Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Erler, ich finde es dankenswert, daß Sie diese Frage gestellt haben, denn sie gibt mir die Gelegenheit, darauf zu antworten. Ich würde es für sehr viel konsequenter halten, Herr Kollege Erler, unsere Meinungsverschiedenheit nicht am Problem der Atomwaffe zu führen, sondern sie dann zu führen am Problem des grundsätzlichen politischmilitärischen Status der Bundesrepublik bzw. Deutschlands.
Ich habe mir große Mühe gegeben, Ihre Vorschläge im Rahmen Ihrer politisch militärischen Gesamtkonzeption zu sehen. Ich gebe zu: Sie können in der Richtung argumentieren; aber nach meiner Überzeugung nur dann, wenn Sie bereit sind, die Konsequenz teinter neutralen Bundesrepublik zwischen Ost und West mitzumachen.
Aber auf der anderen Seite sollte doch klar sein: Wenn man sich schon darum bemüht, den Atomkrieg so zu erfassen, wie er wahrscheinlich abrollt, nämlich als eine Gefährdung der ganzen Welt, dann ist es doch ein Trugschluß, mit taktischen, militärisch-politischen Erwägungen zu
kommen, die eine Differenzierung für Deutschland bedeuten würden. Ich komme zu der entgegengesetzten Konsequenz. Ich sage nein. Das gesamte Willens- und Wehrpotential der freien Welt muß zusammengespannt werden, um einen solchen militärischen Konflikt — es ist übrigens gleichgültig, Herr Erler, ob er mit konventionellen oder mit Atomwaffen entbrennt — von vornherein unmöglich zu machen.
— Nein, das möchten wir nicht.
— Mir liegt gar nichts am Wettrüsten. — Ich fürchte, daß die Hörer am Radio Ihren Einwurf nicht verstanden haben. Deshalb will ich ihn hier wiederholen. Es wird mir hier zugerufen, daß das zum Wettrüsten führen würde. Meine Damen und Herren, das l st das Problem nicht, sondern hier geht es vielmehr um das Gleichgewicht der Kräfte, von dem her allein die Abrüstungsverhandlungen eine Chance haben.
Glauben Sie denn, daß die freie Welt in London noch eine Chance hat, wenn die Russen von vornherein wissen, daß sie auf jeden Fall und in allen vorkommenden Möglichkeiten 'die Stärkeren sind? Das glaube ich nicht!
Es ist kein Zweifel — lassen Sie mich damit dieses Kapitel jedenfalls für meine Person zum Abschluß bringen —, daß die militärische Anwendung der Atomkraft der Menschheit in der Tat — da ist kein Wort zuviel gesagt —den 'direkten Weg in die Hölle eröffnet. Die friedliche Anwendung der Atomenergie wird die Ende zwar nicht zu einem Himmel machen — das glaube ich auch nicht —, aber sie kann menschenwürdiges Leben für die rapid wachsende Bevölkerung der Erde tatsächlich ermöglichen.
Wenn die Atombomben überhaupt einen Sinn haben, dann kann er doch nur darin liegen, den Krieg, jedenfalls den großen Krieg nicht nur zu ächten. Nach dem ersten Weltkrieg haben die Leute gemeint, man könne allein mit einem moralischen Postulat die Dämonien in der Menschheit zum Schweigen bringen. Ein großer Irrtum! Vielleicht haben wir nach dem zweiten Weltkrieg eine Chance mehr, weil dem moralischen Postulat die fürchterliche Drohung der Atomwaffe an die Seite tritt und es damit vielleicht möglich wird, den Krieg nicht nur zu ächten, sondern real zu verhindern und damit im übrigen nicht nur die Atomwaffenrüstung, sondern auch den weiteren irrsinnigen Ausbau der konventionellen Rüstung einzudämmen. Natürlich liegt uns gar nicht daran, etwa nur die Atomwaffenrüstung abzubauen. Meine Damen und Herren, da muß übrigens noch ein Wort zu den B- und C- Waffen gesagt werden. Sie sind mindestens ebenso scheußlich, grausig und indiskutabel wie die Atomwaffen. Worauf kommt es uns denn an? Uns kommt es doch darauf an, die ganze Geschichte in einer solchen Verbindung zu sehen, daß wir möglichst auch die Stalinorgeln und die anderen entsprechenden fabelhaften Neuigkeiten,
die es vielleicht auf der westlichen Seite der Well gibt und die unter dem harmlosen Namen der konventionellen Waffen laufen, niederhalten. Kurz und gut, uns geht es dabei einfach darum, die große Kriegsmaschinerie zu neutralisieren, sie zu sterilisieren und sie nutz- und sinnlos zu machen. Dies kann ich sage: kann — der große weltgeschichtliche Sinn der Atomenergie und ihrer Anwendung im militärischen Bereich sein.
Eine letzte Frage in diesem Zusammenhang. Sie ist heute nicht angeschnitten worden, aber ich möchte nicht, daß sie einfach unter den Tisch fällt. Muß man nicht auch dem großen Apparat der NATO mißtrauen, mindestens insofern, als seine organisatorische Selbstmächtigkeit dem Friedenswillen seiner Träger entlaufen könnte? Nun, jedermann weiß oder kann wissen, daß die NATO nicht nur ihren Grundsätzen, sondern auch ihrer Organisation nach keine Kreuzzugsorganisation, sondern ein reines Verteidigungsschutzsystem ist. Ich meine, kein Gerechtdenkender sollte sich der Macht der Tatsache entziehen, daß die NATO samt und sonders von parlamentarisch kontrollierten Rechtsstaaten getragen wird. Der Hinweis zu diesem Punkt in der Erklärung des Bundesverteidigungsministers ist ganz zweifellos von Bedeutung. Denn diese Kontrolle hat zur Folge, daß im Unterschied zu der unerhörten Machtkonzentration der totalitären Diktatur des Ostens im Bereich des Nordatlantikpaktes eine vielfältige Verteilung und durchgreifende Kontrolle der Macht stattfindet. Wenn man sich jedenfalls schon mit der Frage befaßt, von welcher Seite überhaupt der Angriff denkbar wäre, dann darf man an einer solchen Vergegenwärtigung nicht vorbeigehen. Ich habe mit Genugtuung gesehen, daß diese Überlegung von zwei evangelischen Theologen, den Herren Thielicke und Zahrnt, in die öffentliche Diskussion eingeführt wurde. Ich freue mich, daß damit in einer qualifizierten Weise der in manchen Kreisen beliebt gewordenen böswilligen oder gedankenlosen Gleichsetzung von Ost und West widersprochen worden ist.
Ich fasse zusammen. Eine schon heute beschlossene grundsätzliche Ablehnung der atomaren Waffen für die Bundeswehr und ein formell mögliches — damit haben Sie Recht, Lord Ismay hat es bestätigt — etwaiges Verbot der Stationierung atomarer Waffen in der Bundesrepublik hieße Ablehnung der NATO durch Deutschland. Die Amerikaner haben sich verpflichtet, im Falle eines Angriffs gegen Westberlin oder die Bundesrepublik ihr eigenes Blut einzusetzen. Da die Männer im Kreml dies wissen, haben sie es bisher nicht gewagt, unseren Frieden zu stören, jedenfalls nicht von außen und mit Gewalt. Können wir, frage ich, nun von den Amerikanern erwarten, daß sie unsere Sicherheit garantieren, wenn wir ihnen gleichzeitig zumuten, diese ihre Söhne nicht mit den wirksamsten vorhandenen Waffen unter ihrer eigenen Verantwortung auszurüsten? Wir verlangen es ausdrücklich doch gar nicht, es fällt uns gar nicht ein; wir würden damit vielleicht unsere Kompetenzen überschreiten. Aber können wir ihnen das, wenn sie es unter ihrer eigenen Verantwortung zur Durchführung der von ihnen gewährten Sicherheitsgarantie an die Bundesrepublik zu tun für richtig und notwendig halten, denn verbieten? Ich glaube nicht, daß wir das tun können, jedenfalls so lange nicht, wie die
Amerikaner die Hauptlast der Verteidigung der Bundesrepublik tragen, und das tun sie zumindest im gegenwärtigen Augenblick noch immer. Vielleicht ändert sich im Laufe der Zeit einiges daran, wenn die versprochenen 12 Divisionen der Bundeswehr stehen, neue waffentechnische Entwicklungen die Bedeutung des Vorfeldes der Verteidigung verringern, vor allem aber — und damit kommen wir immer wieder auf den Kernpunkt zurück —, wenn die Abrüstung wirksam zu werden beginnt. Wir können nur hoffen, daß dieser Tag kommt und daß weder die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet zu werden braucht, noch unsere Bundesgenossen Atommunition oder Atomverbände auf unserem Boden zu stationieren brauchen.
Ich möchte es sachverständigeren Sprechern des Hauses überlassen, welche Konsequenzen sich daraus für die Ausstattung der Bundeswehr mit konventionellen Waffen ergeben. Sicher scheint mir, daß die kontrollierte Abrüstung aller Atomwaffen verbunden werden muß mit der kontrollierten Abrüstung auch der konventionellen Waffen und der Begrenzung der Truppenstärke, eine Aufgabe — ich sage das noch einmal —, an der sich die Vereinten Nationen wieder aufzurichten vermögen.
Aber statt in Bereiche zu schweifen, in denen wir Deutsche wie in den Vereinten Nationen keine Stimmen haben, möchte ich lieber bei uns selber bleiben und einige Vorschläge machen, die mir mit meinem Laienverstand realisierbar erscheinen.
Erstens möchte ich vorschlagen, daß die Bundesregierung einen Beirat für Fragen der Atomwaffen beruft. Ich hoffe, daß meine Fraktion sich bereit findet, das aufzunehmen. Dieser Beirat für Fragen der Atomwaffen sollte etwa aus 12 Personen bestehen, Wissenschaftlern, Politikern, Militärs, Männern des öffentlichen Lebens. Ich denke, daß es Aufgabe dieses Beirats sein sollte, nicht nur hinter verschlossenen Türen zu tagen und dort Geheimnisse in tiefer Brust zu vergraben, sondern ohne Zeitverlust das einschlägige Material, darunter auch das der bisherigen Abrüstungsverhandlungen im Bereich der Vereinten Nationen, zu studieren, zu sichten und die Ergebnisse dieser Untersuchungen laufend bekanntzugeben. Es ist wichtig, daß das deutsche Volk mehr als seither weiß, was sich eigentlich im internationalen Bereich in dieser Sache tut.
Wir drucken so viele Sachen. Warum sollen wir nicht auch einmal etwas drucken, was wirklich für alle von Wichtigkeit und Bedeutung ist? Wir sollten mit einer Sammlung der wichtigsten Texte und Dokumente jedermann die Möglichkeit zur eigenen Information in die Hand geben.
Der zweite Vorschlag, den ich hier machen wollte, ist durch eine Erklärung, die mir der Herr Atomminister gestern zugehen ließ, offenbar erledigt. Ich war der Meinung, daß wir unsere Wissenschaftler, unsere Atomphysiker — auch diejenigen, die erklärt haben: Nein, für militärische Sachen sind wir nicht zu haben — bitten sollten, ihre Kunst und Wissenschaft dafür zur Verfügung zu stellen, daß weitere feinste Detektoren entwickelt werden können, d. h. also Instrumente, mit denen Atomexplosionen im ge-
samten Bereich der Welt zuverlässig kontrolliert werden können. Der Herr Atomminister hat mir gestern sagen lassen, daß diese Detektoren bereits entwickelt seien, daß man über sie verfüge. Ich glaube, der Herr Kollege Erler hat es heute morgen bestätigt, indem er gesagt hat, daß man unweigerlich Atomexplosionen feststellen könne; mir war nicht ganz klar, ob das nur für die großen Waffen oder ob das auch für die taktischen Atomwaffen gilt. — Herr Kollege Erler, bitte sagen Sie etwas, wenn es der Herr Präsident erlaubt.