Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Zwölfte Gesetz zur Änderung des Zolltarifs, das praktisch nur aus dem soeben aufgerufenen einzigen Artikel besteht, sieht auf den ersten Blick recht bedeutungslos aus. Man muß schon die Materie der Mineralölzollgesetzgebung sehr genau kennen, und in dem ganzen Haus gibt es niemanden, der sie kennt, mit Ausnahme des Herrn Kollegen Krammig, der hier soeben als Berichterstatter auftrat, und ich glaube, Herr Kollege Krammig kennt sie auch nur beinahe ganz genau, aber nicht wirklich ganz genau. — Er nickt mir zu.
Es handelt sich hier um ein Dickicht, meine Damen und Herren, das schlimmer ist als die Rentengesetzgebung oder die Einkommensteuerdurchführungsverordnungen. Das ist wirklich eine schlimme Sache. Wenn man z. B. in dem Artikel 1, von dem wir jetzt sprechen, die Nr. 3 liest, die eine sehr wichtige Rolle in dem Gesetzentwurf spielt, dann muß sie dem Laien schlechthin unverständlich sein. Ich frage Sie z. B.: Wer von Ihnen hat etwa die Änderung verstanden, die der Herr Kollege Krammig in der Nr. 3 vorgetragen hat? Wenn Sie die Nr. 3 lesen, so ist sie für den Laien genauso unverständlich wie eine hethitische Grabinschrift.
Nun, die offizielle Begründung der Regierung für den Gesetzentwurf gibt vielleicht einen ersten
2. Deutscher Bundestag — 219. und 220. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 29. Juni 1957 12969
Fingerzeig, damit man dahinterkommt, was eigentlich gemeint ist. Ich darf, Herr Präsident, aus der offiziellen Begründung ein paar Sätze vorlesen. In dieser Begründung heißt es:
Durch die sogenannte Heizölnovelle vom 31. Oktober 1955 war der Heizölbegriff im Zolltarif beseitigt worden. Infolgedessen fielen nunmehr auch die sogenannten Heizöle, für die vorher eine abweichende Regelung bestanden hatte, unter die Vergütungsregelung nach dieser Anmerkung. Damit waren aber auch die sogenannten Heizöle aus deutschem Rohöl, die bis dahin nicht vergütungsfähig gewesen waren, bei der Ausfuhr vergütungsfähig geworden.
Und jetzt kommt der Satz, auf den es mir ankommt:
Das war zwar nicht angestrebt, aber im Interesse der Einfachheit und Klarheit damals in Kauf genommen worden.
Dieser Satz „im Interesse der Einfachheit und Klarheit in Kauf genommen" hat es in sich, meine Damen und Herren! Was wurde in Kauf genommen? Nach langem Forschen und Recherchieren werden Sie ausfindig machen, daß in Kauf genommen wurde ein Verlust für die Bundeskasse in Höhe von rund 40 Millionen DM, d. h. dieses hübsche Geschenk von 40 Millionen DM wurde an die Mineralölwirtschaft Deutschlands in Kauf gegeben.
Damals im Herbst 1955 wurde unter Irreführung des Parlaments mit Hilfe ähnlich komplizierter Verklausulierungen, wie sie auch in der heutigen Gesetzesvorlage wieder enthalten sind oder sein 1 müssen, eine sogenannte Zollvergünstigung für den Export von Heizöl aus deutschem Rohöl in Höhe von 129 DM je Tonne erreicht. Das bedeutet eine vom Bundestag keineswegs gewollte Subvention.
In der Folgezeit hat sich daher dann trotz der großen Brennstoffknappheit in Deutschland, trotz der Energielücke, trotz des großen Mangels an Heizöl in der Sueskrise in den ersten neun Monaten des Jahres 1956 der Export von Heizöl aus deutschem Rohöl verdoppelt. Insgesamt sind seit November 1955, also seit der sogenannten Heizöl-Novelle, bis jetzt zirka 350 000 t Heizöl deutscher Provenienz exportiert worden, und jede einzelne Tonne dieser 350 000 t bekam aus der Staatskasse einen Bonus auf den marktmäßigen Preis in Höhe von 129 DM obendraufgelegt.
Zum Teil sind diese Dinge so gelaufen, daß man das Heizöl für zwei Tage exportiert hat, um es dann mit demselben Schiff zollfrei wieder zu re-importieren.
Es gab auch den umgekehrten Fall, daß man erst importierte und anschließend mit Subventionen dafür andere Mengen exportierte.
Diese Fälle decke ich hier nicht erstmalig auf. Sie sind den zuständigen Ministerien bekannt, meine Damen und Herren! Es kann keinen Zweifel geben, daß sie so passiert sind.
Als im Jahre 1955 diese phantastische Heizöl-Novelle vom Parlament verabschiedet und in Kraft gesetzt wurde, hat das Parlament nicht gewußt, was es tat. Wir sind hier überspielt worden. Das
Finanzministerium wurde damals aus Fachkreisen schriftlich darauf aufmerksam gemacht, was hier entstehen müsse. Ich kann beweisen, daß das Finanzministerium schriftlich darauf aufmerksam gemacht worden ist. Aber das Finanzministerium hat verschwiegen, daß solche Folgen eintreten können. Es hat auch den Ausschuß nicht aufgeklärt. Und heute schreibt man in die Begründung des Gesetzentwurfs, der diese Sache korrigieren soll, großzügig hinein: Die Folge war zwar nicht angestrebt, aber im Interesse der Einfachheit und Klarheit in Kauf genommen worden. Ich möchte an die Adresse des Finanzministeriums, das offenbar für die Begründung verantwortlich ist, sagen: das Parlament und die damals zuständigen Ausschüsse, Herr Staatssekretär Hartmann, haben das nicht in Kauf nehmen wollen; die sind darüber nicht informiert worden.
Inzwischen hat seit dem Inkrafttreten dieser Heizöl-Novelle im Jahre 1955 ein langer Kampf unter der Decke stattgefunden, und zwar zwischen dem Wirtschaftsministerium, das diesen Unfug wieder aufheben wollte, und dem Finanzministerium. Im Wirtschaftsministerium ist dabei sogar ein Referent „über die Klinge gesprungen" — wobei ich vermute, daß dieses Wortspiel nur von der Regierungsbank selber verstanden wird.
— Gut. Im Finanzministerium, scheint mir, sind die zuständigen Männer, die das zu verantworten hatten, noch am Werke, Herr Staatssekretär Hartmann. Aber das ist ja nicht unsere Sache. Unsere Sache ist es, hier zu fragen: Wer waren die eigentlichen Nutznießer dieser Subventionen? Nun, durchgeführt wurden die Geschäfte von mittleren oder kleineren Händlern. Die Gewinne, die hier gemacht wurden — 129 Mark pro Tonne auf den Marktpreis obendrauf! —, wurden abgeschöpft von DEA, von Elwerath, von Wintershall und anderen Gesellschaften. Abgesehen von jenen Kungeleien — mit dem gleichen Schiff hin und zurück usw. —, abgesehen von jener ausgesprochen mißbräuchlichen Ausnutzung des Gesetzes haben diese deutschen Gesellschaften, die ich soeben genannt habe, durchaus legal gehandelt. Diesen Gesellschaften ist gar kein Vorwurf zu machen, höchstens ein moralischer Vorwurf; sie haben das ausgeschöpft, was der Gesetzgeber ihnen auf Vorschlag der Bundesregierung an Möglichkeiten eröffnet hat. Der Bundestag hatte es nicht gemerkt, und das ist wieder einmal ein Musterbeispiel dafür, wie durch die immer höher getriebene Komplizierung und Differenzierung der Gesetzgebung praktisch das Parlament entmachtet wird, weil in dieser hochdifferenzierten Materie alles nur noch in Hieroglyphensprache geregelt werden kann, was geregelt werden soll, mit Abkürzungen und Buchstaben und Ziffern und wieder Abkürzungen und wieder Buchstaben. Das Parlament ist praktisch entmachtet und völlig angewiesen auf die loyale Mitarbeit und Mithilfe der Beamten in den zuständigen Ausschüssen, die uns Laien erklären müssen, was denn nun 27 10 a bis d Komma, Strich 3 usw. bedeutet. In diesem Falle ist also eine loyale Beratung damals nicht vollständig erfolgt.
Ich erinnere mich genau, wie der Kollege Professor Gülich im Herbst 1955 bei der Heizölnovelle mit starkem Soupçon, geschult an früheren Vorgängen auf diesem Sektor, vermutete, daß in der Heizölnovelle Kinken enthalten seien. Ich habe mich damals auch bemüht zu klären, ob alles in
12970 2. Deutscher Bundestag — 219. und 220. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 29. Juni 1957
Ordnung sei, und ich habe nichts gefunden. Die damalige Begründung der Regierung zu dieser Bestimmung, die nun tatsächlich 40 Millionen DM gekostet hat, lautete ja: „Der vorliegende Entwurf verfolgt den Zweck, rechtliche Schwierigkeiten zu beseitigen, ohne an dem sachlichen Inhalt der Gesetze mehr als unvermeidlich zu ändern." Von dem Inkaufnehmen nicht erstrebter Nebenwirkungen, wie es heute getan wird, war damals keineswegs die Rede. Ich glaube sogar, daß der Herr Finanzminister selber und der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums damals überspielt worden sind und nicht gesehen haben, was hier entstehen würde. Ich habe damals für meine Person dem Kollegen Gülich gesagt, ich könne keine Bedenken ausfindig machen, und auch sonst hat im Parlament niemand Bedenken gehabt, und so ist die Bestimmung über die Bühne gegangen.
Nun sind aber durch die nachfolgende Sues-Krise die Auswirkungen der Heizölsubvention außerordentlich schwerwiegend gewesen. Wir haben zeitweilig während der Sues-Krise, während der großen Heizölknappheit in Deutschland, bis zu 80 % unseres deutschen Heizöls exportiert, weil ja dieses wunderbare Geschäft — 129 DM obendraufgelegt — damit gemacht werden konnte. Das war schon gar nicht mehr schön. Als dann im Herbst 1956 die Sues-Krise sich zuspitzte, von sozialdemokratischer Seite in der Öffentlichkeit schärfste Vorstellungen gegen diesen Mißbrauch erhoben wurden, hat das Bundeswirtschaftsministerium eingegriffen, und ich möchte das hier ausdrücklich anerkennen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat auf der rechtlichen Grundlage der Außenhandelsgesetzgebung eine Buchungsbescheinigungspflicht für Heizölexporte dekretiert und gleichzeitig an I) das Bundesamt für die gewerbliche Wirtschaft eine Dienstanweisung gegeben, in der es hieß,. daß solche Buchungsbescheinigungen nicht gewährt werden dürfen. Damit war also zunächst einmal dieser Heizölexport abgestoppt. Jetzt ist allerdings die Sues-Krise als Begründung für eine Buchungsbescheinigungspflicht nicht mehr existent. Die interessierten Händlerfirmen haben bereits Klagen angedroht, und es sind neue Umgehungen dieser Maßnahme bereits zu erkennen. Es wird also höchste Zeit, daß die Nr. 3 dieses Artikels 1 schleunigst in Kraft tritt. Ich freue mich, daß auch von der Seite der Mehrheit hier mit dem Kopfe genickt wird. Wir werden nachher, Herr Kollege Hellwig und Herr Kollege Krammig, zu Art. 2 einen Antrag einbringen, der dafür sorgt, daß in diesem Punkte das Inkrafttreten des Gesetzes vorgezogen wird, und ich nehme an, daß auch das Wirtschaftsministerium das begrüßen wird.
Die Nr. 3 des Art. 1 ist also in Ordnung. Hier wird ein wirklicher Skandal aus der Welt geschafft. Dagegen gibt es gegen die Nr. 1 desselben Artikels schwere Bedenken, denn bei der Nr. 1 handelt es sich um ein neues, heute gesetzlich zu fundierendes Millionengeschenk an die Mineralölwirtschaft, diesmal allerdings an eine andere Gruppe von Mineral-ölfirmen.
Ehe ich darauf eingehe, noch eine letzte Bemerkung zu der erstgenannten Gruppe inländischer, deutscher Rohölproduzenten. Sie haben in den letzten Wochen ihre ersten Geschäftsberichte für 1956 veröffentlicht. Sie weisen für :das Sues-Jahr 1956 gegenüber dem Normaljahr 1955 ganz hübsch gesteigerte Gewinne aus. Schauen Sie sich z. B. den Geschäftsbericht von Wintershall oder den der DEA an. Das legt die Frage nahe: Woher kommen eigentlich diese erstaunlichen Gewinnsteigerungen der deutschen Mineralölfördergesellschaften? Diese Gewinnsteigerungen liegen nicht nur in dem Geschenk der Heizöl-Exportsubventionen in Höhe von 40 Millionen DM, sondern insbesondere auch in der schamlosen — ich sage: schamlosen — Mitnahme der Sues-Preissteigerungen für ausländisches Rohöl begründet. Für die inländische Rohölproduktion hat die Sues-Krise nämlich keinen einzigen Pfennig Kostenverteuerung mit sich gebracht. Trotzdem sind die inländischen Rohölpreise genauso gestiegen wie die durch Sues tatsächlich beeinträchtigten Weltmarkt-Rohölpreise. Immerhin macht das inländische Rohöl bei der deutschen Mineralölverarbeitung insgesamt ein Drittel des ganzen Rohstoffes aus. Diese Erlössteigerungen für die deutsche Rohölproduktion betrugen insgesamt seit Ausbruch der Sues-Krise bis heute zwischen 50 und 60 Millionen DM reine Nettogewinnzuwächse, denen keinerlei gesteigerte Kosten gegenüberstehen.
Und das alles, obgleich schon der Schutzzoll für die deutsche Rohölförderung, der de facto bis heute 129 DM je Tonne beträgt, weit höher ist als die tatsächlichen Fördermehrkosten im Inland gegenüber dem Ausland. Nehmen Sie z. B. ein Land wie Holland! Die holländische Rohölförderung geschieht ,aus 'demselben Erdölfeld, auf dem unsere Bohrtürme in der Gegend des Emslandes stehen. Das ist absolut dasselbe Feld. Dasjenige Öl, das diesseits der deutsch-holländischen Grenze von deutschen Gesellschaften gefördert wird, genießt an den deutschen Grenzen einen Schutzzoll von 129 DM pro Tonne, und das, was auf der anderen Seite der deutsch-holländischen Grenze von den Holländern aus derselben Ölquelle gefördert wird, genießt keinen Gulden und keinen Cent Schutzzoll und ist auch existenzfähig. Oder schauen Sie nach Österreich! Auch dort wird Rohöl unter etwas weniger rationellen Bedingungen als etwa im Nahen Osten oder in Venezuela oder in Texas gefördert. Auch dort aber gibt es keinen Pfennig Schutzzoll für österreichisches Rohöl.
Nun will ich mit diesen Hinweisen gar nicht dafür plädieren, den deutschen Schutzzoll völlig aufzuheben. Es mag bei näherer Betrachtung gute Gründe geben, der heimischen Rohölproduktion noch einen gewissen Schutz zu belassen, damit sie für Krisenzeiten à la Sues ausreichende Kapazitäten vorhalten kann. Die heutigen Schutzzollsätze aber scheinen uns vollständig überholt. Sie beruhen auf Kostenzahlen und Ermittlungen des Jahres 1949. Die Fachleute hier im ,Hause erinnern sich an das berühmte grüne Moeßner-Gutachten. Diese Zahlen sind weitestgehend überholt. Denken Sie allein an die zwischenzeitlich eingetretene Kostendegression! Heute haben wir in der deutschen Rohölförderung mehr als 3 1/2mal soviel Produktion wie damals im Jahre 1949. Die Grundlagen, die seinerzeit den Ausschlag gegeben haben mögen, sind also alle längst überholt. Heute führen diese Schutzzollsätze für die deutsche Rohölförderung Zu völlig ungerechtfertigten Reingewinnen. Dabei werden diese Reingewinne durch die deutschen Rohölfördergesellschaften keineswegs etwa ausschließlich dazu verwandt, innerhalb Deutschlands weitere Rohölfelder zu erschließen, sondern diese Reingewinne, aus dem Schutzzoll zugunsten der deutschen Rohölförderung gezogen, werden nunmehr im großen Maße im Ausland reinvestiert. Der
2. Deutscher Bundestag — 219. und 220. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 29. Juni 1957 12971
Schutzzoll auf ausländische Mineralöle muß also herunter.
Wenn das Haus und wenn der Fiskus auf die daraus resultierenden fiskalischen Einnahmen nicht verzichten wollen, könnte man ja daran denken, bei Senkung der Schutzzölle im übrigen die allgemeine Mineralölsteuer im entsprechenden Maße anzuheben. Dann wird der Fiskus jedenfalls nicht geschädigt, wohl aber idem Verbraucher genützt.
Das Problem kommt ohnehin hoch durch die Vereinbarungen, die zu dieser Frage in den Verträgen über den Gemeinsamen Markt geschlossen sind. Die Exekutive sollte sich deshalb angelegen sein lassen, schleunigst eine neue Enquete über die tatsächliche Lage herbeizuführen.
Nun zu den Nettogewinnen der deutschen Rohölförderer! Aus überhöhten Schutzzöllen kommen seit der Sueskrise zu den erwähnten 50 bis 60 Millionen DM Suesprofit 40 Millionen Heizölsubventionen, zusammengezählt fürwahr ein sehr hübsches Geschäft. Wir Sozialdemokraten erinnern uns noch sehr genau an Professor Erhards Publicrelations-Anzeigen: „Zahlen Sie keine Suespreise!", „Kein Platz für Geschäftemacher!" Nun, meine Damen und Herren, die inländischen Rohölfördergesellschaften sind echte Suesgewinnler, das war echte Geschäftemacherei .und nichts anderes. Sicherlich hat auch dieser Teil der Mineralölwirtschaft zur Finanzierung jener Anzeigen beigetragen. Wir freuen uns, daß wir heute mit der Nr. 3 des Art. 1 uns bei jenen Firmen revanchieren können. Wir stimmen deshalb der Nr. 3 ausdrücklich und gerne zu.
Nun aber zu der Nr. 1 des gleichen Artikels. Auch hier haben wir im Ausschußstadium zunächst noch nicht klar erkennen können, was die Auswirkungen sind. Ich muß das offen zugeben. Jetzt stellt sich aber heraus, daß mit der Nr. 1 tatsächlich der allgemeine Schutzzoll für Rohölimporte etwas gesenkt wird, aber nicht so weit, daß es zu Buch schlagen würde und für den Verbraucher an den Tankstellen preissenkende Wirkungen eintreten könnten. Er wird nicht etwa um 30 oder 40 % gesenkt, damit der Schutzzollsatz von 129 DM pro Tonne auf etwa 80 oder 85 DM sinkt, sondern der allgemeine Schutzzollsatz wird nur um ganze 3 % ermäßigt, und dann schämt man sich noch nicht einmal, in der offiziellen Begründung von Preissenkungstendenzen zu schreiben. Es ist doch ganz klar, daß eine Zollsenkung von 129 DM auf 125 DM nicht einmal vier Zehntel Pfennig pro Liter Benzin ausmacht, und es ist selbstverständlich, daß Shell, Esso und wie sie alle heißen, die vier Zehntel Pfennig in die Westentasche stecken; sie können diesen Betrag technisch gar nicht an die Tankstellen weitergeben. Man soll doch nicht an die Philanthropie der Haifische glauben. Diese vier Zehntel Pfennig pro Liter Benzin, die sie da in die Westentasche sammeln, werden im Laufe des Jahres eine ganz schöne Menge — 8 Millionen Tonnen Rohölimport und 4 DM pro Tonne — etwa 20 bis 30 Millionen DM ausmachen. Dieser Betrag wird an die Mineralölwirtschaft verschenkt. Man versucht also, was in Ziffer 3 mit der rechten Hand weggenommen wird, in Ziffer 1 mit der linken Hand wieder zurückzugeben. Mir 'ist dabei klar, daß Herr Hartmann oder der Herr Kollege Schloß, den die Mineralölwirtschaft hier im Parlament als ihren beredten Anwalt sitzen hat, uns gleich sagen werden, die Zollsenkung sei ganz logisch, sie bedeute nur den von der Mineralölwirtschaft seit langer Zeit geforderten Ausgleich für den 3 %igen Materialschwund, für den Verlust bei der Verarbeitung des importierten Rohöls. Ich muß zugeben, daß klingt theoretisch ganz plausibel. Die tatsächliche Wirkung gegenüber dem bisherigen Zustand ist aber, daß sich in den Gewinn- und Verlustrechnungen von Shell, Esso, BV-Aral, BP und wie sie heißen, rund 30 Millionen DM höhere Reingewinne niederschlagen. Und sie haben es ja auch so bitter nötig, die Armen! Das muß man einsehen. Sie haben unter der Sueskrise so furchtbar gelitten! Man braucht sich nur einmal die Geschäftsberichte anzusehen, um zu begreifen, wie sehr sie gelitten haben.
Aber ich will das gar nicht tun. Ich will gar nicht auf die Sueskrise zurückgreifen, die längst vorbei ist. Uns interessiert, was heute mit den Mineralölpreisen ist, nachdem es keinerlei Begründung à la Sueskrise, keinerlei Knappheitssituation auf dem Weltmarkt und keinerlei Knappheitssituation auf dem Weltfrachtenmarkt mehr gibt.
Herr Professor Erhard oder sein Vertreter mag heute vielleicht versuchen, die Diskussion im wesentlichen mit der Sueskrise zu führen, und voller Stolz mag er vielleicht sagen: Wie gut hat damals die Versorgung geklappt! Das gehört zwar nicht zu diesem Thema, aber ich erwarte das; denn Sie müssen ja auch etwas Positives bringen, Herr Westrick! — Er nickt mit dem Kopf. Er wird also sagen: Wie großartig hat die Versorgung geklappt! Aber das steht hier nicht zur Debatte.
Im übrigen aber werden Sie sich, Herr Westrick, erinnern: als in Ihren Gesprächen mit den Bossen der großen deutschen Mineralölkonzerne z. B. ein großer Konzern, der die Tochter einer englischen Mutter ist, von Ihnen verlangte, Sie sollten die Mineralölbewirtschaftung einführen — da gab es ja auch noch Umwege, die man im Kabinett gegangen ist, um Sie unter Druck zu setzen —, da haben wir Ihnen hier öffentlich gesagt: Wehe, wehe, die Mineralölbewirtschaftung ist auf keinen Fall notwendig, die Versorgung ist absolut ausreichend.
— Wir sind daran unschuldig und Sie auch, Herr Kollege. Ich will damit nur sagen, Herr Pelster, daß ich die ganze Rede von Herrn Westrick vorausahne. Er wird seine Rede sicherlich unter der Überschrift anfangen: „Zahlen Sie keine Suespreise!" Da ich das vorausahne, möchte ich von vornherein nur sagen, daß wir Sie im vorigen Herbst gewarnt bzw. in Ihrem Bemühen, keine Bewirtschaftung einzuführen, gestützt haben. Darüber hat es nie einen Zweifel und keinen Streit gegeben. Meinungsverschiedenheiten hat es zwischen dem Wirtschaftsministerium und uns nur über die Höhe der Preise gegeben, die man noch zulassen sollte.
Ich kenne z. B. eine Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers an die Adresse der Mineralölbosse, in der ihnen empfohlen wird, zu jedem Preis, egal wie hoch, jedes Heizöl draußen aufzukaufen und zu importier en, das man nur irgendwie kriegen könne. Das war sicherlich ein zweckmäßiger Rat. Nur wirkt er ganz besonders komisch, wenn man weiß, daß zur gleichen Zeit die deutsche Bundeskasse 129 DM pro t Heizöl export draufzahlte.
12972 2. Deutscher Bundestag — 219. und 220. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 29. Juni 1957
So war also die Politik der Bundesregierung in jener Phase nicht ganz einheitlich.
Aber uns interessiert viel mehr, was heute ist. Die Sueskrise ist vorbei, und die deutschen Benzin- und Dieselpreise liegen immer noch weit über dem Vor-Sues-Stand. Das wirkt sich an den Tankstellen für uns, die wir bloß mit einem Pkw herumfahren, gar nicht einmal so stark aus. Die Tankstellenpreise sind schon wieder bis auf eine Differenz von 2 bzw. 1 Pf heruntergegangen. Aber es wirkt sich noch furchtbar für den gewerblichen Kraftverkehr, für den Güternahverkehr, für den Güterfernverkehr, für die großen Omnibusbetriebe der Kommunen und genauso für die Omnibusbetriebe der Privaten aus. Denn diese Unternehmen haben heute noch sehr viel mehr an erhöhten Preisen zu zahlen im Vergleich zum Vor-Sues-Stand. Bei ihnen sind die ganzen sog. Proper-Rabatte weggefallen; sie zahlen heute tatsächlich für 1 Liter Dieselkraftstoff nicht 1 oder 2 Pf mehr als vor der Sueskrise, sondern 8, 9, 10 Pf mehr als vorher.
Nun will ich gar nicht dafür plädieren, daß die Proper-Rabatte wieder eingeführt werden. Wenn man aber durch Beseitigung dieser Mengenrabatte diesen großen Rebbach gemacht hat, dann mußte man ihn jedermann, jedem Verbraucher an der Tankstelle wieder zugute kommen lassen. Dies geschah nicht. Nun, Herr Westrick hat in früheren Debatten einmal darauf aufmerksam gemacht, es gebe auch sogenannte „weiße" Tankstellen, auch hier in Bonn, und wir sollten doch dort konzernfreies Benzin kaufen. Ich tue das auch seit Ihrem Ratschlag —, aber, Herr Westrick, ich habe gefunden, daß das ein sehr zeitraubendes Verfahren ist. Mein Kraftfahrer — ich mache das nicht selber, weil das so weit weg ist und es in Bonn nur eine solche Tankstelle gibt — braucht immer eine halbe Stunde, bis er von jener .Tankstelle ,wiederkommt. So ganz praktisch ist das also doch nicht.
Praktischer wäre es vielmehr, wenn Sie und Ihr Haus, Herr Westrick, auf einen Grundsatz zurückkämen, den der Minister Erhard im Februar 1957 aufgestellt hat. Er hat damals die Erwartung ausgedrückt, daß die deutschen Ölgesellschaften ihre Preise nach dem Abflauen der Sueskrise wieder anpaßten und dem Verbraucher nur diejenigen Lasten zumuteten, die zu beseitigen nicht im Bereiche unternehmerischer Tüchtigkeit liege.
Nun, wie ist es damit? Wollen Sie den Leuten nicht ein bißchen auf die Sprünge helfen, Herr Westrick, daß das nun endlich in Gang kommt? Ich muß Sie vielleicht daran erinnern, daß Ihre alten Äußerungen, die von der Regierungsbank vor der Sueskrise getan wurden, wieder in Kraft sind und wieder Gültigkeit haben.
So hat zum Beispiel der Herr Staatssekretär Westrick — ich darf zitieren, Herr Präsident — in diesem Hohen Hause vor einiger Zeit gesagt:
Der Treibstoffmarkt stellt den Prototyp eines Oligopols dar, also einer Marktform, aus der in der Tat kein gleichgewichtiges Auspendeln der Preise zu erwarten ist.