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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sie fragen, ob ich irgendeine Lösung sehe, — —


Rede von Fritz Erler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sie selber sagten eben eindeutig, Lösungen, die also von der Sowjetunion angenommen werden sollten, könnten diesen Vorgang der Befreiung von der kommunistischen Herrschaft nicht zur Konsequenz haben. Sehen Sie irgendeine Lösung unter diesen Umständen, die je von der Sowjetunion angenommen werden kann? Oder meinen Sie, es müßten Lösungen aufgezwungen werden?

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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nicht, daß wir der Sowjetunion Lösungen aufzwingen; das ist eine Simplifizierung, die man zurückweisen muß.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Aber wir wissen, daß in den großen Machtauseinandersetzungen der Welt so große Zugeständnisse, wie wir sie von der Sowjetunion erwarten, z. B. in der Frage der deutschen Wiedervereinigung, nicht gemacht werden, ohne daß die Umstände einen Druck auf die Sowjetunion ausüben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Erler: Viel Glück!)

    Auch Sie glauben doch nicht, daß die Sowjetunion um unserer schönen blauen Augen willen ein so großes Zugeständnis machen wird.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Oder aber die Sowjetunion ist überzeugt, daß die Entwicklung, wie sie von einigen westlichen Plänemachern erhofft wird, eintreten würde. Dann dürfen Sie überzeugt sein, daß die Sowjetunion es mit Geschick — mit gewohntem Geschick — verstehen wird, zwar vielleicht über solche Pläne zu diskutieren, aber sie niemals zu realisieren, und daß sie in der Zwischenzeit versuchen wird, den Westen daran zu hindern, seine Solidarität zu stärken.
    Wir können nicht anders, als alle diese Pläne einer nüchternen Betrachtung zu unterziehen. Das ist die Pflicht des Politikers. Es liegt in unserer Lage nahe, aufgeregt, hektisch zu werden und zu sagen: „Wir müssen doch endlich irgend etwas tun!" Die Frage ist: Was können wir im Augenblick tun? Lassen Sie mich ein paar kurze Sätze dazu sagen. Wieder lassen Sie mich bitte Herrn Kennan zitieren, deswegen, weil er ja parallel liegt zu vielen Ihrer
    Vorstellungen. Was sagt Herr Kennan? Ich verstehe diesen Widerspruch nicht. Er sagt an einer wichtigen Stelle seiner Vorträge, das Hauptinteresse der Sowjetunion richte sich auf die non-committed nations, auf die weiten Gebiete Asiens und Afrikas, und es sei anzunehmen, daß die Sowjetunion sich in Europa auf keine Lösung einlassen werde, bis sie wisse, ob die Entwicklung in jenen Gebieten ihren Absichten gemäß verlaufe. — Ich stimme Herrn Kennan zu. Ich habe immer die Auffassung vertreten, daß die aktivste Aufmerksamkeit der Sowjetunion zur Zeit auf jene Gebiete gerichtet ist und daß sie, gerade um sich dort mit Erfolg durchzusetzen, in Europa den Status quo in ihrem Sinne befestigen will. Wenn es so ist, daß die Sowjetunion sich zur Zeit auf keine Lösung in Europa einlassen wird, warum wird dann jetzt für Europa diese Politik des Disengagement vorgeschlagen? Ich muß gestehen, ich habe für eine solche Gedankenführung kein Verständnis.
    Was also tun?

    (Zuruf: „Abwarten!")

    — Es wird mir zugerufen: „Abwarten!" Ich weiß, daß dieser Einwurf immer kommt, obwohl eine Politik des Abwartens durchaus nicht immer falsch ist. Die Cunctatoren der Geschichte waren nicht immer die schlechtesten Generäle und nicht immer die schlechtesten Politiker.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber ich glaube nicht, daß wir uns völlig auf die Rolle des Abwartens beschränken müßten. Wir sind der Meinung, daß verhandelt werden soll. Das ist ja auch in dem Antwortschreiben des Herrn Bundeskanzlers klar gesagt worden. Die Frage ist nur, wie und worüber verhandelt werden soll. Wie, darüber sind wir uns ja einig: nur in einer gut vorbereiteten Konferenz. „Gut vorbereitet" bedeutet aber ein Doppeltes: Erstens, daß der Westen versuchen muß, seine Politik abzustimmen. Es wäre ungeheuer gefährlich, wenn man in eine Konferenz mit der Sowjetunion hineinginge und dann jeder einzelne der westlichen Staaten seine eigene politische Konzeption verträte. Daß wir im Westen keineswegs im reinen sind über unser Bild der politischen Beziehungen zwischen Westen und Osten, — das brauche ich nicht besonders zu betonen. Die zweite notwendige Vorbereitung ist die, daß wir mit der Sowjetunion vor der Konferenz nüchtern, handwerklich, solide sprechen.
    Aber worüber? Nun, etwa so, wie es der Bundeskanzler in seinem Antwortschreiben getan hat. Die Vorschläge, die Sie, meine Herren, machen, bedeuten vor allen Dingen die Zementierung des Status quo, und das können wir nicht annehmen. Wir erwarten von den Sowjets nicht, daß sie in der Frage der deutschen Wiedervereinigung sofort kapitulieren. Wir machen das nicht zur unbedingten Voraussetzung jeder Verhandlung. Aber ebenso warne ich vor dem auch durch Herrn Ollenhauer und durch Professor Carlo Schmid in Straßburg zum Ausdruck gebrachten Gedanken, daß in der gegenwärtigen Situation gar nichts anderes übrigbleibe, als das Problem der deutschen Wiedervereinigung



    Kiesinger
    auszuklammern und eine Art politischen Waffenstillstands auf der Grundlage des Status quo abzuschließen

    (Hört! Hört! in der Mitte)

    in der Hoffnung, daß es später einmal gelingen werde, dieses Problem zu lösen.
    Die Haltung unserer Regierung in der Abrüstungsfrage war und ist, glaube ich, weise. Sie hat darauf bestanden, daß die beiden Probleme der Abrüstung und der Wiedervereinigung in einem bestimmten Stadium der Verhandlungen miteinander verbunden werden sollten. Aber sie hat nicht darauf bestanden, daß das von Anfang an geschieht. Sie hat gesagt: Wir wollen sehen, ob sich nicht in der Abrüstungsfrage gewisse konkrete .Anfangserfolge erreichen lassen, die dann die Voraussetzungen dafür schaffen, daß das politische und das militärische Problem miteinander behandelt werden können.
    Wir haben jüngst in der Beratenden Versammlung des Europarats, wo Vertreter aus 15 europäischen Staaten ihre Meinung sagten, diesen selben Problemkreis, über den wir heute sprechen, diskutiert. Was ist dabei herausgekommen? Es sind u. a. der militärische und der politische Aspekt solcher Entspannungspläne besprochen worden. Mit allem Ernst wurde darauf hingewiesen, daß das Ziel der Sowjetunion eine allmähliche Zurückdrängung der Amerikaner vom Kontinent ist. Wie aber, wenn dieses Ziel erreicht würde? Wäre das eine Entspannung? Wäre dann Westeuropa wirklich militärisch uninteressant? Ich fürchte, das Gegenteil würde der Fall sein. Es würde ein militärisch und politisch unerhört interessantes Gebiet vor allen Dingen für die Sowjetunion werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es wird oft sorgenvoll darüber geredet, was wohl geschähe, wenn einmal in Westeuropa etwas Ähnliches passierte wie in Ungarn, wenn vielleicht einmal Führer der Sowjetunion versuchen sollten, einen Vorstoß nach Westeuropa zu machen — und diesen Vorstoß kann man sich auf alle mögliche Weise ausmalen —, ob dann wohl die „deterrent power" wirken würde, ob dann wohl die Amerikaner bereit sein würden, das gewaltige Risiko eines atomaren Krieges einzugehen. Diese sorgenvolle Frage ist angesichts der ungarischen Ereignisse nur zu berechtigt. Aber dann ist es doch unser wichtigstes Anliegen, dafür zu sorgen, daß, wenn immer in Sowjetrußland einmal dieser Gedanke entstehen könnte — wie gesagt, ich klage niemanden an —, dann in demselben Kopf aber auch die Überzeugung lebt, daß der amerikanische Gegenschlag mit Sicherheit erfolgen würde. Und wie erreichen wir das? Dadurch, daß wir die Amerikaner aus Europa hinausdrängen? Meine Damen und Herren, es gibt eine verläßliche Garantie einer entsprechenden amerikanischen Reaktion für einen solchen Fall, und das ist die Anwesenheit amerikanischer Truppen in den bedrohten Gebieten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    In Ungarn gab es keine solchen Truppen.
    Es wird nun verlangt, daß sich die amerikanischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik zurückziehen, ja vielleicht sogar aus den Gebieten der westeuropäischen Staaten. Sicher, einmal muß das kommen. Ich habe selber von dieser Stelle aus gesagt, die NATO sei für uns kein Dogma. Ich habe es ernst gemeint, wiederhole es und meine es ebenso ernst. Wir haben die NATO immer nur als einen Notbehelf betrachtet angesichts der Situation, in die Europa durch die sowjetrussische Politik nach dem Ende des zweiten Weltkrieges geraten ist. Wenn die dadurch geschaffenen Voraussetzungen durch eine entsprechende Politik der Sowjetunion im Zusammenwirken mit dem Westen einmal wegfallen sollten, dann wäre in der Tat die NATO überflüssig geworden.
    Bei der NATO handelt es sich um ein ganz anderes Problem als bei der europäischen Integration. In Europa wollen wir dauernde Integration bis zu dem Tag, an dem man von den Vereinigten Staaten von Europa sprechen kann, unabhängig von der militärpolitischen Situation. Im weiten Bereich der Familie der NATO-Völker wollen wir gemeinsame Verteidigung, Schutz unserer Freiheit und gar nichts weiter, und das nur so lange, als die Verhältnisse uns dazu nötigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube, das ist eine sehr konkrete Zweckbestimmung, die wir der Sowjetunion immer wieder deutlich machen müssen.
    Nein, Ihre Politik scheint uns, so wie die Situation liegt, nicht möglich zu sein. Wir müssen einen anderen Weg gehen, und dieser andere Weg bedeutet das, was die NATO-Konferenz erstrebt hat: erstens Solidarität der westlichen Welt angesichts der sowjetrussischen Wirklichkeit, nicht nur militärische Solidarität, sondern auch, solange diese Siutation in der gesamten westlichen Welt besteht, politische Solidarität — das große Anliegen des Bundeskanzlers auf der letzten NATO-Konferenz —, und zweitens die deutliche Bereitschaft der westlichen Welt — und ich sage das nicht als eine Floskel, als eine Phrase—, über jeden vernünftigen und annehmbaren Vorschlag zur Lösung der Probleme, und sei es auch eine Lösung in Stufen, zu verhandeln.
    Wie Sie wissen, hat Herr Bulganin in seinem Brief Punkte für die Tagesordnung ausgesucht, die für die westliche Welt unannehmbar sind, weil sie die Verewigung des Status quo bedeuten würden. Er hat aber gesagt, es könnten unter Umständen auf einer Konferenz auch andere Punkte besprochen werden, man müßte sich dann eben darüber verständigen, daß sie auf die Tagesordnung gesetzt werden, und man müßte sich über ihre Reihenfolge einigen. Wenn nun die westliche Welt ihre Vorbereitungen trifft, sollte sie an diese Bemerkung in dem Brief Marschall Bulganins anknüpfen und sollte ihrerseits Vorschläge für die Tagesordnung machen.
    Herr Ollenhauer, es ist nicht wahr, daß die westliche Welt noch nie konkrete Vorschläge gemacht hat. Sie haben doch die Abrüstungsverhandlungen verfolgt. Sie mögen vielleicht die Abrüstungsvor-



    Kiesinger
    schläge des Westens kritisieren und sagen, der Westen habe von der Sowjetunion zuviel verlangt. Sie müssen auf der anderen Seite sicher zugestehen, daß die Sowjetunion vom Westen viel, viel mehr verlangt hat. Ich war sehr froh, als Professor Carlo Schmid in Straßburg sagte, bisher sei die Abrüstung am sowjetischen Njet gescheitert. Das ist wahr. Der Westen hat bei den Londoner Verhandlungen Zugeständnisse gemacht, er ist Sowjetrußland entgegengekommen, und trotzdem hat Sowjetrußland in Bausch und Bogen abgelehnt.
    Ich will nicht — und ich kann es auch nicht — von dieser Stelle aus sagen, daß der Westen dabei hundertprozentig im Recht gewesen sei. Dazu bedürfte es von meiner Seite eines viel gründlicheren Studiums des Problems, eines Studiums, das die westlichen Mächte in den kommenden Monaten werden unternehmen müssen. Aber ist es denn nichts, Herr Kollege Ollenhauer, ist es denn einfach eine Schauprozedur der westlichen Welt, wenn die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit nicht nur eine erweiterte Abrüstungskommission eingesetzt hat, in der auch Polen und die Tschechoslowakei vertreten sind, sondern wenn sie sich auch mit der überwältigenden Mehrheit die Londoner Vorschläge der westlichen Mächte über eine kontrollierte Abrüstung zu eigen gemacht hat? Das ist doch nicht einfach ein Versuch, sich hinter Formulierungen zu verstecken, weil man etwa eine wirkliche Abrüstung nicht will. Welcher verantwortliche Staatsmann des Westens könnte es
    wagen, die Abrüstung nicht zu wollen in dieser Zeit, in der die ganze Menschheit unter diesem Alpdruck stöhnt? Aber er muß eine wirkliche Abrüstung wollen, .d. h. eine kontrollierte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn die Sowjetunion die sofortige Einstellung der Versuche mit Atomwaffen vorschiebt — wie froh wären wir, wenn diese Einstellung tatsächlich erfolgte —, dann muß ihr der Westen immer wieder entgegenhalten: das Entscheidende bei der Abrüstung ist nicht die Einstellung der Versuche, sondern die Einstellung der fortgesetzten Erzeugung von nuklearem Material und atomaren Waffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Vielleicht wird man einen Kompromiß finden müssen. Das Gebiet ist außerordentlich schwierig. Ich sehe noch nicht, wie es gelingen könnte, einen gemeinsamen Weg zu finden.
    Zum Schluß noch wenige Worte zum Problem der Wiedervereinigung. Sie haben an das Jahr 1952 erinnert. Ich weiß, es gibt schon eine Legende — die insbesondere Herr Paul Sethe erzeugt hat —, wonach im Jahre 1952 eine Chance für eine deutsche Wiedervereinigung in Freiheit verpaßt worden sei. Ich weiß, daß es fruchtlos ist, so nahe den geschichtlichen Vorgängen einen Streit zu führen. Ich kann nur sagen, daß jeder, der das behauptet, bis heute den Beweis schuldig geblieben ist.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich habe schon erwähnt, daß ich in der Weihnachtspause das Buch des interessanten einsamen Gefangenen, „Die herrschende Klasse" von Herrn Djilas, gelesen habe, ein sehr ernst zu nehmendes Buch, das ohne jedes Ressentiment, ohne Haß versucht, die kommunistische Wirklichkeit zu schildern, das nicht, wie Herr Trotzky es tat, die Herrscher im Kreml anklagt, sie hätten den Kommunismus falsch realisiert, sondern das sagt: So ist der Kommunismus, so muß er sein. Das sagt eine der führenden Gestalten des Weltkommunismus. Heute bekennt er, daß er etwa Sozialdemokrat sei. Djilas sagt in diesem Buch, er erinnere sich an gewisse Aussprüche von Stalin aus dem Jahre 1948. Zwei Aussprüche ruft er in die Erinnerung, die Stalin damals zu den Jugoslawen getan habe, erstens: „In einem modernen Krieg wie diesem wird der Sieger dem Besiegten sein politisches System aufzwingen", zweitens: „Die Westmächte werden aus Westdeutschland eines ihrer eigenen Länder machen, und wir werden aus Ostdeutschland eines der unseren machen. Das ist unvermeidlich."
    Ich weiß, daß Politiker später mitunter anders handeln, als sie gesagt haben. Aber gerade bei Stalin und den sowjetrussischen Politikern dürfen wir eine durchgehende Konsequenz des politischen Denkens und Handelns annehmen. Bilden wir keine Geschichtslegenden, sondern sehen wir die Entwicklung mit aller Nüchternheit. Denn wenn wir das nicht sehen, wenn wir gar — nicht Sie — wie manche kleinen Schlauberger dieses gewaltige Problem lösen wollten — mit Patent- und Kurpfuscherrezeptchen, die jeden Tag am laufenden Band fabriziert werden —, dann wird das Spiel mit der Zeit lebensgefährlich.
    Ich will ein Wort zu Polen sagen. Wenn Herr Rapacki seinen Vorschlag in der Sorge um das zukünftige deutsch-polnische Verhältnis gemacht hat, dann will ich nicht über seinen Plan gesprochen haben, ohne von dieser Stelle aus dem polnischen Volk und auch seiner gegenwärtigen Regierung zu versichern, daß auch uns an der Herstellung des Verhältnisses guter Nachbarschaft zwischen dem deutschen Volk und dem polnischen Volk liegt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf das polnische Volk und Herrn Rapacki darauf aufmerksam machen, daß die Bundesregierung einen entscheidenden Schritt, ja vielleicht den entscheidenden Schritt im Aufbau dieses Verhältnisses schon getan hat, daß sie sich nämlich trotz der Aufrechterhaltung der deutschen Ansprüche auf die deutschen Ostgebiete verpflichtet hat, auf Gewalt zur Wiedergewinnung dieser Gebiete zu verzichten. Ich glaube, daß man drüben in Polen verstehen sollte, was das bedeutet.
    Gewiß, es gab Politiker, die ebenfalls Gewaltverzichte ausgesprochen haben und die diesen Verzicht dann nicht eingehalten haben. Ich frage: Besteht der geringste Grund für das polnische Volk, gerade dieser Regierung und dieser Christlich-Demokratischen Partei zu unterstellen, sie nehme dieses Versprechen nicht ernst und sie habe gar im geheimen vor, es zu brechen?



    Kiesinger
    Wir können unseren Anspruch nicht aufgeben. Wir können Herrn Rapacki nicht den Gefallen tun, zu sagen: Ja, diese Gebiete sind polnisch. — Sie sind es nicht; sie waren es nicht. Sie sind es auch formalrechtlich, wie die Polen genau wissen, nicht. Ich denke hier nicht daran, einen billigen nationalistischen Appell zu erheben. Als ich einmal in Straßburg auch vor Vertretern der polnischen Emigration über dieses Problem sprach, sagte ich ihnen noch ein Weiteres: In der Bundesrepublik leben über 10 Millionen heimatflüchtiger und vertriebener Menschen. Was hätte man erwarten müssen, wenn es nach den alten Vorstellungen gegangen wäre? Man hätte erwarten müssen, daß sich dieses gute Fünftel der Bevölkerung der Bundesrepublik — fern der Heimat, mit dem nagenden Schmerz des aus der Heimat Vertriebenen -- einem wilden Nationalismus zuwenden würde und daß dadurch unser ganzes politisches Leben in der Bundesrepublik vergiftet worden wäre.
    Meine Damen und Herren, diejenigen, die versucht haben, die Millionen Vertriebenen in dieser Weise anzusprechen, haben vom deutschen Volk bei der letzten Wahl das Verdikt bekommen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es muß einmal ausgesprochen werden, daß den Vertriebenen und Heimatflüchtigen dafür Ehre und Dank gebührt, daß sie ihr schweres Schicksal getragen haben, ohne einem fanatischen Nationalismus zu verfallen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe nicht behauptet — das will ich gleich sagen, um Verletzungen vorzubeugen, die vielleicht durch meine Worte entstehen könnten —, daß alle Mitglieder der hier nicht mehr vertretenen Parteien so gehandelt hätten.

    (Zurufe rechts.)

    Jeder hier kennt ja die Mitglieder

    (Zuruf von der FDP: Auf der Regierungsbank sitzen sie auch!)

    dieser Partei, und manche von ihnen waren uns hochgeschätzte und liebe Kollegen,

    (Zurufe — Lachen bei der SPD)

    die dieselben Ziele verfolgten wie wir. Aber es gab und gibt auch andere, und wir sollten alle zusammen, das ganze Haus, darüber froh sein, daß sie keinen Erfolg gehabt haben.
    Polen ist unser Nachbar, nicht die Sowjetunion, und das wird für die Zukunft vielleicht einmal wichtig sein. Aber wir werden das Problem nicht etwa dadurch lösen, daß wir schlaumeierlich anfangen, Polen gegen die Sowjetunion auszuspielen. Herr Wehner, auch hier bin ich ganz ehrlich: ich will, daß wir eines Tages mit der Sowjetunion zu einem soliden Abkommen gelangen, und dazu helfen solche Tricks nicht. Allerdings sage ich ebenso freimütig, daß wir auch das Recht des polnischen Volkes — wie jedes Volkes auf dieser Erde — anerkennen, sein eigenes politisches System nach freiem Willen zu bestimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dem sollte auch die Sowjetunion eines Tages Rechnung tragen.
    Die Welt, in der wir leben, ist schwierig. Patentrezepte zu geben ist noch schwieriger. Es wird uns vorgeworfen: Was tut ihr eigentlich, was tatet ihr eigentlich? Nun, lesen Sie doch bitte die Vorschläge der Regierung genauer, auch das Memorandum der Bundesregierung, jetzt wieder die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und die Erklärung des Außenministers! Da steht viel mehr darin als bloß ein paar billige Phrasen.
    Wir haben mit den Westmächten zusammen eine Arbeitsgruppe gebildet, in der ständig das Problem der deutschen Wiedervereinigung unter dem Aspekt der Weltpolitik behandelt wird. Daß über die Arbeit dieser Gruppe nicht viel in die Öffentlichkeit gedrungen ist, hat selbstverständlich seine guten Gründe; denn es ist besser, in der Stille zu arbeiten, als vor aller Öffentlichkeit spektakuläre Erfolge, die man doch nicht produzieren kann, aus dem Hut zu zaubern.
    Ich sprach davon, daß die Beratende Versammlung des Europarates in der vergangenen Woche dasselbe Problem wie wir diskutiert hat. Sie hat am Schluß eine Resolution angenommen, mit 83 Stimmen gegen eine Nein-Stimme bei 11 Enthaltungen, unter denen sich die Stimmen unserer sozialdemokratischen Kollegen befanden.

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Die sozialdemokratischen Kollegen hatten für ihre Haltung dieselben Gründe, die wir aus den Ausführungen von Herrn Ollenhauer hörten. Es war ihr gutes Recht, sich so zu verhalten; ich versuche nicht, sie deswegen etwa madig zu machen.

    (Abg. Wehner: Sie kennen Ihre Pappenheimer!)

    — Herr Wehner, in jeder Fraktion, in jeder Partei gibt es Eifrige, Übereifrige und Allzueifrige,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    bei Ihnen genauso oder vielleicht noch ein bißchen mehr als bei uns.
    Die Resolution, die die Beratende Versammlung angenommen hat, besagt: Die Mitgliedstaaten des Europarats sollten ihren Verpflichtungen treu bleiben, sich angesichts der gemeinsamen politischen Probleme untereinander politisch zu konsultieren. — Die westlichen Mächte sollten es nicht ablehnen, Besprechungen auf einer Gipfelkonferenz mit der Sowjetunion zu führen. Dabei wird die Terminologie „kapitalistische und sozialistische Staaten" abgelehnt; die Länder, die miteinander zu verhandeln hätten, könnten nicht in diese Kategorien gezwängt werden. Es wird gesagt, daß die Gipfelkonferenz sorgfältig vorbereitet werden müsse und daß dabei die westlichen Staaten sich anstrengen müßten, ihre Politik zu koordinieren. — Hinsichtlich der



    Kiesinger
    Abrüstung wird erklärt, daß zum Zwecke der Verhandlungen mit der Sowjetunion von den westlichen Mächten das Gesamtproblem der Abrüstung, auch einer beschränkten oder regionalen, studiert werden solle. Damit befindet sich die Beratende Versammlung in Übereinstimmung mit dem Beschluß des NATO-Rates, der sowohl von dem Herrn Außenminister wie von Herrn Ollenhauer erwähnt worden ist. — Die Beratende Versammlung lehnt ferner die endgültige Anerkennung des Status quo in Europa ab, weil das, wie sie sagt, unter anderem die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands bedeuten würde. Es wird gesagt, es könne keine dauernde Regelung geben, solange dieses deutsche Problem ungelöst bleibe. Wir haben der Beratenden Versammlung dafür unseren Dank auszusprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Außerdem wurde noch einmal das Recht aller Völker, auch der Völker Osteuropas, betont, ihr Regierungssystem nach eigenem Willen zu bestimmen. Wir haben ihnen keine Freiheit und keine Befreiungsaktion versprochen, sondern wir haben uns nur zu diesem unverzichtbaren Prinzip bekannt.
    Ich kann diese Ausführungen nicht schließen, ohne die Aufmerksamkeit des Hauses noch einmal auf das Problem zu lenken, das uns zwar manchmal fernab zu liegen scheint, das uns aber doch so nahe wie irgend jemanden in der Welt angeht, nämlich das der sogenannten unterentwickelten Völker, der weiten Gebiete und Millionenheere Asiens und Afrikas, um deren Seele der Westen mit dem Osten ringt. Ich bin tief davon überzeugt, daß die endgültige Entscheidung darüber, was einmal auf dieser Erde sein wird, welches Wertesystem für die Menschen gelten wird, auf jenem Feld ausgetragen wird. Daher sollte auch die Bundesrepublik, ihre Regierung und ihr Parlament, nicht aufhören, an dieses Problem zu denken, um so mehr, als ein Mann wie Kennan gesagt hat, solange die Sowjetunion dieses Problem nicht in ihrem Sinne gelöst sehe, werde sie nicht daran denken, sich in Europa auf irgendwelche Lösungen einzulassen.
    Wir, Herr Ollenhauer, wollen mit Ihnen den Frieden der Welt und die Freiheit erhalten. Wir streiten uns über die Methoden. Ich bin nicht der Mann, der sich unnötig streiten will. Wir werden auch in Zukunft auf jedes Wort, das aus Ihrem Lager kommt, und auf jede Kritik hören. Aber bis jetzt hat uns nichts in dieser Kritik zu der Überzeugung gebracht, daß die Politik, die von der Mehrheit des deutschen Volkes gebilligt wird und die dieses Volk aus der tödlichen Einsamkeit der Katastrophe zurück in die Völkerfamilie als deren geachtetes Mitglied geführt hat, falsch war. Wir sind überzeugt, sie ist richtig, und wir werden sie fortsetzen.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)