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    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
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    „Das Grundgesetz ist auf dem Schwemmsand der jakobinischen Demokratie aufgebaut."

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Von Deutschen über der Elbe und der Werra drüben will diese Gattung von Politikern am liebsten gar nichts hören. Eine solche Bewegung wird von den höchsten Spitzen unseres Staates gefördert. Bundesminister sind haufenweise in diesem Verein.

    (Hört! Hört! und Pfui-Rufe bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Wer ist das?)

    Wir aber blicken unverwandt nach dem uns zugehörigen Lebenskreis in Mitteleuropa hinein und nach den entrissenen Bruchstücken in Osteuropa. Überall treffen wir auf die russische Einflußsphäre, und umgekehrt stößt die Sowjetunion auf uns. Das strategische Bild, das die Sowjetunion ohne die schwer überblickbaren Veränderungen durch die Atomwaffen bietet, war bis jetzt folgendes. Die Sowjetunion ist von keiner Seite angreifbar, weder von ihrem Norden her noch im Osten noch im Süden. Sie ist geschützt durch das Nördliche Eismeer, durch die unendliche Weite von Fernost, und schon dort beginnen natürliche Hindernisse. Diese steigern sich im Süden zu unübersteigbaren Gebirgsketten: über den Himalaja und über den Kaukasus bis zum Schwarzen Meer. Der russische Koloß ist relativ verwundbar vom Balkan aus; hier ist zur Zeit vorgebaut. Der klassische Raum aber für Angriff und für Abwehr war stets die breite Front an der norddeutschen bzw. nordrussischen Tiefebene. Auf das, was dort geschieht, was sich dorthin zubewegt, auch nur zubewegen kann, wird der Russe unverrückt blicken. Er hat 1813 die Franzosen in Moskau erlebt, 1941 die Deutschen vor Moskau. Dort oben und drüben ist die Region seines Mißtrauens. Schon die kleine Bundeswehr wird mit Argwohn betrachtet. Vorläufig hat sie für den Russen nur die Bedeutung eines möglichen Mückenstiches. Mit Argusaugen wird er die weitere militärische Erstarkung beobachten.
    Hier, meine Damen und Herren, eine Zwischenbemerkung! Was geschähe eigentlich, wenn die Sowjetunion nach Erreichung einer Ist-Stärke der Bundeswehr von, sagen wir, 350 000 oder gar 500 000 Mann auf den Tisch schlägt und sagt: Bis hierher und nicht weiter! Die Situation in diesem Fall könnte an und für sich der Phantasie jedes einzelnen überlassen werden. Die NATO ist keine
    unzerreißbare Einheit. Sie ist eine Koalition, wie wir das neulich im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten gehört haben, von freien, unabhängigen, souveränen Mächten. Sie ist eine Koalition mit allen Sorgen und Schwächen einer militärischen Koalition. Der cauchemar des coalitions, der Alpdruck der Koalitionen, liegt auch auf der NATO. Nochmals: was wird geschehen, wenn der Russe eines schönen Tages weiterer deutscher Aufrüstung widerspricht? Es wird darüber nicht geschossen werden, weil gar nicht geschossen werden kann. Dann allerdings wird verhandelt werden, nicht von uns und mit uns, sondern von anderen über uns.
    An sich sollten weitere Teufel nicht an die Wand gemalt werden, aber folgende Frage sollte doch angeschnitten werden: Wie wollen wir eine hochmoderne Aufrüstung der Bundesrepublik bezahlen, wie wollen wir dieser überdimensionalen Finanzlasten Herr werden? Da ist zuerst die Bundeswehr mit ihren drei Abteilungen, jede einzelne teurer als die andere. Dann kommt die Territorialarmee, völlig wertlos, ohne hochwertige Ausrüstung und Ausbildung. Dann beginnen erst die ziffernmäßig unübersehbaren Aufwendungen zum persönlichen Schutz der Zivilbevölkerung. Der Wohlstand der Bundesrepublik ist neidischen Blicken zur Schau freigegeben worden, ja noch übertrieben worden. Hoffentlich erleben wir es nicht, wie die Milliarden, deren wir uns rühmen, in einem auch nur leichten Konjunkturrückgang zusammenschmelzen wie Butter an der Sonne. So oder so besteht die Tatsache: d i e Rüstung, ohne die unsere Rüstung keine Rüstung ist und nicht wird, können wir niemals finanziell verkraften.
    Bleiben Ausgaben dieser Art nicht in einer tragbaren Relation zur Wirtschaftskraft, so erfolgt rasch eine Auspowerung. Es folgt noch mehr: die Grundelemente unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung werden über den Haufen geworfen werden. Die wirtschaftliche und soziologische Seite unseres Systems wird dadurch in gefährliche Nähe des kommunistischen Niveaus herabgedrückt werden. Die Sowjetunion spielt mancherlei Karten, die militärische, die ideologische Karte. Immer deutlicher tritt aber hervor, daß durch ein völliges Obsiegen in der wirtschaftlichen Wettbewerbskraft die Sowjetunion in einiger Zeit ohne Krieg, ohne kommunistische Expansion eine erdrückende Vormachtstellung erkämpft haben kann. Deshalb: an die Front der Bundesrepublik gehören Bildung und Wissenschaft. Hierzu gehören die Milliarden, die vielleicht in anderer Hinsicht viel zu unbesehen ausgegeben werden. Wir stieren das Wirtschaftswunder an, wir bemerken aber gar nicht, wie bildungsrückständig wir geworden sind. In der Zentralfrage einer modernen Lehrerbildung kommen wir nicht voran. Warum kommen wir nicht voran? Weil wir vor lauter konfessionalistischen Bäumen den grünen Wald des bitter notwendigen Fortschritts nicht mehr sehen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Das war mal wieder echt! — Abg. Dr. Conring: Großartige Einfälle!!)




    Dr. Maier (Stuttgart)

    — Meine Damen und Herren, man müßte das noch viel deutlicher sagen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Denn in der Tat sind sich über die Form und den Inhalt einer modernen Lehrerbildung alle Parteien in allen Parlamenten, wahrscheinlich auch hier im Deutschen Bundestag, einig; aber vor lauter konfessionalistischen Bremsen kommen wir nicht voran, und es wäre dringend notwendig, daß wir vorankommen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Das ist Außenpolitik!!)

    Die für den Landkrieg und den Atomkrieg für den Ernstfall zu unterstellenden Entwicklungen überschneiden sich. Die USA, Großbritannien usw. waren bis vor einiger Zeit weit vom Schuß. Jetzt sind sie der Gefahrenzone näher und vielleicht auch in ihren unmittelbaren Bereich gerückt. Dagegen ist Deutschland — sei es Landkrieg, sei es Atomkrieg — bei beiden Eventualitäten mittenmang. Ein zukünftiger Krieg ist eine schwer vorstellbare Sache. Der Atomkrieg ist unvorstellbar.
    Der Deutsche Bundestag hat den Pariser Verträgen zugestimmt. Nach den Erklärungen des ganzen Parlaments sind sie bindend. Den Landkrieg mit seinen Konsequenzen müssen wir wegen der Verträge vom Februar 1955 wohl oder übel auf den Buckel nehmen. Wenn dazu der Atomkrieg ausbricht, dann haben wir sein Elend ebenfalls. Ich frage aber: ist es nur entfernt, auch nur ein Stückchen vertragsuntreu, wenn sich die Bundesrepublik über ja oder nein zu militärischen Dispositionen als Auswirkung der in den Vordergrund getretenen atomaren Kriegführung Gedanken macht und Vorbehalte vorbringt? Die Antwort darauf lautet: das ist keine Vertragsuntreue. Das zu prüfen ist die Pflicht und das Recht der Bundesregierung.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Die Bundesregierung zaudert ja selber; sogar die NATO hat gezaudert. Jedenfalls hat die Bundesregierung bei der Pariser Konferenz und nachher den Anschein des Zauderns erweckt.
    Die FDP hat schon in den Jahren ihrer Regierungsbeteiligung eine klare, feste, auch anschauliche Vorstellung über die Staffelung der Streitkräfte auf dem Gebiet, in welchem Ost und West aufeinanderstoßen, erarbeitet. Die FDP hat diese Auffassung gegen alle Widerstände verteidigt, und sie verbleibt bei ihr. Warum? Weil sie dem gesunden Menschenverstand entspricht. Je weiter an dieser Grenze zweier Welten die Streitkräfte voneinander entfernt sind, desto geringer ist die Gefahr, daß aus Kriegsvorbereitungen Krieg wird. In der Kriegsgeschichte haben in vielen Fällen Grenzzwischenfälle den Krieg ausgelöst.
    Das ist aber nicht der Hauptgrund. Werden durch bindende, kontrollierbare und kontrollierte Vereinbarungen die Hauptstreitkräfte in möglichst weiter Entfernung voneinander gehalten, so entstehen entschärfte Zonen jenseits und diesseits.
    Der grundsätzliche Vorzug dieser Auffassung springt so in die Augen, daß dieses Friedenssicherungsbild der FDP oft übernommen worden ist. Mit dieser oder jener Abwandlung ist es auch außerhalb Deutschlands in der Form seriöser Vorschläge von seriösen Sachverständigen und Staatsmännern aufgetaucht. Gerade neuerdings taucht es wieder auf. Wir kopieren aber keine fremden Ideen. Wir jagen keinen ausländischen Plänen nach. Wir bewegen uns auf unserem ureigensten Feld. Mister George Kennan hat diese Tendenzen wiederum sichtbar für jedermann in die öffentliche Meinung der Welt eingeschlagen. Er ist für uns kein Säulenheiliger; wir haben ein eigenes Urteil. Wir möchten aber hier doch darauf hinweisen, daß Mister Kennan in keiner Weise eine Deutschland abträgliche Haltung eingenommen hat. Es ist kein Grund vorhanden, ihn mit Überheblichkeit zu behandeln, wie dies der Herr Bundesaußenminister in Reden außerhalb dieses Hauses getan hat.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Überheblichkeit ist eine deutsche Untugend, der in den Anfängen zu wehren ist. Auch der polnische Außenminister ist für uns keine Autorität, weil wir auf unserem eigenen Urteil aufbauen.
    Dem Geistesgut der FDP in dieser Richtung ist es etwa gegangen wie im Gleichnis vom Sämann: das Geistesgut der FDP ist bei der Bundesregierung oft und sehr hörbar auf das Steinige gefallen.

    (Abg. Erler: Es mußte sich aber erst in der eigenen Partei durchsetzen!)

    — Ich habe ja den Leidensweg dieses Geistesgutes einigermaßen persönlich mitgemacht. Deshalb kann ich auch sachverständig darüber sprechen. Es ist vom Bundesverfassungsschutzamt unter hohen Druck gesetzt worden. Sehr zweifelhafte Nachrichtenhändler sind damals einem edlen Wild auf die Fährte gesetzt worden.

    (Beifall bei FDP und SPD.)

    Dieses Geistesgut drohte zu verwelken und dürre zu werden. Es fiel in die Dornen enragierter Gegner hier in der Mitte des Hauses und sollte erstickt werden. Vieles fiel aber auf gutes Feld. Der Gedanke ist so lebenskräftig, daß er jetzt schon vielfältig Frucht getragen hat. International gedeiht da! Samenkorn auch bei unseren Bundesgenossen mächtig.
    Wir sind überzeugte Gegner dogmatischer Außenpolitik. Wir prüfen das Programm der schrittweise zu entschärfenden Zone in jedem Einzelfall auf seine praktische Anwendbarkeit und Wirksamkeit, auf seine Nützlichkeit oder Schädlichkeit. Im Falle der Freihaltung der Bundesrepublik von Atomwaffen paßt es wie angegossen. Die Atomwaffenfreiheit der Bundesrepublik ist die direkte Konsequenz dieser wohlüberlegten schlüssigen Gedankengänge. Wir fühlen uns in keiner Weise legitimiert, für Gebiete außerhalb der Bundesrepublik auf eine gleichartige Regelung zu plädieren. Für die Bundesrepublik verlangen wir aber die Atomwaffenfreiheit mit allem Nachdruck.



    Dr. Maier (Stuttgart)

    Die Vorgänge auf der Pariser Konferenz sind trotz der Hochflut der Nachrichten und Kommentare eigentlich unschwer zu analysieren. Die Konferenz sollte eine Dokumentation verstärkter militärischer Kraftanstrengung werden. Militärische Überlegungen und rein politische Strömungen innerhalb der NATO-Mächte standen der vollen Erreichung dieses Ziels entgegen.
    Will man dieser hochrepräsentativen, in kritischer Weltstunde zusammengetretenen Konferenz ein positives Ergebnis abgewinnen, so kann dies doch unter verständigen Menschen nur in folgendem liegen. Die NATO verbleibt sachlich bei Zweck und Ziel ihrer Gründung und ihrer bisherigen Entwicklung. Sie gibt ihre Grundsätze und auch den Willen zu deren Ausführung nicht auf. Sie hält aber eine Änderung im Verfahren für nötig; sie hält das Bemühen um die Entspannung für gerade so notwendig wie das Bemühen um die Erhaltung und Steigerung der militärischen Kraft. Sie wollte die zum leitenden Grundsatz der beiden streitenden Weltblöcke gewordene Formel „Fortsetzung der Politik mit den Mitteln des kalten Krieges auch auf die Gefahr des heißen Krieges hin" in die Formel umgewandelt wissen: „Fortsetzung der Politik durch Politik, Fortsetzung der Politik durch die Diplomatie". Wenn diese Wegleitung gegeben wurde, so war es eine glatte Selbstverständlichkeit. Das alte Wort „Si vis pacem, para bellum" ist grundwahr, aber es ist allein nicht wahr. Es wird zum vollkommenen Blödsinn, wenn es abstrakt, ohne Rücksicht auf alle Umstände praktiziert wird. Zum Potential von Macht und Stärke muß die Verhandlungskunst über Bedingungen beiderseitiger Nichtanwendung von Macht und Stärke kommen. Nur so gesehen war diese höchste Konzentration westlicher Macht ein Erfolg.
    Der Herr Bundeskanzler selbst hat sich in Paris zum eifrigen Anwalt der Tendenz „Zwar Rüstung, aber gleichzeitig Versuch der Entspannung" gemacht. Jedenfalls ist während der Konferenz und nach der Rückkehr dieser Eindruck offiziell und offiziös geflissentlich begünstigt worden.
    Das deutsche Publikum hat diese Kunde gern vernommen. Der Herr Bundeskanzler ist zur Weihnachtszeit zwar nicht mit allen Attributen eines Friedensengels heimgekehrt. Man war zufrieden, daß keine hochbrisante Weihnachtsbescherung des deutschen Volkes stattfand. Schon das wurde nämlich als Erleichterung empfunden.
    Die Rundfunkansprache des Herrn Bundeskanzlers vom 15. Januar hat die Dinge wieder zurechtgerückt. Es geschieht nichts, alles bleibt unverändert, nicht nur in der Sache, auch im Verfahren. Die Hoffnung auf „Entdullesionierung" des Herrn Bundeskanzlers hat sich leider nicht erfüllt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, ich bitte mich nicht mißzuverstehen: nicht Desillusionierung, sondern Entdullesionierung.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Der Herr Bundeskanzler wird laufend mit den bedeutendsten Figuren der ganzen Weltgeschichte auf die gleiche Stufe gestellt.

    (Abg. Dr. Mommer: Hört! Hört!)

    Die letzten Tage zwingen einen Vergleich mit Kaiser Karl V. auf,

    (Heiterkeit)

    einer Persönlichkeit, die wohl auf keine Ablehnung stößt.
    Der junge Kaiser ritt einst in Brüssel zum erstenmal aus. Ein Hütlein trug er, funkelnagelneu. Doch der Himmel machte ein mißvergnügtes Gesicht: Regne ich oder regne ich nicht? Als die ersten Tropfen fielen, fürchtete der Kaiser für seine Kopfbedeckung und schickte fort nach einer anderen.
    Und das fiel mir ein, als ich auf der Landstraße im Auto die forschen Worte des Kanzlers hörte: Der Chronist hat damals gesagt:
    Das wird nicht gut, sein erster Ruf geht nach dem alten Hut.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Der Chronist ist allerdings Ulrich von Hutten, was nun viele Leute in diesem Hause ebenfalls nicht freuen wird.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Mit dieser Rundfunkansprache ist das Weihnachtsglück beendigt worden. Die Verhandlungstüre ist knallend zugeschlagen worden. Das war unverfälschtes Urprodukt, das war rhöndorfisches Eigengewächs.

    (Heiterkeit.)

    Der Bundeskanzler hat eben die Notwendigkeit empfunden, sich zu decouvrieren, Schluß zu machen mit diesen Ansichten und seine wankenden Haufen. wieder in Ordnung zu bringen.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Die der Rede eiligst nachgesandten „Türwiederöffner" sind wohl verlorener Aufwand; sie sind deklamatorisch. Konstitutiv ist die öffentliche Rede, die wir alle gehört haben. Auch die dienstbereiten Eideshelfer können nichts ändern. Sie sagen, diese Form der Absage erhöht die Position des Westens, sie macht den Gegner schließlich weich. Ein Staat fern von Europa kann so denken und handeln. Wir stehen, wie wir alle wissen, hart an der Grenze von Gut und Böse, und Millionen von Deutschen sind der vom Kanzler in öffentlicher Rede so angesprochenen Weltmacht ausgeliefert. Das Wiederzusammenkommen aller Deutschen hängt von einem Arrangement mit dieser Weltmacht ab.

    (Abg. Dr. Mommer: Das ist es!)

    Sind wir, d. h. die Bundesrepublik, berufen — wie der Kanzler es tat —, die schärfste Sprache von allen zu sprechen? Wir glauben, daß sich das nicht empfiehlt. Die Flugzeuge mit Atombomben kreisen schon über den Häuptern. Muß man nochmals die



    Dr. Maier (Stuttgart)

    Weltgefahr steigern oder aber beginnen, Ballast abzugeben, hier und dort? Gewiß, die Zahl der Njets und nochmals Njets ist Legion. Das gibt aber nicht das Recht, die Dinge mit diplomatischen Mitteln überhaupt nicht weiterzuführen. Wenn in diesem Bereich einer nein sagt, so sagt er meistens nicht total nein. Durch die Neins schimmern ja auch Jas durch, halbe Ja, viertel Ja. Für die galanten Diplomaten können auch solche bedingten Jas interessant sein. Die Sprache der Diplomaten vollzieht sich doch so: Was würdest du sagen, wenn ich folgendes sagen würde? Die Konjugation, die wir immer hören: Er sagt nein, du sagst nein, ich sage nein, ist vollkommen geist- und phantasielos.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und SPD.)

    Eine Methode dieser Art wäre eine infantile Diplomatie, welche niemand machen will. Wenn das weltbewegende Problem Deutschland-Sowjetunion ernsthaft nach diesem Rezept behandelt werden wollte, so könnten wir das Auswärtige Amt ruhig schließen.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    In der Hauptpartie nämlich, in der Deutschland-Frage war in bald zehn Jahren die deutsche Außenpolitik erfolglos. Das kann, soll und mag überwiegend die Folge höherer Gewalt sein. Es ist aber kein Anlaß zur Untätigkeit und zur Negation.
    Es wäre unsinnig, Besprechungen mit der Sowjetunion damit zu beginnen, daß wir ihr mit dem globalen Wiedervereinigungskomplex ins Gesicht springen. Mit vielen kleinen Problemen kann der Anfang gemacht werden.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Positive Lösungen im kleinen bereiten positive Lösungen in den größeren Bereichen vor. Nichts bringt bisher gegnerische, ja feindliche Menschen wirksamer zusammen als gelingende Arbeit an derselben Sache von den beiden entgegengesetzten Enden her. Das weiß jeder, der seit 1945 dabei war. Auf diese Weise kam man ja auch zum Verständnis und zur Verständigung mit den anfänglich, wie wir ja rückblickend ruhig sagen dürfen, sehr kratzbürstigen Amerikanern. Man kann immer, wenn man will. In x Fällen hat der Bundeskanzler unerwartet eine nicht veränderte Tatsache plötzlich anerkannt, die er früher getadelt, verdammt und verfolgt hat. Am 18. Dezember 1957 hat er im ersten Bulganin-Brief positive Stellen entdeckt. Am 15. Januar 1958 hat er offensichtlich keine mehr gesehen. Laut ist verkündet worden, daß ohne Anhörung des Parlaments keine Entscheidung in der Frage der Atombewaffnung getroffen werde. Seit einigen Tagen hat sich die Bundesregierung in rasch aufeinanderfolgenden Erklärungen dezidierten Inhalts festgelegt. Absichtlich hat sie sich selbst präjudiziert, um dem Parlament zuvorzukommen,

    (Abg. Mellies: Sehr gut!)

    um auch den Zweiflern im eigenen Regierungslager zuvorzukommen.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Das politische Seelenleben hinter der Regierungsmaschinerie liegt nach vielen Jahren offen zutage. Die Methoden sind bekannt. Es wird längst nicht mehr darüber gestritten, ob die Methoden gut oder ungut sind. Die Methode ist bundesrepublikanisches Faktum geworden, sie ist da. Warum debattieren wir eigentlich noch? Das Parlament darf sich nur post festum äußern, und die einzige würdige Reaktion des in dieser ostentativen Weise übergangenen Parlaments, des Deutschen Bundestages, ist, daß eine Abordnung seiner Mitglieder nach Moskau reist, dort selbst sieht, hört und spricht.

    (Beifall bei der FDP.)

    Zum Schluß, meine Damen und Herren, eine ernste Warnung.


Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
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    Rede von Dr. Reinhold Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Bitte!