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ID0300901100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte beginnen mit einer Bemerkung über die Vorgeschichte und die Prozedur der heutigen außenpolitischen Debatte hier im Plenum des Bundestages, und zwar nicht aus irgendeiner Freude am Streit über Formalien, sondern aus der Sache heraus. Wir haben bei Beginn der Arbeit des 3. Deutschen Bundestages eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gehört, er hoffe, daß es in diesem 3. Deutschen Bundestag möglich sein werde, in den großen nationalen Fragen zu Übereinstimmungen, vielleicht auch zu einer gemeinsamen Politik zu kommen. Nach den Erfahrungen der letzten acht Jahre waren wir gegenüber dieser Hoffnung des Herrn Bundeskanzlers skeptisch, und wir müssen heute feststellen, daß das Verhalten sowohl des Herrn Bundeskanzlers wie des Herrn Bundesaußenministers unserer Skepsis leider in vollem Umfange recht gegeben hat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren und Herr Außenminister, es handelt sich nicht darum, daß die Opposition ein Monopol beansprucht, in außenpolitischen Fragen vor dem Rundfunk oder sonst in der Öffentlichkeit zu sprechen. Es handelt sich darum, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 15. Januar und die Reden des Herrn Außenministers am letzten Wochenende in Friedberg und in Berlin einfach eine Vorwegnahme des Inhalts dieser Aussprache dargestellt haben,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    und ob gewollt oder nicht, darin liegt eine Mißachtung des Parlaments.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Vielleicht hat die Rede des Herrn Bundeskanzlers am 15. Januar auch noch eine andere, interne Bedeutung gehabt. Vielleicht sollte sie auch für den Herrn Außenminister für seine Rede hier von vornherein die Richtlinien der Politik festlegen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Aber wenn sie diese pädagogische Absicht gehabt haben sollte, ist damit die Behandlung des Parlaments noch keineswegs gerechtfertigt.
    Meine Damen und Herren, noch ein Wort. Ich meine, Herr Bundesaußenminister, Sie sollten Besorgnisse und Kritiken der Opposition in bezug auf die Prozedur in der Behandlung dieser außenpolitischen Fragen doch etwas weniger von oben herab behandeln.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich will Ihnen eines sagen: Ich glaube, alle Mitglieder des Außenpolitischen Ausschusses haben seit Montag dieser Woche ein sehr schlechtes Gefühl

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    wegen der Behandlung dieses Ausschusses. Ich weiß, die Verhandlungen sind vertraulich, und ich werde hier selbstverständlich nichts über den materiellen Inhalt der Verhandlungen sagen. Aber ich darf folgendes feststellen. Diese Sitzung des Außen-



    Ollenhauer
    politischen Ausschusses hat am Montag um 16 Uhr in diesem Hause stattgefunden.

    (Abg. Wehner: Das darf man sagen!)

    Im Laufe seiner Berichterstattung hat der Herr Bundesaußenminister dem Ausschuß die Mitteilung gemacht,

    (Abg. Wehner: Vorsicht!!)

    daß es nicht möglich sei, jetzt schon über den Wortlaut der Antwort des Herrn Bundeskanzlers an den sowjetischen Ministerpräsidenten zu sprechen, da das Dokument noch nicht abgeschlossen und die Unterschrift noch nicht vollzogen sei; das werde erst am nächsten oder übernächsten Tage geschehen.

    (Abg. Mellies: Genau das!)

    Zur gleichen Stunde am Nachmittag haben die Rundfunksender mitgeteilt, daß der Text der Antwort des Herrn Bundeskanzlers am Mittag dem deutschen Botschafter in Moskau übermittelt worden sei und daß nur noch nicht der Zeitpunkt feststehe, an dem die Note dem Außenminister der Sowjetunion überreicht werden würde.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Bundesaußenminister Dr. von Brentano: Das ist richtig!)

    Das ist die Mitteilung gewesen. Sie ist auch bestätigt worden durch die Mitteilung in der Presse, die wir später lesen durften.
    Der Herr Bundesaußenminister kann sich aussuchen, welche Erklärung er für sein Verhalten gegenüber dem Ausschuß gibt: daß er nicht besser informiert war oder daß er es für die richtige Methode hielt, dem Ausschuß diese nicht ganz korrekte Darstellung zu geben. Ich überlasse Ihnen die Entscheidung. Ich sage nur folgendes: Ich halte es für eines Parlaments und auch einer Regierung unwürdig, in außenpolitischen Fragen mit dem wichtigsten Ausschuß des Parlaments so umzugehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Ich wünschte, daß wir, die Opposition, wenn wir doch wahrlich — nicht aus Freude am Streit, sondern aus der Besorgnis in der Sache — Beschwerden vortragen, eine etwas fundiertere Auskunft bekämen, als sie soeben der Bundesaußenminister gegeben hat.
    Meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung zu dem, worauf auch Herr Kollege Dr. Mende schon hingewiesen hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch unerhört, was er uns da gesagt hat!)

    — Wir haben hier nicht die Sache der FDP zu vertreten; aber das hat Herr Dr. Mende sehr gut gemacht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Ich hoffe, Sie können Ihre Sache hinterher auch so gut vertreten!
    Was hätte sich eigentlich die Regierung vergeben, wenn sie in diesem Falle der Gepflogenheit in jedem Parlament gefolgt wäre, wenn sie nicht
    darauf bestanden hätte, mit einer Regierungserklärung an die erste Stelle zu kommen, sondern dem Parlament wenigstens die Reverenz erwiesen hätte, die Vorlage einer Großen Anfrage einer Fraktion dieses Hauses zum Anlaß zu nehmen, ihren Standpunkt darzustellen? Es wäre ihr kein Stein aus der Krone gefallen.

    (Zustimmung bei der SPD und der FDP.)

    Aber in der öffentlichen Meinung wäre vielleicht zum ersten Male das Bewußtsein lebendig gewesen, daß diese Regierung auch weiß, daß sie vom Parlament abhängt, weil sie von ihm gewählt ist, daß sie diesem Parlament verantwortlich ist und daß darum das Parlament den Vorrang hat vor der Regierung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Es ist bedauerlich, daß wir diese Debatte haben. Vielleicht bekommen wir aber Anregungen durch bestimmte Reisen, die Parlamentarier der CSU jetzt unternehmen, die so hochentwickelte Demokratien wie Formosa besuchen.

    (Heiterkeit bei der SPD und bei der FDP.)

    Ich hoffe nur, daß die Tendenz zur Abwertung des Parlaments durch die Regierung nicht noch Unterstützung durch einen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages findet, der der Mehrheit dieses Hauses angehört.

    (Abg. Schmücker: Sie brauchen ja nicht nur zu Tito zu reisen!)

    — Seien Sie bitte mit solchen Bemerkungen vorsichtig! Wir können ja mal überlegen, wer schon mehr in Jugoslawien war, Sie oder wir.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun aber zur Sache. Wir müssen uns, wenn wir diese Debatte in diesem Zeitpunkt und unter diesen Umständen haben, darüber klar sein, daß es zentral um zwei Probleme geht: Abrüstung und Entspannung, und daß wir in beiden Fragen vor dem Tatbestand einer ernsten Zuspitzung der internationalen Lage stehen, zugespitzt durch zwei Umstände: durch gewisse bedeutsame technische Entwicklungen auf dem Gebiet der militärischen Rüstung und der Technik überhaupt in beiden Lagern, vor allem aber auch in der Sowjetunion, und durch den Abbruch der Abrüstungsverhandlungen in den Vereinten Nationen am Ende des vorigen Jahres.
    Als wir im Dezember vor der NATO-Konferenz in Paris eine Debatte über die Haltung unserer Regierung auf der NATO-Konferenz verlangten, waren wir vor allem von der Besorgnis erfüllt, daß angesichts dieser Entwicklung — des Stillstandes in den Abrüstungsverhandlungen, der weiteren Aufwärtsentwicklung des Wettrüstens — der Westen in der Atlantischen Gemeinschaft vor allem auf die Entwicklung in der Sowjetunion rein militärisch in der Weise reagiert, daß man sich entscheidet, alle NATO-Mächte mit Kernwaffen der verschiedensten Art einschließlich der Mittel- und Langstreckenraketen auszustatten. Wir waren und wir sind der Meinung, daß, wenn es zu einer solchen Entscheidung gekommen wäre oder in Zukunft kommen sollte,



    Ollenhauer
    die gefährlichste Lage in der Welt seit Kriegsende geschaffen sein würde. Diese Gefahr können wir gar nicht groß genug einschätzen. Vor allem müssen wir uns auch darüber klar sein, daß es sich jetzt nicht mehr um eine graduelle Steigerung des Wettrüstens in den herkömmlichen Formen handelt, sondern um eine Entwicklung des Wettrüstens, an deren Ende nur ein unvorstellbares Chaos für alle steht.
    Es bedarf bei dieser Entwicklung keiner großen Phantasie und es bedarf keiner großen Leichtfertigkeit irgendeines einzelnen, diese Gefahr zu einer unmittelbaren zu machen. Ich will das nicht im einzelnen vertiefen, ich will nur eines sagen. Heute gibt es noch eine gewisse Sicherheit für die Erhaltung des Friedens, weil nur drei der heutigen Weltmächte Atommächte sind. Jede Entwicklung, die die Zahl dieser Atomwaffenbesitzer vermehrt, vervielfacht die Gefahr. Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, daß eine Streuung des Besitzes an Kernwaffen und atomares Wettrüsten auf beiden Seiten in einer übersehbaren kurzen Frist jede effektive Kontrolle einer Beschränkung oder Einstellung dieser Rüstung unmöglich macht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist die Lage. Das aber heißt: wir sind in Gefahr, daß eine solche Entwicklung die Aussichten auf ein wirksames Abrüstungsabkommen zerstört, und die Alternative ist, daß die Welt in eine Katastrophe gerät. Das ist die, wenn Sie wollen, rein militärische Seite.
    Auf der anderen Seite gibt es natürlich politische Konsequenzen des Wettrüstens. Da möchte ich sagen, daß die unmittelbare und unvermeidliche Konsequenz der Fortsetzung des Wettrüstens vor allem auch auf atomarem Gebiete die Verhärtung des Status quo bedeutet,

    (Zustimmung bei der SPD)

    d. h. wer die Entwicklung dieses Wettrüstens fördert, festigt den Status quo der Teilung der Welt,
    der Teilung Europas und der Teilung Deutschlands,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    einfach deshalb, weil man heute die Feststellung treffen kann, ohne dabei ernsthaften Widerspruch mit sachlichen Argumenten zu finden, daß mit Sicherheit über das Wettrüsten kein Weg zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit führt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es gibt da keine Chance, wenn es bei der jetzigen internationalen Situation des Stillstands in der Abrüstungsfrage und in der Entspannungspolitik bleibt oder wenn wir gar noch darüber hinausgehen und das Wettrüsten fortsetzen.
    Der Herr Bundesaußenminister hat heute noch einmal über Paris berichtet, und er hat, sicher mit Recht, darauf hingewiesen, daß die Konferenz der Regierungschefs in Paris tatsächlich nicht nur eine rein militärische Antwort auf die mit der gegenwärtigen internationalen Situation zusammenhängenden Fragen gegeben hat. Er hat, auch mit Recht, unterstrichen, daß man Wert darauf gelegt hat, die politische Konsultation zwischen den Mitgliedstaaten der NATO auszubauen, daß man auch Wert darauf gelegt hat, die wissenschaftliche Forschung in den beteiligten Ländern zu koordinieren, ja, daß man auch gewisse Überlegungen angestellt hat, wie man durch wirtschaftliche Hilfe die Lage im Nahen und Mittleren Osten erleichtern könnte. Kein Zweifel, das sind gewisse politische Elemente, mit denen man mindestens den Versuch gemacht hat, mit der gegebenen Situation anders als mit militärischen Mitteln fertig zu werden.
    Es ist auch richtig, daß in Paris keine verbindliche Entscheidung über die atomare Ausrüstung der NATO-Mitgliedstaaten oder die Stationierung von Abschußrampen für die Raketen getroffen worden ist. Aber ich glaube — gerade auch auf Grund des Berichts des Herrn Bundesaußenministers —, wir haben sehr aufmerksam und sehr sorgfältig zu untersuchen, was denn die weitere Entwicklung sein wird und was insbesondere die Regierung der Bundesrepublik Deutschland in der nächsten Zukunft zu tun beabsichtigt oder nach ihrer eigenen Darstellung zu tun gezwungen sein wird. Und da beginnt schon eine sehr ernste Feststellung. Es ist richtig: es gibt keinen Beschluß in Paris über die generelle atomare Ausrüstung der Mitgliedstaaten, aber es gibt leider auch keine Erklärung der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, daß sie die atomare Ausrüstung der Bundeswehr und die Errichtung von Abschußbasen auf dem Gebiet der Bundesrepublik ablehnen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir haben solche Erklärungen in Paris gehört, und zwar von den Vertretern der dänischen und der norwegischen Regierung, deren Loyalität gegenüber den Verpflichtungen der NATO wohl für jedermann außer Zweifel steht. Warum hat die Bundesregierung diese Erklärung nicht abgegeben, von der wir überzeugt sind, daß sie hundertprozentig mit den Lebensinteressen der Bevölkerung in der Bundesrepublik und den Lebensinteressen des ganzen deutschen Volkes übereinstimmt?

    (Beifall bei der SPD.)

    Man sagt: Wir wollen uns die Entscheidung vorbehalten — der Herr Bundesaußenminister hat das heute in seiner zweiten kurzen Intervention noch einmal unterstrichen —, bis das Gutachten der Militärs der NATO vorliegt. Diese Antwort ist in jeder Beziehung unbefriedigend.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Der Herr Bundesaußenminister hat ja in seiner Rede noch einmal unterstrichen, daß sich die Bundesregierung selbstverständlich nicht der Verpflichtung entziehen würde, die Verteidigung der Bundesrepublik so stark wie möglich zu machen.
    Herr Bundesaußenminister, Sie haben gesagt: Die Bundesregierung wird dann ihre Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen haben. Das ist richtig; aber dann kommt ein sehr dunkler Satz: „Die Sicherung des Friedens dient der Erhaltung des



    Ollenhauer
    Friedens." Ich habe lange darüber nachgedacht, was das heißt.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    „Die Stärkung der Abwehrkraft dient der Erhaltung der Freiheit." Nun, wenn dieser Satz überhaupt einen Sinn haben soll, dann kann er doch nur den Sinn haben, daß sich unsere Bundesregierung die Freiheit vorbehält, in der Frage der atomaren Aufrüstung und der Abwehrbasen eine positive Entscheidung zu fällen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Was wir hier verlangen können, ist, daß die Regierung uns offen sagt, was sie will.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube, hier handelt es sich nicht um eine Frage der internen diplomatischen Verhandlung oder um eine Detailfrage der Außenpolitik oder um Militärpolitik, hier steht eine Lebensfrage des deutschen Volkes zur Debatte, und darauf hat die Regierung ja oder nein zu antworten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Es ist doch klar, daß jedes Mitglied in NATO frei ist, zu entscheiden, ob es z. B. die atomare Aufrüstung oder die Stationierung solcher Abschußbasen akzeptieren will oder nicht. Es handelt sich überhaupt nicht um die Frage unserer Verpflichtungen oder unserer Treue gegenüber der NATO. Es handelt sich um die Frage, ob unter unseren speziellen Bedingungen diese Art von Aufrüstung uns nützlich ist, zu verantworten ist oder nicht. Wir sehen in dem Ausweichen der Regierung vor einer klaren Beantwortung — in einer Weise, die das Ja schon enthält — eine sehr bedenkliche und von uns sehr kritisch zu beurteilende Haltung der Regierung.
    Ich füge noch ein Wort hinzu. Meine Damen und Herren, darf dieses Parlament erfahren, was denn die gestern und vorgestern durchgeführten deutschfranzösisch-italienischen Militärbesprechungen eigentlich bedeuten? Wir haben im Auswärtigen Ausschuß nichts darüber gehört; ich weiß nicht, ob es gestern im Ausschuß für Verteidigungsfragen zur Sprache gekommen ist. Wir lesen aber lange Berichte in der Presse. Wir haben eine außenpolitische Debatte, die den ganzen Komplex behandelt. Wir hören nicht ein Wort von dem Herrn Außenminister. Was ist hier eigentlich Inhalt der Verhandlungen? Welchen Hintergrund im Militärischen, Technischen und Politischen haben diese Verhandlungen?
    Wir stellen diese Frage aus politischen Gründen. Denn es gibt ja auch in der Auseinandersetzung unter den Großmächten noch gewisse Divergenzen. Wir möchten wissen, ob die Bundesregierung hier etwa im Gefolge einer französischen Politik ist, die darauf aus ist, Frankreich zur vierten Atomgroßmacht zu machen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Stehen wir hier etwa vor Überlegungen und Verhandlungen über eine Zusammenarbeit einer Gruppe von, sagen wir mal: Kleinsteuropa, von Anwärtern auf Atommachtansprüche in Europa gegenüber den drei bisherigen Atommächten?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ist das nicht eine Frage, über die man hier wenigstens etwas von der Regierung hören muß? Denn schließlich kann sich ein wesentlicher Teil der außenpolitischen Vorstellungen dieser Regierung da etwas klarer herausschälen, als wir es aus den Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers heute erfahren konnten. Wir hoffen jedenfalls, daß wir auch über diesen Punkt in dieser Debatte eine klare Antwort bekommen. Aber da es hier unter der Führung des Chefs der Regierung oft üblich ist, unangenehme Fragen nicht zu beantworten, möchte ich schon jetzt, am frühen Vormittag, hinzufügen: Keine Antwort wäre für uns auch eine Antwort.

    (Beifall bei der SPD.)

    Was ist angesichts dieser Lage zu tun, und was kann die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten, und ich sage: im Rahmen ihrer vertraglichen Verpflichtungen tun, aktive Bestrebungen zur Förderung der Abrüstung und zur Entspannung zu unterstützen? Ich glaube, daß unser Bewegungsfeld größer ist, als man der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik immer wieder glaubhaft machen will. Wir sind nämlich in bestimmten Punkten frei, und auf diese Punkte geht auch unser Antrag ein, den wir Ihnen hier mit zur Debatte und Entscheidung vorgelegt haben.
    Wir sind z. B. frei, zu beschließen: keine atomare Aufrüstung der Bundeswehr. Die Frage nimmt uns niemand ab. Sie muß hier entschieden werden, und wir wünschen, daß Sie heute durch Ihre Abstimmung darüber entscheiden.
    Wir sind zweitens frei, darüber zu entscheiden, daß wir keine Stationierung von Mittel- und Langstreckenraketen und keinen Bau von Abschußrampen für diese Raketen auf dem Gebiet der Bundesrepublik wünschen. Wir sind frei, uns im Rahmen unserer vertraglichen Verpflichtungen mit Ja oder Nein zu entscheiden. Bitte, meine Damen und Herren, Sie haben die Möglichkeit, das zu tun, und wir wünschen auch, daß noch einmal ausdrücklich unterstrichen wird — so wie es der Herr Bundesaußenminister in seiner Erklärung auch getan hat -, daß die Verpflichtung, auf dem Gebiet der Bundesrepublik keinerlei ABC-Waffen herzustellen, ohne jede Einschränkung aufrechterhalten bleibt. Es gibt, wie gesagt, keine Bestimmungen der Verträge, die einer solchen Haltung und Entscheidung der Bundesrepublik entgegenstehen.
    Ich füge hinzu: diese Beschlüsse bedeuten auch keine Schmälerung der Sicherheit der Bundesrepublik. Im Gegenteil, sie wenden neue große Gefährdungen ab, und sie würden durch konkrete Schritte unseren ernsten Willen zur Förderung der Abrüstungsbesprechungen unterstreichen.
    Ich finde, es ist die Zeit gekommen, daß wir uns so entscheiden sollten, um auch auf diese Weise über den toten Punkt in der Frage der internationalen Abrüstung in einem sehr bescheidenen Rahmen, aber immerhin doch in einer praktisch greifbaren und wirksamen Form hinwegzukommen.
    Dann bleibt die Frage: Wie kommen wir in größerem Zusammenhang, international, über den toten



    Ollenhauer
    Punkt in der Frage der Abrüstung und der Entspannung hinweg? Wir sind uns darüber klar, daß das keine leichte Frage ist und daß es kein Wunderrezept gibt. Die Fronten haben sich verhärtet. Die Sowjetunion fühlt sich offensichtlich heute in einer stärkeren Position.
    Ich will hier gar nicht im einzelnen die Ursachen für diese Entwicklung untersuchen; sie sind auf beiden Seiten zu suchen. Aber eines müssen wir, wenn wir selbst zu richtigen Schlußfolgerungen für unsere weitere Politik kommen wollen, feststellen: Die Politik der militärischen Aufrüstung des Westens einschließlich der Bundesrepublik hat diese Entwicklung der Versteifung und Verhärtung nicht verhindern können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im Gegenteil, heute besteht eine Situation, bei der es sehr großer Anstrengung bedürfen wird, um die beiden entscheidenden Mächte in der Welt wieder zu einem Gespräch über vernünftige Lösungen in der Frage der Entspannung und der Abrüstung zu bringen. Wir behaupten, daß es auch die bedauerliche Folge der einseitigen Politik der militärischen Aufrüstung ist, daß gewisse ernsthafte, bessere Verständigungs- und Verhandlungsmöglichkeiten bis zurück in das Jahr 1952 heute nicht mehr so einfach gegeben sind. Es erweist sich offensichtlich jetzt als ein schwerer Fehler der Außenpolitik der Bundesregierung, daß wir damals diese Möglichkeiten nicht ernsthafter untersucht haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundesaußenminister hat heute gesagt: Was bedeutet schon der sogenannte Rapacki-Plan? Das haben wir ja alles schon mal gehabt, sogar in umfassenderer Form. — Das ist doch eine, ich möchte sagen, scharfe Selbstkritik der Regierung an ihrer eigenen Politik, daß sie jetzt rückwärts gerichtet sagt: Ja, früher hat es vielleicht andere, bessere Möglichkeiten gegeben, aber heute —?
    Das ist die Lage. Trotzdem bin ich der Meinung, wir sollten auch heute versuchen, das, was wir tun können, zu tun, um neue Möglichkeiten zu untersuchen, die vielleicht geeignet sind, in der Frage der Entspannung und der Abrüstung ein Stück voranzukommen. Auch das ist ja Gegenstand der Beratung der Regierungschefs und Außenminister auf der NATO-Konferenz gewesen. Wir haben auch heute wieder gehört, daß der erste Brief des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin von 10. Dezember den Beratungen in Paris eine Rolle gespielt hat.
    Inzwischen ist ein neuer, zweiter, sehr ausführlicher Brief des sowjetrussischen Ministerpräsidenten eingegangen — vom 8. Januar —, mit einem sehr ausführlichen Memorandum. Ich möchte, ehe ich auf die Sache selber eingehe, einige Bemerkungen vorausschicken. Ich glaube, daß die Bedeutung des ersten Briefes des sowjetrussischen Ministerpräsidenten auch darin lag, daß er in einer sachlichen, korrekten Form ohne viel Polemik eine Reihe von konkreten Vorschlägen gemacht hat, und daß das auch die Ursache dafür war, daß dieser
    Brief doch Gegenstand von Unterhaltungen in Paris wurde. Der Herr Bundeskanzler selbst hat in seiner Pariser Rede diese positive Seite des BulganinBriefes anerkannt. Ich möchte sagen, daß der zweite Brief Bulganins der Sache der Verständigung und der Schaffung einer Atmosphäre des ernsthafte Verhandelns einen sehr schlechten Dienst erwiesen hat.

    (Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.)

    Denn es hat keinen Sinn — ich sage das ganz allgemein, aber auch speziell in diesem Falle —, in dieser Art gegeneinander und miteinander zu polemisieren. Ich weiß nicht, was die Überlegung der russischen Regierung war, aber ich möchte hier sagen, daß die russische Regierung die Wirkung solcher Argumentationen und Polemiken mindestens auf die Bevölkerung der Bundesrepublik völlig verkennt

    (Zustimmung bei der SPD und bei den Regierungsparteien)

    und daß es der Sache nicht dient, wenn man Briefe dieser Art so anlegt, daß sie als Mustertext für kommunistische Propagandaflugblätter dienen können.

    (Abg. Dr. Mommer: Sehr gut!)

    Damit kommen wir nicht weiter. Es wäre an der Zeit, daß man auf beiden Seiten — ich sage, auf beiden Seiten — einsähe, daß Verhandlungen über internationale Probleme zwischen Ost und West nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn beide Seiten von vornherein die Unvereinbarkeit ihrer grundlegenden Vorstellungen über unsere Lebensprinzipien zur Kenntnis nehmen. Dann bleibt die Aufgabe, vor der wir konkret stehen, trotz dieser Gegensätze auf internationaler Ebene einen Weg zu finden, der die Existenz unserer Völker in einer Welt der Entspannung und der Abrüstung ermöglicht. Ich meine, dieser Versuch, einen solchen Ansatzpunkt oder Ausgangspunkt zu finden, muß angesichts der Entwicklung der Rüstung jetzt gemacht werden.
    Da kommt der zweite wesentliche Einwand gegen die Erklärung des Herrn Bundesaußenministers, die wir heute gehört haben. Sie ist völlig unbefriedigend in bezug auf die Darstellung der Absichten, die die Bundesregierung selber hat.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Wir haben zu allen möglichen Vorschlägen, die zur Debatte stehen — ich meine nicht nur in der heutigen Erklärung des Herrn Außenministers, sondern auch in den Ouvertüren-Reden, die in der vorigen Woche gehalten wurden nur immer das Nein gehört,

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)

    immer nur die negative Einstellung, gegenüber welchem Vorschlag auch immer.
    Ich frage mich wirklich: was ist denn jetzt die Politik der Bundesregierung? Ist es die Politik, die in der Rede des Herrn Bundeskanzlers in Paris am 16. Dezember anklingt, in der er sagte, es sei bemerkenswert, daß der Bulganin-Brief in einem so



    Ollenhauer
    sachlichen und konkreten Ton gehalten sei, und er, der Bundeskanzler, sehe keinen Grund, ein Gespräch mit der Sowjetunion über aktuelle Fragen abzulehnen? Sie wissen, es gibt viele Leute, die damals die Hoffnung gehabt haben, es zeige sich ein Silberstreifen. Andere waren bestürzt über die sich anscheinend abzeichnende Aufweichung der festen Haltung des Herrn Bundeskanzlers. Nun, die Hoffnungen oder Befürchtungen — wie immer — hat der Herr Bundeskanzler ja durch seine Rede vor dem Rundfunk am 15. Januar mit Erfolg wieder aus der Welt geschaffen. Das war die Rede in der alten, vertrauten Sprache des Kalten Krieges.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn da hat der Herr Bundeskanzler erklärt: Was heißt das alles; das ist doch nicht anderes — er hat sogar hinzugefügt: „je mehr man die Sache untersucht" — als ein großangelegtes Störungsmanöver, nichts anderes als der Versuch, die Einheit und die Verteidigungskraft des Westens zu schwächen und aufzuheben.
    Was ist nun die Politik des Herrn Bundeskanzlers? Auf welche Haltung oder auf welche Überlegung, Herr Bundeskanzler, stützen Sie die Bemerkungen in Ihrem Antwortbrief?

    (Bundeskanzler Dr. Adenauer: Den zweiten Brief übersehen Sie!)

    — Nein, nein, ich übersehe gar nicht; ich habe dazu ja einige kritische Bemerkungen gemacht. Herr Bundeskanzler, Sie haben ja zunächst den ersten Brief beantwortet. Vielleicht haben wir aber nachher die Gelegenheit, auch über den zweiten zu diskutieren. — Als Antwort auf den ersten Brief haben Sie, Herr Bundeskanzler, gesagt — wenn ich richtig gelesen und richtig verstanden habe —: Wir sind bereit, auf diplomatischem Wege alle Probleme zu behandeln. — Ja, Herr Bundeskanzler und Herr von Brentano, wollen Sie dann über das „Störungsmanöver" reden, das der Herr Bundeskanzler angeprangert hat, oder wollen Sie über praktische Vorschläge reden, die wir finden können, um zu einem vernünftigen Verhältnis zu beiden Seiten zu kommen?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und FDP.)

    Was ich bedaure, ist: diese Art von Rundfunkreden, Herr Bundeskanzler, wie Ihre letzte ist doch im Grunde genau dasselbe, was Sie — mit Recht —dem Herrn Bulganin in bezug auf seinen zweiten Brief vorgeworfen haben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und FDP.)

    Wo kommen wir da hin, wie soll da eine Atmosphäre entstehen, wenn wir den Gesprächspartner von morgen heute zunächst einmal in der massivsten Weise vor aller Welt als einen Störenfried herabsetzen?!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es geht gar nicht darum, ob uns Herr Bulganin gefällt; es geht darum, ob wir eine Möglichkeit sehen, mit dem Chef dieses Landes und dieser Regierung in ein Gespräch zu kommen. Herr Adenauer und Herr von Brentano sagen: Ja, wir wollen es. Aber
    wir können dann doch nicht mit Fausthandschuhen dorthin fahren und den Leuten in dieser Weise entgegentreten.

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Greve: Die fahren sogar mit Boxhandschuhen! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Ja, vielleicht wegen der Kälte; aber das ist eine andere Sache.
    Herr Bundeskanzler, ich frage mich wirklich: was ist Ihre Politik? Mir ist das auch durch die heutige Erklärung des Herrn Außenministers nicht klarer geworden. War die Rundfunkrede sozusagen nur für den innerdeutschen Hausgebrauch? Das soll es ja auch geben, sozusagen vielleicht auch zur Beruhigung der Unterzeichner des Fuldaer Manifests; etwas müssen Sie für die Leute auch tun.

    (Beifall und Lachen bei der SPD.)

    Oder meinen Sie den diplomatischen Ton in der Note? Es kann auch der Verdacht aufkommen, daß der diplomatische Ton überhaupt nur eine Art von Tarnung ist.

    (Abg. Dr. Menzel: Eine Fassade!)

    Das wäre das schlechteste, was dem deutschen Volk passieren könnte;

    (Beifall bei der SPD)

    denn die anderen würden einen solchen Versuch der Irreführung oder der Täuschung viel länger aushalten als wir hier in unserer besonderen schwierigen Lage.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Abgesehen einmal von der Sache: Wäre es nicht auch für uns hier in der Bundesrepublik an der Zeit, wenn schon Minister vor solchen Debatten im Rundfunk oder in öffentlichen Versammlungen sprechen, immer daran zu denken, daß wir nicht in einem Wahlkampf für die CDU, sondern in einem Schicksalskampf für das deutsche Volk stehen?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Die Frage ist, wie wir in ernsthafte Verhandlungen kommen und mit welchen Vorstellungen wir hineingehen. Lassen Sie mich auch da eines sagen. Wir haben nicht die Absicht, mit der Regierung hier irgendeinen Disput über die beste Form anzufangen, in der solche Gespräche in Gang gebracht werden. Ich glaube, es besteht eine weitgehende Übereinstimmung darüber, daß es töricht wäre, ohne eine wirklich gründliche Vorbereitung nur eine neue Schau mit all den Komplikationen und Schwierigkeiten zu machen, die sich daraus ergeben. Wir sind durchaus der Meinung, man soll eine solche Konferenz, die die Regierung im Grunde auch heute wieder akzeptiert hat, ernsthaft vorbereiten. Aber lassen Sie mich ebenso offen hinzufügen: man muß sie ernsthaft vorbereiten, mit dem ernsten Willen, in den Verhandlungen zu einem positiven Resultat zu kommen,

    (Beifall bei der SPD)

    und darf nicht nur etwa mit der Tendenz an die
    Arbeit gehen, eine Art von neuer Alibikonferenz zu



    Ollenhauer
    haben: „Seht Ihr, mit den Sowjets kann man doch nicht reden!" Das entspricht nicht dem Ernst der Situation.
    Nun noch einige Bemerkungen zu dem Verhandlungsprogramm oder den -vorstellungen. Wir haben eine sehr lebhafte internationale Diskussion, und es würde viel zu weit führen, alle Vorschläge in diesem Zusammenhang im einzelnen zu erörtern. Aber immerhin, die Lage ist völlig anders als vor einem Jahr, weil auch im Westen eine große Zahl von verantwortlichen und bedeutenden Staatsmännern und Politiker sich mit der Frage beschäftigt: Wie können wir in dieser Situation in der Abrüstungs- und Entspannungsfrage einen neuen Ansatzpunkt finden? Genügt es, einfach am alten Schema festzuhalten, oder müssen wir sogar den Versuch machen, dieses Schema aufzugeben, weil es in seiner Konsequenz angesichts der Entwicklung des Wettrüstens zur Katastrophe führen muß? Das ist doch der Hintergrund. Nicht mangelnde Treue oder Zuverlässigkeit gegenüber der Sache des Westens ist der Hintergrund, sondern die tiefe, berechtigte und verständliche Unruhe über den Gang der internationalen Politik. Da gibt es Vorschläge von Kennan, Vorschläge von Gaitskell, da gibt es Vorschläge von Staatsmännern, von Regierungen, wie den Rapacki-Plan und andere. Da erleben wir lebhafte Kontroversen über die positiven und negativen Seiten bestimmter Vorschläge, z. B. des RapackiPlanes. Die Sache ist doch nicht so einfach, wie sie hier dargestellt wird: „Es lohnt sich nicht, darüber zu reden!" oder: „Das sind alles mehr oder weniger Phantastereien!" Dagegen stehen doch Äußerungen von Männern wie Pearson, dem früheren kanadischen Außenminister, und seinem jetzigen Nachfolger, es müsse der Versuch gemacht werden, solche reale Möglichkeit ernsthaft zu untersuchen. Da haben wir die Haltung des dänischen Ministerpräsidenten und des norwegischen Ministerpräsidenten, da hören wir aus New Delhi, daß der britische Ministerpräsiden Macmillan durchaus ernsthaft die Frage gestellt und untersucht habe, ob man dem Projekt nicht nähertreten müsse. Da haben wir die Äußerung eines Mannes, der für seine kühle Zurückhaltung gerade in solchen Fragen bekannt ist, nämlich des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Hammarskjöld: Warum sollte nicht ein solcher Plan, eine solche Idee ein Beitrag für einen ersten Schritt in der Entspannung sein?
    Meine Damen und Herren, ich bin bereit, mit der Regierung ernsthaft das Für und Wider zu erörtern. Wir werden es hoffentlich tun. Aber mich empört es, wenn ich höre oder lese, daß z. B. der Herr Bundesaußenminister — nicht in seiner heutigen Rede, aber doch am letzten Sonntag — alle diese Überlegungen und Vorschläge so mit der Handbewegung abtut: Wir haben weder Zeit noch Lust, uns mit solchen Vorschlägen einzelner Politiker oder Oppositioneller zu beschäftigen.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Ich habe das, Herr Bundesaußenminister, aus einem Bericht in der „Frankfurter Rundschau" über Ihre Rede, ich glaube, in Friedberg ersehen.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Wie können solche Äußerungen verstanden werden? Ich will es Ihnen sagen: als ob heute im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik schon wieder der alte Hochmut der kaiserlichen Außenpolitik lebendig würde.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und FDP.)

    Ich verstehe das um so weniger, Herr Bundesaußenminister, als Sie in Ihrer heutigen Rede ein wörtliches Zitat aus den Empfehlungen der Konferenz der Atlantischen Gemeinschaft gebracht haben. Darin wird gesagt, man müsse sich über die verschiedenen Vorschläge der Sowjetunion unterhalten, und dann wird wörtlich erklärt: „Sie sind darüber hinaus bereit, jeden Vorschlag aus jeder Quelle für eine allgemeine oder teilweise Abrüstung zu prüfen und darüber hinaus jeden Vorschlag, der zu einem Abkommen in der Rüstungsfrage führen könnte."
    Ja, meine Damen und Herren, wo bleibt denn da die Praxis, selbst in bezug auf die heiligen Beschlüsse der Atlantischen Gemeinschaft, wenn hier so argumentiert wird? Ich bedaure das, weil wir mit dieser Methode in unserer Lage überhaupt nichts gewinnen, sondern nur etwas verlieren können.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Bundesregierung hat erklärt — wir können darauf in der Debatte noch zurückkommen; jetzt will ich nur einige Worte dazu sagen —: Wir lehnen den Rapacki-Plan ab! Gut, aber, meine Damen und Herren, ich wünschte, daß man die Ablehnung sachlich besser fundierte, als es geschehen ist. Zum Beispiel wird gesagt, er sei eine russische Erfindung. Ja, was sollen denn Regierungen, die im russischen Machtblock leben, eigentlich tun? Werden sie selber aktiv, sagt man: Hat ja keine Bedeutung! Wird ein solcher Vorschlag von der russischen Regierung ausdrücklich unterstützt, wie es im ersten Bulganin-Brief geschehen ist, sagt man: Seht ihr, was hat das zu bedeuten, das ist nur die Idee der Russen gewesen; die wollen uns auf dem Umweg über Warschau hereinlegen! Meine Damen und Herren, gibt es denn niemanden im Auswärtigen Amt, der etwas mehr weiß über die viel kompliziertere Geschichte dieses Vorschlages

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Nein!)

    mit sehr ernsten möglichen Konsequenzen auch für das Problem der Einheit Deutschlands?

    (Zurufe von der SPD.)

    Ich wünschte, daß man da das Gefühl hat, man geht den Dingen auf den Grund, ehe man zu einem Nein kommt.

    (Abg. Wehner: Man sitzt auf Grund!)

    Dann wird gesagt: Das ist doch eine rein einseitige militärische Stärkung der Position der Sowjetunion. Ja, meine Damen und Herren, muß das denn so sein? Sieht die Sache nicht schon viel anders aus, wenn man im Rahmen einer ernsthaften Verhandlung über diesen Plan auch mit der anderen Seite über einen gleichwertigen Rückzug konventioneller Truppen aus dem gesamten atom-



    Ollenhauer
    waffenfreien Raum diskutiert? Wäre die Lage in der Welt nicht besser, wenn zwischen diesen beiden Blöcken, die sich heute an der Zonengrenze gegenüberstehen, 800, 1000 oder 1200 km lägen, in denen die Gefahr eines Zusammenpralls wesentlich geringer sein würde?

    (Beifall bei der SPD.)

    Ist das nicht wenigstens des Versuchs des Verhandelns wert?

    (Abg. Wehner: Nicht für diese Regierung! — Abg. Welke: Für die nicht!)

    Darum geht es doch.
    Der Herr Bundeskanzler hat sogar die Behauptung aufgestellt, der Rapacki-Plan bedeute das Ende der NATO, das Ende der Freiheit bei uns und in Westeuropa.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Herr Bundeskanzler, ich möchte wirklich darum bitten, daß Sie uns das hier einmal an Hand des konkreten Inhalts dieses Vorschlages und der Äußerungen des polnischen Außenministers im einzelnen begründen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn ich, Herr Bundeskanzler, die Dinge richtig sehe, ist z. B. vom polnischen Außenminister von vornherein klargemacht worden, daß im ersten Stadium die Mitgliedschaft der beteiligten Länder in der atomwaffenfreien Zone in ihren heutigen Vertragsverpflichtungen — NATO oder Warschauer Pakt — gar nicht zur Debatte steht. Ich halte das auf die Dauer für eine unerträgliche Lösung. Aber völlig unmöglich ist es, zu behaupten, daß die Schaffung eines solchen atomwaffenfreien Raumes das Ende der NATO wäre. Ich weiß nicht, Herr Bundeskanzler, wer Sie da beraten hat.

    (Zuruf von der SPD: Mr. Dulles!)

    Es wäre überhaupt interessant, Herr Bundeskanzler, auch hier vor dem Hause von Ihnen noch zu hören, ob und inwieweit das Gutachten der militärischen Experten für ihre Ablehnung eine Rolle gespielt hat. Da haben wir eine Erklärung von Herrn von Eckardt vor der Pressekonferenz nach Ihrer Rundfunkrede, in der von einem solchen Gutachten deutscher militärischer Stellen die Rede war. Könnte man nicht einmal hören, ob diese Behauptung richtig ist und in welcher Weise hier tatsächlich eine Meinungsäußerung verlangt und vorgelegt wurde? Ich finde, es wäre für unsere eigene Information über die Einwirkung von Militärs auf politische Entscheidungen sehr wichtig. Aber ich könnte mir auch denken, es könnte den militärischen Experten sehr daran liegen, klarzustellen, was ihre wirkliche Funktion war.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Denn wir haben ja auch kein Interesse daran, unsere eigenen militärischen Vertreter im Bewußtsein der Öffentlichkeit unseres Volkes in eine falsche Position zu bringen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich will die Dinge, soweit dieser Plan in Frage kommt, nicht im einzelnen weiter vertiefen. Ich will nur folgendes sagen. Ich kenne niemanden, weder hier noch in der freien Welt, der den Standpunkt vertreten hat: Hier ist sozusagen das Ei des Kolumbus, hier ist die Lösung, sondern immer wieder ist gesagt worden: Die Idee, der Plan könnte ein erster Schritt auf dem Wege der Entspannung sein. Niemand hat gesagt: Jetzt wissen wir, wo wir anfangen! Vielleicht gibt es hier ein en Anfang. Und müssen wir darüber reden, daß es der Sinn solcher Verhandlungen natürlich sein muß, daß unser Interesse, wenn Sie wollen, das Interesse des Westens selbstverständlich bei diesen Verhandlungen gewahrt werden muß? Sicher! Aber vielleicht gibt es da tatsächlich eine Brücke, eine Möglichkeit, einen Schritt weiterzukommen.
    Man hat gesagt: Was hat es für einen Sinn, eine solche atomwaffenfreie Zone zu etablieren, wenn man die Dinge und diese Zone nicht kontrollieren kann? Lesen Sie nach, was der polnische Außenminister öffentlich über die Notwendigkeit einer effektiven Kontrolle dieses Gebietes durch internationale Einheiten gesagt hat!

    (Abg. Dr. Mommer: Hört! Hört!)

    Vielleicht hat die polnische Regierung bei diesem Gedanken einer solchen umfassenden Kontrolle sogar gewisse eigene Überlegungen. Wir sollten doch wenigstens so weit gehen, uns zu überlegen, ob es denn nicht ein gewisses gemeinsames Interesse der freien Welt geben könnte.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ich möchte hier noch eines hinzufügen: Wir würden wahrscheinlich nicht so viel über die Absichten, den Wert oder das Problem dieses Planes zu spekulieren brauchen, jedenfalls würde unsere Regierung vielleicht in einer sehr viel besseren Position sein, wenn wir nicht immer noch den beklagenswerten Zustand hätten, daß wir in Warschau ohne jede offizielle Vertretung der Bundesrepublik Deutschland sind!

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Wehner: Die sind sogar stolz darauf!)

    Konnte überhaupt offensichtlicher werden als im Laufe der Diskussion der letzten Wochen, welchen praktischen positiven Wert eine offizielle Vertretung der Bundesrepublik in Warschau für unsere Regierung und für die deutschen Interessen gehabt hätte? Ich möchte hier noch einmal sagen, daß wir es gerade auch in diesem Zusammenhang, wenn man über solche Möglichkeiten spricht, für notwendig halten, daß wir hier endlich den toten Punkt überwinden und unsere Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten zu normalisieren versuchen. Leider haben wir auch darüber in der Erklärung des Herrn Bundesaußenministers nichts gehört.
    Wie gesagt, sicher ist auch dieser Rapacki-Plan wie manche andere Überlegung nicht mehr als eine Teillösung. Aber vergessen Sie eins nicht: die Lage ist so, daß die ganze Welt nach dem Scheitern der Verhandlungen über die Abrüstung in den Vereinten Nationen nach einem solchen Ansatzpunkt sucht!

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)




    Ollenhauer
    Irgendwo müssen wir über den toten Punkt wegkommen, wenn nicht eine so gefährliche Situation
    entstehen soll wie die, von der ich gesprochen habe.
    Warum zögern eigentlich die Mächte des Westens, die Regierungen, immer wieder, sich über solche Vorschläge mit der anderen Seite konkret auseinanderzusetzen? Wir reden immer von der überaus starken politischen und moralischen Position des Westens. Warum nutzen wir sie nicht und verhandeln in der Sache klar, hart und entschieden über den Kern der Dinge: ob es hier eine gemeinsame Linie gibt?

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Wir haben jahrelang verhandelt! — Gegenruf des Abg. Wehner: Wo denn? — Abg. Kiesinger: In London! Man hat jahrelang verhandelt!)

    - Wir müssen jetzt von neuem anfangen. Ich finde, Herr Kiesinger, in vielen Fällen haben wir doch der Sowjetunion ihre Propaganda erleichtert, weil wir sie in solchen Verhandlungen nicht konkret darauf gestellt haben, was sie real will.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich meine, wir sollten das jedenfalls jetzt tun. Das ist es, was wir in dieser Lage für unbedingt erforderlich halten. Das ist auch das, was uns in dieser Erklärung der Bundesregierung am meisten deprimiert. Wir haben nicht mehr gehört, als daß die Regierung die Absicht hat, diplomatische Gespräche zu führen, und daß sie auch das Ziel sieht, eine neue Konferenz abzuhalten. Aber sie hat zu all dem, was bisher konkret vorgetragen wurde, nein gesagt und sie hat hier dem Parlament keinen einzigen eigenen Vorschlag vorzulegen gewußt.
    Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, es sich auch nicht so leicht zu machen, daß Sie jetzt dieser Diskussion ausweichen durch die Verlagerung des Schwergewichts der Debatte auf die Beziehungen zwischen der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und der Entspannung durch eine solche Teillösung.
    Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich feststellen: die Sozialdemokratische Partei hat immer die Idee der Konföderation abgelehnt und lehnt sie nach wie vor ab. Sie werden aber der Sache, um die es jetzt geht, nicht gerecht, wenn Sie die Dinge so darstellen, als könnte man über die Frage einer atomwaffenfreien Zone überhaupt nicht reden, ehe nicht in der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nach unseren Vorstellungen eine Vereinbarung erzielt worden sei. Die Dinge liegen heute leider umgekehrt. Wenn wir beim jetzigen Status quo bleiben, bei dem sich die beiden Militärblöcke unmittelbar gegenüberstehen, gibt es kein Gespräch und gibt es kein Verhandeln über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nach unseren Vorstellungen. Die erste Voraussetzung, um über dieses entscheidende nationale Problem ernsthaft verhandeln zu können, wird gegeben sein, wenn wir hier einen ersten Schritt zur Entspannung tun. Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, will denn im Ernst bestreiten, daß es ungeheuer viel schwerer, ja praktisch aussichtslos ist, mit den
    anderen Partnern der Sowjetunion über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu reden, wenn wir in beiden Teilen Deutschlands die atomare Aufrüstung haben, wie Sie sie wollen? Wer will bestreiten, daß die Chance für ein Gespräch über politische Lösungen leichter sein wird, wenn diese mitteleuropäische Zone in ihrer militärischen Spannung mindestens etwas entlastet wird? Lohnt es sich nicht, einen solchen Versuch zu machen, zumal da zur Zeit niemand die Aufgabe irgendwelcher Ihrer vertraglichen Verpflichtungen von Ihnen verlangt?
    Wir bringen diese Dinge hier noch einmal in ihrem zentralen Zusammenhang mit solchem Nachdruck, ja, wenn Sie wollen, mit solcher Leidenschaft vor, weil wir glauben — das ist keine Schwarzmalerei —, daß die Fortsetzung der Aufrüstung der Bundesrepublik, die Fortsetzung des Wettrüstens in beiden Teilen der Welt die Chance für friedliche politische Lösungen einschließlich unserer Kernfrage, der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, zunichte machen wird. Es kommt jetzt darauf an, daß wir hier den Vorstoß unternehmen, unter Anerkennung der Verpflichtungen in den internationalen Verträgen und auch in voller Klarheit darüber, daß wir hier nicht etwa die Schutzlosigkeit der Bundesrepublik als das Ziel verfolgen. Sehen sie unseren Antrag in diesen Punkten; Sie sehen daraus, daß wir hier sehr klare und bestimmte Vorstellungen haben.
    Warum diese Fragestellung? Was ist das wirkliche Problem? Es geht viel weiter, über die Diskussion über territoriale, regionale Regelungen hinaus. Wir sind in der Welt in der Lage — und zwar durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technik und ihrer Ausnützung für das Rüsten in der Welt —, daß die Politik der Stärke, betrieben mit militärischen Mitteln, wie sie das Kernstück auf beiden Seiten im letzten Jahrzehnt gewesen ist, ihren Scheitelpunkt überschritten hat. Das mag eine neue Alternative sein. Heute ist die Fortsetzung des Wettrüstens mit allen diesen Konsequenzen eine Politik ohne Alternative, weil am Ende unvermeidlich das Chaos steht.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Keine Seite kann damit rechnen, den nächsten Krieg zu überleben oder ihn als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ideen und Vorstellungen verwenden zu können. Man kann eine Gesellschaft nur so lange nach eigenen Vorstellungen organisieren, als eine solche Gesellschaft besteht. Nach einem dritten Weltkrieg wird es diese fundamentale Voraussetzung nicht mehr geben. Daher müssen wir jetzt auch unter diesem allgemeinen Gesichtspunkt überlegen: Wo gibt es einen Ansatzpunkt für erste Schritte der Abrüstung und Entspannung? Wir sollten jede einigermaßen ernsthafte Möglichkeit in Verhandlungen untersuchen.
    Ich möchte noch eines hinzufügen. Es handelt sich ja nicht nur darum, daß wir an Sie appellieren, sich mit dem Vorschlag eines Mannes wie des polnischen Außenministers auseinanderzusetzen, der sicher in seinem Lande und nach seiner ganzen politischen



    Ollenhauer
    Einstellung und Vergangenheit eine völlig andere Politik betreibt. Wie die wirkliche Lage ist, zeigt doch, daß auch im Lager unserer freien Welt, der Atlantischen Gemeinschaft, eine ganze Reihe von verantwortlichen und sehr gewichtigen Mitgliedern dieser Gemeinschaft ähnliche Überlegungen haben. Lohnt es sich nicht, daß die Bundesrepublik, für die die Entspannung und die Abrüstung d i e Lebensfrage ist — wegen der nationalen Spaltung unseres Landes —, mit den Kräften in der NATO, die nach neuen Möglichkeiten und Wegen suchen, aktiv zusammenwirkt, um den toten Punkt zu überwinden? Ich bin überzeugt, auch die andere Seite weiß, wie die Lage in bezug auf die Chancen und die Risiken eines neuen Krieges ist; und was immer sie dabei aushandeln will, um zu einem Akkord zu kommen, sie wird hart verhandeln, und wir sollen auch hart verhandeln.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

    Aber in diesen Verhandlungen liegt die Chance — wie ich glaube: die einzige Chance! —, eine Katastrophe zu vermeiden. Es liegt darin eine Hoffnung für die Menschen in der Welt; und ich meine, darin liegt auch unsere Aufgabe. Sie zu erfüllen, sollte und muß Inhalt und Ziel der Politik der Bundesregierung sein. Denn diese Politik allein kann uns Einheit, Freiheit und Frieden für das ganze deutsche Volk bringen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort weitergebe, habe ich die Freude, Ihnen mitzuteilen, daß Herr Pierre Schneiter, früherer Präsident der französischen Nationalversammlung, nunmehr Sonderbeauftragter des Europarats für Flüchtlingsfragen, unseren Verhandlungen beiwohnt.

(Beifall im ganzen Hause.)

Ich begrüße Herrn Schneiter im Namen des Hauses herzlich und bitte ihn, versichert zu sein, daß dieses Haus sich der Ehre bewußt ist, die er ihm durch seinen Besuch erweist. Ich bitte ihn weiter, der Freundschaft versichert zu sein, die dieses Haus dem französischen Volk gegenüber empfindet.

(Erneuter Beifall im ganzen Hause.) Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle sind mit sorgenvollem Herzen über die Schwelle dieses neuen Jahres gegangen, und ich teile durchaus die Sorgen, die der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion zu Beginn seiner Rede hier vorgetragen hat. In der Tat haben wir allen Grund, die Entwicklung, die die Welt zur Zeit nimmt, mit großer Sorgfalt zu beobachten und uns zu überlegen, wie wir uns dieser Entwicklung anzupassen haben.
    Es gibt Menschen, die bei Betrachtung der Weltlage glauben, sich in einem Teufelskreis zu befinden, in dem es keine andere Alternative gibt, als entweder eines Tages den Atomtod zu erleiden oder eben unter kommunistische Herrschaft zu geraten. Wer so denkt, ist nicht mehr fähig, politisch zu handeln, und versucht er es doch, dann gerät sein Handeln zu einer flackernden Unruhe.
    Würde unser Volk so denken und fühlen oder auch nur annähernd so denken und fühlen, dann hätten wir keine Hoffnung, diese schwere Zeit zu bestehen. Glücklicherweise denkt unser Volk nicht so, und wir müssen uns daran erinnern, mit welcher Ruhe und Festigkeit es im vergangenen Jahre seine politische Entscheidung getroffen hat,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    eine Entscheidung, die der bisherigen Politik der Regierung zugestimmt hat. Wir — die ChristlichDemokratische Union und die Christlich-Soziale Union — haben durch diese überwältigende Zustimmung einen Auftrag bekommen

    (Abg. Wittrock: Aber keinen Freibrief!)

    — nein, einen Auftrag —, und dieser Auftrag lautet: Wir haben euch diese große Mehrheit verschafft, damit ihr eure Politik mit Kraft und Entschlossenheit weiterführt;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    schafft etwas mit dieser Mehrheit, sonst verfälscht ihr unseren Willen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Ich weiß, man hat auf gewissen Seiten mit Lieschen Müller operiert und gemeint, man habe selbst die Weisheit mit Löffeln gegessen und überlasse die Zustimmung des Volkes der CDU. Nun, das sind billige Argumente. Die Opposition sagt uns aber, die Situation habe sich geändert, und deswegen müßten wir unsere Politik neu überlegen. Gut, fragen wir uns: Was hat sich geändert, und gibt uns diese Veränderung Anlaß, eine neue Politik zu beginnen? Oder ist es nur wieder einmal der alte, wohlbekannte Streit, den wir heute in diesem Hause führen, über den wir hier so oft gesprochen haben und bei dem es manchem schwerfällt, neue Formulierungen zu finden?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Ollenhauer meinte, die neue Situation bestehe in zweierlei, in der inzwischen erfolgten militärtechnischen Entwicklung auf dem atomaren Gebiet und dem Gebiet der Raketenwaffen und in der Gefahr eines unbeschränkten Wettrüstens, die dadurch hervorgerufen worden sei, daß die Sowjetunion sich geweigert habe und sich noch weigere, bei den gemeinsamen Anstrengungen zur Abrüstung mitzuwirken. Ich stimme Herrn Ollenhauer zu: das sind tatsächlich zwei sehr ernste Entwicklungen. Die Frage ist: Können und müssen sie uns Anlaß geben, unsere Politik zu ändern?
    Herr Ollenhauer hat noch einen dritten Punkt angeführt, nämlich den, daß ein Umdenken in der westlichen Welt begonnen habe. Professor Carlo Schmid hat es in seiner Rede in Straßburg auch gesagt. Das sei ein neuer Faktor, und wir müßten ihn ebenfalls berücksichtigen.
    Nun, wie steht es mit dem letzteren? Ich glaube nicht, daß ein Umdenken in der westlichen Welt in dem Sinne, wie es Herr Ollenhauer hier und auch



    Kiesinger
    Herr Professor Carlo Schmid in Straßburg vorgetragen haben, stattfindet. Ich will den Unterschied unserer Auffassung an einem kleinen Beispiel klarzumachen versuchen. Der Sozialdemokratische Pressedienst vom 22. Januar hat den Rapacki-Plan behandelt in dem Artikel „Das Dilemma Warschaus". Da wird dem Bundeskanzler vorgeworfen, er habe den traurigen Ruhm, zu den Totengräbern des Rapacki-Plans zu zählen, und er habe in seiner Rundfunkrede die vielleicht beste Idee der Nachkriegszeit mit leichter Hand zerstörend abgetan. In den weiteren Ausführungen wird dann gesagt, hier handle es sich um einen ersten beachtenswerten Versuch Polens, das keineswegs mehr ein Satellit des Ostens sei, in die Dinge der Welt mit eigenen Vorschlägen einzugreifen usw.
    Ich habe sehr sorgfältig nachgelesen, in welchem Zusammenhang der polnische Außenminister seinen bekannten Plan vorgetragen hat. Es ist ganz offensichtlich, daß dabei polnische Interessen eine Rolle mitspielen. Er hat in seiner Rede vor den Vereinten Nationen darauf hingewiesen, daß es einen deutschen Revisionismus gebe, daß die Deutschen die Oder-Neiße-Grenze nicht anerkennen wollten und daß schon aus diesem wichtigsten Grunde ein dringendes Interesse Polens vorliege, einen solchen Plan vorzuschlagen.
    Ich kann Herrn Rapacki verstehen. Nun ist es aber tatsächlich so, wie der Außenminister gesagt hat: dieser Plan ist alt. Er stammt schon aus dem Jahre 1956, und er ist von Herrn Sorin zweimal in der Abrüstungskommission vorgetragen worden, ich glaube, jeweils im März 1956 und 1957. Ich habe mir den Text der damaligen Rede Herrn Sorins besorgt und finde in der Tat alle wesentlichen Merkmale dieses Vorschlags damals schon vorgetragen, eben die Schaffung eines atomwaffenfreien Raums zwischen Deutschland und seinen Nachbarn, wie es dort heißt. Wenn man dann nachliest, was für Nachbarn gemeint sind, dann ersieht man das aus dem Satz, ein solches Abkommen könne Höchstniveaus der Truppen der Vereinigten Staaten, der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs auf den Territorien anderer Staaten in dieser Zone, die Nichtzulassung der Stationierung von militärischen Atomeinheiten und irgendwelchen Atom- und Wasserstoffwaffen usw. festlegen. Es handelt sich also in der Tat um einen alten Plan. Aber ich bestreite nicht, daß die polnische Regierung ihn auch aufgegriffen haben kann um ihrer eigenen Interessen willen. Doch das ist kein Umdenken in der Welt.
    Genauso ist es mit den Vorschlägen von George Kennan. Wir wissen, daß George Kennan — und Dean Acheson hat es jüngst noch einmal in die Erinnerung gerufen — von Anfang an gegen den Aufbau der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft gewesen ist. Wir haben seine Pläne seit Jahren zur Kenntnis genommen. Ich selbst hatte im vergangenen Jahr Gelegenheit — als man von mir behauptete, ich zöge wie ein fliegender Radiergummi hinter Herrn Ollenhauer her, in Wahrheit auf einer Konferenz in Amerika —, mit Herrn Kennan über seine Pläne zu sprechen.

    (Abg. Wehner: Dieses „in Wahrheit"!)

    — In Wahrheit, so ist es, Herr Kollege Wehner. Ich war noch friedlich-schiedlich mit Herrn Ollenhauer, als er seine Reise begann,

    (Abg. Wehner: „In Wahrheit"!)

    in New York bei einem Essen des Generalkonsuls zusammen, und ich habe Herrn Ollenhauer damals gesagt: Ich gehe nach Süden, Sie gehen anderswohin; ich habe andere Aufgaben. So ist es dann auch geblieben. Zur selben Zeit war auch der Kollege Erler drüben bei derselben Konferenz. Da haben wir auch alle diese Pläne schon besprochen. Auch Herr Denis Healy, der brillante Abgeordnete der Labour-Party, war dort, und auch mit ihm konnten wir seinen Plan, den er jetzt in einer neuen Schrift der Fabier-Gesellschaft veröffentlicht hat, den Plan über einen neutralen Gürtel in Europa, durchdiskutieren. Ich gestehe, daß mir das alles hochinteressant war, daß ich sehr sorgfältig die Argumente abgewogen habe, um mich zu fragen, ob meine eigene Auffassung richtig ist oder ob sie berichtigt werden müßte.
    Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie haben bei den Bemerkungen zur Geschäftsordnung, die Sie gemacht haben, der Bundesregierung den Vorwurf gemacht, sie mißachte das Parlament. Ich muß dazu einiges sagen. Ich habe die Mißstimmung von Herrn Ollenhauer verstanden. Aber ich muß mich gegen die, ich muß schon sagen, um in seiner Sprechweise zu bleiben: dynamische Unbefangenheit wehren, mit der Herr Kollege Mende hier über diese Dinge gesprochen hat.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn ich Bundeskanzler wäre, Herr Ollenhauer — eine interessante Vorstellung —,

    (Heiterkeit)

    dann würde ich vielleicht anders gehandelt haben als der Herr Bundeskanzler. Ich würde jederzeit Vergnügen daran haben, mich mit Ihnen über außenpolitische Probleme zu unterhalten. Ich habe nicht das Recht, dem Herrn Bundeskanzler vorzuschreiben, wie er die Dinge hält; das ist eine Stilfrage.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Abg. Wehner: „In Wahrheit"!)

    — Ich habe nicht gesagt, was guter und was schlechter oder was richtiger und was falscher Stil wäre. Es steht im Ermessen des Regierungschefs, es so oder anders zu machen.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Metzger: Es gibt auch einen Ermessensmißbrauch!)

    Herr Mende meinte, wir übten eine Art Diktatur aus. Er erinnerte an die Zeit des Dritten Reichs, und er beschwor den demokratischen Rechtsstaat. Nun, kehren wir nüchtern zur Erde zurück. Wie ist es denn in Wahrheit? Ich habe jüngst einen englischen Labour-Abgeordneten in Paris gefragt, wie es denn eigentlich bei ihnen gehalten werde, ob sie von der Regierung unterrichtet würden, wenn es sich um wichtige Entscheidungen handle. „Oh," sagte er,



    Kiesinger
    „das ist leider gar nicht der Fall. Wenn ich z. B. etwas über militärische Dinge erfahren möchte — das kriege ich nicht von unserer Regierung gesagt —, dann muß ich nach Paris reisen, um bei der NATO nachzufragen." Ich habe ihm dann gesagt, das sei mir interessant, weil sich bei uns die Opposition sehr häufig darüber beklage, daß die Regierung sie nicht genügend unterrichte. Er meinte, das englische System sei eben anders. Bei ihnen verwirkliche die Regierung, da sie ja die absolute Mehrheit habe, entschlossen ihr Programm, und die Opposition beschränke sich darauf, die Regierung zu beobachten und zu kontrollieren, so gut sie könne, und sich im übrigen darauf vorzubereiten, gelegentlich die Macht zu übernehmen und es dann genauso zu machen wie die Regierung.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Nun, die Engländer haben daraus ja auch die Konsequenz gezogen.


    (Abg. Wehner: Müssen Sie da erst einen Engländer fragen?)

    — Aber nein, Herr Wehner, machen wir es uns doch nicht so einfach; Sie sind doch ein gescheiter Mann. Ich muß mich doch mit Herrn Mende auseinandersetzen.

    (Heiterkeit.)

    Der Herr Mende sagt: Wir zerstören die demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung, wenn wir so verfahren. Ich war immer ein Mann der Konzilianz, der sagte: Laßt uns versuchen, soviel wie möglich miteinander zu sprechen, und so werde ich's auch weiter halten. Aber das hat nichts mit der Frage zu tun, ob wir unsere Verfassung und die demokratischrechtsstaatliche Ordnung in diesem Lande respektieren oder nicht. Wir respektieren sie, und die Regierung tut es auch.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine andere Frage! Ich möchte wohl wissen, welche der westlichen Regierungen — Herr Eisenhower, Herr Macmillan, Herr Gaillard, Herr Zoli usw. - ihre Antworten, die sie an Herrn Bulganin gerichtet haben, vorher mit ihren Auswärtigen Ausschüssen oder mit ihren Parlamenten besprochen haben. Fragen Sie nach, und Sie werden die Antwort bekommen: es ist nicht geschehen. Ist das auch ein Verstoß gegen die demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung? Nein, das ist einfach die Übung, und zwar deswegen, weil überall in der Welt die Regierungen das Recht haben, Außenpolitik zu machen, und das Parlament sich darauf beschränkt, die Regierung dabei zu kontrollieren. Wenn dem Parlament die außenpolitische Haltung der Regierung nicht mehr gefällt, dann muß das Parlament die Regierung eben absetzen. Das ist natürlich schwer, wenn die Regierung über eine absolute Majorität verfügt.

    (Heiterkeit.)

    Das ist schwer bei uns, das wäre schwer in Großbritannien. Es hängt eben mit gewissen politischen
    Faktoren zusammen — Zweiparteiensystem und dergleichen—, die man sich bei solchen Erwägungen doch vorher durch den Kopf gehen lassen sollte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im übrigen — das will ich gleich vorwegnehmen
    — bin ich der Meinung, daß wir in diesem Parlament — Herr Ollenhauer hat den Gedanken anklingen lassen — tatsächlich versuchen sollten, in den kommenden Wochen und Monaten die großen Probleme gemeinsam miteinander zu besprechen, und was ich als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses dazu tun kann, um wirklich sachgerechte, bis ins einzelne dringende Aussprachen zustande zu bringen, das werde ich tun. Ich werde alles aufbieten — und ich bin überzeugt: ich werde da auf keine Schwierigkeiten stoßen —, daß auch die Regierung, insbesondere der Herr Außenminister, an dieser Arbeit tätigen Anteil nehmen.
    Die Situation, vor der wir im Augenblick stehen, ist vor allen Dingen durch die beiden Briefe Herrn Bulganins und die übrige Lawine von Briefen, Botschaften, Interviews ausgelöst worden, die die Regierung der Sowjetunion in die Welt geschickt hat. Ich darf das alles als bekannt voraussetzen und brauche nicht darauf einzugehen. Nur einen Gedanken hebe ich hervor. Immer wieder fragt man
    — und das ist auch bei unseren jüngsten Beratungen in der Beratenden Versammlung des Europarats geschehen —: Meinen es denn eigentlich die Sowjets mit ihren Vorschlägen ehrlich? Sind sie aufrichtig? Ich meine, wir sollten, bevor wir diese Frage stellen, eine andere Frage aufwerfen, nämlich: Was schlagen die Sowjets denn eigentlich vor? Lassen Sie mich daraufhin die jüngsten Briefe Herrn Bulganins kurz analysieren.
    Wenn ich recht sehe, schlagen die Sowjets vor
    — ich stimme darin mit dem Herren Außenminister überein —, den Status quo in Europa zu verfestigen. — Herr Ollenhauer, nicht wir würden diesen Status quo verfestigen, wenn wir unsere Politik weitertreiben, sondern es liegt nach unserer Auffassung gerade umgekehrt. Wenn wir den sowjetrussischen Wünschen so, wie sie vorgetragen werden, entsprächen, dann allerdings wäre der Status quo in Europa endgültig gefestigt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich entziehe mich nicht dem Ernst der Frage, was werden soll, wenn dieses Wettrüsten ununterbrochen weitergeht. Auch ich bin mit Ihnen der Überzeugung: wenn es in der Tat unbegrenzt weiterginge, dann stünde am Ende doch wohl die Katastrophe. Auch ich weiß es, es steckt etwas Wahres in dem Gedanken, daß eine deutsche Wiedervereinigung schlecht vorstellbar ist, wenn sich auf die Dauer geballte militärische Kräfte beider Seiten unmittelbar gegenüberstehen.
    Aber nun denken Sie auch umgekehrt: In all diesen Feststellungen stecken doch halbe Wahrheiten und halbe Irrtümer!
    Wenn wir z. B. der Sowjetunion die Zugeständnisse machten, die sie will, d. h. ihr eine zweifellose militärische Erleichterung etwa durch den Rapacki-Plan plus Truppenreduktion verschafften — also



    Kiesinger
    allmähliche Hinausdrängung der Amerikaner aus dem Kontinent —, und sie verspricht dagegen nichts als, das werde dann ein Klima des Vertrauens schaffen, von dem man hoffen dürfe, daß es die spätere Lösung der schwierigen und hinausgeschobenen Probleme erleichtern werde, — ich frage Sie mit allem Ernst: Was würde in einem solchen Falle überhaupt noch als Anreiz für die Sowjetunion übrigbleiben, der politischen Lösung des Problems der deutschen Wiedervereinigung zuzustimmen?

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Reizen Sie mal weiter!)

    — Herr Wehner, Sie machen den Zwischenruf „Reizen Sie einmal weiter". Sie unterliegen einem großen Irrtum. Die Herren in Moskau sind Leute, die stark im Nehmen sind; sie erwarten es auch von uns. Ich unterstelle den Herren in Moskau keine bösen Absichten; es würde schon das einfache Gewicht der Tatsache einer überwältigenden Vorherrschaft der Sowjetunion in einem Europa genügen, dessen westlicher Teil von jeder Abwehrkraft entblößt wäre.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich weiß nicht genau, was die Sowjetunion im einzelnen will. Aber gewisse Dinge will sie, und das sagt sie laut und deutlich.
    Ich sagte eben: was sollte dann noch der Anreiz für die Sowjetunion sein, in der großen politischen Frage der Wiedervereinigung Entgegenkommen zu zeigen? Das ist eine sehr ernste Frage. Ich versetze mich nämlich in die Lage und das Denken der sowjetrussischen Führer hinein. Was bedeutet es denn für die Sowjetunion, wenn sie der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zustimmt? Wir wissen doch, daß das für die Sowjetunion gewaltige Konsequenzen hätte, nicht nur was Deutschland selbst anlangt und die in Zukunft mit diesem wiedervereinigten Deutschland zu bewältigende Politik, sondern auch was den von 100 Millionen Menschen bewohnten Riesenraum der sogenannten Satellitenländer betrifft. Jedermann kann sich doch vorstellen, wie eine Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit dort wirken könnte. Warum sollen wir diese Dinge nicht aussprechen? Ich habe sie in Gesprächen mit jedem sowjetrussischen Politiker berührt, mit dem ich mich unterhalten konnte. Wir müssen, wenn wir die deutsche Wiedervereinigung wollen, nach Wegen suchen, um diese Gesamtproblematik auf irgendeine Weise lösen zu können. Wir bekommen die deutsche Wiedervereinigung nicht, natürlich nicht, wenn uns dies nicht gelingt. Aber das zeigt uns doch, daß das Problem weit, weit über die kleinen Vorschläge hinausgeht, die uns gemacht werden.
    Nun sagt man mir: „Was heißt das: kleine Vorschläge — ihr könnt nicht die Politik des Alles oder Nichts betreiben, wir müssen eine Lösung in Stufen anstreben, Teil nach Teil." Auch damit bin ich einverstanden, und der Herr Außenminister hat es ebenfalls gesagt. Aber es kommt darauf an, wie diese Stufen aussehen, welchen Teil wir erreichen. Wenn wir etwa die Zustimmung zu der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone gäben — ich sage das auf erste Prüfung hin und gebe zu, daß ich durchaus bereit bin, diese Dinge noch genauer durchzudenken —, wenn wir also unsere Zustimmung zur vorgeschlagenen Waffen- und Truppenreduktion in diesem Raum gäben, dann müßten wir uns doch fragen: wo liegt denn die Stufe, wo denn die Teillösung? Es muß doch auch für uns, für den Westen etwas herausspringen. Und was springt heraus? Nichts als die angebliche Entspannung, die angebliche Anbahnung eines Klimas des Vertrauens.

    (Abg. Dr. Mommer: Keine atomwaffenfreie Zone?)

    Politik der Vorleistungen kann man machen, und die Bundesregierung hat sie in den vergangenen Jahren ihren jetzigen Bündnispartnern gegenüber gemacht. Ich selbst habe bei der Debatte über das Petersberger Abkommen diese Politik der Vorleistungen ausdrücklich verlangt, indem ich hinzufügte, diese Politik könne fehlschlagen, wenn unsere Partner im Westen sie nicht begriffen und unser Vertrauen nicht mit demselben Vertrauen erwiderten. Man muß auf den Partner schauen, wenn man eine Politik der Vorleistungen treiben will. Ich sage nicht, daß der Partner im Osten unbedingt böswillig ist .Aber ich muß Sie auf etwas anderes hinweisen.
    Herr Kennan, den Sie häufig zitieren — ich muß ja für Sie unverdächtige Zeugen benennen —, spricht an einer Stelle seiner Vorträge über die Mentalität der Sowjetführer. Die Ausführungen, die er da macht, sind sehr beachtenswert. Er trifft sich da mit Herrn Djilas, der in seinem Buch „Die neue Klasse", dessentwegen er eine langjährige Gefängnisstrafe auf sich genommen hat, dasselbe sagt. Beide Männersagen, das Quälende sei, daß die Sowjetführer nicht imstande seien, einen Teil der Wirklichkeit, die vor ihnen stehe, richtig zu sehen. Diese Schwäche der Sowjetführer sei in der kommunistischen Ideologie und der jahrelangen Praxis des Opportunismus begründet. Wenn das nun so ist — und Herr Kennan behandelt dieses Thema über ganze Seiten; er warnt den Westen davor, anzunehmen, daß die Sowjetführer die Wirklichkeit mit denselben Augen sähen wie der Westen —, dann müssen wir das bei allen Vorschlägen, mit ihnen zu verhandeln, in Rechnung stellen. Eines dieser Elemente des Falsch-Sehens scheint mir das tiefe Mißtrauen zu sein, das die Sowjetführer immer noch gegenüber der westlichen Welt und gegenüber den Absichten der Politiker der westlichen Welt haben.
    Infolgedessen stimme ich zwar zu, Herr Ollenhauer: Verhandeln, Anstrengungen machen, Teillösungen anstreben; aber Lösungen anderer Art als diese reinen und gefährlichen Vorleistungen. Eine deutsche Zeitung hat geschrieben: Sieht denn die Opposition nicht, daß die Verwirklichung des Rapacki-Plans der deutschen Wiedervereinigung geradezu entgegenläuft? Dort sind dieselben Gedankengänge genannt, die ich eben darzulegen versucht habe. Sowjetrußland muß, wenn es den großen Schritt tut, der Wiedervereinigung in Freiheit zuzustimmen, Anreize haben.



    Kiesinger
    Ein anderer Kronzeuge, auf den Sie sich gerne berufen, ist Herr Denis Healy. Ja, Denis Healy ist ein nüchterner Mann. Et spricht auch über die Frage, wie die Sowjetunion wohl bewogen werden könne, seinem Plan, der sich ja auch mit truppen-
    und waffenfreien Zonen in Mitteleuropa und einem Teil Westeuropas beschäftigt, zuzustimmen. Da klingt es ganz anders. Was sagt er? Von entscheidender Bedeutung für eine positive Haltung der Sowjetunion seinem Plan gegenüber sei die Furcht der Sowjetführer, sich andernfalls in Kürze einem voll atomar aufgerüsteten Westeuropa einschließlich der Bundesrepublik gegenüberzubefinden. Ich glaube in der Tat, daß solche Erwägungen bei den Führern der Sowjetunion eine Rolle spielen. Gerade deswegen sollte der Westen klar zeigen, daß er entschlossen ist, entweder die Freiheit seiner Bürger und Völker unter allen Umständen zu verteidigen oder eine wirklich durchgreifende rettende Abrüstung zu erreichen, daß er sich aber weigert, einen zwischen diesen Alternativen liegenden unnützen oder gar lebensgefährlichen Mittelweg zu gehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage damit nicht, daß ich der Politik des „Alles oder Nichts" das Wort rede.

    (Abg. Ollenhauer: Was aber?)

    — Aber es muß bei der Verhandlung über eine Teillösung, die Herr Ollenhauer gefordert hat, die Chance eines Ergebnisses vorhanden sein, daß man eben mehr erreicht als die einseitige Schwächung des Westens.
    Herr Ollenhauer, Sie sagten, die Regierung sei Ihnen den Beweis schuldig geblieben, warum der Rapacki-Plan zu einer entscheidenden Schwächung der NATO führen werde. Nun, das Ergebnis dieser gesamten militärischen Überlegungen, die nicht nur mit dem Rapackiplan, sondern auch mit der technischen und militärtechnischen Entwicklung der letzten Zeit etwas zu tun haben, wird zur Zeit — es wurde erwähnt — im Bereich der NATO von den Regierungsexperten studiert. Herr Mende hat mit hohem Pathos den Vorrang der Politik vor dem militärischen Denken beschworen; ich stimme ihm zu.

    (Abg. Dr. Mende: Das Pathos habe ich von Ihnen gelernt!)

    — Ich habe mich inzwischen etwas nüchterner entwickelt.

    (Abg. Dr. Mende: Man wird älter!)

    — Ja, man wird älter und weiser; das geht uns allen so.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich habe den sicheren Eindruck, daß in diesem Lande und Staate der Primat des Politischen über das Militärische über jeden Zweifel erhaben sei.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie haben historische Reminiszenzen angestellt. Ich
    glaube, das Unglück in der Vergangenheit, Herr
    Mende, war nicht der Vorrang des militärischen
    Denkens — ich spreche nicht von 1939, sondern von 1914 —, sondern die Unfähigkeit und der Zickzackkurs einer Regierung, die nicht fähig war, einer komplizierten weltpolitischen Situation klar und fest zu begegnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nicht nur bei uns, auch anderswo war es so, und deswegen schlitterten alle damals in den Weltkrieg hinein.

    (Abg. Altmaier: Historisch ist das falsch, Herr Kollege Kiesinger!)

    — Nein, nein, Herr Altmaier; wir verstehen uns sonst, wenn wir uns über historische Dinge unterhalten, im allgemeinen ganz gut. Ich glaube nicht, daß man der deutschen Politik von damals den Vorrang des militärischen Denkens vorwerfen kann; es fehlte ihr nur ein adäquates politisches Denken.
    Nun zu den ganzen Plänen! Da muß ich etwas richtigstellen. Nicht hier in der Debatte des Bundestages, nicht in den Worten des Herrn Kollegen Ollenhauer, aber so oft draußen im Lande — während des Wahlkampfes und auch jetzt noch — findet man die Vorstellung, als sei das alles nicht so schlimm, als sei die Sowjetmacht uns gar nicht so gefährlich. Im Grunde genommen liege es nur an einem bißchen guten Willen auf seiten des Bundeskanzlers, der Bundesregierung und bei uns, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Nicht Sie, Herr Ollenhauer, haben das gesagt; ich habe das ausdrücklich festgestellt. Aber es findet sich in der politischen Vulgärliteratur Ihrer Seite. Da lese ich z. B. in einer süddeutschen sozialdemokratischen Zeitung — —(Abg. Wehner: Was Sie alles lesen!)

    — Ja, solche Lektüre muß man treiben; man muß das Ohr am Volke halten.

    (Abg. Wehner: Lesen Sie mit dem Ohr?)

    — Wir leben in einer akustisch gewandelten Welt, Herr Wehner.
    In dieser Zeitung sagt der Schreiber des Aufsatzes „Schweitzer gegen Adenauer", der — auch von mir hochverehrte — Professor Schweitzer vertrete das Prinzip der Liebe gegen alle, während es Adenauer nicht um die Rettung der Kreatur, sondern um die Rettung des Christentums, wie er sie verstehe, gehe; er setze statt Liebe allen unüberwindliche Feindschaft entgegen, auch denen, die lieben wollten.

    (Lachen in der Mitte.)

    Nun, meine Damen und Herren, ich würde es begrüßen, wenn uns unsere Partner im Osten wirklich lieben wollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)


    (Abg. Ollenhauer: Seien Sie mal so lieb und sagen Sie, in welcher Zeitung das steht!)




    Kiesinger
    — Es ist die „Schwäbische Volkszeitung" in Augsburg, und geschrieben hat das ein Herr Wilhelm Riepkohl.

    (Abg. Erler: War das nicht ein Leserbrief?)

    — Das weiß ich nicht.

    (Zurufe von der SPD: Aha!)

    — Also, ich kann weder ja noch nein dazu sagen. Bitte, prüfen Sie es selber nach. Ich sage nur: diese Stimmung — man hat sie auch im Wahlkampf gefunden — war weit verbreitet, und Ihre Propaganda hat oft genug gesagt: Die CDU und der Bundeskanzler malen den Teufel an die Wand! Sie — und gerade Sie, Herr Wehner — haben gesagt, wir hätten den Wahlkampf von 1953 gewonnen, weil wir das bolschewistische Schreckgespenst an die Wand gemalt hätten.
    Und nun glaube ich wirklich, Sie tun uns unrecht.

    (Zurufe von der SPD: Nein!)

    Kann man in dieser Weltsituation die Gefahr, die uns bedroht, stark genug schildern? Ist es denn nicht so, daß sich Europa in einer tödlichen Gefahr befindet? Hat man das alles vergessen? Auch wenn ich gar nicht unterstellen will, daß uns die sowjetrussischen Führer, obwohl sie uns vielleicht zum Fressen gern haben, demnächst mit einem Krieg überziehen wollen! Die Gefahr, in der wir uns befinden, ist — da stimme ich Herrn Kennan zu — eine doppelte: eine politische und eine militärische. Ich würde auch wie er dabei der politischen Gefahr den Vorrang einräumen. Die Gefahr kommt einfach aus der dynamischen Kraft des kommunistischen Systems, das sich mit der Weltmacht Sowjetrußlands verbündet hat. Und die Kommunisten machen auch kein Geheimnis daraus. Der erwähnte kommunistische Führerkongreß hat doch gesagt, daß die Weltrevolution erstrebt werde und daß dabei zwar das Mittel der sogenannten friedlichen Machtergreifung — hierbei denkt man dann an so etwas wie in der Tschechoslowakei —, aber auch das Mittel der Machtergreifung mit Gewalt vorgesehen sei.
    Soll ich Ihnen vorlesen, was George Kennan, Ihr Gewährsmann, über diese Gefahr über ganze Seiten hin sagt, wie er den Westen beschwört, diese Gefahr nicht zu verkleinern, sondern zu begreifen, daß wir es hier mit einer unheimlich entschlossenen Kraft und Macht zu tun haben?
    Das hat ihm dann ja auch den ersten Tadel aus Moskau eingetragen; denn dieser Vortrag stand noch am Beginn seines Vortragszyklus. Erst hinterher ist er gelobt worden, als er seinen erstaunlichen Schluß aus den Prämissen zog.
    Was für einen Vorschlag hat Herr Kennan? Er sagt: wir müssen in Europa ein Disengagement schaffen, wir müssen diesen Raum militärisch uninteressant machen, die Giganten müssen auseinandergerückt werden. Das ist auch das wichtigste, was wir auch in den Ausführungen Herrn Ollenhauers gehört haben. Gut, aber dann muß man doch zugleich etwas darüber aussagen, wie es in diesem Fall um unsere Sicherheit bestellt sein wird, wie
    wir gegenüber der ungeheuren Überlegenheit Sowjetrußlands in Europa geschützt sein sollen.
    Ich will Ihnen Herrn Kennans Vorschlag nicht vorenthalten. Man muß ihn mit Aufmerksamkeit hören. Er sagt:
    Die Europäer müssen sich selbst helfen. Sie trauen sich viel zuwenig zu., Sie schreien immer nach der Hilfe Amerikas, aber in Wahrheit liegt die Abwehr bei ihnen. Die Menschen haben sich zu sehr an den Gedanken gewöhnt, daß ihre Gefährdung rein militärischer Art sei. Aber sie ist hauptsächlich politischer Art.
    Er hat keinen Zweifel, daß die Sowjetunion bereit sein könnte, für die politischen Ziele schließlich auch die militärischen Kräfte einzusetzen. Und nun hören Sie — der Herr Außenminister hat bereits darauf Bezug genommen —, was er vorschlägt, und sagen Sie mir, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, von einem solchen Vorschlag halten. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten diese kurze Stelle vorlesen. George Kennan sagt:
    Was diese Länder Europas also brauchen, ist eine strategische Doktrin, die den Realitäten Rechnung trägt. Nach einer solchen Doktrin würden bewaffnete Streitkräfte durchaus benötigt. Ich würde jedoch vorschlagen, daß diese Streitkräfte in der Regel halbmilitärischer Art sein sollten, eine Art Landmiliz also, etwa nach Schweizer Vorbild. Ihre Funktion sollte mehr innenpolitischer als außenpolitischer Art sein. Der Bedrohung durch den russischen Kommunismus muß in erster Linie auf der Ebene polizeilicher Realitäten begegnet werden und nicht auf regelrechten militärischen Schlachtfeldern. Die Ausbildung dieser Kräfte müßte nicht nur darauf vorbereiten, einem fremden Eindringling jedweden offenen Widerstand entgegenzusetzen, sondern auch darauf, die Kerntruppe für eine zivile Widerstandsbewegung in jenem Gebiet, das vom Feinde überrannt werden könnte, zu bilden. Aus diesem Grunde braucht und sollte sie nicht mit schwerer Ausrüstung oder komplizierten Versorgungsbedürfnissen belastet sein. Ich möchte noch einmal betonen, daß der Hauptzweck der von mir vorgeschlagenen Maßnahme nicht die Verteidigung des Landes an seinen Grenzen bedeuten würde, obwohl man natürlich in dieser Hinsicht alles zu tun versuchen würde. Mein Vorschlag besagt vielmehr
    — hören Sie! —
    die Verteidigung des Landes an jeder Dorfstraßenkreuzung.

    (Hört! Hört! in der Mitte.) Und dann sagt er:

    Wenn ein Volk so organisiert wäre, daß es dann überdies noch nicht einen einzigen gäbe, der sich der eindringenden kommunistischen Macht als Gehilfe zur Verfügung stellen würde, dann allerdings, glaube ich, kann ich mich ganz persönlich dafür verbürgen, daß jedes Land, das sich in der Lage befindet, so etwas Moskau zu



    Kiesinger
    sagen, wenig Bedarf an fremden Truppen haben wird, um sicherzustellen, daß ihm ein russischer Angriff nichts anhaben kann.

    (Lachen und Zurufe von der Mitte. — Zuruf von der CDU/CSU: A la bonne heure!)

    Meine Damen und Herren, das mußte ich deutlich sagen.

    (Abg. Ollenhauer: Wem eigentlich? Wer hat denn hier den Kennan-Plan vertreten? Mit wem polemisieren Sie eigentlich?)

    — Herr Kollege Ollenhauer, Sie wissen ganz genau, daß auch der Kennan-Plan ein Teil jenes großen Problems ist, das Disengagement heißt, das also, wie es Carlo Schmid ausgedrückt hat, auf die Schaffung einer militärisch uninteressanten Zone zielt. Ich habe, weil ich ja einen für Sie unverdächtigen Zeugen haben wollte, Herrn Kennan zitiert. Wenn man also vorschlägt: Schafft Entspannung!, dann erheischt die ewig unbeantwortete, die ewig von Ihnen unbeantwortete Frage, eine Antwort: Wie steht es dann mit unserer Sicherheit?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe Ihnen am Beispiel Herrn Kennans, Herr Ollenhauer, gezeigt, wie außerordentlich schwer es ist, das Sicherheitsproblem zu lösen, wenn man sich einmal auf solche Pläne einläßt.

    (Abg. Ollenhauer: Nur, wir haben uns nicht darauf eingelassen! Vielleicht lesen Sie unseren Antrag mit derselben Aufmerksamkeit und Liebe ... ! — Abg. Wehner: .. wie diese eine Stelle bei Kennan!)

    — Herr Wehner, ich habe den ganzen Kennan von A bis Z gelesen, und ich habe mit ihm darüber gesprochen.

    (Zuruf des Abg. Wehner.)

    — Wissen Sie, Herr Wehner, unterstellen Sie doch ihrem politischen Gegner nicht immer Infamie! Sie sollten mich zur Genüge kennen. Ich habe in der Vergangenheit wohl bewiesen — auch Ihnen gegenüber bewiesen —, daß ich weitab davon bin, meinen politischen Gegner nicht zu respektieren,

    (Beifall in der Mitte)

    wenn er eine nach meiner Meinung zwar falsche, aber ehrliche politische Auffassung vertritt.
    Herr Ollenhauer, Sie sagen dann: Lesen Sie doch unsere Vorschläge in puncto Sicherheit! — Ich habe bis heute, Herr Ollenhauer, keinen sozialdemokratischen Sicherheitsvorschlag gelesen, der mir die Überzeugung gibt, daß, wenn man diesen Plan annähme, unsere Sicherheit gewährleistet wäre.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Immer wieder erscheint Ihr alter Vorschlag des europäischen kollektiven Sicherheitssystems.

    (Zurufe von der SPD.)

    Herr Mende hat heute sogar als gelehriger Schüler
    — Ihr gelehriger Schüler, Herr Ollenhauer! — von
    einem Bündnis zwischen den USA und der Sowjetunion gesprochen,

    (Hört! Hört! in der Mitte)

    nicht einmal mehr von einem kollektiven Sicherheitssystem. Ja, in diesem System steckt zwar das Wort „Sicherheit" drin, aber ich suche die Sicherheit in Wirklichkeit vergebens.