Zunächst zur Frage bezüglich des Militärexperten; der Herr Kollege Dr. Gerstenmaier sprach schon davon. Ich muß das zurückweisen. Sachverständige mit wirklich allgemeingültigen Schlüssen gibt es nur in den exakten Wissenschaften. In politischen und auch in militärischen Fragen entscheidet das Urteil der Geschichte, wessen Sachverstand wirklich Sachverstand war. Das einzige, was ich für mich in Anspruch nehme, Herr Kollege Strauß, ist, daß ich vielleicht mehr als mancher andere dieses Hauses die Fehler unserer Sachverständigen im zweiten Weltkrieg am eigenen Leibe zu spüren bekam und mit Gut und Blut Fehler bezahlen mußte, die zum Teil von den gleichen Leuten auch früher schon einmal begangen wurden, nämlich die falsche Einschätzung einer Lage, die sich dann wesentlich anders entwickelte, als unsere besten Sachverständigen es vorausgesagt hatten.
Nun zu dem Vorwurf, ich vertauschte die Begriffe. Ich darf auf dieses Argument in den folgenden Ausführungen zu sprechen kommen. Ich habe erklärt, wie verschiedenartig die Produktion, aber auch wie verschiedenartig die Aufgaben, die man verteilt hat, sind. Es läßt sich nämlich letzten Endes auch die Geographie nicht beseitigen, es lassen sich auch landsmannschaftliche und technische Verschiedenheiten nicht beseitigen. Denken Sie beispielsweise nur daran, Kollege Strauß, wie verschieden die Ausrüstung schon im Kraftfahrpark, selbst bei uns, ist. Wir sind der einzige NATO-Partner, der ein Fahrzeug mit Gemischkraftstoff und nicht ein Benzinfahrzeug mit Luftkühlung als Jeep gewählt hat. Es gibt also keinen NATO-Eintopf. Die NATO ist kein homogenes Gebilde, weder in der Produktion noch in der Planung, sondern sie ist ein Gebilde, in dem die Vielfalt geographischer, wirtschaftlicher, landsmannschaftlicher und politischer Probleme gesehen werden muß und gesehen wird. Es wäre schlimm, wenn die NATO ein Eintopf wäre. Es wäre schlimm, wenn man von Island das gleiche wie von der Türkei und von der Türkei in der Nachbarschaft zur Czakmack-Linie und an der Grenze der Sowjetunion einen gleichartigen Einsatz wie von uns verlangte.
Die Frage, ob bei einem Bewegungskrieg das Konzept völlig durcheinandergeht, wenn die Bewaffnung der Kampfeinheiten verschiedenartig ist, muß ich verneinen. Auch im zweiten Weltkrieg ist es durchaus so gewesen, daß Kampfkräfte mit verschiedenartigster Bewaffnung in einer gemeinsamen Front gemeinsame Aufgaben gelöst haben. Wie verschieden war z. B. die Bewaffnung einer rumänischen Division und die Bewaffnung einer deutschen Division!
— Umgekehrt! — Die Bewaffnung der besonders gut ausgestatteten Spezialdivisionen unterschied sich von der mancher Reservedivision so, daß es manchmal ein Verbrechen war. Trotzdem sind gemeinsame Aufgaben durchaus lösbar gewesen.
Nun komme ich auf das zweite Argument dafür, daß die NATO kein militärpolitischer Eintopf ist, sondern daß es auch politische Verschiedenheiten gibt. Es wurde damals bei der Wehrpflichtdebatte erklärt: Gerade weil Deutschland die europäische, die kontinentale Mitte hält und damit mitverantwortlich für die nordische und für die südliche Flanke ist, müssen bei uns die Landstreitkräfte so stark sein. Der Schwerpunkt lag in der ersten Planung einwandfrei bei den Divisionen. Er hat sich jetzt etwas verlagert. Immer noch haben Divisionen eine große Bedeutung, daher 200 000 Mann Heer, jedoch nicht mehr 75 000 Mann, sondern 100 000 Mann Luftwaffe. Ich nenne runde Zahlen; ich möchte hier keine Einzelheiten bekanntgeben.
Dazu kommt, daß auch die politische Zweiteilung Deutschlands Probleme aufwirft, die nicht ohne Reflexwirkung auf die militär-strategische Planung bleiben können. Der NATO-Chef weiß durchaus, daß die seelischen Konflikte eines Soldaten, der in einem zweigeteilten Volk in die Gefahr kommen kann, auf seinen eigenen Bruder schießen zu müssen, wesentlich größer sein müssen als die Konflikte eines Volkes, das gottlob die staatliche Einheit behalten hat. Warum ist denn die Wiederbewaffnung Österreichs nach dem Leid, das Österreich in gleicher Weise wie wir erfahren hat, ohne großen Streit vonstatten gegangen? Sowohl die Österreichische Volkspartei wie die österreichischen Sozialisten sind hier völlig einig, und der Aufbau der österreichischen Bundeswehr ist ein Musterbeispiel dafür, wie man eine Armee außerhalb des parteipolitischen Streites aufbauen sollte. Dort ist es eben einfacher, weil Österreich seine staatliche, seine volkliche Einheit erhalten hat, während wir mit der grausigen Hypothek der Zweiteilung unseres Volkes belastet sind, jener Hypothek, die auf uns allen doch tief innerlich lastet.
Ich glaube also, daß das Argument, wenn wir im Rahmen der Planung anders handelten als die anderen, breche das Ganze zusammen, nicht sticht und sowohl aus der Produktion wie auch aus der Aufgabenstellung wie auch aus der anders gearteten politischen Situation widerlegt werden kann. Das ist es doch, was uns von den 14 anderen NATO-Partnern unterscheidet.
Nun hat Herr Kollege Dr. Gerstenmaier gefragt, wie wir uns denn überhaupt zu der Frage der Verteidigung der Freiheit einstellten. Ich wiederhole das, was ich in früheren Debatten erklärt und auch jetzt eingangs gesagt habe: Wir sind von Anfang an für den Aufbau einer Notwehr eingetreten. Wenn wir auch in der Frage der Form, in der Frage der Ausführung des Verteidigungsbeitrags verschiedener Meinung waren, im Prinzip waren wir völlig einig mit dem, was die anderen Redner hier bezüglich der Notwehr des deutschen Volkes und der schätzenswerten Freiheit dargelegt haben. Ja, ich kann sogar, ohne Schärfe in die Debatte bringen zu wollen, sagen: wir haben uns im 1. Bundestag um Fragen der politischen und auch psychologischen Behandlung der deutschen Soldaten — Heimkehrer und Kriegsverurteilte — schon zu einer Zeit bemüht, als es noch nicht Allgemeingut aller politischen Parteien der Bundesrepublik war.
Wir haben gerade diesen Problemen unsere Aufmerksamkeit gewidmet zu einer Zeit, da es noch keineswegs populär war. Ich erinnere den Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder daran, daß es
doch unser Verdienst war, daß sein Bundesgrenzschutz erst auf 10 000 und dann auf 20 000 Mann erhöht werden konnte, — gegen den Widerstand, Herr Kollege Strauß, eines Teils der CSU. Also hier gibt es keinen Zweifel: wir sind für die Verteidigungsbereitschaft unseres Volkes und wollen alles tun, was dieser Verteidigungsbereitschaft dient. Doch das große Aber kommt dahinter: für den deutschen Verteidigungsbeitrag ergibt sich aus der anders gearteten Lage unseres Volkes auch eine anders geartete Behandlung und Funktion unserer Verbände.
Uns verbindet mit der freien Welt, Herr Dr. Gerstenmaier. genau die gleiche Schlagader, die Sie und die alle Parteien dieses Hauses verbindet. Wer es wagen würde. die Verbindung der Bundesrepublik zur freien Welt zu durchschneiden, würde die Schlagader durchschneiden und die Bundesrepublik zum sogenannten „volksdemokratischen" Staat ausbluten lassen. Uns Freien Demokraten ist ein zweigeteiltes Deutschland, in dem wenigstens wir 51 Millionen Bundesrepublikaner frei sind und frei reden können und woraus 17 Millionen in Mitteldeutschland eine Hoffnung schöpfen, immer noch angenehmer als ein einiges Deutschland von 70 Millionen unter dem Sowjetstern, Hammer und Sichel als Volksdemokratie.
Wenn es überhaupt einen Gegensatz zum Kommunismus, zu den Kräften des Kollektivismus, des Bolschewismus gibt, so doch den Unterschied derer, die die Freiheit zum Prinzip ihrer politischen Richtung gemacht haben, gegenüber den Kräften der Unfreiheit; diese beiden Seiten kennen wie Wasser und Feuer keinen Kompromiß, sondern müssen einander bei ihrer Berührung vernichten, auslöschen. So gibt es keinen Kompromiß zwischen den Prinzipien der Freiheit, den rights und liberties, den Grund- und Freiheitsrechten, die unser Leben überhaupt erst lebenswert machen, und den Kräften der Unfreiheit, des Kollektivismus, in dem der Mensch nur noch eine Nummer ist.
Wir sehen — ich bitte, diesen Satz jetzt sehr ernst zu nehmen — aber nicht nur, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, die Frage des Schutzes der Freiheit für die 51 Millionen Bundesrepublikaner. Wir glauben, daß es auch unsere Pflicht ist, die Freiheit der 70 Millionen Reichsdeutschen zu sehen. Daher jetzt die entscheidende Frage: Glauben Sie, daß eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr der Wiedervereinigung Deutschlands dienlich ist, oder glauben Sie, daß die Anhäufung atomaren Sprengstoffes beiderseits der Elbe und Werra am Ende nicht die Wiedervereinigung noch mehr erschwert, als das ohnehin schon der Fall ist?
Wir glauben, daß das erste Ziel der deutschen Nachkriegspolitik nicht das ist, für 51 Millionen Bundesrepublikaner ein besseres Leben zu schaffen. Dem sogenannten bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder ist ja nicht unbedingt ein geistiges gefolgt, von dem Wunder der nationalen Wiedervereinigung ganz zu schweigen, auf das wir zwölf Jahre warten. Wir sind doch — das ist eine traurige Bilanz achtjähriger Tätigkeit des Deutschen Bundestages im Provisorium Bonn — der
deutschen Wiedervereinigung in diesen acht Jahren nicht um einen Schritt näher gekommen.
In den Reihen der Freien Demokraten gibt es gelegentlich, da wir ein kantiges Etwas sind und kein rundes Nichts sind, Meinungsverschiedenheiten. Aber in dieser Frage gab es in Berlin Einhelligkeit, als wir Ende Januar dieses Jahres erklärten: Die friedliche Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland und den ostdeutschen Gebieten in einem deutschen Reich mit freiheitlicher Ordnung ist unser oberstes Ziel.
Alle innen- und außenpolitischen Anstrengungen müssen in erster Linie der Erreichung dieses Zieles dienen!
Wir sind nun einmal der Auffassung, daß wir der Wiedervereinigung nicht durch Ansammlung von atomaren Bewaffnungen auf deutschem Boden dienen; wir dienen ihr nicht dadurch, daß auf die Atomraketenbataillone der Bundeswehr die Atomraketenbataillone der sogenannten Volksarmee drüben kommen. Wir glauben vielmehr, daß der Wiedervereinigung nur gedient werden kann, wenn auf deutschem Boden eine entspannte Zone — sei es im Sinne der Gedanken von Pfleiderer, des jetzigen Botschafters in Belgrad, sei es im Sinne des Eden-Plans der ersten Genfer Konferenz vom Juli 1955 — geschaffen wird.
Zu unserer großen Genugtuung hat erstmalig der Präsident der Vereinigten Staaten vor zwei Tagen auf einer Pressekonferenz genau dieses Konzept als eine mögliche Lösung der deutschen Frage dargelegt. Das sind die beiden Faktoren, die wir sehen müssen: auf der einen Seite die Frage des Schutzes unserer Freiheit, auf der anderen Seite aber mit gleicher Leidenschaft die Verpflichtung der deutschen Politik, die staatliche Einheit wiederherzustellen.
Das ist der historische Auftrag, den die Geschichte Nachkriegsdeutschland erteilt hat: das zunächst gevierteilte und dann zweigeteilte Deutschland wieder zusammenzufügen. Die Geschichte wird uns nicht danach beurteilen, welchen Lebenshaltungsindex wir für das halbe Deutschland erreicht haben! Die Geschichte wird uns danach beurteilen, ob uns die Lösung dieser historischen Aufgabe gelingt oder ob die Zweiteilung Deutschlands sich immer weiter so sehr festigt, daß ein Arrangement der Großmächte auf dem Status quo am Ende nur die letzte Konsequenz wird. Geteilt in alle Ewigkeit, Deutschland ade! Auch diese Gefahr muß man sehen. Man muß versuchen, zwischen diesen beiden Prinzipien einen Weg zu gehen, der das eine sichert, aber das andere nicht noch mehr ausschließt, als es leider in acht Jahren ohnehin geschehen ist.