Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage der Druck- 31 macht die sozialdemokratische Fraktion zum zweiten Male den Versuch, das Problem des Jugendarbeitschutzes auf die gesetzgeberische Ebene zu heben und es einer Lösung zuzuführen.
Ich darf daran erinnern, daß die sozialdemokratische Fraktion schon einmal, unter dem 6. Juni 1956, einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht und daß die Bundesregierung mit Datum vom 13. März 1957 ebenfalls einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Ich darf weiter darauf aufmerksam machen, daß in der öffentlichen Diskussion, soweit sich die Fraktionen dieses Hauses in sie eingeschaltet haben, immer wieder anerkannt worden ist, daß der Jugendarbeitsschutz einer umfassenden neuzeitlichen gesetzlichen Regelung bedarf.
Auf Grund der damaligen Regierungsvorlage, der sozialdemokratischen Vorlage von 1956, der jetzigen sozialdemokratischen Vorlage und der Aussagen in der Offentlichkeit darf ich vermuten, daß über die Notwendigkeit, eine wirksame Regelung des Jugendarbeitsschutzes zu schaffen, keine Meinungsverschiedenheiten bestehen. Die Frage ist nur, ob sich — wie heute beim Lebensmittelgesetz — vielleicht wieder ein Minister hinstellen und sagen könnte, die Opposition habe die Regierung überrundet. Nun, das sollte nicht zur Debatte stehen. Es sollte vielmehr allseitig der Wille erkennbar werden, dem Problem des Jugendarbeitsschutzes die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.
Lassen Sie mich eine zusätzliche Bemerkung machen. Wir haben noch Jugendarbeitsschutzbestimmungen. Sie sind uneinheitlich, sie stammen zum Teil aus einer Zeit, in der man mit ganz anderen Überlegungen an das Problem des Jugendarbeitsschutzes herangegangen ist. Die Jugendarbeitsschutzbestimmungen des „Tausendjährigen Reiches" sind weitgehend unter dem Gesichtspunkt geschaffen worden, kriegsdienstverwendungsfähige oder -taugliche junge Menschen für die damalige Wehrmacht zu haben oder zu erhalten. Sie sind nicht um der jungen Menschen selbst willen, der Erhaltung ihrer Arbeitskraft und ihrer eigenen Existenzsicherung willen erlassen worden. Insoweit waren die Jugendarbeitsschutzbestimmungen des „Tausendjährigen Reiches" den längere Zeit vorher in Kraft gesetzten Jugendarbeitsschutzbestimmungen des Staates Preußen ähnlich, die aus Erwägungen erlassen worden waren, wie sie in der Zeit der Industrialisierung auch in anderen Ländern angestellt worden sind, nachdem allzu starke Schäden der jungen Menschen ihre militärische Verwendungsfähigkeit beeinträchtigt hatten. Ich meine, diese Überlegungen — darum bitte ich alle hier im Hause und auch in der Öffentlichkeit - sollten bei der Bejahung des Jugendarbeitsschutzes, so, wie wir ihn heute wollen und ihn uns heute vorstellen, keine Rolle spielen. Wir sollten uns darüber klar sein, daß der Jugendarbeitsschutz umfassend sein und entsprechend den Erfordernissen der Volksgesundheit und der sozialen Sicherung wegen nur vom Menschen selber, der Sicherung seiner Arbeitskraft und der Sicherung seiner Existenzmöglichkeit ausgehen sollte.
Wir wollen mit der Vorlage eines Jugendarbeitsschutzgesetzes zuerst einmal klarstellen, daß der eingeschränkte Arbeitsschutz für den Jugendlichen, wie er heute da ist, nicht mehr zumutbar ist. Wir müssen also unsere gesamte Wirtschaft einbeziehen. Ein künftiges Jugendarbeitsschutzgesetz sollte alle Wirtschafts- und Gewerbezweige erfassen und für alle Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren gelten, d. h. entsprechend der Begriffsbestimmung, die wir in diesem Hause für den Jugendlichen gefunden haben; diese Begriffsbestimmung soll also einheitlich sein.
Wir sollten — darauf möchte ich in diesem Zusammenhang schon einmal hinweisen — auch nicht die Jugendlichen besonders unterscheiden, die zwar unter 18 Jahren sind, aber nicht mehr in der Berufs-
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ausbildung stehen, sondern schon ausgelernt haben, so wie das in dem ursprünglichen Regierungsentwurf enthalten war.
Eine solche umfassende Lösung brauchen wir; das scheint unbestritten zu sein. Wir haben aber in der vergangenen Legislaturperiode praktisch weder den zunächst eingebrachten sozialdemokratischen Entwurf noch den Regierungsentwurf behandelt. Es hat in den vereinigten Ausschüssen für Arbeit und für Jugendfragen lediglich zur sogenannten Sachverständigenvernehmung gereicht. Alle Organisationen, die mit diesen Fragen überhaupt befaßt sind, sind also gehört worden. Wir sind daran interessiert, daß diese Dinge heute mit dem notwendigen Nachdruck betrieben werden und daß die Regierungskoalition — ich könnte auch sagen, die CDU/ CSU-Fraktion — nicht wartet, bis die Regierung wieder einen Entwurf einbringt. Die verschiedenen Vorstellungen könnten im Ausschuß gegeneinander abgewogen werden. Ein Warten auf einen neuen Regierungsentwurf würde die Behandlung dieser Frage verzögern.
— Na ja, es sollte schon so manches schnell geschehen! Wir legen Wert auf die schnelle Behandlung der Sache im Hinblick auf die Versprechungen, die alle den Betroffenen gemacht haben. Da unten sitzt einer, nämlich Herr Kemmer, der mit mir auf dem Jugendkongreß des DGB war und ganz eindeutig nicht nur für sich, sondern auch für seine politischen Freunde erklärte: Wir wollen das so schnell wie möglich machen.
— Bitte, wir geben Ihnen mit diesem Entwurf jetzt Gelegenheit, das so schnell wie möglich zu tun.
— Das sollten Sie lieber nicht sagen; ich habe sonst die Befürchtung, daß es wieder so lange dauert wie damals vom 6. Juni 1956 bis zum 12. März 1957. Ein Dreivierteljahr ist uns zu lang. Nach alledem, was schon an Vorarbeiten geleistet worden ist, ist es gar keine Frage, daß diese Dinge umgehend gemacht werden können.
Man muß im Hinblick auf den Jugendarbeitsschutz und die allgemeinen Grundsätze, die ich genannt habe — das muß ich noch hinzufügen, das geht auch aus unserem Entwurf hervor —, von Vorstellungen abgehen, die den Verdacht aufkommen lassen könnten, daß wir betriebs- oder volkswirtschaftliche Erwägungen auf Erwerbstätigkeit von Kindern oder Jugendlichen gründen wollten. Solche Gesichtspunkte müssen eindeutig aus allen Betrachtungen und Überlegungen ausschalten. Es ist übrigens schon von den verschiedenen Seiten dieses Hauses gesagt worden, aber man muß es hier noch einmal unterstreichen, daß daher die Erwerbstätigkeit von Kindern dem Grundsatz nach abzulehnen ist. Die unzumutbare, der Entwicklung des Jugendlichen und der Sicherung seiner Arbeitskraft nicht zuträgliche Art der Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung ist ebenfalls abzulehnen. Das bedeutet nicht, daß nicht unter bestimmten Voraussetzungen und in einem bestimmten Umfange — das ist in dem Gesetzentwurf festgelegt — die Beschäftigung von Kindern wie von Jugendlichen möglich sei; aber es gibt keine so dargestellte Erwerbstätigkeit von Kindern oder Jugendlichen.
In der Vorlage ist wie schon in dem alten Entwurf die Arbeitszeitbestimmung sehr deutlich formuliert: 8 Stunden täglich, 40 Stunden wöchentlich, Berufsschulzeit gilt als Arbeitszeit.
Ich möchte von vornherein einem Einwand begegnen, der schon in der ersten Lesung unseres Gesetzentwurfes in der zweiten Legislaturperiode erhoben worden war. Er ging dahin: dann sei aber die Ausbildung der in einem Lehrverhältnis befindlichen Jugendlichen gefährdet. Die Ausbildungsdauer ist nicht Sache eines wie immer gearteten Jugendarbeitsschutzgesetzes. Wir haben, soweit beispielsweise das Handwerk betroffen ist, in der Handwerksordnung eine Bestimmung, die ganz eindeutig sagt, daß die Lehrzeit drei bis vier Jahre betragen kann. Die Stellen, die sich für die Berufsausbildung verantwortlich fühlen, die über Berufsbilder und -ausbildungspläne miteinander reden, könnten also sehr wohl abwägen, wie die Ausbildungszeiten zu gestalten sind. Dabei möchte ich hinzufügen, daß man sich, ehe man an die Verlängerung von Ausbildungszeiten herangeht, sehr sorgfältig überlegen muß, wieweit ganz bestimmte Berufe eine nicht so ausgedehnte Ausbildungszeit brauchen und wieweit die Ausbildung konzentriert und die Dauer abgekürzt werden kann.
Des weiteren sind in dem Gesetz entsprechende Bestimmungen über Ruhepausen, Ruhezeiten und Sonn- und Feiertagsruhe enthalten. Nur für Notfälle gibt es eine Ausnahmebestimmung, wonach Mehrarbeit unter Umständen für Jugendliche unumgänglich notwendig ist.
Die allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes gelten im wesentlichen für alle Wirtschaftszweige, und nur die unerläßlichen Ausnahmebestimmungen für die Landwirtschaft, für die Hauswirtschaft, für den Bergbau, für die Binnenschiffahrt und für die Seeschiffahrt sind in fünf besonderen, aber kurzen Abschnitten enthalten. Sie haben ja die Drucksache vor sich liegen. Wir haben in diesem Gesetzentwurf wie in unserem ersten wiederum eine Urlaubsdauer von 24 Arbeitstagen vorgesehen und sagen auch ganz eindeutig, daß 18 Tage Urlaub auf Grund der medizinischen Erkenntnisse zusammenhängend gegeben werden müssen.
Eindeutig enthält dieses Gesetz auch ein Akkordverbot und ein Verbot solcher Tätigkeiten, die der Akkordarbeit, Fließbandarbeit usw. gleichzusetzen sind, weil das nämlich auch Tätigkeiten sind, die dem in der Entwicklung befindlichen Jugendlichen in bezug auf seine Gesundheit und seine Arbeitskraft nicht zu-, sondern abträglich sind.
Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang auf die auch in der damaligen Begründung stark her-
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vorgehobenen Strafvorschriften verweisen. Das Gesetz geht also vom Schmalspurstrafrecht ab ins Vollstrafrecht. Damit soll auch unseren Juristen oder denjenigen, die über Verstöße gegen solche Bestimmungen zu urteilen haben, die unter Umständen Mißbrauch Jugendlicher in bezug auf Arbeitsleistung, die zu körperlichen Schäden führen kann oder mit Körperverletzung gleichzusetzen ist, bedeuten, die entsprechende Verantwortlichkeit von vornherein nahegebracht werden, ohne der Auffassung zu sein: „Na, es steht ja nicht im Strafgesetzbuch, das braucht man nicht so schwer zu nehmen, man kann es milder beurteilen." Wir wollen solche Delikte eindeutig als Körperverletzung gewertet wissen. Dabei wollen wir die Verantwortung nicht nur dem Arbeitgeber, sondern in genau dem gleichen Umfang den Erziehungsverpflichteten, also den Eltern, aufbürden. Man kann diese Verantwortung nicht einseitig verlagern.
Gestatten Sie mir nun noch ein letztes Wort zu § 3, die ärztliche Untersuchung. Über sie hat es erhebliche Meinungsverschiedenheiten gegeben. Wir müssen uns — und das ist auch an die Adresse des Arbeitsministers gerichtet — bei der Schaffung von Bestimmungen über ärztliche Untersuchungen darüber klar sein, daß sie nicht so gestaltet werden dürfen, daß daraus, sagen wir einmal, Arbeitsverwendungsfähigkeits-Karteien — ein häßliches Wort! — entstehen und insoweit während der Zeit ihrer körperlichen Entwicklung weniger entwickelte Jugendliche benachteiligt werden oder durch solche ärztlichen Untersuchungen gewissermaßen eine Negativauslese entsteht, die Betriebe sich also nur — wir haben heute nachmittag schon einmal etwas von guten Risiken gehört — die guten Risiken heranziehen. Die Benachteiligung, die die in der körperlichen oder geistigen Entwicklung — hier geht es mehr um die körperliche und die Gesamtverfassung der jungen Menschen — weniger begünstigten Jugendlichen hierdurch erleiden würden, könnte sich so auf die Berufswahl erstrecken und damit unter Umständen für ihr ganzes späteres Leben auswirken. Wir sollten also die Großzügigkeit, die das Grundgesetz im Zusammenhang mit der Garantie der freien Berufswahl, der freien Arbeitsplatzwahl usw. enthält, beachten, d. h. wir sollten aus der ärztlichen Untersuchung keine Zwangsmaßnahme parallel beispielsweise zur Untersuchung für die Wehrtauglichkeit machen.
Das war das, was ich zum Grundsatz und zu der Linie, die dieses Gesetz in sich birgt, wiederholen zu sollen glaubte. Eine ausführliche Begründung kann ich mir heute wohl ersparen, da ich auf das verweisen kann, was seinerzeit bei der Einbringung unseres Gesetzentwurfs und auch in der Debatte über den Regierungsentwurf sowie darüber hinaus in der Öffentlichkeit gesagt worden ist. Uns kommt es darauf an, daß an diesem Problem so schnell und so intensiv wie möglich gearbeitet wird, daß alle Versprechungen, die quer durch das Haus gegeben worden sind, um der Menschen willen, um ihrer Sicherheit und ihrer Existenzgrundlage willen eingelöst werden und ein Jugendarbeitsschutz zustande kommt, der den Versuch erkennen läßt, vom Menschen auszugehen und zugunsten des Menschen eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die seine Entwicklung sicherstellt. Das nützt uns letzten Endes auch volkswirtschaftlich, auch sozialpolitisch im umfassenden Sinne, weil uns nämlich bei einem. umfassenden Jugendarbeitsschutz Soziallasten — im volkswirtschaftlichen Sinne — erspart werden, die durch Invaliditätsfälle infolge unzulänglichen Schutzes der jugendlichen Arbeitskraft entstehen. Deshalb meine Bitte an die Regierungskoalition, mit der Ausschußberatung dieser Vorlage nicht zu warten, bis die Regierung ihren Gesetzentwurf eingebracht hat, sondern mit den Beratungen im Ausschuß für Arbeit und im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen, an die wir die Vorlage überwiesen wissen wollen, sofort zu beginnen.
Vizepräsident Dr. Schmids Meine Damen und Herren, ehe ich weiter das Wort erteile, mache ich darauf aufmerksam, daß auf Seite 3 der Drucksache 31 ein Druckfehler enthalten ist. In der Überschrift des Vierten Abschnittes muß es statt „Hauswirtschaft" heißen „Landwirtschaft".
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dürr.