler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Minister, sind Sie bereit, nunmehr zur Kenntnis zu nehmen, daß auch Ollenhauers Vorschläge davon ausgingen, daß außer der Änderung des militärischen Status Deutschlands im übrigen die NATO aufrechterhalten bleibt?

(Lachen bei der CDU/CSU.)


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    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Ich gebe ehrlich zu: das ist mir neu. Dann weiß ich aber nicht, warum der Ollenhauer-Plan „OllenhauerPlan" und nicht „Gaitskell-Plan" heißt; denn dann ist er ja praktisch dasselbe!

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Das ist ja reine Spielerei!)

    — Das ist keine Spielerei, denn er ist ja als solcher bezeichnet worden.
    Aber kehren wir zu der entscheidenden Frage zurück, und die entscheidende Frage ist dieselbe, über die wir uns schon mehrfach unterhalten haben: Was wollen die Sowjets eigentlich? Es gibt zwei Möglichkeiten, die natürlich ihrerseits wieder zahlreiche Varianten haben. Wollen die Sowjets Sicherheit, oder wollen sie die Weltherrschaft mit der nächsten Station der Herrschaft über Europa?
    Wollen sie Sicherheit? Angesichts aller historischen Erfahrungen, angesichts aller strategischen Belastungen, angesichts aller technischen Hypotheken, die wir heute haben, läßt sich dieses Problem mit gutem Willen auf beiden Seiten, mit dem ehrlichen Willen zur Abrüstung, mit Geduld, mit der Fähigkeit, auch im kleinen zu verhandeln, durchaus lösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wollen die Sowjets aber mit all den Vorschlägen, die sie jetzt entweder machen, machen lassen oder
    unterstützen — halten wir einmal die drei Möglichkeiten offen —, nichts anderes, als das Gegengewicht gegen sie in Europa so zu lähmen, daß praktisch die Amerikaner sich nicht mehr auf europäischem Boden halten können oder halten wollen, wollen die Sowjets mit der Neutralisierung der Ostsee, mit der Verschlechterung des Status quo im Rapacki-Plan, mit ihren Vorschlägen im Nahen und Mittleren Osten nichts anderes, als den nächsten Schritt auf fünf, acht oder zehn Jahre vorzubereiten, dann ist jetzt eine Einigung mit ihnen nicht möglich, und wenn Sie jede Woche in Moskau mit einem neuen Plan aufkreuzen und ihnen heute dies und morgen jenes anbieten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn den Preis, den die Sowjets verlangen — von dem Sie glauben, daß man ihn durch Verhandlungen senken könne —,

    (Zuruf von der SPD: Alles Behauptungen!) können und dürfen wir nicht zahlen.


    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    — Den Zuruf „das sind Behauptungen", den ich soeben aus Ihren Reihen gehört habe, nehme ich besser nicht so ernst. Das sind keine Behauptungen. Es sind Tatsachen, daß die Sowjets die Föderation mit der DDR verlangen, es sind Tatsachen, daß sie die Beibehaltung der Sklaverei für 17 Millionen Deutsche verlangen, es sind Tatsachen, daß sie in Europa einen Gürtel schwacher, pseudoneutraler Staaten gründen wollen, die die Opfer der nächsten Überfälle werden sollen. Das sind keine Behauptungen, das sind traurige Tatsachen, und die, die es einige hundert Kilometer östlich von hier früher nicht geglaubt haben, wären heute gern bereit, es zu glauben, wenn sie noch die Freiheit hätten, das auszudrücken, was sie glauben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ein Motiv ist heute zum Glück bloß noch schwach angeklungen, und dafür muß man der Opposition danken, nämlich das Motiv der Politik der Stärke mit umgekehrtem Vorzeichen. Es ist niemals von dieser oder von einer anderen Stelle aus von einer Politik der Stärke im Sinne einer ultimativen Drohung gegenüber der Sowjetunion gesprochen worden. Wohl aber heißt für uns „Politik der Stärke" — wenn Sie uns das Wort unbedingt weiterhin auflasten wollen; man kann auch andere Termini verwenden — nichts anderes, als uns gemeinsam mit unseren Bundesgenossen die Verhandlungsfreiheit zu sichern. Haben wir sie nicht mehr, wird mit uns auch niemand mehr verhandeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn Herr Ollenhauer sagte — vielleicht erscheint dann im PPP oder Neuen Vorwärts ein Artikel von wegen Machtpolitik oder ähnlichen Dingen; darüber kann man bei anderer Gelegenheit einmal reden —, wenn also Herr Ollenhauer sagte „hart verhandeln" : hart verhandeln kann nur, wer etwas hinter sich hat, an Bundesgenossen und an eigenem Gewicht. Darüber gibt es keinen Zweifel.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Bundesverteidigungsminister Strauß
    Damit Sie mich aber nicht mißverstehen, möchte ich klarstellen, daß ich mit Gewicht nicht Divisionen, Atomkanonen oder Panzerstärken meine.

    (Abg. Wehner: „Ausradieren!")

    — Das Wort ist nie gefallen, aber von Ihrer Propaganda verwendet worden.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Im übrigen sollten wir uns darüber gegenseitig keine Vorwürfe machen. Wenn man in einer ernsten Situation in einem Gebiet, dessen Bevölkerung angesichts der Vorgänge in Budapest Angst hat, dieser Bevölkerung sagt: Euch kann nichts passieren, euch greift niemand an, weil der Angreifer weiß, was ihm passieren würde, so ist das sogar eine karitative Tat, Herr Kollege Wehner, auch wenn Sie es nicht glauben wollen.

    (Heiterkeit.)

    Wir sollten hinsichtlich der Frage: was wollen die Sowjets, wollen sie Welteroberung oder wollen sie Sicherheit? nicht in denselben Fehler verfallen, in den in den 30er Jahren — mit katastrophalem Ausgang — die Nachbarn Deutschlands, gerade Belgien, Holland und Dänemark unter dem Regime Hitlers verfallen sind.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich sage: die Sowjets werden nicht gehen, solange man bei uns glaubt, immer neue Pläne erfinden zu müssen, um sie damit aus Deutschland herausmanövrieren zu können, solange man der Bundesregierung de facto die Schuld beimißt, die Wiedervereinigung verhindert zu haben.
    Ich möchte mich einmal in die Rolle der sowjetischen Machthaber versetzen, wenn sie unsere heutige Debatte und unsere früheren Debatten gehört haben, wenn sie sehen, daß diejenigen, denen sie frei nach ihrem Belieben das Tor auf- oder zumachen können, sich gegenseitig herabsetzen, sich gegenseitig angreifen, sich gegenseitig beschimpfen, statt ihre gemeinsame Kraft für das Ziel der Freiheit und Einheit Deutschlands zu konzentrieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich kann leider keinen Plan machen. Es gibt nach meiner Auffassung zur Zeit keinen Plan, und wenn man einen Plan hätte, wäre man töricht, wenn man ihn in der Öffentlichkeit nennte.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Vielleicht haben Sie einen!)

    — Sie haben großes Vertrauen zu mir; ich hoffe es nicht zu enttäuschen, Herr Kollege Wehner.
    Ich glaube, über die Verfahrensfragen sind wir uns einig. Die Frage des Plans wird aus anderen Gründen, nicht aus diesem Grund, hier immer hochgebracht.
    Ich darf Ihnen sagen: die Sowjets werden gehen erstens, wenn sie sehen und davon überzeugt sind, daß sie in Europa nicht mehr vorankommen, daß sie ihre Herrschaft in Europa nicht mehr weiter ausdehnen können, zweitens, wenn ihnen die Herrschaft über die sowjetische Besatzungszone und über ihr Satellitenregime zur Last geworden ist, und drittens, wenn sie es sich ohne Konsequenz für ihr eigenes Regime leisten können, eine politische Generalflurbereinigung vorzunehmen, die beiderseits auf Konzessionen beruht. Dazu werden sie bereit sein, wenn der Status quo ihnen lästig ist oder wenn die auszuhandelnde Lösung ihnen den Preis wert ist, den sie zahlen sollen, oder geringere Nachteile bietet als der Status quo. Eine andere Definition der Lösung läßt sich zur Zeit nicht geben, so schwierig es klingt. Aber eine andere Lösung ist zur Zeit theoretisch nicht zu definieren. Ein praktisches Angebot im Sinne einer praktischen Politik zu machen, ist nur auf dem Wege diplomatischer Verhandlungen möglich nach sorgfältiger Sondierung der Möglichkeiten und wieder vorausgesetzt, daß der andere überhaupt verhandeln und nicht nur Zeit gewinnen und uns auseinanderbringen will.
    Es ist heute sehr oft von den Bulganin-Briefen gesprochen worden und von der Art der Beantwortung der Bulganin-Briefe. Ohne Zweifel ist es auch ein Ziel der Bulganin-Briefe, Gegensätze innerhalb der Verbündeten zu erzeugen. Man spricht die Franzosen mit einem Ressentiment gegen Deutschland an, man spricht die Engländer mit einem Ressentiment gegen Deutschland an. Man macht den Amerikanern bestimmte Angebote und nennt ihnen bestimmte Möglichkeiten. Zur Zeit sind die Sowjetrussen mehr daran interessiert, mit den USA in ein bilaterales Gespräch zu kommen, als daran, mit uns in bilaterale Verhandlungen zu kommen. Deshalb sollten wir vor allen Dingen darauf sehen, daß zwischen uns und den USA nicht ein politisches Mißtrauen, eine Verkühlung des Klimas oder gar eine Verschlechterung der Beziehungen durch irgendwelche sowjetische Lock- und Drohaktion herbeigeführt werden kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt vier Gebiete, aus denen die Sowjets abgezogen sind: Aserbeidschan, Ferner Osten, das Gebiet Osterreichs und ein Stück Finnlands. Man sollte einmal analysieren, warum sie aus diesen Gebieten abgezogen sind und ob die Voraussetzungen, die dort zum Abzug geführt haben, auch für die Bundesrepublik oder für die Satellitenstaaten insgesamt angewendet werden können. Hier ist nicht die Zeit für eine solche Analyse.
    Lassen Sie mich zu den beiden letzten Problemen kommen. Ein Problem ist der Rapacki-Plan. Es ist über seinen Ursprung gestritten worden. Man hat gesagt, er sei polnischen Ursprungs, und es ist — auch vom Außenminister — gesagt worden, es spreche manches dafür, daß er sowjetrussischen Ursprungs sei und im Auftrage Moskaus von Polen vertrieben werde. Ohne Zweifel hat der Rapacki-Plan auch für Polen selbst manche verlockenden Möglichkeiten im Sinne einer gewissen Unabhängigkeit oder einer Verstärkung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion.
    Wir sollten uns darin einig sein — um welche Gespräche es sich auch handelt, ob sie heute über



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    den Rapacki-Plan oder morgen über ähnliche Möglichkeiten geführt werden —, daß, wie Sie es, Herr Kollege Erler, heute angedeutet haben, eine atomwaffenfreie Zone keinerlei Schutz dagegen bietet, daß Raketenwaffen gegen sie angewendet werden können. Das wäre nur in technischen Dimensionen sozusagen die Rolle Belgiens vor oder am Anfang beider Weltkriege.
    Sie sagen: wenn Atomwaffen da sind, zieht man den Gegenschlag um so mehr auf sich. Wissen Sie, daß das ein sehr gefährliches Argument ist? Ich habe während der NATO-Konferenz und in den Besprechungen der letzten Wochen eine Fülle von Bemerkungen von unseren Nachbarn gehört. Der Generaltenor dieser Bemerkungen war: Wenn ihr sagt, das Risiko sei euch zu groß, warum verlangt ihr dann von uns, daß wir das Risiko auf uns nehmen? Wenn das jeder für sich kontinuierlich fortsetzen wollte, gäbe es bei der interkontinentalen Rakete niemand mehr, auch nicht die USA, der sagen würde: Wir übernehmen für irgend jemanden das Risiko. Das wäre die Kapitulation der freien Welt vor der Sowjetunion.

    (Beifall in der Mitte.)

    Man kann das Problem 1. vom Standpunkt der Wiedervereinigung, 2. vom Standpunkt gerade des Risikos, 3. vom Standpunkt der technischen Zweckmäßigkeit aus prüfen. Aber wenn Sie es vom Standpunkt des Zweckmäßigen aus prüfen, liefern Sie unseren Bündnispartnern die beste Handhabe dafür, wegen des Risikos ihre Garantiepflicht uns gegenüber dann nicht mehr zu erfüllen.
    Was ist denn Politik der Stärke? Ist denn nicht eine Politik der Stärke die laufende Drohung, die gegen uns angewandt wird, die laufende, systematische Erzeugung der Atompanik in Deutschland, mit der doch nichts anderes erreicht werden soll, als uns müde, resigniert und verzweifelt zu machen wie das Kaninchen vor der Schlange, bis es gefressen wird?

    (Beifall in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, nehmen Sie mir die Bitte, die genauso ernst ist, wie Ihre Sorge heute war, nicht übel: Tragen Sie Ihrerseits nicht mehr dazu bei, daß in Deutschland mit der Atompanik politische Geschäfte gemacht werden!

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Denn die Sorge derer, die — ich sage es ganz drastisch — um die biologische Zukunft ihres Volkes ehrlich besorgt sind, wird von verantwortungslosen Elementen sehr leicht für ihre dunklen Geschäfte im Hintergrund ausgenutzt. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber in einer Frage, bei der die Menschen der freien Welt im Bewußtsein des möglichen Schreckens zusammenstehen sollten, um sich den Schrecken vom Leibe zu halten.

    (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

    Sie wissen auch genau, daß es beim Rapacki-Plan Fragen der Kontrolle gibt, bei denen Polen ja gesagt hat und bei denen man — ich wäre sogar sehr dankbar dafür, wenn es geschähe — den Versuch machen sollte, die Sowjets auf das technische Funktionieren einer solchen Kontrolle festzulegen. Denn damit, daß es Kontrollkommissionen gibt, ist die Sache noch nicht erledigt. Wer die technischen Voraussetzungen einigermaßen kennt, wird zugeben, daß eine lückenlose Inspektion für den als sogenannte atomwaffenfreie Zone gedachten Raum nicht möglich ist, d. h. aller Kasernen, aller Flugplätze, aller Depots, aller unterirdischen Anlagen. Wieweit das mit dem bolschewistischen System im allgemeinen, seiner Spionagefurcht und seinem Geheimhaltungswahn vereinbar ist, ist eine Frage, für deren Beantwortung wir uns sehr interessieren würden. Gerade deswegen sollte man darüber diskutieren.
    Aber noch schwieriger ist die Frage des Hineinbringens der Atomwaffen. Es gibt eine Fülle von Mehrzweckwaffen, Kanonen, Raketenträger und Flugzeuge, die normale Sprengköpfe befördern, liegen in diesem Gebiet. Innerhalb von drei Stunden ist es mit Transportflugzeugen möglich, innerhalb einer Nacht ist es mit Eisenbahn und Fernlastern möglich, Hunderte von taktischen Atomwaffen in das Gebiet hineinzubringen. Bei uns geht das nicht, weil wir Gott sei Dank die Kontrolle der Öffentlichkeit und der Presse haben. In einem diktatorisch beherrschten System geht es ohne große Mühe.
    Die Kontrollkommission legt sich nachts um 12 Uhr beruhigt hin mit der Überzeugung, daß kein einziger Atomsprengkörper in diesem Gebiet ist, und morgens um 6 Uhr wacht sie auf, wenn die Atomsprengkörper verwendet werden. Das ist technisch fast unlösbar. Denn dann kommt man zu dem Problem, noch hinter die atomwaffenfreie Zone greifen zu müssen, um überhaupt die atomwaffenfreie Zone zu ermöglichen. Dann kommt man wieder zu dem Problem, von dem der Herr Bundeskanzler sprach und das auch Sie verfolgen, nämlich der Frage der allgemeinen kontrollierten Abrüstung.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wenn die Polen in ihrer Politik so selbständig wären, wie sie heute dargestellt worden sind, warum haben sie dann in New York mit acht weiteren Nationen im Schlepptau Moskaus gegen die Abrüstungsvorschläge gestimmt, die von 71 in der UN vertretenen Nationen angenommen worden sind? Hier hätte Polen beweisen können, daß es unabhängig von Moskau nicht nur die atomwaffenfreie Zone, sondern eine generelle Lösung des Abrüstungsproblems anstrebt, und dann wäre auch unsere Sorge geringer.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Alles oder nichts!)

    — Alles oder nichts? Das ist nicht alles! Abrüstung ist im Laufe der Zeit alles, ja. Anfangen mit der ersten Stufe, aber nicht allein geographisch mit der ersten Stufe, sondern modalfiter anfangen mit der ersten Stufe überall! Die geographische Lösung allein ist dafür nicht ausreichend.
    Völlig offen ist das Problem des Überschießens einer atomwaffenfreien Zone. Wer gibt uns dage-



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    gen Garantien? Die Russen haben an die italienische Adresse bereits geäußert, daß ja Italien gar keine Mittelstreckenraketen haben dürfe, weil es in jedem Falle neutrales Gebiet überschießen müßte. Als Herr Bulganin im November 1956 gegen Paris und London mit Raketen drohte, da hatte er nicht die Sorgen, daß er neutrales Gebiet überschießen müsse, und die Raketen eventuell keine Kurven machen könnten.
    Dann bleibt die Frage, daß bei der Einführung einer atomwaffenfreien Zone die Amerikaner nach den uns zugänglichen Informationen — ich bitte, es bei dieser allgemeinen Formulierung zu belassen — nicht bereit sind, für dieses Gebiet mit der vollen Funktionsfähigkeit und mit dem sicheren Automatismus die Garantie zu übernehmen oder auch nur ihre Truppen weiterhin hier auf diesem Gebiet zu lassen.
    Für die Polen liegt ein großes Interesse darin. Eine atomwaffenfreie Zone in Gesamtdeutschland -beide Teile — bietet ihnen Ruhe gegenüber der Angst vor Deutschland, — das stimmt — und die Möglichkeit einer Lockerung gegenüber Rußland. Aber wir dürfen hier auch nicht nur die polnische Politik sehen, sondern müssen auch die sowjetrussische sehen. Und was sehen wir hier? Den Versuch zur Neutralisierung der Ostsee. Was hier in zwei Artikeln im SPD-Pressedienst in diesem Jahre gestanden ist, kann von niemandem in Ihrer Fraktion (zur SPD) gebilligt werden. Es hatte etwa den Tenor, daß der Aufbau der lächerlich kleinen Bundesmarine — darf ich beinahe sagen — in der Ostsee das Marinegleichgewicht, das dort bisher geherrscht hat, stören könne.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Ein Artikel ist im März und einer ist vor wenigen Wochen geschrieben worden. In der letzten Nummer kam ein Artikel, der dem Chefredakteur glatt durchgegangen sein muß, wo er von der Notwendigkeit einer abschreckend starken Verteidigung ira skandinavischen Raum gesprochen hat.
    Da haben sich die Dinge wieder einigermaßen beruhigt. Aber wenn man sieht, daß die TASS z. B. die Meldungen Ihres Informationsdienstes in die ganze Welt hinausgibt und sagt: Selbst die sonst so militärfreundliche SPD sagt, daß Schleswig-Holstein jetzt ein starker, mit Milliarden ausgebauter Stützpunkt der NATO wird, was soll man dann dazu sagen? Damit fördern Sie ja geradezu diese Propaganda und nützen einer wirklichen Entspannung, so gut es gemeint sein mag, gar nicht. Aber Neutralisierung — mare clausum — heißt doch praktisch Sowjetisierung der Ostsee, in Mitteleuropa der Status quo, aber verschlechtert mit dem Zusatz, daß eine wirksame Verteidigung im unmittelbaren Falle nicht mehr möglich ist. Denn auch wenn die sowjetischen Truppen — was noch dahingestellt sein möge — sich hinter die Ostgrenze Polens zurückzögen, würde sich die Sicherheitslage Mitteleuropas und unseres Landes erheblich verschlechtern.
    Aber darum geht es mir gar nicht. Sie könnten mir mit Recht vorwerfen, man denke nur in strategischen oder gar militärischen Überlegungen. Ich werfe Ihnen etwas anderes vor. Der Rapacki-Plan ist zunächst ein rein militärischer Plan. Der Rapacki-Plan bedeutet nichts anderes, als daß eine bestimmte Sorte von Waffen mit einer angesichts der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse zweifelhaften Kontrolle in einem bestimmten Gebiet nicht vorhanden sein darf. Wenn man schon einem militärischen Plan zustimmt, dann muß man mit ihm eine politische Lösung verbinden. Und wenn man über den Rapacki-Plan spricht, sollte man nicht die Hoffnung erwecken, daß wir so etwas annehmen würden, ohne daß man damit gleichzeitig einen erträglichen, praktikablen und mit unseren Vorstellungen zu vereinbarenden Vorschlag über eine Wiedervereinigung ganz Deutschlands in Freiheit verbindet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)