Herr Kollege, das ist ein weites Feld, auf das ich ausführlich zu sprechen kommen werde. Ich bin erst, genauso wie Sie in Ihrer ersten Viertelstunde, beim ersten Teil.
Wir haben in den Debatten auch erklärt — und es ist in den Protokollen nachzulesen —, daß niemand sich dem technischen Entwicklungsprozeß entziehen kann, daß also die Zeit der Flakartillerie des zweiten Weltkrieges vorbei ist und daß die Zeit der Raketenabwehr, der Nike und der anderen, begonnen hat, daß die Zeit des gezogenen Rohres, also der klassischen Artillerie, zu Ende geht, daß die Zeit der Raketen beginnt, der elektronengesteuerten Raketen, daß die Zeit des bemannten Flugkörpers, d. h. also des Flugzeugs, in der Strategie zu Ende geht, weil der Mensch in seiner Physis den technischen Belastungen der hohen Geschwindigkeiten gar nicht mehr gewachsen ist, daß also der Zeitpunkt kommen wird, wo der unbemannte Flugkörper, die Rakete, die Aufgabe der früheren bemannten Luftwaffen übernehmen wird.
Ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren und nur sagen, daß es im zweiten Weltkrieg schon den Nebelwerfer auf unserer Seite und die Katjuscha, die Stalinorgel — böse Erinnerung — auf der anderen Seite gegeben hat, daß es Do-Geräte gab, die aus der vordersten ,Linie aus einfachen Gestellen mittels eines Treibsatzes verschossen werden konnten, also Raketen.
Aber niemals ist in diesem Hause und niemals ist im Verteidigungsausschuß von einem Mitglied dieses Hauses die Atomrakete für die Bundeswehr als der Weisheit letzter Schluß gefordert worden. Das ist der Unterschied. Wir glauben, daß außerdem für das zweigeteilte Deutschland andere Maßstäbe gelten als für die 14 anderen NATO-Partner. Hier antworte ich dem verehrten Herrn Vorredner; zum Teil habe ich das schon durch eine Zwischenfrage getan. Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier stellte das so dar, als sei die NATO ein homogener Körper, als kenne sie keine Arbeitsteilung bei ihren Verteidigungsaufgaben und als brächten Modifizierungen eines Partners das ganze Gebäude zum Zusammenbruch. Dem ist gottlob nicht so. Denn wäre dem so, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, wäre allerdings Ihre Auffassung richtig: Zieht man einen Partner aus der allgemeinen Planung heraus, ist die Konzeption zu Ende. Zum Beweis dessen, daß das nicht so ist, folgende Feststellungen.
Erstens. Die Verträge selbst haben für das zweigeteilte Deutschland eine andere Fixierung, einen anderen Inhalt als für die 14 NATO-Partner, schon auf Grund freiwiligen Verzichts. Die Bundesregierung hat auf die Produktion atomarer, biologischer und chemischer Waffen verzichtet. Sie hat ferner verzichtet auf die Raketenentwicklung und die Geschoßproduktion über ein gewisses Maß hinaus. Es steht auf den Millimeter genau fest, welche Raketen zur Luftabwehr wir selbst produzieren dürfen, und es steht auf eine Tonne genau fest, welche Kreuzer wir haben dürfen, nämlich bis zu 3000 t und nicht höher, und wie wir unsere U-Boot-Waffe aufbauen dürfen, nämlich bis zu einer gewissen Tonnage und nicht höher. Der deutsche Beitrag zur NATO ist also bereits ein differenzierter Beitrag, der sich aus der besonderen Lage dieses Partners ergibt.
Zum zweiten hat aber die NATO selbst eine Arbeitsteilung. Uns ist immer wieder hier im
Hause, aber auch in den Ausschüssen bekanntgemacht worden, daß sich die Vereinigten Staaten das NATO-Schwert, das nukleare Schwert, vorbehalten hätten. Das heißt, sie allein haben den strategischen Bomber, also die B 52, die sowohl in Amerika unter Führung des Generals Mc. Lemay wie auch in England und auf anderen Stützpunkten stationiert sind. Alle anderen Partner, Herr Kollege Gerstenmaier, haben diese B 52-Großbomber nicht. Dieses NATO-Schwert der nuklearen Vergeltung, der Abschreckung haben nur die Vereinigten Staaten.
Es hat auch eine gewisse Arbeitsteilung zwischen England und uns gegeben. Es ist bekannt, daß die Jagdwaffe, also die Abwehr der Luftangriffe mittlerer Ebene, im Schwerpunkt bei den Engländern und bei uns liegt. Die Engländer haben 1940 bewiesen, was für eine ausgezeichnete Jagdabwehr sie hatten.
Wir haben — ich rufe den Herrn Bundesverteidigungsminister als Zeugen an — in dieser Arbeitsteilung die Hauptaufgabe in der Bildung des Schildes gehabt. Das heißt, wir sollten durch — erst hieß es: 500 000 Mann, nachher wurde man bescheidener; die neueste Planung bis 1961 liegt weit unter 500 000 — 350 000 Soldaten jenen Schild bilden, der einen Angreifer zur Konzentration zwingen und den Vereinigten Staaten wiederum die Chance geben würde, durch Abwurf auf lohnende Ziele den Angriff schon in seiner Bereitstellung zu treffen.