Rede:
ID0300904500

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 48
    1. Sie: 2
    2. der: 2
    3. nicht: 2
    4. Herr: 1
    5. Kollege: 1
    6. Gradl,: 1
    7. ich: 1
    8. habe: 1
    9. Ihnen: 1
    10. sehr: 1
    11. genau: 1
    12. zugehört.: 1
    13. Ich: 1
    14. schätze: 1
    15. als: 1
    16. Kenner: 1
    17. Verhältnisse: 1
    18. in: 1
    19. sowjetischen: 1
    20. Besatzungszone.: 1
    21. Sind: 1
    22. das,: 1
    23. was: 1
    24. hier: 1
    25. alles: 1
    26. vortragen,: 1
    27. die: 1
    28. besten: 1
    29. Argumente: 1
    30. für: 1
    31. eine: 1
    32. viel: 1
    33. aktivere: 1
    34. Deutschlandpolitik?: 1
    35. Muß: 1
    36. man: 1
    37. mit: 1
    38. Moskau: 1
    39. sprechen,: 1
    40. um: 1
    41. diesem: 1
    42. Spuk: 1
    43. möglichst: 1
    44. bald: 1
    45. ein: 1
    46. Ende: 1
    47. zu: 1
    48. setzen?\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johann Baptist Gradl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir, wie sich das für einen Neuling in diesem Hause gehört, die Darlegungen insbesondere der Herren von der Opposition sehr sorgfältig angehört. Ich habe mich auch bemüht, unbefangen zuzuhören. Dabei ist mir — das will ich gleich gestehen — eine etwas merkwürdige und sehr ausgeprägte Einseitigkeit der Betrachtungsweise aufgefallen. Kein Zweifel, in den Reden der Opposition wird der gegenwärtige Zustand zutiefst beklagt, der Status quo wird abgelehnt, die Konföderation wird abgelehnt. Niemand wird auch bestreiten, daß Sie sich bei Ihren Überlegungen von einer sehr ernsten Sorge um die deutsche Wiedervereinigung leiten lassen.
    Wenn ich mir aber Ihre eigentliche Argumentation ansehe, wenn ich beobachte, wohin Sie sich mit Ihrem oppositionellen Zorn eigentlich wenden, dann habe ich das Gefühl, daß Sie sich einen falschen Adressaten ausgesucht haben. Es sieht so aus — vielleicht merken Sie das gar nicht mehr, weil Sie schon seit einer geraumen Zeit in dieser Weise argumentieren —, als ob Sie glaubten — vielleicht glauben Sie es tatsächlich —, die Ursache dafür, daß der gegenwärtige Zustand unseres Landes anhält, liege in erster Linie in der Haltung der westlichen Politik, insbesondere in der Haltung der Bundesregierung. Ich bin der Ansicht, daß in diesem Punkt einiges zurechtgerückt werden muß. Dabei wird sich nicht vermeiden lassen, daß ich meinerseits mit einer gewissen Einseitigkeit nach dem Osten sehe. Die Sowjetunion ist ja ohnehin ein Gesprächsteilnehmer. Ich werde mich bemühen, das nicht in einer Weise zu tun, daß ich das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und unserem Land unnötig belaste. Ich werde mich bemühen — vorhin ist ein diesbezüglicher Zwischenruf gemacht worden —, nicht zu reizen.
    Ich halte es für erforderlich, daß in dieser Diskussion gegenüber der Argumentation der Opposition bestimmte Realitiäten klar dargestellt werden. Die entscheidende Realität scheint mir die Haltung zu sein, die die Sowjetunion gerade in den letzten Monaten und gerade angesichts der internationalen Diskussion eingenommen hat; ich meine ihre Sprache, ihre Handlungen, ihr Verhalten, das insbesondere in und gegenüber unserem eigenen Land.
    Wir können uns, wenn wir die Haltung der Sowjetunion beurteilen wollen, zunächst nur auf ihre eigenen Meinungsäußerungen stützen, — nicht auf das, was wir in ihre Meinungsäußerungen hineingeheimnissen, sondern nur auf das, was die Sowjetunion selbst sagt, insbesondere wenn sie das unentwegt immer wieder sagt.
    Es ist nicht leicht, sich durch die Dokumentationen, die einem die Sowjetunion zur Erkenntnis ihrer eigenen Auffassung bietet, hindurchzuarbeiten. Ich gestehe wiederum, daß ich jede Note, jedes Interview und jede Äußerung, die von der Sowjetunion kommen, nicht nur mit der notwendigen Gründlichkeit, sondern auch mit einer gewissen Befangenheit lese. Ich suche nämlich jedesmal — vielleicht denkt manch einer: das ist ein Naivling, wenn er das nach diesen vielen Jahren immer noch tut — in diesen Äußerungen nach irgendeinem lösenden Wort, nach



    Dr. Gradl
    einem Wort, von dem man sagen kann: Hier endlich werden wir in der deutschen Frage auch einmal vom Osten, von der Sowjetunion her ein Stückchen weitergebracht.
    Der Herr Kollege Ollenhauer hat heute mittag hier gesagt, von der Bundesregierung höre er immer nur ein Nein. Ich glaube, dem Sinne nach zitiere ich das richtig. Vielleicht darf ich an das Memorandum der Bundesregierung vom September 1956 zur Frage der Wiedervereinigung erinnern, das damals der Sowjetunion überreicht worden ist und in dem sich — wenn man es nur unbefangen liest — eine Fülle konkreter Darlegungen und Anregungen für ein vernünftiges Gespräch mit der Sowjetunion finden.
    Dann haben wir eben von dem Herrn Kollegen Maier das nette Wort gehört: „Er sagt nein, du sagst nein, ich sage nein; das ist doch phantasielos." Meine Damen und Herren, ich glaube, gegen unsere Seite und gegen die Bundesregierung kann man diesen Vorwurf der Phantasieslosigkeit nicht erheben.

    (Zuruf von der SPD: O doch!)

    Wenn man ihn erheben will, kann man nach allem, was wir von der Sowjetunion bisher als Beitrag zu dieser Frage bekommen haben, nur sagen. daß bei ihr Phantasielosigkeit das Wort führt.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Erler: Sicher!)

    Die eigentliche Enttäuschung ist, daß man in den Verlautbarungen der Sowjetunion immer wieder mit einer tatsächlich bedrückenden Monotonie wiederkehrend liest und hört: Anerkennung des Status quo, Anerkennung der bestehenden Verhältnisse. Übrigens ist das auch die Grundlage für den Rapacki-Plan.
    Der Herr Kollege Ollenhauer hat vorhin gesagt: Ja, wir wissen, die Sowjetunion wird hart verhandeln, und wir werden eben auch hart verhandeln. Sehr gut. Nur störte mich daran das Wort „wird". Denn im Grunde bewegen wir uns ja in den ganzen Jahren schon irgendwie in Verhandlungen, und die Sowjetunion zeigt dabei durch ihr Verhalten, daß sie nicht nur später einmal hart verhandeln wird, sondern daß sie in der Gegenwart sehr hart handelt. Das ist offenbar gegenwärtig ihre Form des Verhandelns. Es ist ja doch nicht Mangel an politischen Einfällen, der die Sowjetunion dazu veranlaßt, immer mit dieser Monotonie von uns die Anerkennung der bestehenden Verhältnisse zu verlangen. Sicherlich ist es auch nicht Mangel an Erkenntnisvermögen und an Einfühlung in das, was etwa auf unserer Seite hier empfunden wird. Nichts gibt es, was die Sowjetunion hindern könnte, erkennbar zu machen, daß sie bereit ist, ernsthaft über eine Öffnung wenigstens des Weges zur Wiedervereinigung zu verhandlen. Dennoch tut sie das alles nicht. Nun frage ich: Warum tut sie das nicht? Ich glaube, daß der Grund hierfür gar nicht so schwer zu erkennen ist.
    Ich nehme das Beispiel des Rapacki-Planes, der hier besonders intensiv debattiert wird. Es ist gar kein Zweifel, daß bei der isolierten Durchführung
    des Rapacki-Plans die militärische Position des
    Westens mehr betroffen würde als die des Ostens.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich nehme, um das zu demonstrieren, eine Erklärung, die amerikanische Deutschland-Experten in diesen Tagen abgegeben haben in einer Stellungnahme zu den Vorträgen von Mr. Kennan. In dieser Erklärung der amerikanischen Deutschland-Experten — unter denen sich eine ganze Reihe uns allen bekanter Männer befindet, von denen wir wissen, daß für sie auch die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ein sehr ernstes Anliegen ist — heißt es — ich darf das verlesen —:
    Gewiß schlösse die atomwaffenfreie Zone, die Kennan vorschlägt, auch Ostdeutschland, Polen und die Tschechoslowakei ein. Doch ist dieses Zugeständnis ohne Bedeutung, da Westeuropa dem Beschuß durch sowjetische Mittelstreckenraketen offenliegt, die von russischem Gebiet aus abgeschossen werden können.

    (Abg. Dr. Mommer: Das wissen wir!) Dann heißt es weiter:

    In Anbetracht des sowjetischen Vorteils bei den konventionellen Streitkräften würde sich ähnlich auch eine Ächtung taktischer Atomwaffen in den Satellitenländern und Ostdeutschland nur zugunsten der Sowjets auswirken.
    Diese Erklärung trägt übrigens die Unterschrift auch eines Mannes, der früher jedenfalls zur Sozialdemokratischen Partei gehört hat. Er unterzeichnet „Gerhard Seger, früher Mitglied des Reichstags".

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Darum wird die Erklärung nicht richtiger!)

    Ich sage nicht, daß ich jede Einzelheit der ganzen Erklärung für zutreffend halte. Aber die Feststellung ist zweifellos richtig, daß bei einer isolierten Durchführung des Rapacki-Planes die militärische Position zugunsten der Sowjetunion verbessert würde.
    Ich will das, was ich damit ausdrücken will, in aller Vorsicht und völlig unaggressiv zu formulieren suchen: Je mehr die militärischen Elemente in Zentraleuropa abgebaut werden, um so behaglicher wird für die Sowjetunion das politische Verbleiben in diesem Raum,

    (Sehr gut! in der Mitte)

    um so interessanter wird für die Sowjetunion das politische Besitztum, das die sowjetisch besetzte Zone für sie darzustellen scheint. Darüber, was dieses politische Besitztum für sie bedeutet, sollten wir uns nach den Erfahrungen, die wir in den ersten Jahren nach der Besetzung bereits gemacht haben, keinen Illusionen hingeben. Diese sowjetisch besetzte Zone ist für die Sowjetunion ein ungemein wertvolles Besitztum; denn sie ist eine kommunistische Bastion hier in Mitteleuropa, und sie kann unter Umständen, wenn man sie über alle Fährnisse der jetzigen internationalen Auseinandersetzung hinweg bewahren kann, in der Zukunft irgendwann einmal als eine kommunistische Sprungschanze benutzt werden.



    Dr. Gradl
    Nun hat der Herr Kollege Ollenhauer vorhin in ähnlichen Zusammenhängen gesagt, wir machten uns die Sache zu leicht, wenn wir alles ablehnten, ehe die Frage der Wiedervereinigung gelöst sei. Daran ist richtig, daß wir nicht erwarten können, daß die Frage der Wiedervereinigung in der gegenwärtigen Situation der allgemeinen Spannung und des allgemeinen Mißtrauens gelöst werden wird. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition — und ich darf dabei etwas unterstreichen, was der Herr Kollege Schneider eben schon gesagt hat —, verstehen Sie denn eigentlich wirklich nicht, daß es bei den politischen Entscheidungen, die wir in unserem Land zu fällen haben, keine schwierigere Frage gibt als die der Grenze, die man beachten muß, wenn man durch Vorleistungen nicht eine neue Realität schaffen will, die der Sowjetunion ein weiteres echtes Konzessionenmachen in der deutschen Frage ersparen könnte. Das ist doch ein entscheidendes politisches Problem.
    Die Sorge vor unentgeltlichen Vorleistungen muß um so größer sein, wenn wir daran denken, wie hart gerade dieser politische Gegner ist. Seine volle Härte sehen wir doch an seinem Auftreten in unserem eigenen Land. Ich habe nicht die Absicht, das nationale Gefühl in Wallung zu bringen. Wir alle sind ohnehin zutiefst bewegt von dem, was sich im sowjetischen Besatzungsbereich in unserem Lande tatsächlich vollzieht. Es ist auch nicht nötig, daß man, um die Härte dieses politischen Gegners an seinem tatsächlichen Verhalten hier in unserem Lande zu demonstrieren, nun die ganze Misere noch einmal darstellt, die in der sowjetischen Besatzungszone besteht. Dazu genügt wahrscheinlich eine einzige Zahl: daß nämlich allein im vergangenen Jahr 265 000 deutsche Männer, Frauen und Kinder die sowjetische Besatzungszone als Flüchtlinge verlassen haben und daß es sogar jetzt trotz der Erschwerungen jede Woche 2- bis 3000 Menschen sind, die aus der sowjetischen Besatzungszone hierher kommen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Seit einigen Monaten — schon deshalb, Herr Kollege Mende, gehört es hierher — ist etwas Neues in diesem Bereich eingetreten. Dieses Neue, meine ich, muß gerade hier im Rahmen einer außenpolitischen Debatte hervorgehoben werden, und zwar nicht nur deshalb, weil die neuen Erschwerungen der Lebensverhältnisse im sowjetischen Besatzungsbereich ohnehin wichtig genug sind, um auch hier zur Kenntnis genommen zu werden, sondern vor allen Dingen deshalb, weil sie gerade in diesem Zeitpunkt vorgenommen werden, in diesen Monaten, in denen sich die Welt und auch wir uns alle möglichen Gedanken darüber machen, wie man zu einer besseren Ordnung und zu einer tatsächlichen Entspannung kommen könnte.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    In dieser Situation hält es die Sowjetunion für richtig, oder — ich will noch vorsichtiger sein —, sie läßt es jedenfalls zu, daß sich in ihrem Verantwortungsbereich die neuen Erschwerungen der Lebensverhältnisse vollziehen, die wir in der sowjetischen Besatzungszone feststellen müssen, Erschwerungen,
    die einmal darin bestehen, daß die menschlichen Beziehungen innerhalb unseres gesamten Vaterlandes erneut und stärkstens behindert werden, und zum anderen darin, daß man in der sowjetischen Besatzungszone nun so weit geht, sogar einen weltanschaulichen Bürgerkrieg durchzuführen.
    Was die Erschwerung der menschlichen Verbindung zwischen drüben und hier gerade in dieser Zeit angeht, so genügt es im Grunde, wenn ich dazu nur zwei, drei Zahlen nenne. Der Deutsche Bundestag hat ja noch in der letzten Sitzung des alten Jahres einmütig und sehr scharf gegen diese Erschwerungen Stellung genommen. Sie kennen den Protest gegen die Einführung des Paßzwanges und gegen die Strafandrohungen eines nicht genehmigten Hinüberreisens aus der sogenannten DDR in die deutsche Bundesrepublik. Aber, meine Damen und Herren, mittlerweile wissen wir, was das tatsächlich bedeutet. Im letzten Dezember sind nur noch 123 000 Zonenbewohner aus der Zone in die Bundesrepublik herübergefahren gegen 261 000 im Dezember 1956. Das heißt: bereits im Weihnachtsmonat ist der Reiseverkehr aus der Sowjetzone in die Bundesrepublik unter die Hälfte des früheren Standes herabgedrückt worden. Und wenn Sie die allerletzten Zahlen nehmen: in der zweiten Januarwoche ist es den Zonenherren sogar gelungen, den Reiseverkehr auf den Stand von 38 % der gleichen Zeit des Vorjahres herabzudrücken.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Was das für den einzelnen, der drüben zu leben gezwungen ist, bedeutet, brauche ich in diesem Hause nicht darzulegen; es genügt das Faktum an sich, ein Faktum, das demonstriert, wie die Sowjetunion gegenwärtig einen Beitrag zur Entspannung der allgemeinen Atmosphäre leistet oder leisten läßt.

    (Abg. Dr.-Ing. E. h. Arnold: Sehr richtig!)

    Aber — und das muß ich nun etwas ausführlicher darstellen — schlimmer noch vielleicht als das, was sich in der Erschwerung der menschlichen Beziehungen vollzieht, ist das, was auf dem Gebiete des Religions- und Kirchenkampfes geschieht. Dabei wissen wir, daß dieser Kampf als solcher nicht neu ist. Wir haben in den vergangenen Jahren eine Fülle von Vorgängen erlebt, die diesen Kampf deutlich gemacht haben. Wir wissen z. B. aus dem Jahre 1953 um den Kampf gegen die Jugendgruppen in der sowjetischen Besatzungszone; wir wissen um die Eingriffe und Verbote gegen die Bahnhofsmission, gegen die Seelsorge in Krankenhäusern usw. Wir wissen auch, wie im vergangenen Jahr der Evangelische Kirchentag dadurch verhindert worden ist, daß man ihm unerträgliche politische Auflagen zu machen suchte.
    Das alles ist aber wenig gegen das, was sich jetzt — ich betone wiederum: ausgerechnet in dieser Zeit — drüben vollzieht und bei dem eine solche Gewaltmaßnahme wie die Verhaftung des Leipziger Studentenpfarrers Schmutzler und der Prozeß gegen ihn, die als Einzelvorgang hier in der Bundesrepublik besondere Aufmerksamkeit gefunden haben, eben doch nur ein Einzelvorgang, wenn auch leider ein typischer Vorgang ist. In dem Gerichts-



    Dr. Gradl
    saal, in dem der Pfarrer Schmutzler verurteilt worden ist, steht übrigens über der Richterbank der Satz: „Neue Macht schafft neues Recht". Wir kennen das ja wohl. Man kann es auch übersetzen: „Recht ist, was dem System nützt".
    Aber, meine Damen und Herren, es handelt sich bei dem, was sich jetzt dort vollzieht, beileibe nicht etwa um Übergriffe irgendeiner Schar wildgewordener Funktionäre, sondern um einen ganz systematischen Kampf gegen Religion und Kirche, der in der ganzen Breite und mit der ganzen Wucht abrollt, die einem totalitären Apparat zur Verfügung steht, der sich gegen den einzelnen genau so richtet wie gegen die Kirchen als solche. Dafür gibt es eine Fülle von Beispielen. Das vollzieht sich unter dem Leitmotiv — man kann das da drüben auch recht wissenschaftlich formulieren —: „Der Sieg des Sozialismus ist unmöglich ohne die Überwindung der Unwissenheit und des Obskurantismus in Form von religiösem Glauben unter der Arbeiterklasse". Dies ist gewissermaßen das Leitmotiv, zu lesen in einer angeblich wissenschaftlichen Schrift, die gerade jetzt im Dietz-Verlag in Ost-Berlin herausgekommen ist. In das Vulgärpolitische übersetzt, sieht das folgendermaßen aus. In Frankfurt an der Oder z. B. hat der Erste Sekretär der SED beim Beginn der Jugendstunden erklärt:
    Bei uns wird die Wahrheit gelehrt, und die ist einfacher zu begreifen als bestimmte Hirngespinste. Der künstliche Erdtrabant geht doch nicht um die Erde, um dem lieben Gott und den Engeln guten Tag zu sagen!


Rede von Dr. Erich Mende
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Gradl, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Ich schätze Sie als Kenner der Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone. Sind das, was Sie hier alles vortragen, nicht die besten Argumente für eine viel aktivere Deutschlandpolitik? Muß man nicht mit Moskau sprechen, um diesem Spuk möglichst bald ein Ende zu setzen?

(Beifall bei der FDP und der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johann Baptist Gradl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Mende, Sie haben völlig recht.

    (Zuruf von der SPD: Na also!)

    Diese Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone zeigt uns die Dringlichkeit einer Lösung der deutschen Frage mit ganz besonderer Deutlichkeit. Selbstverständlich muß man mit allen sprechen, mit denen man darüber sprechen kann. Aber gerade diese Vorgänge zeigen doch, daß sich die Sowjetunion leider Gottes für ein echtes Gespräch über diese Dinge nicht zur Verfügung stellt, daß sie vielmehr gegenteilig handelt und Situationen schafft, die den Weg zu einer verständigen Lösung eben nicht verbessern können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe gesagt, daß dieser Kampf, der sich gegenwärtig in der sowjetischen Besatzungszone vollzieht, auf der Grundlage systematischer Bedrückung
    und Verächtlichmachung der Religion und der Kirchen beginnt. Daß die Kirchen als Gehilfen des „NATO-Imperialismus" oder des „kriegslüsternen Imperialismus" hingestellt werden, ist ohnehin drüben ein vertrauter Wortschatz. Auch das ist dabei kennzeichnend, daß Ende Dezember das „Neue Deutschland" es für notwendig hielt, Verlautbarungen wie „Rerum novarum" und „Quadragesimo anno" der Bevölkerung als eine „Ausbeuteordnung mit päpstlichem Segen" darzustellen. Ich lasse es bei diesen kurzen Hinweisen. Ich sage es nur, um deutlich zu machen, mit welchem Geist tatsächlich in der sogenannten DDR dieser negative Beitrag zur Entspannung in unserem eigenen Lande geleistet wird.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Natürlich ist das wichtigste Instrument in diesem Kampf gegenwärtig die sogenannte Jugendweihe. Man kann das, was sich auf diesem Gebiet jetzt drüben vollzieht, gar nicht ernst genug einschätzen. Die Jugendweihen werden in der sogenannten DDR systematisch zu einem integrierenden Bestandteil der kommunistischen Erziehung gemacht. Dabei ist der Gelöbnistext gar nicht allein entscheidend. Es ist auch nicht entscheidend, daß die Jugendweihe noch nicht zu einer staatlich-obligatorischen Einrichtung gemacht worden ist. In einem totalitären System genügt es bekanntlich, wenn die totalitäre Staatspartei den Willen hat, etwas wirksam werden zu lassen, auch wenn es formal nicht Gesetz ist.
    Das Entscheidende und das Verhängnisvolle in dieser Entwicklung ist, daß man die Jugend in Mitteldeutschland nun in eine völlig wesensfremde atheistische Ideologie hineinzudrängen sucht und daß man damit einen tiefen Graben weltanschaulicher Entfremdung und sogar weltanschaulicher Verfeindung mitten durch unser Land zu legen versucht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn es sich nur darum handelte, in freier Auseinandersetzung Standpunkte zu klären und die Weltanschauungen gegenüberzustellen, wäre vom Standpunkt der Toleranz aus nichts dagegen zu sagen. Aber die Wirklichkeit dort drüben ist ja wieder ganz anders. Die Wirklichkeit ist, daß die eine, die materialistische Weltanschauung sich die gesamte Macht, die gesamten Möglichkeiten des Apparats zunutze macht und daß die andere Seite mit allen Mitteln verhindert wird, in dieser Auseinandersetzung in Freiheit ihre Meinung zu sagen und aufklärend zu wirken. Ich erinnere z. B. daran, daß jetzt da drüben, um diesen Kampf durchzusetzen, die gesamte Lehrerschaft systematisch in den Dienst dieser atheistischen Jugenderziehung gestellt wird. In der „Deutschen Lehrerzeitung" wird gesagt: „Eine besondere Aufgabe haben dabei naturgemäß die Lehrer." Und dann: „Die Lehrer sind dazu besonders berufen." Auch die Elternbeiräte werden eigens dazu aufgefordert. Die Lehrer werden gezwungen, Reverse zu unterschreiben, in denen sie sich verpflichten müssen. Im Zeitalter des angeblichen Wunsches nach Entspannung, den die östliche Seite uns in so zahlreichen Erklärungen einreden will, in diesem Augenblick werden da drü-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 233. Januar 1958 353
    Dr. Gradl
    ben die Eltern, wird die Lehrerschaft, werden die Kinder unter den schlimmsten Gewissenszwang gestellt. Wenn sich dann die Kirchen gegen den Gewissenszwang wenden und die Eltern auf diese Dinge aufmerksam machen, wird das einfach abgetan als ein „Bekenntnis der Gegner unseres Arbeiter- und Bauernstaates zur NATO-Politik". So also müssen sich gegenwärtig die Menschen drüben in der Zone unter dem Zeichen des Entspannungswillens mit diesem Regime, das unter dem Schutz der Sowjetunion steht, auseinandersetzen.
    Es darf auch nicht übersehen werden, daß sich ein besonders massiver Kampf gegen die Geistlichkeit und gegen die Kirchen als solche richtet. Dabei wird kein Unterschied der Konfessionen und kein Unterschied des Ranges gemacht. Das geht durch das ganze Land der sogenannten DDR. Eine Zählung, die schon vor anderthalb Monaten durchgeführt worden ist, hat ergeben, daß bereits damals in der Presse der DDR über 60 Geistliche jeden Ranges — das geht vom Bischof bis herunter zum Theologiestudenten und Katecheten — diffamierend genannt worden sind. Das geschieht mit dem Willen, sie einzuschüchtern, sie in den Augen ihrer Gemeinden und der Bevölkerung überhaupt herabzusetzen. Man macht auch Sonderaktionen gegen sie. Einwohnerversammlungen, Aktivs werden zusammengerufen, müssen irgendwelche Beschlüsse fassen, denen man von vornherein ansieht, daß sie von einer zentralen Instanz für alle formuliert worden sind. Es werden Hetzschriften herausgegeben. Ich habe vor wenigen Tagen noch aus der Zone eine solche Betriebszeitung des VEB Kombinat Otto Grotewohl bekommen, in der ein Angriff gegen den evangelischen Pfarrer in Böhlen gerichtet worden ist. Meine Damen und Herren, das „Schwarze Korps" und die SS haben das nicht besser oder, wenn Sie wollen, schlechter gekonnt, als es jetzt drüben geschieht.
    Das also und vieles andere vollzieht sich gegenwärtig an hemmungsloser antikirchlicher und antireligiöser Kampagne im Einflußbereich und unter dem Schutz der Sowjetunion in der sogenannten DDR. Und in diesen Hexenkessel des Religions-. und Kirchenkampfes, der Erschwerung der menschlichen Beziehungen, der allgemeinen Not und des allgemeinen Druckes sind nun die Menschen in der Zone hineingestellt und sollen sich darin zurechtfinden, sie, die damit rechnen müssen, wenn sie nicht nachgeben, daß ihnen die materiellen Existenzmöglichkeiten erschwert werden, daß ihren Kindern die berufliche Entwicklung genommen wird. Das, meine Damen und Herren, ist die Realität, das ist der Status quo, den wir anerkennen sollen, das ist der gegenwärtige Zustand in Mitteldeutschland, und das ist friedliche Koexistenz in der Praxis, wie sie uns gegenwärtig demonstriert wird.
    Als Leitsatz verkündet die Sowjetunion in aller Welt ihre berühmten Prinzipien der friedlichen Koexistenz, in denen auch von Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse die Rede ist. In Mitteldeutschland aber wird die Wirklichkeit demonstriert. Wenn die Sowjetunion selber nichts dazu beigetragen haben will, daß das gerade jetzt in dieser Zeit
    geschieht, dann scheint es mir um so notwendiger zu sein, darauf aufmerksam zu machen, wie es bei uns aufgenommen werden muß.
    Nun noch ein Wort zu dem Weg, den uns die Sowjetunion zur Überwindung der Teilung Deutschlands vorschlägt. Sie schlägt uns ja einen Weg vor, mit derselben monotonen Wiederholung wie das Beharren auf dem Status quo: die Konföderation der beiden deutschen Staaten. Ich darf im Namen meiner Fraktion sagen, daß wir jedes Wort unterstreichen, das in der Regierungserklärung für die Ablehnung dieses Weges gesagt worden ist. Wir erkennen dankbar an, daß sich auch die Redner der einzelnen Parteien in dieser Weise geäußert haben. Ich weiß nicht, ob die Sowjetunion sich darüber im klaren ist — aber man muß es ja unterstellen -, was sie in Wirklichkeit von uns verlangt, wenn sie uns als Weg zur Wiedervereinigung die Konföderation der beiden deutschen Staaten vorschlägt. Das heißt nicht nur einfach, daß man damit den Zonenstaat anerkennt und daß man ihn völkerrechtlich sanktioniert, daß man dem Regime, das dort besteht, also völkerrechtlichen Schutz zubilligt. Sondern das würde dann auch heißen, wir stimmen de facto zu, daß dieses Regime auf unbestimmte Zeit bestehenbleibt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Und wir würden damit hinnehmen, daß die 17 Millionen in der Zone sich weiter unter diesem System durchs Leben quälen müssen. Wenn wir das täten, würden wir im Grunde für diese 17 Millionen die politische Kapitulation aussprechen, während sie selber in einer bewundernswerten Weise immer noch und immer wieder widerstehen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Man sagt bei der Diskussion der Frage der Wiedervereinigung immer wieder: Wir dürfen doch nicht eine Haltung einnehmen, die der Sowjetunion gewissermaßen eine Kapitulation zumutet. Natürlich hat das etwas Richtiges an sich. Aber zunächst müssen wir davon ausgehen, daß die Sowjetunion mit dem, was sie uns als Weg für die deutsche Wiedervereinigung vorschlägt, uns ganz ungeniert von ihrer Seite aus die Kapitulation zumutet.
    Wenn die Welt zur Entspannung kommen soll, dann, so meine ich, kann man in unserem deutschen Bereich jedenfalls eine Entspannung nicht auf den Wegen erreichen, die uns in den offiziellen Äußerungen der Sowjetunion vorgeschlagen werden und die uns in der Praxis ihres Einflußbereichs in Mitteldeutschland vorexerziert werden. Ich vermag jedenfalls in diesem Verhalten keinen positiven sowjetischen Beitrag zur Entspannung in unserem Bereich zu erkennen.
    Es wird gesagt — ich erwähnte es schon —, daß man zur Wiedervereinigung nicht kommen kann, wenn man der Sowjetunion eine Kapitulation zumute. Das sei irreal. Dabei versteht man dann unter Kapitulation ein Verlangen an die Sowjetunion, sie möge den Weg zur Wiedervereinigung durch freie Wahlen freigeben, und dann werde man hinterher weitersehen. — Man unterstellt der Regie-

    Dr. Gradl
    rung und den Regierungsparteien gerne — ausgesprochen und unausgesprochen —, wir seien so naiv und hätten eine solche Vorstellung von dem Weg zur Wiedervereinigung.

    (in einem einzigen Akt vollzieht, wissen wir alle. Die Wiedervereinigung ist selbstverständlich ein Prozeß. An der Forderung nach freien Wahlen halten wir betont fest, weil in dieser Forderung am deutlichsten zum Ausdruck kommt, daß wir uns eine Wiedervereinigung nur auf einem Wege vorstellen können, der unserem Volk die Möglichkeit gibt, in Zukunft sein Leben und seine innere Ordnung nach eigenem Willen frei zu gestalten. Aber, Herr Kollege Mende, wenn etwa in dem Prozeß der Wiedervereinigung dieser Vorgang der freien Wahlen weit hinausgeschoben werden sollte, dann können wir jedenfalls nicht so weit gehen, daß wir erstens einmal dieses Ende ungarantiert hinnehmen und daß wir uns zweitens damit abfinden, daß ein solches Ende in einer nebelhaften Ferne liegt. Auch sind wir natürlich nicht so naiv, wie man uns gern hinstellt, daß wir eine isolierte Erfüllung unseres Verlangens nach Wiedervereinigung für möglich halten. Wir geben das Recht darauf nicht auf und wir haben das Recht dazu. Das kann uns nicht genommen werden. Aber selbstverständlich muß man die Aufgabe, die die Wiedervereinigung stellt, in den größeren Zusammenhängen sehen, im Zusammenhang mit den Fragen der Entspannung, der Abrüstung und der Sicherheit. Wir wissen, daß das ein sehr komplexes Problem ist, daß es komplex betrachtet und auch behandelt werden muß. Die Diskussion über die Wiedervereinigung und über alle diese Fragen in unserem Lande zeigt, daß bitter ernst um diese Erkenntnisse gerungen worden ist. Nun frage ich: was leistet dazu die Sowjetunion als Beitrag? Nichts leistet sie als Beitrag als das unentwegte Beharren auf dem Status quo, auf dem gegebenen Zustand. Hier liegt doch der eigentliche Kern des Übels. Herr Kollege Mende, Sie fragen nach der Konzeption. Pläne und Konzeptionen, die uns der Wiedervereinigung näherbringen oder die eine Lösung dieses Gesamtkomplexes von Fragen bringen könnten, gibt es weiß Gott zur Genüge. Darauf kommt es doch gar nicht an. Das, worauf es ankommt, ist, daß von der anderen Seite, mit der wir es zu tun haben, nicht immer nur gesagt wird: „Wir verlangen die Anerkennung der Zustände, wie sie sind", sondern daß endlich einmal von dieser Seite aus ein wirklicher Beitrag dazu geleistet wird. Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich bin gleich fertig. — Die Diskussion würde heute doch sicherlich völlig anders verlaufen, wenn von der anderen Seite nicht immer nur dieses Nein zu hören wäre, sondern wenn von der anderen Seite wirklich einmal auch ein konstruktives Wort gesprochen würde. Hier also — ich wiederhole es — ist der eigentliche Kern dieses Übels. Es gehört doch nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie eine echte Entspannung entstehen könnte und welche wirkliche Verbesserung der internationalen Atmosphäre zu erreichen wäre, wenn die Sowjetunion nicht immer nur starr auf ihrem alten Standpunkt in der deutschen Frage verharren würde. Aber solange die Sowjetunion an dieser kommunistischen Position in Mitteldeutschland festhält, so lange ist die Entspannung blokkiert, und zwar nicht durch uns, nicht durch die Christlich-Demokratische Union und nicht durch die Bundesregierung, sondern eben durch die Sowjetunion selbst. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Schmid. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kiesinger hat in seiner beachtlichen Intervention in dankenswerter Weise das Problem der Stilfrage angesprochen. Ich nehme an, daß er dabei unter „Stil" nicht das gleiche gemeint hat, was man sonst „Geschmack" zu nennen pflegt, — also das, worüber sich streiten läßt, — sondern mehr in dem Bezug „Le style c'est l'homme" oder vielleicht in dem Hegelschen Verstand, daß der Stil den Sinn und das Wesen des Inhalts zu bestimmen vermag. — Ich hatte angenommen, Sie hätten es vielleicht so verstanden, und deswegen möchte ich mich ganz gern mit der Intervention des Herrn Außenministers auf die Rede des Kollegen Mende befassen. Ich glaube, wir alle sind Kollegen, wir sind alle füreinander verantwortlich, und wir haben auch alle füreinander einzustehen, wenn wir der Meinung sind, daß man einem von uns nicht so begegnet ist, wie man es in diesem Hause tun sollte. Ich habe den Eindruck, als ob die Sprache des Herrn Außenministers — es ist selten, daß ich das von ihm sagen muß, aber diesmal muß ich es tun — ungefähr die Sprache war, die man im Konvent eines feinen Korps, etwa des Weißen Ringes, gegenüber einer, sagen wir, nicht ganz feinen Turnerschaft übt, von der man glaubt, daß sie sich eines unkommentmäßigen Verkehrs befleißige. Der FDP nazistische Wahlverwandtschaften vorwerfen hören, könnte einen reizen, nach dem Grundsatz zu handeln: Wenn du ihre Nazis haust, dann haue ich die deinen! Aber ich will das nicht tun; wenn ich das täte, läge darin zuviel tierischer Ernst. Ich glaube aber sagen zu müssen, daß wir nicht in dieser Weise miteinDr. Schmid ander diskutieren sollten. Unsere Diskussionen sollen hart sein, wenn es sein muß, und scharf. Der alte Löwe des Unterhauses, Morrison, sagte mir einmal: „Schärfe der Diskussion im Parlament ist das Lebensblut der Demokratie." Ich glaube, er hat recht. Wir sollten scharf diskutieren und hart, aber wir sollten nicht mit Geringschätzung voneinander sprechen, auch nicht in Untertönen, denn das wäre das Ende der Politik in demokratischen Formen. Herr Kollege Kiesinger, Sie haben uns gesagt — Sie haben das oft getan —, das deutsche Volk, die Wähler hätten der CDU den Auftrag gegeben, die alte Außenpolitik fortzusetzen. Herr Kollege Kiesinger, ich glaube, wir sollten vom Parlament anders denken als nur von einem Konglomerat von Parteien; es ist ein Ganzes. Das deutsche Volk hat diesem Parlament einen Auftrag gegeben, nämlich den, alles zu tun, was unserem Land die Kriegsfurie fernhält, was unser Volk wieder vereinigen kann. Es hat uns nicht gesagt, daß wir die Dinge beurteilen sollen, wie der Wähler es im einzelnen tun mag. Ich bitte zu beachten, daß jedes Wort gewogen ist. Ich weiß, daß man mir vorwerfen wird: ich sei ein schöner Demokrat. Das Volk hat uns gewählt, damit w i r auf Grund unserer Beurteilung der Tatsachen und Möglichkeiten die richtige Entscheidung treffen. Mehrheiten sind kein Urteil über wahr oder falsch, sondern Bezeugung von Motiven, Bezeugung von Wünschen. Die Entscheidung der Wähler vom September 1957, die wir respektieren, entbindet u n s nicht von der Verpflichtung, immer wieder zu prüfen, vor welchen Tatsachen wir stehen — denn Tatsachen wechseln — und welche Chancen sie uns geben, das Notwendige möglich zu machen. (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Na also, das wollen wir doch auch!)


    (Beifall bei der CDU/CSU.)