Rede:
ID0300903000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 13
    1. Die: 1
    2. unterbrochene: 1
    3. Sitzung: 1
    4. ist: 1
    5. wieder: 1
    6. aufgenommen.Das: 1
    7. Wort: 1
    8. hat: 1
    9. der: 1
    10. Herr: 1
    11. Abgeordnete: 1
    12. Dr.: 1
    13. Maier: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung. Das Haus tritt um 15 Uhr wieder zusammen.

    (Unterbrechung der Sitzung von 13.29 Uhr bis 15.00 Uhr.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Die unterbrochene Sitzung ist wieder aufgenommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Maier (Stuttgart).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Reinhold Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Ich habe zunächst einiges aus der heutigen Vormittagssitzung aufzuräumen.

    (Lachen in der Mitte.)

    Es ist sehr die Frage gewesen, ob die vorangegangenen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers, des Herrn Bundesaußenministers in der Öffentlichkeit vor dieser Debatte, die Absendung der Antwortnote parlamentarisch korrekte Handlungen gewesen seien. Ich glaube, daß es nicht nötig ist, über diese Dinge sehr viel zu sagen. Es ist aber vielleicht zweckmäßig, ein neutrales Urteil zu dieser Frage vorzulesen, das heute früh in der Stuttgarter Zeitung stand. Mit Zustimmung des Herrn Präsidenten lese ich nur vier Zeilen aus dem von Herrn Helmut Lindemann verfaßten Leitartikel der Stuttgarter Zeitung vom 23. Januar vor. Da wird gesagt:
    Die heute stattfindende außenpolitische Debatte hätte ein wichtiges Ereignis im Leben des westdeutschen Parlamentes werden können, wenn nicht die Regierung ihr möglichstes getan hätte, diese Debatte abzuwerten.

    (Zuruf von der Mitte: Das ist kein Evangelium!)

    Was brauchen wir ein weiteres Zeugnis!

    (Lachen in der Mitte.)

    Nun ist leider der Herr Außenminister nicht vorhanden.

    (Zuruf von der Mitte: Er naht!) — Meinen Gruß zuvor!


    (Heiterkeit.)

    Der Herr Bundesaußenminister hat am heutigen Vormittag meinem sehr verehrten Parteifreund Herrn Dr. M e n d e gegenüber mit einem Zitat aus dem Jahre 1952 aufgewartet. Es liegt eine ganze Sammlung von Zitaten des Herrn Bundesaußenministers Dr. von Brentano, z. B. aus den deutsch-englischen Gesprächen im Jahre 1952, vor. Ich werde diese Ausführungen des Herrn Dr. von Brentano später auf dem Büro niederlegen. Er wird erstaunt sein, welche Äußerungen er früher zur Neutralität und ähnlichen Dingen gemacht hat.
    Aber ich möchte nicht in seinen Fehler verfallen. Es ist ein alter Trick — ich kann mich nicht anders ausdrücken —, gewisse Worte aus dem Zusammenhang zu reißen und sie dann in einem ganz anderen Zusammenhang wiederzugeben. Das ist eine sehr beliebte, eine sehr fragwürdige und wenig noble Methode, die von einem Vertreter der Bundesregierung heute in dieser Debatte anscheinend übernommen worden ist. Es wird bei dieser Gele-



    Dr. Maier (Stuttgart)

    genheit auch sehr oft oberflächlich zitiert. Die Worte, die vom Herrn Bundesaußenminister als Äußerungen von Herrn Dr. Mende hervorgeholt worden sind, stehen in einem vollkommen anderen Zusammenhang. Sie sind in der 222. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 10. Juli 1952 gemacht worden und stehen in den Stenographischen Berichten auf Seite 9885 B. Herr Dr. Mende hat damals diese Äußerung in einer ausgesprochen militärtechnischen Debatte getan. Es handelte sich darum, ob in der EVG für die deutsche Seite die Selbständigkeit auf der Ebene der Division oder, wie er wollte, auf der Ebene des Armeekorps endigen sollte. Er hat damals ausgeführt: „Das Geheimnis militärischer Erfolge liegt in dem reibungslosen Zusammenarbeiten der verbundenen Waffen zu Lande, zu Wasser und in der Luft und in der personellen und materiellen Schwerpunktbildung." Er hat dann darauf hingewiesen, daß im modernen Krieg, der binnen 24 Stunden völlig neue Situationen schaffen kann und ebenso schnelle Entschlüsse zur Folge haben muß, das Problem der Befehlssprache und Nachrichtenübermittlung sehr wichtig ist. In diesem Zusammenhang hat er nun die Worte gebraucht, die ihm der Herr Bundesaußenminister heute vorgehalten hat. Er hat folgendes gesagt: Man soll deswegen diese und vielleicht auch andere sich ergebende Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Lösung der Entwicklung überlassen und auf die Einsicht der militärischen Organe, jener militärischen Organe, die in ihrer Zusammenarbeit oft den Politikern voraus sind, vertrauen.
    Damals sind also rein militärische Fragen erörtert worden. Die rein militärischen Fragen sollten nach der Ansicht von Herrn Dr. Mende den Militärs, die militärpolitischen Fragen, also die militärischen Fragen, die anfangen, zu politischen Fragen zu werden, und die rein politischen Fragen den Politikern überlassen werden.
    Der Herr Bundesaußenminister hat sich dann mit seinen Bemerkungen über FDP und Drittes Reich auf ein sehr heikles Gebiet begeben.

    (Sehr richtig! bei der FDP. — Zurufe von der Mitte.)

    Ich spreche nicht von der CDU, ich spreche nicht von der CSU, ich spreche davon, daß ein Mitglied der Bundesregierung solche Bemerkungen gemacht hat. Einige aktive Bundesminister waren Parteigenossen.

    (Hört! Hört! bei der FDP.)

    Einer von ihnen war aktiv und hatte einen hohen Rang in der SA. Und es ist leider auch eine Tatsache, auf die sehr oft hingewiesen worden ist, aus der aber keine Konsequenz gezogen wird, daß der Staatssekretär des höchsten Amts Kommentator der Rassengesetze war.

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Lachen und Zurufe in der Mitte.)

    Ich habe lediglich das eine gesagt: der Herr Bundesaußenminister hat sich auf ein sehr heikles Gebiet begeben.

    (Erneute Zurufe von der Mitte.)

    — Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die zwölf Millionen eingeschriebenen Mitglieder der NSDAP FDP gewählt hätten, wären wir gerade so groß wie die CDU/CSU.

    (Beifall und Heiterkeit bei der FDP und SPD. — Lachen und Zurufe von der Mitte.)

    Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, Vorsicht, Vorsicht, die Kiste enthält Porzellan und Glas!

    (Zuruf von der Mitte: Wollen Sie nicht über Niedersachsen sprechen?)

    — Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich der CDU gegenübergestellt werde oder wenn mich die CDU kritisieren will: dann bin ich der Linksdemokrat und der Linksliberale, und ich habe das Nötige veranlaßt, daß wir in diesen Fragen absolut vorsichtig sind

    (Aha-Rufe und Händeklatschen in der Mitte)

    und daß wir diesen Dingen jede Aufmerksamkeit schenken.

    (Lachen und Zurufe von der Mitte.)

    Und ich würde Ihnen raten, meine sehr verehrten Herren von der CDU, dieselbe Vorsicht walten zu lassen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Haben wir früher schon!)

    Nun möchte ich Ihnen namens der Bundestagsfraktion der FDP die Ansicht der Fraktion zu den gegebenen aktuellen Fragen mitteilen. Es wird mir niemand widersprechen, wenn ich sage, daß über einem ganzen Dutzend internationaler Streitfragen heute jeden Tag die Welt in die Luft gehen kann. Daneben besteht eine Unzahl von Konflikten. Jeder einzelne kann sich jeden Tag zur gefahrvollen Unruhe über einen Erdteil oder über ganze Erdteile hinweg entwickeln. Im innersten Mittelpunkt der unheilgeladenen Gegensätze unserer Zeit, ja sogar der offenen Feindschaft unter den Weltvölkern, steht das Verhältnis Deutschland—Sowjetunion. Es hat sich weit unter den Nullpunkt entwickelt. Die Schuldfrage — daran schuldig, daran unschuldig, daran mitschuldig — ist keineswegs unwichtig, und sie steht auch zur Debatte. Sie ist aber kein Mittel zur Lösung, auch sogar kein Mittel zur Besserung. Fest steht, mit dem Verhältnis Deutschland—Sowjetunion steht der Weltfriede oder fällt der Weltfriede.
    Dieser Komplex durch und durchdringender Kausalität trägt eine tragische Komplikation in sich. Er ist weder von der Sowjetunion noch von Deutschland allein noch von beiden miteinander allein aufzulösen. Jedenfalls ist das Deutschland allein nicht möglich. Und würden Deutschland und die Sowjetunion, wozu die Voraussetzungen fehlen, sich heute einigen, so wurde es massive Proteste aus allen Himmelsgegenden wegen Verletzung vitaler Interessen anderer sozusagen hageln. Die Sowjetunion hat sich festgehakt, die Bundesrepublik hat sich festgehakt, die Bundesrepublik ist außerdem festgehakt worden, und die Weltpolitik hat sich mit allen ihren Gewichten daraufgelegt und sich darein festgekrallt. Gewiß, die Sowjetunion verfügt über



    Dr. Maier (Stuttgart)

    eine völlige Unabhängigkeit. Es wäre ihr unbenommen, in der Deutschlandfrage eine edelmütige Geste und eine großzügige Konzession zu machen. Mit einem Federstrich vermöchte sie das entstellte und verzerrte Bild dieser Welt zu ändern. Aber: „Das ist die Zeit der Könige nicht mehr", läßt Hölderlin den sterbenden Empedokles sagen. Es ist eine Zeit voll grobschlächtiger Rücksichtslosigkeit und Eigennutz, oder mit anderen Worten: einen diplomatischen Garten Eden gibt es nicht und hat es wohl auch nie gegeben.
    Die unbestreitbare Realität der Verquickung des deutsch-russischen Verhältnisses in die höchste Region erbitterter Welthändel entbindet beide Teile nicht, auf Wege und Mittel der Milderung und Besserung und schließlich der Beseitigung dieses schlimmen Zustandes sich zu besinnen. Insbesondere muß die Bundesrepublik trotz der Schlingen, die über sie geworfen sind, sich nun bemühen, jede Aktivität zu entfalten. Die Bundesrepublik muß mit Macht aus der gegenwärtigen Situation herauswollen, weil sie nämlich die negativen Seiten am allermeisten spürt. Die Bundesrepublik hat sich allzusehr und allzufrüh mit den schimmernden Gewändern eines perfekten Staates umkleidet.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sie ist aber kein perfekter Staat, sie ist nur ein Teilstaat. Die Haupterfordernisse eines Staates nach den gültigen Regeln des deutschen Staatsrechts sind ein Staatsgebiet und ein Staatsvolk. Beides haben wir nicht und sind wir nicht. Vollends fehlt uns das dritte Erfordernis: eine einzige Staatsmacht über dem ungeteilten Staatsgebiet und über dem ungeteilten Staatsvolk. Es war sehr unklug, der Bundesrepublik das Ansehen und das Aussehen eines vollkommen fertigen Staates zu geben. Das gab der Fiktion einer Staatlichkeit der Sowjetzone eine willkommene, aber vermeidbare Stütze.
    Es gibt keine zwei deutschen Staaten, weder faktisch noch rechtlich. Bonn ist handlungsfähig als faktischer politischer Mittelpunkt von 50 Millionen Deutschen, welche sich vorläufige demokratische Organe geschaffen haben.

    (Abg. Dr. Mende: Sehr richtig!)

    Pankow ist nicht allein wegen seines rein autoritären Aufbaus kein Verhandlungspartner. Es wäre nur eine seiner Besatzungsmacht hörige, allein ihr gehorchende Zwischenstation. Es hätte nur die Aufgabe, die sowjetrussische Politik in die deutsche Sprache zu übersetzen. Die nicht ausbleibende Wirkung wäre zudem, daß Deutsche mit Deutschen über eine lange Zeit über ihre Lebensfragen heftig streiten würden. Die ganze Welt würde von einem solchen Schauspiel angewidert und das deutsche Ansehen gewaltig geschädigt.
    Gegenwärtige Situationen sind Ausfluß früherer Situationen. Schlecht ist die Situation in der aktuellen Gegenwart nicht deshalb, weil sie schlechthin, weil sie zwangsläufig schlecht sein müßte. Das deutsch-russische Verhältnis war selbst zu Zeiten der in beiden Ländern heute lebenden Generation korrekt. Es war weit mehr positiv als negtiv. In
    den letzten hundert Jahren war es, wenn man von den letzten zwanzig Jahren absieht, im zeitlichen Durchschnitt eher gut. Diese Feststellung gilt vor allem für das 19. Jahrhundert. Die entscheidende Zäsur wurde mit der Nichterneuerung des deutschrussischen Rückversicherungsvertrages 1890 vorgenommen, unmittelbar nach Bismarcks Sturz, einer Aktion intriganter deutscher Diplomaten. Es ist wohl eine historische Wahrheit, daß dieser Vorgang in allerdings langsamer Auswirkung dem europäischen Frieden das Genick gebrochen hat. Es dauerte trotzdem noch ein Vierteljahrhundert. Diesen Zeitraum erforderte es, bis die Nagetiere im Innern dieser Staaten und von außen her die Hohlräume geschaffen hatten, um den Einsturz herbeizuführen.
    Die Deutschen und die Russen begegneten sich auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs. Beide verloren den Krieg, beide die überlieferte Staatsform. Die Russen verkämpften sich für ihren in blutiger Revolution erstrittenen Kommunismus und blieben dabei. Die Deutschen wehrten sich gegen denselben Kommunismus, und sie blieben seiner Herr. Zwei Staatswesen, die Weimarer Republik und das eben bolschewistisch gewordene Rußland, kamen relativ recht gut aus. Sie waren nämlich beide schwach. Sie fanden sich in Rapallo. Nicht in gleicher Ohnmacht wie 1945, aber in Ohnmacht fand Deutschland damals eine Stütze vom Osten her durch ein diametral entgegengesetztes System.
    Deutschland verblieb aber nicht dabei. Es fand zum Westen durch Locarno. Es fand damit zum Westen nicht etwa gegen den Osten. Locarno führte schließlich zur Symbiose beider Bindungen. Es war die für Europa adäquate, natürliche Lösung. Sie gab Deutschland eine Position, ohne die es selbst nicht leben kann, ohne die aber auch Europa nicht leben kann.
    Wir wollen heute, wo zuerst die Bindung zum Westen erfolgt ist, nicht vom Westen weg schnurstracks in die Arme des Ostens. Rapallo-Hintergedanken liegen uns durchaus fern. Der einzige zukunftsträchtige Plan ist und bleibt NATO plus europäischer Sicherheitspakt. Es sieht so aus, als ob die internationale Diplomatie noch dorthin und dahin stolpern werde. Landen wird sie unfehlbar in dieser Kombination. Hoffen wir, daß sich in der Zwischenzeit das alte Wort bewährt: Ein guter Stolperer fällt nicht. Auf plumpe Erfahrungssätze müssen wir vertrauen anstatt auf den klaren Verstand und den festen Willen der Staatsmänner einschließlich unserer eigenen.
    Selbst als Stalin erstarkte und Hitler kam, ging es zwischen Deutschland und Rußland zunächst ohne Eklat. Hitler schlug der Reihe nach mitteleuropäische Mächte auf den Kopf, die westeuropäischen Mächte schlug er vor den Kopf. Er flüchtete von einer Aktion und vor ihren Folgen in die andere und deren Folgen. Die Sowjetunion trat auf der Stelle, auch Hitler trat ihr gegenüber auf der Stelle. Hitler versuchte es zunächst mit Polen gegen die Russen, was aber mißlang. Das Wasser stieg ihm an die Kehle. Es kam der 23. August 1939: Nichtangriffspakt mit Rußland. Am 1. September



    Dr. Maier (Stuttgart)