Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Ausführungen meiner Kollegin Frau Krappe haben mich gezwungen, mich noch einmal zu Wort zu melden. Ich kann ihr nicht ganz so liebenswürdig und nicht ganz so charmant wie Kollege Horn mildernde Umstände zusprechen, da ich weiß, daß sie nicht irgendeine Abgeordnete ist, sondern im Berliner Abgeordnetenhaus, zumindest im Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses, mit diesen Dingen sehr oft beschäftigt gewesen ist. Weil ich das respektiere und annehme, daß sie nicht nur so obenhin, wie sie vielleicht im Wahlkampf spricht, hier diskutiert, sondern die Dinge kennt, will ich auf die von ihr gemachten Äußerungen sachlich eingehen. Ich will nicht in dem gleichen Ton, in dem Sie, vielleicht mit Gefühl und sicherlich mit großem Unbehagen — das Sie haben sollten, wenn Sie Ihre Ausführungen bedenken —, hier einige Dinge unterstellt haben, die Probleme behandeln, sondern will mich bemühen, diese Unterstellungen sachlich zu widerlegen.
In der Frage der Reform der Krankenversicherung im Zusammenhang mit dem, was Sie an Einzelproblemen angesprochen haben, Frau Kollegin, sind wir doch wohl alle der Meinung, daß alle Probleme, die die Reform angehen, nur nach einheitlichem Recht, aber auch nur nach einheitlichen Möglichkeiten gelöst werden können, daß die Voraussetzungen in bezug auf Beitrag und Leistung wie in bezug auf die Kosten der Wohltaten, die wir versprechen oder erhalten wollen, für alle gleichermaßen gelten müssen. Weil wir alle in einem Boot sitzen und weil die Steuerzahler und Beitragszahler der Bundesrepublik genau wie die Steuerzahler und Beitragszahler in Berlin die Mittel dafür aufbringen müssen, deshalb, meine ich, sollten wir auch in Reformfragen wie der, ob die Aussteuerung restlos aufgehoben werden kann, zu einer Einigung kommen. Wenn Sie mich und meine sozialpolitische Konzeption kennten, wüßten Sie, daß niemand die Notwendigkeit einer ausreichenden Leistungsgestaltung für den Fall langanhaltender Krankheit mehr anerkennt und sich um die Durchsetzung dieser Forderung mehr bemüht als gerade ich. Was aber das Problem der Aussteuerung nun mit der medizinischen Forschung oder mit privaten Medikamenten zu tun haben soll, das kann ich mir nicht vorstellen. Denn, Frau Kollegin, ob jemand längere oder kürzere Zeit im Krankenhaus verweilt, das hängt sicher mit dem Grad der Schwere seiner Erkrankung und der Diagnose zusammen. Unsere Ärzte, die die Dauer des Krankenhausaufenthaltes bescheinigen, machen das sicherlich nicht abhängig von den Fortschritten der Medizin oder von dem einen oder anderen Medikament, das heute auf dem Markt erscheint.
Das Problem der Rentner und der Arbeitslosen stellt sich heute auch in Berlin nicht mehr viel anders dar als im Bundesgebiet. Wenn Herr Schellenberg — ich sage, mit Recht — stolz darauf ist, daß trotz seiner vielen Rentner in Berlin seine Krankenkasse unter den Gegebenheiten und Voraussetzungen, die man in Berlin berücksichtigen muß, in keiner viel schlechteren Situation ist als andere Kassen in anderen großen Städten der Bundesrepublik —denn nur damit kann man ja vergleichen —, dann meine ich, daß das Problem der Krankenversicherung der Rentner und der Leistungen für die Rentner jetzt doch nicht zum Anlaß genommen werden kann, eine allgemeine Bestimmung der Reichsversicherungsordnung als unsozial zu bezeichnen, deren praktische Anwendung immerhin in der ganzen Bundesrepublik in der Regel gut funktioniert hat. Man sollte auch nicht so tun, als wäre der wirtschaftliche Erfolg an Berlin ganz vorbeigegangen. Wir sind doch alle zusammen glücklich und stolz darüber, daß sich in Berlin die wirtschaftlichen Verhältnisse so sichtbar gebessert haben und daß wir die Möglichkeit haben, über die Anpassung dieser Dinge ohne Not zu sprechen. Was mich in diesem Zusammenhang geradezu empört und was ich so bedauere, ist, daß in der Öffentlichkeit immer wieder der Eindruck entsteht, daß hier soziale Wohltaten, gewachsen auf dem Boden Berlins und finanziert — das wird nicht deutlich gesagt — durch besondere Steuern und besonders hohe Beiträge, beseitigt werden sollen, um mindere soziale Einrichtungen zu schaffen. Die Entwicklung der letzten Monate in der Bundesrepublik hat deutlich gemacht, daß allen Krankenkassen, allen ihren Organen und Organvertretern in der Selbstverwaltung die gleiche Pflicht aufgegeben ist. Die Honorarforderungen der Ärzte, die Krankenhauspflegesätze — die Sie in Berlin wohlweislich noch nicht erhöht haben, weil der Magistrat, wie Herr Senator Klein uns ja selbst gesagt hat, dieses Problem bis nach der Verabschiedung dieses Gesetzes zurückgestellt hat —, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die Grippewelle, alle diese Fragen betreffen doch die künftige Ortskrankenkasse Berlin nicht anders als jede andere Ortskrankenkasse im Bundesgebiet.
Sie sprachen von der mangelnden Gesundheitsvorsorge, Frau Kollegin. Die Probleme der Gesundheitsvorsorge und der Gesundheitspolitik im Zusammenhang mit der Reform der Krankenversicherung wollen Sie doch allen Ernstes nicht mit den jetzigen Verhältnissen bei der Krankenversicherungsanstalt in Berlin in diesem Gesetz kompensieren. Herr Schellenberg hat durch seine Frage ein Problem angeschnitten, das erst bei § 16 zur Diskussion steht und dem ich nicht vorgreifen will. Ich meine, es ist doch kein Geheimnis, daß auch sein Haushaltsplan für das nächste Jahr und der für 1957 ein Defizit hat und daß er in Berlin genauso an die Rücklagen gehen mußte wie andere Ortskrankenkassen im Bundesgebiet.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein ganz kurzes Wort zu der von meinem Kollegen Horn erwähnten höheren politischen Verantwortung sagen. Ich habe im tiefen Innern die Überzeugung, daß nicht nur er, sondern viele seiner Kollegen mir in der sachlichen Auseinandersetzung um die Probleme recht geben. Ich will den Zwischenrufern aus der SPD gern in Erinnerung bringen, wie die Demokratie in Berlin bei den Wahlen strapaziert worden ist und warum im Parlament von Berlin SPD und CDU nun solche
194 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1957
Frau Kalinke
Vereinbarungen alleine treffen. Ich möchte hier nicht, wie Sie meinen, Herr Kollege Horn, frei von der Leber weg, sondern eben aus der höheren politischen Verantwortung, nicht aus der Verantwortung für eine Koalitionsvereinbarung in Berlin, sondern aus der Verantwortung für die Koalitionsgrundlagen, die wir hier in Bonn haben, folgendes sagen: grundsätzliche Entscheidungen in der Bundesrepublik sollten niemals an Koalitionsvereinbarungen in den Ländern gebunden werden. Vielleicht können wir beide gemeinsam einiges dazu beitragen, daß wir grundsätzliche Entscheidungen dieser Art in Zukunft aus politischer Verantwortung treffen, ohne Hemmschuhe, wie sie Ihnen zur Zeit angelegt worden sind.