Nein, Herr Kollege Strauß, ich bin nicht dieser Meinung. Aber ich bin der Meinung, daß die wirklichen Vergeltungswaffen, die, auf die es ankommt, nicht bei uns in der Bundesrepublik, sondern anderswo stationiert sind, nämlich in Amerika selber oder in Thule oder in den anderen Randbezirken des strategischen Kräftefeldes der westlichen Welt.
- Sie schütteln den Kopf? Aber so ist es doch! Der Herr Bundesverteidigungsminister kann mir doch nicht anders antworten als: Ja, es ist so!
Nun die andere Behauptung der Bundesregierung: durch die taktischen Atomwaffen - ich spreche jetzt nicht mehr von den strategischen — werde die Sicherheitschance Deutschlands und die Chance der Wiedervereinigung erhöht. Es wurde davon gesprochen, wenn die Bundeswehr taktische Atomwaffen besitze, könnten uns die Apokalyptischen Reiter erspart werden. Nun, wir wissen es heute — ich weiß es durch die 18 Professoren —, daß eine einzige taktische Atomgranate die Sprengkraft der Bombe von Hiroshima hat. Man stelle sich vor, daß hüben und drüben nur je hundert Schuß aus den taktischen Atomkanonen abgegeben werden — was wird denn dann von Deutschland oder jedenfalls von den deutschen Städten noch viel übrig sein? Auch ein taktischer Atomkrieg, ein Krieg, bei dem man nicht auf die strategischen Atomwaffen zurückgreift, würde Deutschland auf jeden Fall zerstören!
Man hat auch heute wieder das Argument vorgebracht: Ja, wenn Ungarn nicht so waffenlos gewesen wäre, dann wäre dem ungarischen Volk nicht passiert, was ihm passiert ist. Es ist ihm Schreckliches passiert, und jeder von uns wird sich tief verneigen vor der Tapferkeit dieses großen Volkes im Kampf um seine Freiheit.
Aber ich frage mich: Was hätte es den Ungarn genützt, wenn sie in ihrer Honved taktische Atomwaffen gehabt hätten? Hätten sie damit ihre eigenen Städte zusammenschießen sollen oder was sonst? Das ist doch auch so ein Scheinargument, mit dem Sie vielleicht blenden können, mit dem Sie aber jemanden, der nachdenkt, nicht zu überzeugen vermögen.
Die Anwendung taktischer Atomwaffen bewirkt unweigerlich die Anwendung strategischer Atomwaffen auf dem Gebiet, auf dem die taktischen Atomwaffen eingesetzt werden. Sicher wird die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen die Sowjets veranlassen, ihre Satelliten entsprechend auszurüsten. Dann ist eine Kompensation erfolgt, die Ihre Anstrengungen ziemlich nutzlos macht.
Wir sollten auch dies nicht übersehen: atomare Ausrüstung der Bundeswehr macht diese in Anbetracht der geographischen Lage Deutschlands notwendig zum Kern des NATO-Aufmarsches. Und damit allein, Herrn Bundesverteidigungsminister, haben wir die Apokalyptischen Reiter schon zu uns hereingeholt.
Es wurde behaupet, die atomare Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Waffen könne die Sowjetunion abschrecken. Nun, ich glaube, sie wird das so wenig können als die 12 deutschen Divisionen, die man einmal wollte, das gekonnt hätten. Eine solche Politik wird lediglich die Haltung der Sowjetunion verhärten. Wie steht denn hier die Frage? Die Spaltung Deutschlands ist nicht bloß Funktion der Ideologie der russischen Kommunisten, sondern ist auch aus strategischen Gründen erfolgt. die Sowjets haben in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands strategische Positionen inne. Ist anzunehmen, daß sie diese strategischen Positionen eher räumen, wenn ihnen die von ihnen für lebensbedrohend gehaltenen Waffen näher auf den Leib rücken? Wenn sie das täten, würden sie, wie Herr
Bulganin uns in Moskau gesagt hat, von dem Volke weggejagt werden.
-- Manchmal kann das Volk das tun. (Bundesaußenminister Dr. von Brentano:
In Rußland?)
— Im jetzigen Augenblick sicher nicht. Aber, Herr Bundesaußenminister, Sie hoffen doch auch, daß in der Sowjetunion ein Wandel des Regimes eintritt?
— Und Sie nehmen doch sicher nicht an, daß die jetzt am Ruder Befindlichen von selbst abdanken werden?
— Also wird doch nur eine Volksbewegung in der Sowjetunion in der Lage sein, einen Wandel des Regimes herbeizuführen?
— Dann sind wir uns wieder einig.
Ich sprach vorher von dem Vortrag, den Professor von Weizsäcker hier in Bonn gehalten hat. Nun, dieser Vortrag eines Physikers war auch ein vortreffliches politisches Kolleg, und ich habe es sehr bedauert, daß kein Mitglied der Bundesregierung diesen Vortrag mit angehört hat. Ich erlaube mir, einige Feststellungen hier anzuführen, die Professor von Weizsäcker geglaubt hat treffen zu müssen. Er sagte — und ich stimme ihm darin vollkommen bei —, es sei sinnlos, den Frieden mit der Atombombe und durch die Angst vor der Atombombe garantieren zu wollen; wenn man das aber wolle oder vielleicht müsse, dann solle man das atomare Gleichgewicht auf die atomaren Großmächte von heute beschränken und solle man auf jeden Fall die Bewaffnung kleinerer Staaten mit atomaren Waffen unterlassen; denn wenn man damit anfange, die Bundesrepublik mit atomaren Waffen auszurüsten — und seien es nur taktische atomare Waffen —, wie könne man dann auf die Dauer verhindern, daß andere, für den Weltfrieden sehr viel gefährlichere Völker mit solchen Waffen ausgerüstet werden?!
Auf eines möchte ich — in Klammern — hinweisen: Wenn in der nächsten Woche die Amerikaner neun Atom- und Wasserstoffbomben zur Explosion bringen werden und die Briten über der Weihnachtsinsel — welch schreckliches Symbol: eine Wasserstoffbombe über der „Weihnachts"insel! —, nun, dann bin ich überzeugt, daß die Sowjets auf ihrem Gebiet die doppelte Anzahl davon zur Explosion bringen werden, um damit der Welt vor Augen zu führen, daß man auch genug davon hat und daß man imstande ist, auch mit solchen Dingen umzugehen. Überlegen Sie sich doch, wie sich das auf die Angst in unserem Volk, in allen Völkern auswirken wird, auf die Angstneurose auswirken wird, die unsere Völker beherrscht und die eines Tages zu einem großen Unglück führen könnte!
Man muß endlich Schluß machen — auch hier zitiere ich ein Wort des Professors von Weizsäcker
— und muß sich zu einer Politik bekehren, die zur Erhaltung des Friedens nicht mehr die Drohung mit der Atombombe nötig hat. Deutschland kann hierzu einen realen Beitrag leisten, wenn es sich dem Zug in die scheinbare Ausweglosigkeit widersetzt.
Es wird hierzu manches in der Welt getan. In den nächsten Monaten versammeln sich in New Delhi die Verbände des Roten Kreuzes. Es ist eines der Hauptthemen auf dieser Konferenz, die Staaten zu veranlassen, eine neue Rot-Kreuz-Konvention abzuschließen, die die Massenvernichtungswaffen verbietet. Ob es dazu kommen wird, wissen wir nicht. Es ist schön und es wird sicher seinen Eindruck auf die Welt nicht verfehlen, wenn im Zeichen des Roten Kreuzes in New Delhi Beschlüsse dieser Art zustande kommen sollten. Aber das wird nicht genügen. Es wird über diese humanitären Verbände hinaus etwas getan werden müssen, etwas, das nur die Regierungen und die Parlamente tun können.
Es ist von seiten der Regierung und von seiten meines Freundes Erler davon gesprochen worden, daß das Fernziel, das uns allen am Herzen liegt - es liegt auch Ihnen am Herzen, das weiß ich —, die Abrüstung ist und ein Sicherheitssystem, das uns allen Sicherheit in Freiheit zu geben vermag. Wir sind uns auch alle einig darüber, daß wir dahin nur in Etappen kommen werden — leider! Aber wenn man zu einem System kollektiver Sicherheit kommen will, dann wird man die Sowjetunion dazu brauchen; denn ohne sie kann man bestenfalls eine Koalition aufbringen, die sich — in Abwehrposition — gegen die Sowjetunion richtet. Aber das ist ja noch kein System kollektiver Sicherheit; ein solches muß alle virtuellen Gegner einbegreifen. Man muß also, wenn man es will, auch der Sowjetunion die Vertrauenswürdigkeit einräumen. Wenn man von vornherein sagt: auf eine Unterschrift der Sowjetunion, die uns Sicherheit geben soll, gebe ich nichts, dann hat es doch keinen Sinn, eine Politik kollektiver Sicherheit betreiben zu wollen! Aber der Herr Bundesverteidigungsminister hat in der Sitzung des Bundestages vom 31. Januar seine Intervention mit dem Satz geschlossen — er ist sehr lang, es genügt, wenn ich die letzten Zeilen zitiere —:
. . . von dieser Regierung und von einem System mit diesem ideologischen Hintergrunde eine Unterschrift als Garantie für unsere Sicherheit hinzunehmen, wäre für uns nackter Irrsinn.
Wie wollen Sie, wenn Sie das glauben, Herr Bundesverteidigungsminister — auch wenn Sie recht haben sollten —, dann eine Politik kollektiver Sicherheit führen, die Sie doch nur führen können, wenn Sie die Sowjetunion an den Verhandlungstisch bringen, an dem eine Konvention unterschrieben wird? — Bitte, wenn Sie mich etwas fragen wollen.