Herr Kollege Strauß, das, was Sie mir gesagt haben, ist mir zum Teil bekannt. Jedenfalls haben aber Ihre Beweisführungen die 18 nicht davon abhalten können, ihre Erklärung abzugeben. Ganz offensichtlich hielten sie Ihre Gründe nicht für durchschlagend. Was im übrigen die Zusicherung eines weiteren Gesprächs anbetrifft, so sind vielleicht einige Erklärungen, die Sie in der Öffentlichkeit abgegeben haben, die Ursache gewesen, daß die Herren glaubten, sich beeilen zu müssen.
Meine Damen und Herren, was die Folgen eines Atomkrieges wären, ist hier sehr beredt dargestellt worden. Ich glaube, daß hier unter uns keine Meinungsverschiedenheit besteht. Wir sind uns klar darüber, daß dieser Krieg mit der totalen Vernichtung des Siegers und des Besiegten enden müßte.
Ich glaube, daß vor allem Deutschland durch den Schlag und durch den Gegenschlag am meisten betroffen werden müßte — Deutschland zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Ich möchte dabei ins Gedächtnis zurückrufen — nicht den Damen und Herren dieses Hauses, sondern dem einen oder anderen unserer Zuhörer —, daß auch Dresden, daß auch Halle, daß auch Leipzig deutsche Städte sind!
Wir wissen jetzt aus berufenstem Munde, daß diese Vernichtung nicht nur die Menschen betreffen würde, die in die Kampfhandlungen unmittelbar einbezogen würden, sondern schlechthin die ganze Bevölkerung — daß dabei nicht nur „Verluste" entstehen würden, wie man noch im letzten Kriege sagen konnte, sondern daß die biologische Substanz unseres Volkes schlechthin vernichtet werden würde, nicht nur für heute; wegen der Vernichtung oder Beschädigung der Reproduktionsfähigkeit dieser biologischen Substanz würde auf Generationen hinaus eine Denaturierung des Menschengeschlechtes eintreten.
Das ist wohl der Grund gewesen, weswegen so erlauchte Persönlichkeiten wie der Papst und Albert Schweitzer ihre Stellung zu diesen Dingen bekanntgegeben haben; denn sie fühlen sich dafür verantwortlich, daß künftig Menschenmütter Menschen und nicht Monstren auf die Welt bringen.
Man hat da und dort versucht, die Wirkung der atomaren Versuchsexplosionen zu verniedlichen. Man hat Gutachten dafür beigebracht, sie sei ja gar nicht so schlimm. Das ist nicht nur in Deutschland geschehen, das ist auch in England und in den Vereinigten Staaten geschehen. Nun, erlauben Sie mir, Herr Präsident, daß ich aus der Ansprache Albert Schweitzers einige wenige Sätze zitiere:
Wenn uns immer wieder von amtlicher und nichtamtlicher Seite versichert wird, daß eine festgestellte erhöhte Radioaktivität der Luft noch nicht über das hinausgehe, was der menschliche Körper ohne Schaden vertragen könne, so ist dies ein Vorbeireden am Problem. Dieser verseuchte Fluß zeigte im Wasser nur eine unbedeutende Radioaktivität auf. Das Plankton des Flusses war jedoch bereits 2000-
fach, Wildenten bereits 40 000fach und das Eigelb von Wasservögeln bereits millionenfach über das Normale hinaus verseucht.
Und weiter:
Es ist ein anderes Ding, — sagt Albert Schweitzer —
Atomwaffen zu erproben als früher ein neukonstruiertes Geschützungeheuer. Die grundsätzliche Verschiedenheit besteht eben in der Nachwirkung durch die gefährliche Radioaktivität, deren Wirkung jahre- und jahrzehntelang anhält.
Man sollte hier Beschwichtigungsversuche unterlassen. Ich glaube, die Regierung würde sich um ihren Kredit bringen und bringen müssen, wenn sie versuchen sollte, sich Gutachten zu besorgen, um die Feststellungen Albert Schweitzers und der hundert amerikanischen Genetiker, die jüngst zu diesen Dingen ihr Gutachten abgegeben haben, zu „widerlegen".
Wozu ist — politisch und militärisch — eine „atomare" Politik notwendig? Ist sie nützlich, ist sie schädlich? Die Bundesregierung behauptet ihre Notwendigkeit und ihre Nützlichkeit, denn sie erhöhe — insbesondere erhöhe die Stationierung von Atomwaffenverbänden auf unserem Boden — die Sicherheit des deutschen Volkes. Weiter sagt sie, daß durch taktische Atomwaffen in Händen der Bundeswehr die Sicherheitschancen Deutschlands erhöht würden, und drittens behauptet sie, eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr könne die Sowjetunion abschrecken und, zum mindesten in Fragen der Wiedervereinigung und in Fragen der
allgemeinen Abrüstung, verhandlungsgeneigter machen. Das sind Behauptungen, die auf den ersten Blick dem einen oder dem anderen schlüssig erscheinen mögen.
Der Bundeskanzler hat gestern über die Notwendigkeit des Einfach-reden-Könnens gesprochen, und er hat auch sich dazu beglückwünscht — so habe ich ihn verstanden —, daß ihm die Gabe gegeben worden sei, einfach zu reden.
— Sie beglückwünschen jeden? Sie waren sicher davon überzeugt, daß Sie dazugehören . . .
Ich glaube übrigens, Sie haben recht damit. Nun, zum Einfach-Reden kann auch einfaches Denken gehören.
Nur ist einfaches Denken nur dann erlaubt, wenn man die Gleichungen so anlegt, daß sie stimmen. Einfachdenken ist nicht gleichbedeutend damit, wesentliche Faktoren des Problems nicht in den Denkprozeß einzubeziehen,
denn auch wenn man einfach denken kann, denkt man nur dann richtig, wenn man sämtliche Faktoren des Problems in den Denkprozeß einbezieht. Wenn man das nicht tut, dann ist das Denken nicht einfach, sondern — ich muß leider ein Fremdwort gebrauchen — simplistisch.
Und da scheint mir eine große Gefahr gegeben zu sein, die Gefahr nämlich, daß man sich mit rein quantitativen Kalkulationen begnügt. Solches Denken — rein in der Kategorie der Quantität — stellt häufig einen Verzicht auf Politik überhaupt dar.
Politik ist ein Verhalten, das den „anderen" dazu zu bringen vermag, das von einem selbst für sich Gewollte als auch im Interesse des „anderen" liegend anzusehen. Das kann man auf verschiedene Weise versuchen. Man kann das auch durch Machtmittel versuchen; nur muß man dann die Machtmittel haben, und insbesondere muß man dann gegebenenfalls bereit sein, diese Machtmittel einzusetzen.
Nun nehme ich kaum an, daß die Bundesregierung selber glaubt, eine Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen sei ein Mittel, die Sowjetunion zur Aufgabe ihrer Politik zu zwingen. Ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Es wird dies die Haltung der Sowjetunion in allen großpolitischen Fragen verhärten.
— Wenn man das nicht will, Herr Kollege Kunze, nun, dann muß man es mit anderen Mitteln versuchen. Das ist nicht leicht. Glauben Sie nicht, daß ich die Schwierigkeit verkenne. Diese Mittel werden vielleicht nicht zum Erfolg führen, aber man muß es mit ihnen zum mindesten versuchen! Das ist unsere Pflicht.
Es ist doch wohl sicher, daß das deutsche Gebiet rechts und links des Eisernen Vorhangs im Falle eines Krieges zum Schlachtfeld werden würde. Ja, ich behaupte, wir würden das Bombenziel Nr. 1 werden. Man spricht sehr häufig von dem Gegenschlag, der unser Land von dem Eindringling wieder freifegen werde. Nun, ich frage mich, ob ein möglicher Erfolg dieses Gegenschlags im Verhältnis zu der vernichtenden Wirkung von Schlag und Gegenschlag stehen kann.
Es ist gesagt worden, die Behauptung, daß es keinen Schutz der Zivilbevölkerung gebe, sei falsch. Ich bin überzeugt, daß man da und dort einige Menschen in Deutschland schützen kann, wenn man das Notwendige dafür tut. Ich bin davon überzeugt, und die Atomwissenschaftler haben nicht erklärt — wenn ich mich recht erinnere —, es sei unmöglich, die Bevölkerung überhaupt zu schützen; sie haben nur erklärt, es sei nicht möglich, sie vollständig zu schützen.
Wenn man dieser Meinung ist --- und die Bundesregierung ist wohl der Meinung, daß es möglich sei, wenigstens einen Teil zu schützen — meine Damen und Herren, warum haben Sie dann jüngst unsere Anträge niedergestimmt, die darauf ausgingen, die Mittel zu beschaffen,
mit denen man wenigstens einen relativen Schutz der Bevölkerung schaffen könnte?
Mein Freund Erler hat über die Lehren des Lion-noir-Planspiels gesprochen. Wir wissen, daß man dabei davon ausging, innerhalb der ersten 24 Stunden wäre Frankfurt zerstört, wären Hamburg und Bremen zum Teil zerstört und stünden
russische Panzerspitzen vor Frankfurt. Wenn ich mir vorstelle, wie dann der Gegenschlag aussehen könnte, was er für Wirkungen haben könnte, meine Damen und Herren, da geht es mir kalt den Rücken hinunter. Unsere Verantwortung als politische Frauen und Männer ist in erster Linie, für den Bestand unseres Volkes zu sorgen.
Man sollte nicht von einem NATO-Raum sprechen, der richtig ausgerüstet werden müsse. Dieser NATO-Raum muß mit anderen Waffen verteidigt werden können als durch Abschußrampen auf dem Gebiet des gefährdetsten der Mitglieder der NATO, wenn Verteidigung einen Sinn haben soll.
Es ist gesagt worden, einige hundert Kilometer herüber und hinüber seien bei der Reichweite der modernen Waffen nicht von Bedeutung. Wenn das wahr ist, dann kann man diese Teufelswerkzeuge von Atombomben auch einige hundert Kilometer weiter westlich aufstellen, als das heute offenbar die Absicht ist.
— Herr Kollege Stücklen, ich sagte Ihnen ja schon: Diese sind nicht so gefährdet wie wir; denn über sie werden der Schlag und der Gegenschlag, von dem die Rede war, nicht so hinweggehen wie über unser Volk und unser Land!
Professor von Weizsäcker, der „zwar nur" Physiker und Gelehrter ist, hat in seinem Bonner Vortrag, den anzuhören sich wirklich verlohnt hat — ich habe es bedauert, daß ihn so wenige Mitglieder des Hauses sich angehört haben —, gesagt: Nur wenn die Atombomben nicht fallen, erfüllen sie ihren Zweck;
beide Teile, Herr Außenminister, wüßten das, und darum würden die Atombomben nicht fallen. Darum seien auch Drohungen mit Atomwaffen zwecklos. Früher hat man uns hier gesagt, wenn zwölf deutsche Divisionen aufgestellt seien, hätten wir eine wesentlich stärkere Verhandlungsposition der UdSSR gegenüber und dann würde uns auch die Wiedervereinigung leichter zufallen. Gleichzeitig hat man gesagt: Aber von diesen zwölf Divisionen werden wir nie Gebrauch machen, um die Wiedervereinigung herbeizuführen. Ich habe mir damals erlaubt, auf das Wort des weiland Professors Lichtenberg — auch er aus Göttingen — hinzuweisen, auf das Wort vorn „Messer ohne Heft und Klinge". Ich habe den Eindruck, daß Atombomben, von denen man keinen Gebrauch zu machen entschlossen ist, auch als Drohmittel ein Messer ohne Heft und Klinge sind. Aber wie man auf schwäbisch sagt — der Herr Präsident wird mich verstehen —: Der Teufel ist ein Eichhörnchen! Man kann nicht wissen, ob nicht irgendwann trotz der Unwahrscheinlichkeit, daß man von diesen Bomben Gebrauch machen wird, doch einer kommt und es doch zu tun versuchen könnte. Deswegen sollte man wenigstens auf der einen Seite der Linie, die die Welt in zwei Hälften teilt, mit Atompolitik behutsamer umgehen, als es bisher geschehen ist.
Dann eine Frage, die mein Freund Erler gestellt hat und die nicht beantwortet worden ist. Ich möchte sie wiederholen: Wer entscheidet praktisch über den Einsatz — nicht der taktischen Atomwaffen, sondern der strategischen Atomwaffen, die auf deutschem Gebiet liegen mögen? Sicher nicht die deutsche Regierung. Der NATO-Rat? Auch er nicht? — Sie schütteln das Haupt, Herr Bundesverteidigungsminister. Wer dann? Vielleicht ein Oberbefehlshaber, dem der NATO-Rat die Ermächtigung gegeben haben könnte, so daß es vielleicht von der Bewertung eines auf dem Radarschirm sich bewegenden Punktes durch einen General abhängt, ob ein dritter Weltkrieg ausbricht mit allen apokalyptischen Schrecken, die wir kennen. Habe ich damit vielleicht ein militärisches Geheimnis zu nahe berührt, Herr Verteidigungsminister?
— Klugheit, Herr Kollege Krone, und Verantwortung beginnen zu Hause! Man muß zunächst versuchen, das Kluge und das Verantwortliche bei sich zu tun;
andere mögen dann folgen.
Ich habe auf meine Frage auch jetzt keine Antwort bekommen, Herr Verteidigungsminister; es bleibt uns also erlaubt, jede dieser Eventualitäten für möglich zu halten,
und ich muß bekennen, daß mich das erschreckt.
Es ist doch sicher, daß die Lagerung von Atombomben auf deutschem Gebiet notwendig die Atombomben des Gegners anziehen muß.
Wie hat denn der letzte Weltkrieg militärisch gesehen angefangen? Doch damit, daß man die Flugplätze des Gegners bombardiert hat, also die Lagerstätten der Waffen, deren Einsatz man glaubte am meisten fürchten zu müssen.
— Bitte!