Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auch die Fraktion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß das Lebensmittelrecht möglichst schnell reformiert werden muß. Wir begrüßen die Erklärung des Herrn Bundesministers des Innern — der leider noch nicht wieder da ist — und seine zusätzlich gegebenen Auskünfte über die Absicht, den Entwurf der Regierung sehr schnell und in veränderter Form vorzulegen. Wir sind mit dem Herrn Minister des Innern und der Bundesregierung darin einig, daß die möglichst schnelle Vorlage einer solchen Novelle zum Lebensmittelrecht dringend erforderlich ist. Wir meinen, daß sie zusammen mit dem SPD-Entwurf, der, wie der Herr Minister erklärt hat, weitgehend auf dem Regierungsentwurf fußt, der dem 2. Bundestag vorgelegen hat, beraten werden kann.
Meine Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei halten aber auch eine internationale Vereinbarung über die Zusätze zu Lebensmitteln für unumgänglich. Denn eine ausschließlich deutsche Gesetzgebung in dieser Beziehung würde wenig Wert haben, wenn nicht zugleich sichergestellt würde, daß für die importierten Lebensmittel die gleichen Bestimmungen wie für die deutschen Lebensmittel gelten.
Wir begrüßen auch die Entschließungen, von denen hier die Rede war, insbesondere aber die der Ärzteschaft, der Hygiene-Institute, der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoffforschung, aber auch die der Frauengilden und der Konferenzen der Hausfrauenverbände sowie aller der Organisationen, die sich vom Gesichtspunkt der Volksgesundheit her mit diesem wichtigen Problem befaßt haben.
Wir sollten diese Debatte heute nicht beschließen, ohne in aller Kürze einen Appell an die Öffentlichkeit zu richten, dieses Problem nicht zu dramatisieren. Wir sollten in unserer Zeit der Beunruhigungen durch mancherlei außen- und innenpolitische Probleme nicht noch mehr Unsicherheit und Unruhe bei denen fördern, die die Problematik dieses Gesetzes sicherlich nicht in vollem Umfang kennen und beurteilen können.
Ich meine auch, daß Gesetze und Verordnungen allein nicht genügen, um vorhandene Mißstände auf dem Gebiet der Lebensmittelüberwachung zu beseitigen. Darin stimme ich der Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion durchaus zu. Es ist aber so, daß uns hier in allen Fraktionen gemeinsam die Verpflichtung erwächst, unseren politischen Freunden in den Ländern zu sagen, wie dringend notwendig es ist, daß die Länder die erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellen, um die Überwachung der Lebensmittel wirklich zu garantieren.
Viele der in der Presse diskutierten Verstöße und Mängel könnten auch nach unserer Auffassung nach geltendem Recht geahndet werden. Die Rechtssicherheit bei der Lebensmittelherstellung und die Anerkennung der Notwendigkeit, die Gesundheit unserer Bevölkerung zu schützen, sollten allein entscheidendes, oberstes Gesetz sein. Viele Fragen werden nur durch Verordnungen lösbar sein. Ich stimme meiner Kollegin Frau Dr. Steinbiß darin zu, daß ein Gesetz nicht alle Probleme lösen kann, weil eine starre Gesetzgebung verhindert, daß neueste Erkenntnisse und Forschungsergebnisse auf dem Gebiet des Lebensmittelrechtes berücksichtigt werden. Eine Verordnung kann sehr viel schneller und oft auch viel besser angepaßt werden als ein Gesetz, das erst eine schwerfällige Behandlung in den Parlamenten durchlaufen muß. Das gilt, so meine ich, nicht nur für die Farbstoffe, deren Problematik in der Öffentlichkeit oft falsch dargestellt wird, das gilt auch für alle übrigen Probleme. Wir haben die Farbstoffkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, und ich glaube, wir können deren Arbeit vertrauen.
Ich will diese Debatte trotz der sehr ausführlichen Begründung des Gesetzentwurfs durch die Sprecherin der SPD nicht vertiefen durch eine Behandlung
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1957 185
Frau Kalinke
der Einzelprobleme von Mehl, Obst, Fisch, Marinaden, Milch oder anderen, was hier angesprochen worden ist. Das sollte meines Erachtens Aufgabe des Ausschusses sein, wenn der Regierungsentwurf vorliegt. Wir sollten überhaupt zu den Einzelfragen der Gesunderhaltung unseres Volkes mit den Mitteln des Lebensmittelrechtes nicht so sehr viel sprechen und nicht so viel darüber schreiben, sondern sollten mehr dazu tun, daß diese Dinge nun so schnell wie möglich auf dem Wege der Gesetzgebung vorankommen.
Zu dem Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion, dessen Inhalt, wie ich schon sagte, so weitgehend mit der alten Regierungsvorlage übereinstimmt, daß wir ihm in seiner Zielsetzung und in seiner Tendenz durchaus zustimmen können, meine ich, daß er die großen Probleme, die im 2. Bundestag zur Diskussion standen und deren Schwierigkeit eine Lösung damals verhindert hat, auch nicht löst. Er beseitigt lediglich einen der Mängel, nicht aber jenen entscheidenden anderen Mangel, der in der alten Gesetzesvorlage enthalten war und den der Herr Bundesminister des Innern nun durch eine neue Formulierung aus der Welt schaffen will. Wir freuen uns, daß die Frage des hauswirtschaftlichen Bereichs aus der Regierungsvorlage herausgenommen werden soll; denn wir sahen in der alten Vorlage auch die Konsequenzen, die sich ergeben würden, wenn sich ein totales Verbot über den ganzen Bereich unserer Küchen erstrecken und jahrhundertealte Erfahrungen und Gewohnheiten unserer Hausfrauen in einem unerträglichen Maße beeinflussen würde, während andererseits all das, was einfach nicht praktikabel ist, dann durch Verordnungen wieder aufgehoben werden müßte.
Die Grundprinzipien eines solchen Rahmengesetzes — und darum wird es sich im Endeffekt nur handeln können — sollten weder einem Radikalismus noch einem Perfektionismus dienen. Sie sollten eine durchgreifende Reform der Überwachung in den Ländern anregen und dafür sorgen, daß auch durch die Strafbestimmungen garantiert wird, daß alles getan wird, um Mißstände zu beseitigen, Verstöße gegen das Lebensmittelrecht wirksam zu ahnden und alle diejenigen zur Ordnung zu rufen, die aus übertriebenem Geschäftssinn zum Angriff gegen die Gesundheit unseres Volkes vorgehen. Mehr Offenheit in diesen Problemen und weniger Heimlichkeit, weniger Verbergenwollen auch peinlicher Dinge und Offenlegen alles dessen, was getan werden muß! Damit könnte man den Problemen erfolgreich zu Leibe rücken. Ich glaube, wir Frauen, die wir vom Innenminister hinsichtlich unserer Energie in so liebenswürdiger Weise angesprochen worden sind, werden in dieser Frage etwas beitragen können, wie wir ja so oft die heißen Eisen und die unangenehmen Dinge anpacken müssen. Die Verbraucher sollten angesichts der Mißstände im Lebensmittelrecht und angesichts all der Zustände, die ich hier nur andeuten will, nicht das Gefühl haben, daß sie von einer Mauer des Schweigens umgeben sind. Die Verbraucher sollten aber auch nicht durch sensationell aufgemachte Berichte in den Zeitungen beunruhigt werden. Unsere Menschen leben in genug Unruhe und in genug Unsicherheit.
Das Lebensmittelrecht gehört zu den Problemen, die in diesem Hause und anderswo kein Gegenstand der Parteipolitik sein dürfen. Es ist Sache aller Fraktionen, gemeinsam mit der Bundesregierung nach dem richtigen Weg zu suchen und die Beratungen in einem Geist zu führen, der nicht den Interessen einzelner Wirtschaftszweige, sondern vor allen Dingen dem Schutz der Verbraucher und der Volksgesundheit dient. Ich bin überzeugt, daß auch in dieser Angelegenheit wir Frauen einen vernünftigen Beitrag dazu leisten können, daß solche Grundsätze verwirklicht werden.
Die Fraktion der Deutschen Partei ist darüber erfreut, daß das Bundesinnenministerium den Gesetzentwurf bald vorlegen will. Bei der Beratung wird sich noch ein Problem hinsichtlich der Beteiligung der einzelnen Ausschüsse ergeben. Neben dem federführenden Ausschuß für Gesundheitswesen sollten nicht nur der Rechtsausschuß wegen der Strafbestimmungen — das versteht sich von selbst —, sondern auch der Wirtschaftsausschuß und der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum mindesten Gelegenheit haben, durch das Anhören von Sachverständigen oder durch die Heranziehung seitens des Vorsitzenden in noch zu bestimmenden einzelnen Fragen ihre Meinung zu sagen.