Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Mannteuffel.
von Manteuffel (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Auseinandersetzung über die Große Anfrage der SPD kann nach der Auffassung meiner politischen Freunde, der Deutschen Partei und der Freien Volkspartei, die mich beauftragt haben, zusammen mit diem Kollegen Schneider unsere Auffassung hier darzulegen, zu einem fruchtbaren Ergebnis nur dann kommen, wenn man auch die Wirklichkeit „auf der anderen Seite", id. h. die grausame Realität nicht ausschaltet, und das scheint mir in den Reden der Opposition, die die Erprobung, die
Einführung, den Einsatz und die Verwendung dieser neuartigen Waffen zum Gegenstand hatten, welche eben sehr viele im Inland und im Ausland aus ihrem gequälten Gewissen heraus zu Warnungen und zu Protesten veranlaßt haben, zu kurz gekommen zu sein.
Wir begrüßen die Debatte. Denn wir sind weiterhin der Meinung, daß, wenn die öffentliche Meinung über das Atomproblem allein von den Parteien gebildet und gelenkt wird — wir haben dies in den letzten Wochen erlebt —, die Wahrheit der Gefahr größter und heftigster Verzerrung ausgesetzt werden kann. Ich sage „kann"; es braucht nicht so zu sein. Aber auch dies haben wir erlebt, und das scheint uns sehr bedenklich: daß die Auswertung dieser Warnungen und Proteste zum Teil in die Ebene der Parteipolitik heruntergezogen wird. Wir halten das für bedenklich, weil damit die Atomrüstung zum Agitationsmittel benutzt wird, und dies wiederum kann den ehrlichen Bemühungen der verantwortlichen Staatsmänner und Parlamentarier keineswegs dienlich sein. Dieses Problem scheint uns zu ernst zu sein, als daß man es zu einem billigen Wahlschlager machen kann. Allerdings sage ich dazu: auch wir sollten uns vor jeder Übersteigerung des zur Zeit militärisch Notwendigen hüten. Alle diese von mir angeführten Mißstände sind nicht geeignet, das anstehende Problem zu verdeutlichen.
Ich darf dem voranstellen, daß auch wir der Auffassung sind, daß die aus aufrichtiger Überzeugung entspringenden Warnrufe und Proteste sich ganz zweifelsfrei auf die Befürchtungen der Antragsteller für die menschliche Gesundheit gründen. Ich meine, man sollte von jeder Seite irgendwelche
weiteren Unterstellungen und Verdächtigungen gegenüber diesen Männern unterlassen, die man betrüblicherweise schon in der Tagespresse gelesen und leider auch in Äußerungen von Parlamentariern gehört hat.
Wir sind der Auffassung, daß unsere Verteidigungspolitik keinen Stimmungsschwankungen unterworfen sein darf; denn die Wehrbereitschaft ist eine dauernde Verpflichtung und Aufgabe, die sich auf alle Gebiete der totalen Verteidigung unserer Heimat erstrecken muß. Deswegen kann das richtige Abwägen des „Ob-überhaupt", des „Wie", des „Wieviel" und des „Wann" nach unserer Auffassung nur im Rahmen der Gesamtkonzeption unserer Verteidigung und nur im Zusammenhang mit denjenigen erfolgen, mit denen wir die gemeinsame Verteidigungsverpflichtung Europas eingegangen sind, und zwar unter sehr sorgfältiger, d. h. der Wirklichkeit entsprechender Einschätzung dessen, was die andere Seite angeboten hat, zu geben vermag und als Beitrag zur Lösung dieser Frage zu leisten imstande, willens ist und überzeugend dartun kann.
Dies muß allerdings auch unter besonderer Berücksichtigung dessen geschehen, was wir für notwendig halten, nämlich des notwendigen Mindestmaßes an gemeinsamer Verteidigung Europas auf allen Gebieten, nicht nur auf dem militärischen. Davon hängt die Hoffnung ab, daß sich schließlich eine günstigere politische Gesamtkonzeption ergibt, die wirklich echte Sicherheit in Freiheit für alle Deutschen bietet.
Wie sieht nun die Wirklichkeit aus? Meine Damen und Herren, befürchten Sie bitte nicht, daß
ich Sie mit langatmigen Wiederholungen strapazieren werde. Die Aufzählung gewisser Tatbestände ist aber notwendig, weil sie die Grundlagen für unsere Beurteilung sind. Ich will mir Mühe geben, mich kurz zu fassen, und nur soviel darlegen, daß Sie die Folgerungen, die wir daraus ziehen, und das Ergebnis verstehen können.
Zunächst dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden. Herr Kollege Dr. Gerstenmaier hat das hier sehr eingehend dargestellt. Ursache der weltweiten Spannungen ist das Vorgehen einer Großmacht, die sich nicht der UNO bedient, um die Störungen im Gleichgewicht des politischen Zusamenlebens zu beseitigen. Was die Bundesrepublik betrifft, so hat die UdSSR bis auf den heutigen Tag versucht, ,die Politik der Bundesregierung mit Drohungen und mit anderen Mitteln zu behindern; sie setzt ihre aggressive Politik nach wie vor fort. Die Wirkung war und ist die Atlantische Gemeinschaft, quasi als Schicksals- und Bündnisgemeinschaft, ,als Reaktion auf diese fortgesetzten Drohungen der UdSSR. Tatsache ist — wir haben es in den letzten Wochen erlebt —, daß die Sowjetregierung, während die kommunistische Propaganda den Westen angreift, gleichzeitig ihre lange Serie nuklearer Versuchsexplosionen — ich möchte beinahe sagen: im Eiltempo — fortsetzt und drohende Mitteilungen an eine Anzahl von Ländern sendet. Wir haben das heute vom Bundesverteidigungsminister gehört. Man gibt sehr drastische Schilderungen der vernichtenden Macht der sowjetischen nuklearen Waffen und der Fähigkeit der Sowjetunion, sie angeblich gegen Ziele in allen Teilen der Welt einsetzen zu können. Dazu paßt auch, daß der sowjetische Verteidigungsminister am 16. März vor dem sowjetischen Spezialoffizierkorps für die technische und politische Ausbildung der Sowjetstreitkräfte keinen Zweifel daran gelassen hat, daß die Ausbildung für atomare Waffen und Kampftechnik auf sowjetischer Seite mit allen Mitteln auf breiter Grundlage betrieben werden soll.
So hören wir dann auch von den Atomexplosionen in Sibirien, im ganzen von 22, allein in den letzten drei Wochen von 5. Ich meine, die öffentliche Meinung im Westen kann auch diese Explosionen keinesfalls überhören. Vielleicht denken die Sowjets einmal darüber nach und finden dann glaubwürdigere Worte als bisher. Ich meine, der Zeitpunkt, um in London darüber zu sprechen, scheint mir nicht ungeeignet zu sein.
Aber etwas Weiteres: Die Sowjets haben — jedenfalls nach Pressemeldungen — nach japanischen Untersuchungen eine neuartige Atombombe entwickelt, die gefährliche Spaltungsprodukte von langer Lebensdauer erzeugt, die also eine besonders langwierige radioaktive Verseuchung verursacht. Deswegen muß man sich wirklich immer wieder fragen, warum so viele, die über die sowjetischen Versuche kaum ein Wort verlieren,
sich über die Versuche diesseits des Eisernen Vorhangs in dieser Form entrüsten.
Was die Sowjets wollen, ist jedenfalls meinen politischen Freunden und mir klar. Die Sowjetregierung will den nuklearen Ring in Zentraleuropa sprengen, ohne dafür einen politischen Preis zu zahlen. Sie will die Isolierung West-
europas von den USA. Sie will die USA zur Anerkennung einer politischen Teilung nach den Maßstäben Moskaus zwingen, und sie möchte deshalb die Atomstützpunkte des Westens möglichst weit von den Grenzen des kommunistischen Machtbereichs fernhalten. Sie versucht auch, den Wahlkampf durch diese Einschüchterungsversuche zu beeinflussen und dadurch auf die Bundesregierung einen ausgesprochenen Druck auszuüben.
Angesichts der sowjetischen Drohung gegen die USA-Stützpunkte in Westeuropa scheint es mir richtig und notwendig zu sein, darauf hinzuweisen, daß man sich nicht von den wirklichen militärischen Gegebenheiten in Europa ablenken lassen darf: Sie reden nämlich eine völlig andere Sprache. Wir kennen den „Stützpunkt sowjetisch besetzte Zone Deutschlands", wir kennen den „Stützpunkt Tschechoslowakei", wir kennen den „Stützpunkt" — wenn er auch schwächer geworden ist — „Polen", wir kennen den „Stützpunkt Ungarn" usw. Dem steht die freiwillige Verpflichtung der Bundesrepublik — ich brauche das nicht anzuführen, das ist ja allen Damen und Herren geläufig — zu gewissen Rüstungsbeschränkungen und -kontrollen entgegen.
Ich glaube deswegen, daß es der Sowjetunion nicht zusteht, jetzt die von ihr immer wieder behauptete Bedrohung durch den Westen einseitig zu konstruieren. Aus diesem Grunde erscheint uns auch ein einseitiger Verzicht als irreal; denn eine einseitige Konzession der atlantischen Verbündeten würde das militärische Gleichgewicht stören und damit die Garantie für den, wie es nun einmal leider ist, bewaffneten Frieden schwächen.
Aber auch folgendes ist zu bedenken. Ich habe heute nichts davon gehört, aber ich habe es in einer englischen Zeitung gelesen, und möglicherweise ist es auch einem Teil der Damen und Herren zur Kenntnis gekommen. Der britische Verteidigungsminister Sandys hat nämlich in der Debatte im Unterhaus gesagt, britische Wissenschaftler glaubten, daß man mit Sicherheit erfolgreich versuchen könne, eine Versuchsexplosion so durchzuführen, daß sie nicht entdeckt werden könne. — Das ist wohl im Englischen so zu lesen wie auch in einer deutschen Übersetzung; ich glaube mich da nicht zu irren.
Der einseitige Verzicht steht aber auch in krassem Gegensatz zu der auch von den oppositionellen Parteien immer wieder erhobenen Forderung, unsere Verteidigungsorganisation so aufzubauen, daß sie nicht militärisch veraltet, sondern wirksam ist, d. h. daß ihr die wirksamsten Waffen und die zweckmäßigste Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden. Mit vollem Recht haben es die oppositionellen Redner draußen im Lande geradezu als eine Degradierung für die deutschen Soldaten bezeichnet, wenn Sie nicht die gleiche moderne Bewaffnung und Ausrüstung wie die Soldaten der anderen NATO-Mitgliedstaaten hätten. Einer dieser Redner hat sogar davon gesprochen, daß dann die Bundesrepublik nicht gleichberechtigt, sondern geradezu ein Protektorat der Amerikaner wäre. Nun, wir müssen uns doch immer wieder vor Augen halten, daß wir in einem möglichen Konfliktfall zwischen anderen, vor allen Dingen also den Großmächten, nicht nur beeinträchtigt werden und Störungen aller Art zu erleiden haben, sondern die kriegerische Auseinandersetzung wird mit der ganzen Schwere und der ganzen Wucht eines modernen
Krieges über uns alle, die wir in der Mitte dieses Spannungsfeldes liegen, herfallen. Deshalb gilt nur das, was am erst en Tage eines Konfliktsfalles verfügbar ist. Nur das kann für uns in die Waagschale fallen. Wir können eben nicht, wie die USA und die Sowjets im vergangenen und hoffentlich letzten Kriege, in diesem Kriege die Verwendung der einzelnen Waffen quasi erst anlaufen lassen. Deshalb trifft das Argument, das Herr Dr. Mende angeführt hat, nicht ganz zu, das Argument mit dem Strategischen Bomberkommando in der Arbeitsteilung, die wir in der NATO eingegangen sind. Wenn ich auch die Berichte des amerikanischen Oberbefehlshabers gelesen habe, daß es gelungen ist, bei einem Probealarm dieses Strategische Bomberkommando in einem großen Umfang in 30 Minuten mit voller Bewaffnung und Ausrüstung in der Luft zu haben, so meine ich, daß das gerade nach der Warnung, die Herr Dr. Mende mit Recht hier ausgesprochen hat, bei einer Zeit von nur 5 bis 20 Minuten, die für uns zur Verfügung steht, eben nicht ausreichend ist.
Wir sehen aber ebenso auch in der Schaffung der sogenannten militärisch verdünnten Zone — allerdings in etwas abgewandelter Form, denn wie Präsident Eisenhower gesagt hat, würde man dieses Problem sehr sorgfältig prüfen, und dafür dürfen wir ihm dankbar sein —, jedenfalls in der Form, wie sie bisher von der Sowjetunion angeboten ist, nicht das geeignete Mittel, diese weltweiten Spannungen oder auch die Störungen des Zusammenlebens zwischen Ost und West in Europa zu mildern, weil eben die Schaffung einer solchen militärisch verdünnten Zone nach unserer Auffassung von einer Bürgschaft oder einer Garantie der Großmächte abhängig ist, wenn man dafür nicht die UNO einschaltet.
Aber, meine Damen und Herren, wie kann man denn den Leuten Vertrauen schenken, die imstande sind, den Opfergang des ungarischen Volkes als das Ergebnis einer faschistischen Verschwörung darzustellen?
Ich meine, die gesamte Weltgeschichte lehrt eindeutig und mit besonderer Eindringlichkeit — und gerade unsere Generation hat dies ja auch in den letzten 30 bis 40 Jahren leider erfahren müssen —, daß man an Bündnistreue und Erfüllung militärischer Bündnisse erst glauben kann, wenn man sie sieht.
Gegen diesen einseitigen Verzicht spricht nach Auffassung der Deutschen Partei und der Freien Volkspartei auch, daß wir bisher der Ansicht waren und es noch sind, daß die UdSSR gewisse als gerechtfertigt anzusehende Sicherheitswünsche haben kann und haben wird; aber, meine Damen und Herren, der deutsche Wunsch in bezug auf Sicherheit in Freiheit für alle beinhaltet eben auch die Verantwortung und die Verpflichtung der Bundesregierung, für diese Sicherheit zu sorgen. Es ist nun einmal nach den Ergebnissen der letzten 12 Jahre nicht von der Hand zu weisen, daß totalitäre Staaten im Konfliktsfalle sehr leicht geneigt sind, Hemmungen im Einsatz der neuzeitlichen Kampfmittel abzustreifen, wenn sie glauben, dadurch einen kriegsentscheidenden Vorteil zu haben.
Andererseits kann ich mir jedenfalls auf westlicher
Seite keine irgendwie geartete Möglichkeit der
militärpolitischen Lage denken, die ein derartiges Geschehen auch nur annähernd als sinnvoll erscheinen ließe, weder aus der derzeitigen Konstellation noch aus einer vielleicht später ganz andersgearteten Mächtegruppierung heraus. So sieht der von Sorin in London vorgelegte neue Plan in der Tat kein Verbot der Atomwaffenproduktion vor, wohingegen der von dem amerikanischen Abrüstungsbeauftragten Stassen vorgelegte Plan bekanntlich empfiehlt, diese Produktion am 1. März 1958 zu beenden. Er sieht außerdem ein Lieferverbot an vierte Länder vor. Wir begrüßen diesen Plan, wie wohl auch alle Sprecher vor mir, ausdrücklich. Aber die Behauptung, daß eine Ausdehnung der atomaren Bewaffnung auf andere Länder außer den USA und der UdSSR die Gefahr eines Atomkrieges erhöhe, ist ja heute jedenfalls noch eine Hypothese, die nicht einmal eine Gewähr dafür zu bieten vermag, daß der Verzicht auf eine solche Ausdehnung die Atomkriegsgefahr wirklich verringert oder ausschließt.
Nun wird gesagt, daß es für ein kleines Land besser wäre, nicht über Kernwaffen zu verfügen. Meine Damen und Herren, in Europa wird kein Land sich mehr erlauben können, militärisch neutral zu bleiben. Es wird eben, ob es will oder nicht, mit den Folgen eines solchen Atomkrieges leider, leider konfrontiert. Alle Argumente gegen den Besitz, die Stationierung oder die Ausrüstung mit diesen neuartigen Vernichtungsmitteln können nun einmal nicht die Frage beantworten, ob bei einem deutschen Verzicht unsere Heimat im Konfliktsfalle vom Atomeinsatz verschont bleibt.
Ich frage Sie: Ermuntert die Hilflosigkeit des Nachbarn den Überlegenen wirklich zur Schonung, oder ermuntert sie ihn nicht vielleicht im Gegenteil dazu, über den Schwachen herzufallen? Wirkliche echte Sicherheit wird es erst geben, wenn keine Atombomben mehr da sind
und die konventionellen Waffen auf bescheidenen Umfang — so sagte der Herr Vorredner Dr. Gerstenmaier, und das ist auch unsere Auffassung — begrenzt sind.
Die bequeme Mutmaßung aber, daß ein Abkommen zwischen allen Mächten über die Einstellung der Versuche genügen würde, das Problem zu lösen, ist nicht ganz stichhaltig. Meine Damen und Herren, ich erinnere auch an das, was der britische Verteidigungsminister — oder war es der Außenminister? — in der Unterhausdebatte gesagt hat. Aber Sie können auch lesen — im „Daily Mirror" —, was der Labour-Abgeordnete Richard Cr o s s m an gesagt hat. Er hat erklärt:
Wir britischen Sozialisten können nicht weiter abseits stehen und zu behaupten versuchen, daß es Sinn habe, die H-Bombe zu besitzen, ohne sie auszuprobieren.
Dies beantwortet nach meiner und meiner politischen Freunde von der Deutschen Partei/Freien Volkspartei Auffassung die Meinungsverschiedenheit darüber, ob die Bombe auch ausprobiert werden soll, dahin, daß eine Waffe, die niemals ausprobiert worden ist, eben keine sehr wirkungsvolle Abschreckung sein kann.
Wenn von der Opposition und ihren Anhängern im Lande gesagt wird, daß für den Fall, daß die
UdSSR eine Ausrüstung mit atomaren Waffen als eine echte Bedrohung empfände, der Verzicht auf eine derartige Ausrüstung auch ein echter Preis wäre, den wir zu zahlen hätten, so ist dem entgegenzuhalten, daß dieser Verzicht nach unserer Auffassung eine Vorleistung darstellen würde, der wir nicht zustimmen können,
da die UdSSR bis zum heutigen Tage und bis zu dieser Stunde glaubhaft nichts angeboten hat und — ich pflichte dem Bundeskanzler bei — anscheinend auch nichts zu honorieren beabsichtigt. Oder man müßte sich mit rein wörtlichen Zusicherungen der Sowjetregierung begnügen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach allen Erfahrungen in den vergangenen Jahren und gerade auch Monaten muß man sich fragen, welche Regierung, gleichgültig wie sie heißt, bereit wäre, die Sicherheit der freien Welt derart aufs Spiel zu setzen. Solange der Eiserne Vorhang die notwendige internationale Kontrolle und Inspektion ausschließt, ist ein begrenztes Abkommen technisch leider unmöglich; und diese Tatsache beinhaltet in der Tat ein Risiko, das keine Regierung tragen kann.
Es liegt außerdem auch nicht das geringste Anzeichen vor, daß Moskau in absehbarer Zeit in eine Änderung dieses Status quo einwilligen würde. Deshalb scheinen uns die immer wieder vorgebrachten Äußerungen und vagen Ideen von einem neutralen Gürtel den einzigen Fehler zu haben — der wiegt allerdings schwer genug —, daß diesen Angeboten alle Voraussetzungen zu ihrer Verwirklichung fehlen. Ich darf mich da auf Äußerungen eines Mannes wie Charles E. Bohlen berufen, der zehn Jahre — davon meines Wissens etwa vier Jahre als Botschafter der USA — in der sowjetischen Hauptstadt verbracht hat. Er zieht aus der Situation den Schluß — vor wenigen Wochen erst ausgesprochen! —, daß die Sowjetregierung, um einem nuklearen Wettrüsten zu entgehen, nur in Fragen von geringerer Bedeutung kompromißbereit sei, während eine Einigung über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Sicherheit und über die Rolle der osteuropäischen Satellitenstaaten nach wie vor als ausgeschlossen angesehen werden müsse.
Meine Damen und Herren, ich brauche Sie nur daran zu erinnern, daß die Sowjetunion in der Vergangenheit nicht einmal einen ernstlichen Versuch unternommen hat, die Frage der Wiedervereinigung aller Deutschen in Freiheit und Sicherheit fur alle auf einer Grundlage zu lösen, die für ein freiheitliebendes Volk annehmbar ist.
Daraus folgt für meine Freunde und mich: die Verteidigungspolitik der Bundesregierung von heute kann nur auf das Bestehende gegründet werden. Denn in der Politik — das wissen Sie, meine Damen und Herren — gelten bekanntlich nur reale Tatsachen und nicht Träume und Wunschgebilde und etwa daraus abgeleitete Hoffnungen. Die Tatsache und Wirklichkeit ist die: die Abschreckung vor einem Angriff und die Verhinderung eines Krieges sind der einzige Zweck, der im Besitz dieser Bomben liegt.
Sicherlich sind Bomben und Abschußbasen — sie sollten es nicht sein, dürfen es nicht sein — kein Selbstzweck. Aber einseitige Verzichte sind es auch nicht.
Wir müssen auch in Rechnung stellen, daß unsere Bundesrepublik doch nur im Schatten der Großmächte steht. Kein Verantwortlicher in der Bundesrepublik behauptet, daß heute Atomwaffen etwa ein Merkmal der Souveränität sind, sondern leider, leider, wie die grausame Wirklichkeit heute aussieht, der Ausdruck jener Balance zwischen Schrecken und Abschrecken, auf der zur Zeit nun einmal der Weltfrieden ruht.
Deswegen hat auch die Bundesregierung nicht zu entscheiden, wann die Stunde X eintritt, sondern jene anderen Mächte — und da wende ich mich in gleicher Weise an die UdSSR —, die die Atomwaffen zum Kern ihrer Rüstung machten und noch machen und — so wie die UdSSR — damit sogar drohen. Alles, was erforderlich ist, ist eine Zustimmung der Führer im Kreml zu einem erforderlichen Mindestmaß der notwendigen wirksamen internationalen Kontrolle. Deshalb liegt die wirkliche Verantwortung für Krieg und Frieden — das haben alle Sprecher hier heute zum Ausdruck gebracht — im Atomzeitalter eben bei der Sowjetregierung.
Ich frage mich: Wird der Kreml daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen? Aber es scheint nach ihren letzten Noten an andere Staaten und auch nach dem Brief an uns der Sowjetregierung nicht mehr bewußt zu sein, daß die Menschen der freien Welt die blutige Liquidierung eines Volkswillens so wie in Ungarn gänzlich anders beurteilen müssen und daß sie daraus gewisse Schlüsse zu ziehen verpflichtet sind.
Es ist schon von Herrn Dr. Gerstenmaier angeführt worden: ein Element, und zwar in erster Linie, ist dabei die freie Selbstbestimmung der Völker. Bitte, schauen Sie nur nach Ungarn! In dieser Beziehung müssen meine Freunde und ich eindeutig, mit aller Klarheit feststellen, daß eine halbe Wahrheit eben keine Wahrheit, sondern eine volle Lüge ist.
Gerade ein Abkommen wie dieses über die nukleare Abrüstung erfordert aber Zuverlässigkeit, Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit und Vertrauen unter den Partnern, die ein derartiges Übereinkommen treffen.
Danach sieht also das Problem so aus: Keine von den Atommächten will doch jemals dem Gegner, der Atomwaffen anwenden könnte, unbewaffnet gegenüberstehen. Solange man die Drohung sieht, wird es die Angst vor der Atombombe geben, und sie wird leider, leider vielleicht zunächst nicht aufhören. Dagegen helfen nur - da stimmen wir mit allen denen überein, die das hier im Auftrage ihrer Fraktion ausgesprochen haben — die echte Abrüstung auf dem Gebiet der Atomwaffen und der konventionellen Waffen und ihre echte wirkungsvolle internationale Kontrolle. Somit läuft die Lösung des angeschnittenen Problems auf die Frage hinaus: Wie kann man das Zusammenleben der Völker endlich vertrauensvoll und friedlich gestalten, damit sie alle in Freiheit und in Sicherheit leben können?
Ich halte nach wie vor — und ich durfte das hier sehr früh ausführen — ein ausschließliches Verlassen auf die Atomwaffen für politisch gefährlich. Aber unter den bisher von den Sowjets angebotenen Bedingungen ist leider eine Übereinkunft zur Beschränkung oder Abschaffung der Atomwaffen nicht möglich — ich sage: unter den von den Sowjets angebotenen Bedingungen —, weil eben der Westen so lange nicht wirksam verteidigt werden kann, wie die Sowjetunion über diese Massenvernichtungswaffen verfügt. Das heißt: entweder kommen die beiden Großmächte, Atommächte, später die drei, zu einem freiwilligen Übereinkommen, oder sie müssen sich alle mit allen erdenklichen Kampfmitteln bewaffnen. Und das ist ja das Problem, vor dem wir heute stehen.
Ich meine, es sind nicht nur zwei Wege, die auch den militärischen Befehlshabern in der NATO offenstehen, jedenfalls bei ihrer heutigen Einstellung zur Verteidigungsfrage, d. h. entweder sie verwenden die Atomwaffen zur Abwehr und lösen damit den Atomkrieg aus, der erst Europa in eine Atomwüste verwandelt und dann zur allgemeinen Katastrophe überleitet, oder — das ist der zweite Weg; ich glaube, daß es noch einen dritten gibt — sie schrecken davor zurück und überliefern uns Deutsche damit als erste der überwältigenden Dampfwalze der konventionellen Waffen Moskaus. Meine Damen und Herren, beides sind Aussichten, die ungefähr gleich entsetzlich sind. Wir glauben allerdings, daß es noch einen dritten Weg gibt, und das ist die Folgerung, die wir aus der Bewertung der militärischen Kampfmittel aller Art ziehen, etwa so, wie es auch von Herrn Dr. Gerstenmaier angedeutet worden ist: die technische Entwicklung dieser Waffen — alle insgesamt, Massenvernichtungswaffen und solche, die etwa nach erfunden werden sollten — muß den Weg frei machen für die Politik. Die Politik muß alle Möglichkeiten ihrer arteigenen Konzeption ausarbeiten, zur Geltung bringen und konzentrieren; zwar nicht unabhängig von den militärischen Gegebenenheiten — das geht nicht —, aber ich meine, es sollte kein Denken mehr in militärischen Stützpunkten und in Divisionen allein sein, kein Denken, das auf militärische Kräftegruppierungen abzielt.
Es kommt natürlich noch etwas anderes hinzu. Die Gefahr und die Warnung vor der Gefahr einer Selbstvernichtung durch den Einsatz der Massenvernichtungswaffen haben jetzt eigentlich jedem in Deutschland erneut klargemacht und vor Augen geführt, daß die politischen Entscheidungen den Vorrang haben müssen vor den strategischen Überlegungen. Die politische Sicherheit und Sicherung, die Absicherung der Bundesrepublik, werden das militärische Element vielleicht zurücktreten lassen können. Aber sicher sollte die Politik nicht allein mehr im Schatten der Atomstrategie behandelt werden, und darin darf die Politik auch nicht leben. Die Konsequenz ist naturgemäß, daß neue politische Pläne für die Sicherheit, für den Frieden und für die deutsche Wiedervereinigung entwickelt werden, die allerdings auch den Notwendigkeiten der deutschen Politik Rechnung tragen, um dann mit dem Gegner politisch handeln und verhandeln zu können und nicht mehr unter dem, ich will einmal sagen, Konzept machtpolitischer Gruppierungen. Wir glauben, daß die jeweils neue Lage, wenn die Sowjetregierung etwas anzubieten hat, mit Sorgfalt überprüft werden muß. Diese Forderung schließt ein Risiko ein, d. h., daß auch wir jenen Preis zahlen, der erst die auf Abschreckung beruhende atomare Defensivkanzeption des westlichen Verteidigungsbündnisses in Europa — ich sage immer wieder: so wie die grausame Wirklichkeit heute noch leider aussieht — ermöglicht. Nun sollte man nicht bei der Beurteilung dessen, was
für unsere militärische Sicherheit notwendig ist, allein davon ausgehen, daß die atomare Bewaffnung und Revolution der Strategie und der Taktik so weit fortgeschritten ist, daß in Europa andere Konfliktformen als der Atomkrieg nicht mehr denkbar sind. Deshalb muß man konventionelle Streitkräfte im Westen schaffen, die stark genug sind, um auch ohne Atomwaffen die sowjetische Dampfwalze aufzuhalten — wenn ich bei dem Beispiel verbleiben darf — und womöglich die Sowjets zu veranlassen, gar nicht erst mit dem Gedanken einer solchen Dampfwalze zu spielen.
Ich sage dies hier nicht, weil ich die militärische Konzeption begründen und untermauern will, sondern weil die Bundesregierung nach der Auffassung meiner Freunde von der Deutschen Partei und Freien Volkspartei ebenso die Verpflichtung und Verantwortung hat, für unsere militärische Sicherheit zu sorgen — eine Auffassung, die mir bei den Ausführungen einiger Redner der Opposition wesentlich zu kurz gekommen zu sein scheint —, und zwar eine Sicherheit in Freiheit für alle Deutschen. Das ist heute noch die rauhe Wirklichkeit.
Selbstredend müssen die Bemühungen um die Herbeiführung einer allgemeinen Abrüstung weitergehen. Sie müssen sogar mit Energie betrieben werden. Wir begrüßen daher den Sta senschen Vorschlag in London, der nach unserer Auffassung sehr bedeutende Ansätze zu einer wirklich praktischen Lösung des Abrüstungsproblems beinhaltet. Damit haben die Politiker der großen Mächte eine Frist, um Lösungen zu schaffen, die den Druck der Angst von der gesamten Menschheit nehmen könnten. Deshalb ist auch Eile geboten, wie es heute
morgen hier von meinem Kollegen Erler gesagt worden ist. Aber nicht in Bonn werden diese Entscheidungen getroffen und auch nicht in der NATO. Die Folgerungen aus der Furchtbarkeit der atomaren Waffen müssen in London bei der Abrüstungskonferenz oder im Sicherheitsrat der UNO gezogen werden. Wir stimmen dem Außenminister zu, der von der Notwendigkeit einer allgemeinen Abrüstung, zu der jeder Staat — nicht nur einzelne — beitragen muß, gesprochen hat, einer Notwendigkeit, der Rechnung getragen werden muß, wenn der Schrecken des Atomkrieges gebannt werden soll. Hier liegt, auf die Dauer gesehen, der Kern des Problems. Aber es ist durch die Ereignisse der letzten Jahre, vor allem des Jahres 1956, deutlich geworden, wie sehr sämtliche großen Fragen der Außenpolitik heute zu einem einzigen Knäuel zusammengeballt sind. Deshalb ist es eben nur in einem weltweiten Abkommen über eine kontrollierte Abrüstung möglich, die Atomprobleme zu lösen. Die Lösung dieser Frage ist schwierig, aber sie muß in Angriff genommen werden. Darin stimmen wir Dr. Gerstenmaier und den anderen Vorrednern zu.
In diesem Sinne, meine ich, hat die Sowjetunion zweifellos eine besondere Verantwortung. Sie hat es in der Hand, durch Zustimmung zu wirksamen Kontrollen einen Stopp der atomaren Rüstung zu erreichen, das bisher wirksame Monopol der atomaren Bewaffnung der Großmächte zu erhalten und damit einen wirksamen und bedeutenden ersten Schritt zur Entspannung zu ermöglichen, der dann weitere Schritte auf dem Wege der allgemeinen Abrüstung unter Einschluß der konventionellen Waffen erleichtern würde. Die Sowjetregierung braucht nur eine allgemeine Abrüstungsvereinbarung mit wirksamen internationalen Kontroll-und Inspektionsmaßnahmen im Rahmen der von den Westmächten mehrmals unterbreiteten Vorschläge — wir hörten heute von 20 — anzunehmen.
Wir von der Deutschen Partei vertrauen der Bundesregierung, daß sie, wie sie früher und auch beute wieder erklärt hat, bereit ist, jeweils jede neue politische Lage zu überprüfen, wenn sich in der Beurteilung derselben durch neue, ernsthafte, ehrliche und glaubhafte sowjetische Angebote hierzu eine Handhabe bietet. Es liegt also auch hier die Verantwortung in erster und entscheidender Linie wiederum bei der Sowjetunion.
Wir wünschen aber auch zu betonen — auch mein Koalitionsfreund Herr Dr. Gerstenmaier hat das getan —, das Nordatlantische Bündnis ist für uns, solange die Lage noch so ist, wie ich sie hier kurz und in Bruchteilen darzustellen versucht habe, so unentbehrlich wie je.
Die Bundesrepublik — das müssen wir uns ins Gedächtnis zurückrufen —, wenn auch nur ein kleiner, ein bisher verschwindend kleiner Teil der NATO — das darf nicht ausgeschaltet und nicht vergessen werden —, ist doch der ganz en Kraft der NATO-Macht teilhaftig. In diesem Sinne haben auch wir den Auftrag, an einer Politik des starken Friedens mitzuwirken; denn darin liegt ja der politische Wert der NATO und unseres unentbehrlichen Beitrages zur NATO: sie zur vollen Funktion und damit auch zur Glaubwürdigkeit zu bringen. Militärische Macht im begrenzten Sinne des Wortes hat das Ziel, die politische Entscheidungsfreiheit zu behalten. Wir wollen nicht Subjekt und Träger der Politik sein, aber schon gar nicht Kompensationsgegenstand. Deshalb treten wir für eine Fortsetzung der westlichen, Bündnis- und Integrationspolitik ein. Sie ermöglicht in der Tat die besten Aussichten auf eine Wiedervereinigung aller Deutschen in Freiheit und Sicherheit dadurch, daß sie den Weg zu einer Generalbereinigung der weltpolitischen Fragen frei macht, sobald die Sowjets es aufgeben, auf einen Zerfall des Westens oder vielleicht sogar auf leichte Beute zu hoffen. Das heißt, wir müssen durch Festigung der freien Welt den Sowjetführern schließlich einen Weltfriedensschluß nahelegen.
Wir pflichten denjenigen bei, die da sagen, daß eine Ablehnung von Bündnisverpflichtungen für die Bundesrepublik Isolierung bedeutet, oder die sagen, wir verlören durch eine solche Isolierung das Vertrauen des Westens, ohne den Osten zu gewinnen.
Aus einer solchen Isolierung folgen ja weitere erhebliche außenpolitische Komplikationen im Hinblick auf die Wiedervereinigung, die in diesem Zusammenhang von den Kritikern heute mit Recht als Hauptforderung herausgestellt wurde. Diese Wiedervereinigung wird bei der Isolierung überhaupt Fragegestellt, weil sich dann eben beide Weltblöcke von den deutschen Fragen abwenden werden. Damit würden wir 'erst recht Handelsobjekt bei künftigen Ost-West-Verhandlungen.
Die Verwirklichung der Umrüstung wird sich allgemein zwangsläufig auf einen sehr langen Zeit-
)
raum erstrecken, was die Amerikaner betrifft. Man muß jetzt ja auch die politische Entscheidung abwarten und welches Urteil die militärischen Fachleute abgeben werden. Wir wissen, daß diese Fachleute vom Ministerrat aufgefordert sind, im Herbst ihr Urteil abzugeben. Wir müssen daher, abgesehen davon, daß die Politik ihre Möglichkeiten und Mittel und Wege konzentrieren muß, diese Frist noch ausnutzen. Auch in der deutschen Außenpolitik müssen wir diese Atempause nutzen, um die Bundeswehr aufzubauen, so daß sie zusammen mit ihren atlantischen Verbündeten in der Lage ist, die Dampfwalze — darf ich wieder sagen — der Sowjets am Rollen zu hindern, ohne daß der Westen zu selbstmörderischen Waffen seine Zuflucht nehmen muß. Es muß allerdings nach wie vor vor den Illusionen gewarnt werden, die dahin zielen, daß es genüge, wenn die Bundeswehr das Gleichgewicht zur kasernierten Volkspolizei halte. Wir haben darüber schon früher eingehend gesprochen. Einzelheiten heute zu wiederholen, ist daher unnötig.
Solange die Sowjets nicht bereit sind, ihr Verhältnis zu den Satelliten anläßlich dieser Verhandlungen, bis wir zu Vereinbarungen kommen, zur Diskussion und auf eine neue Grundlage zu stellen, sind alle irgendwie gearteten Angebote völlig irreal; denn die Bundesrepublik liegt nicht fernab vom Weltgeschehen irgendwo auf dem Globus, sondern leider in der Mitte Europas, und mit dieser Gegebenheit müssen wir fertig werden. Konkret gesprochen, läuft dies darauf hinaus, daß die Truppen der NATO einschließlich der Verbände der Bundesrepublik, wenn sie eingefügt werden,gemeinsam das Gegengewicht gegen die Divisionen des Warschauer Paktes jenseits der Zonengrenze bilden müssen. Die Zahl spielt unter Berücksichtigung des beiderseitigen Kampfwertes dabei keine Rolle; sie kann wirklich geringer sein, denn nicht die Anzahl, sondern der Kampfwert ist entscheidend, und da muß ein Gleichgewicht bestehen.
Ich sage dies, weil wir — zum mindesten von der Koalition — einmal sehr froh darüber waren, daß unser Land aufhörte, Experimentierfeld zwischen Ost und West zu sein. Wir sollten heute mit besonderem Bedacht darauf achten, daß wir nicht unversehens oder womöglich durch eigene Schuld — das wäre eine solche Isolierung nämlich — wieder in diese oder ähnliche Situationen hineinschliddern.
Daher müssen wir uns — ich betone das immer wieder — an die grausame Wirklichkeit halten. Es muß das Ziel bleiben, die Kernwaffen völlig zu verbannen. Solange aber hierfür die Voraussetzungen nicht gegeben sind, wäre es nach der Auffassung meiner politischen Freunde unverständlich und geradezu leichtfertig, die Streitkräfte, die man zur eigenen Sicherheit in Freiheit braucht — und das sind die Kräfte der NATO — nicht mit den wirksamsten Mitteln auszustatten. Solange der mutmaßliche Gegner über solche Kernwaffen verfügt, kann hiervon ,auch bei den Mächten, die sie heute besitzen, nicht abgewichen werden. Und darüber kann keinerlei Zweifel sein: Die Sicherheit der Bundesrepublik — Herr Dr. Gerstenmaier hat das ja ausgeführt — beruht im wesentlichen auf der Garantieerklärung der USA. Wir halten es für unmoralisch, ihr die neuzeitlichen Waffen, d. h. auch die wirksamsten Waffen, geradezu zu verweigern, wenn wir wollen, daß sie mit ihren Menschen unseren Lebensraum schützt. Das vorbildliche Eintreten der amerikanischen Staatsführung und der heldenmütige Einsatz der amerikanischen Flieger in und für Berlin scheinen bei einigen deutschen Kritikern leider, leider schon stark verblaßt zu sein.
Ich komme zum Schluß. All denjenigen, die diese Frage sehr zum Leidwesen aller Parteien im Bundestag — ich darf das wohl sagen; ich bin von Ihnen nicht beauftragt, aber ich habe das Gefühl —ausschließlich. manche sogar vordringlich, vom innenpolitischen Standpunkt aus beurteilen, meist sogar losgelöst von allen Realitäten, wie ich sie zu schildern versucht habe, sei mit Eindringlichkeit zumindest von meinen politischen Freunden und mir gesagt,
daß das Junktim zwischen staatlicher Freiheit und Verteidigungsbereitschaft völlig unlösbar ist.
Dazu gehört eine nüchterne Beurteilung der Wirklichkeit, wie sie heute ist, und die Verpflichtung für jeden von uns, im besonderen allerdings für die Regierung, eine neue Lage jeweils mit Sorgfalt und Bedachtsamkeit zu prüfen und darauf zu antworten. Wir sollten uns vor einer Lage hüten, in der wir alle zusammen im atlantischen Bündnis nichts mehr einzusetzen haben als die allerletzte Waffe.
Ein Abkommen über die Anwendung dieser Vernichtungswaffe muß daher parallel gehen mit der Einschränkung und letztlich der Einstellung der Produktion und, damit zusammenhängend, weiterer Versuche mit diesen schrecklichen Waffen innerhalb einer allgemeinen Abrüstungsvereinbarung. Nur so kann dieser Wettlauf des Wahnsinns aufgehalten werden. Ich darf mich der Worte bedienen, die der britische Außenminister Selwyn Lloyd im Unterhaus gesprochen hat. Er sagte — und ich pflichte ihm mit meinen Freunden voll bei —:
Der menschliche Erfindungsgeist hat entdeckt, wie man die Menschheit auslöschen kann. Die Zivilisation hat gelernt, wie sie sich selbst zerstören kann. Wann und wie wird sie das nächste Stadium echten Fortschritts erreichen: eine vernünftige Abrüstung, durch die sie sich rettet?
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Hoffentlich haben die Kreml-Führer und die anwesenden sowjetischen Politiker in London dies gelesen und sind bereit, auch ihrerseits die notwendigen Konsequenzen hieraus zu ziehen, um dem durch sie veranlaßten Wettlauf dieses Wahnsinns, wie ich es immer bezeichne, in der Form des Atomwettrüstens Einhalt zu gebieten.
Unsere Forderung ist daher, daß alle politischen Mittel und Möglichkeiten konzentriert werden, um den deutschen Willen zu einem allgemeinen Abrüstungsabkommen bei den nuklearen wie auch bei den konventionellen Waffen und Streitkräften durchzusetzen. Parallel damit sollte eine Begrenzung der Versuche mit Kernwaffen 'aller Art laufen ebenso wie eine vorherige Anmeldung, Beobachtung und Registrierung, wie es nach Mitteilung des Bundesverteidigungsministers am Montag in London erwogen worden ist. Aber ich weiß, entsprechend der heutigen deutschen Wirklichkeit gibt es für uns keinen einseitigen Verzicht und
keine Vorleistung. In beidem sollten wir eigene deutsche Vorschläge erarbeiten und mit ihnen hervortreten, um den deutschen Standpunkt klar und deutlich zu machen. Wir halten allerdings auch die Pflicht zu einer besonders engen und ständigen Konsultation zwischen den Verbündeten der atlantischen Gemeinschaft für notwendig, um ein einseitiges Vorgehen eines Partners auszuschließen, wenn und sobald Rückwirkungen auf die Gemeinschaft eintreten können.
Auch die Wissenschaftler, die uns ihre Warnung ausgesprochen haben — die wir sehr ernst nehmen —, sollten wir bitten, uns Vorschläge zu machen, wie man insbesondere ein Kontrollverfahren entwickeln kann, das als Grundlage eines entsprechenden internationalen Abkommens über die Begrenzung und schließlich Einstellung der Produktion und über die Überwachung weiterer Versuche geeignet erscheint.
Meine Damen und Herren, ich bin am Ende. Der Friede, nicht so sehr als Zustand, sondern vielmehr als Aufgabe steht für uns ,alle auf dem Spiel. Meine Freunde und ich werden daher alle Menschen, die diesem Ziel mit Wahrhaftigkeit und Ernsthaftigkeit im Denken und im Handeln dienen, unterstützen, ohne unkontrollierbare Bindungen einzugehen, ohne Rücksicht auf parteipolitische Bindungen, sondern als Verpflichtung allen Menschen gegenüber.