Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage betrifft nur einen Ausschnitt des umfassendsten Problems. das unsere Zeit uns stellt. Es heißt: Wie sind die Folgen der Ausrüstung der Streitkräfte einiger Staaten mit atomaren Waffen zu bewerten? Welches könnte insbesondere die Folge sein, wenn Deutschland in diese atomare Bewaffnung mit einbezogen wird? Man kann darum die Antwort der Bundesregierung nicht besprechen, ohne wenigstens auf einige Aspekte des Gesamtproblems einzugehen.
Dieses Problem ist nicht als Spezialfrage zu begreifen, auch, nicht als eine militärische Frage allein, also auch nicht nur als eine Frage militärischer Zweckmäßigkeiten,
sondern als eine Frage, deren Beantwortung Sein oder Nichtsein unseres Volkes und anderer Völker bestimmen kann.
Denn je nachdem, welche Antwort wir durch unsere praktische Politik geben, bestimmen wir die realen Grundordnungen, innerhalb deren unser Volk leben kann, so oder anders. Diese Grundordnungen werden ja nicht nur durch Verfassungstexte oder durch Vertragstexte bestimmt, sondern viel mehr noch durch die Elementarwelt, die diesen Texten vorgegeben ist oder die wir selber schaffen. In einem atomaren Klima, wenn ich so sagen darf, wird alles anders als in einem Klima. in dem nur die Naturgesetze Sir Isaac Newtons gelten.
Darum wirft diese Frage — wie jede Frage solcher Art — auch das Problem des Verhältnisses von Moral und Politik auf, und sie wirft dieses Problem in seiner ganzen tragischen Tiefe und tragischen Uferlosigkeit auf.
Das versperrt uns jede Ausflucht in opportunistische Lösungen;
das versperrt uns jede Zuflucht zu einem System von Aushilfen. Das verbietet uns die Maskierung des höchsten Ernstes hinter einem Schirm beeindruckender Zahlenbilder,
und das verbietet uns insbesondere den Ausweg der Ironie.
Das gilt für alle Völker. Es gilt aber am meisten für uns, und zwar deswegen, weil in unserer Vergangenheit einiges ist, dessen Spuren uns schrecken sollten.
Es gilt deswegen besonders für uns, weil wir das Land der Mitte in einer tragischen Doppelbedeutung sind: das Land der Mitte als mögliche Brücke und als mögliches Schlachtfeld.
Weil hier von der Sache selber her die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Politik aufgeworfen wird, haben höchste spirituelle Autoritäten zu diesen Dingen das Wort ergriffen: der Papst, Albert Schweitzer, die 18 deutschen Atomwissenschaftler und noch viele andere Autoritäten mehr. Diese Menschen sind nicht beliebige Privatleute, die auch mitreden wollen, es sind Autoritäten, die ein Recht haben, zu diesen Dingen zu sprechen.
Ich möchte darum sagen, daß ich mich freuen würde, wenn wir diese Diskussion nicht um der bloßen Polemik willen führen würden.
Wir müssen sie klar führen, wir müssen sie unter Umständen scharf führen;
aber wir sollten sie führen mit dem Willen zu überzeugen und mit dem Willen, dem Volke die ganze Wahrheit zu vermitteln,
mit dem Willen, dem Volk deutlich zu machen, welche Konsequenzen jede Entscheidung, die wir treffen mögen, mit sich bringt. Denn es ist das Schreckliche der Situation, in der wir uns befinden, daß sie ein notwendiges Dilemma aufwirft, daß sie uns alle unter den Zwang stellt, eine Wahl zu treffen, und daß wir, wenn wir eine Wahl treffen, bereit sein müssen, die Konsequenzen der gewählten Möglichkeit mit zu verantworten.
— Bis zuletzt, das ist das Entscheidende dabei! Und wir müssen uns dessen bewußt sein, daß wir, wie wir uns auch entscheiden mögen, die Entscheidung immer treffen müssen unter dem Risiko, uns geirrt zu haben, und darum ohne eine weitere Sicherheit als die des Gewissens und die der ernsten Bereitschaft, alle Winkel des Problems auszuleuchten, ehe wir uns entscheiden. Das sollte das Niveau unserer Aussprache bestimmen — ein Niveau, das der Sache gerecht wird und das den großen Persönlichkeiten gerecht wird, die sich zu dieser Sache geäußert haben.
Ich habe es bedauert, daß der Herr Bundeskanzler die Rede meines Freundes Fritz Erler so aufgefaßt hat, als habe dieser seine Ausführungen im
wesentlichen nur gemacht, um die Person des Herrn Bundeskanzlers — auch durch Unrichtigkeiten — zu diskreditieren.
Wer Fritz Erler kennt, der weiß, daß er zu so etwas nicht fähig ist.
Ich habe darauf gewartet, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Replik diese „Unrichtigkeiten" richtigstellt.
Er hat es nicht getan.
Er hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, zu beklagen, daß Fritz Erler aus der Politik der Bundesregierung gewisse Konsequenzen gezogen hat. Ich muß sagen, ich habe nicht aus einem Wort der Rede Fritz Erlers heraushören können, daß er die Bundesregierung und den Herrn Bundeskanzler bezichtige, keine Abrüstung und nicht den Frieden zu wollen.
Er hat nur gesagt, daß die Politik, die die Bundesregierung führt, nicht geeignet ist, diese Ziele zu fördern.
Ich sprach von den großen spirituellen Autoritäten, die sich zu dem Problem geäußert haben. Sie haben recht, Herr Bundesverteidigungsminister, Furcht und Angst sind schlechte Ratgeber; aber die Sorge um das, was mit den Teufelswaffen geschehen kann, kann ein besserer Ratgeber sein als das Vorpreschen in diesen Dingen!
Alle diese Autoritäten haben sich im Grunde in der gleichen Weise geäußert, sie haben gesagt, daß endlich mit einer Politik Schluß gemacht werden sollte, deren tragende Säule die Atombomben sind.
— „Wer sagt das nicht?" Herr Kollege Kiesinger, dann muß man auch das Geeignete tun,
um eine andere Politik möglich zu machen!
Es ist hier von den 18 deutschen Atomwissenschaftlern gesprochen worden. Ich werde auf ihre Aktion eingehen und eingehen müssen und möchte an dieser Stelle sagen, daß wir Deutschen diesen Männern zu Dank verpflichtet sind
und daß wir Ursache haben, stolz auf diese Männer zu sein, die in der ganzen Welt geachtet sind, nicht nur wegen ihres Wissens, sondern auch wegen der erwiesenen Lauterkeit ihrer Gesinnung und ihrer erwiesenen Bereitschaft, das große Anliegen der
Menschheit über opportunistische Zielsetzungen des Augenblicks zu stellen.
Diese Achtzehn sind Männer, die schon auf Grund ihres Berufes gewohnt sind, sich zu prüfen, ehe sie sich äußern.
Es sind das keine Männer, die sich von der Stimmung her so äußern könnten, wie sie es getan haben.
Man hat davon gesprochen, die Verlautbarung der Achtzehn sei ein bloßes Manifest gewesen. Nein, meine Damen und Herren, das war kein bloßes Manifest; das war ein Tat!
Diese Männer haben nicht ihr Gewissen auf billige Weise erleichtern wollen. Das lag ihnen weiß Gott fern. Was sie wollten, war, einmal das deutsche Volk über Tatsachen zu unterrichten, die man ihm bisher vorenthalten hatte,
nämlich über die Tatsache, daß die sogenannten
kleinen Atomwaffen, die taktischen Atomwaffen,
die Sprengkraft der Bombe von Hiroshima haben.
Zweitens haben diese Achtzehn durch ihre Erklärung, sich nie und nimmer an der Herstellung von Atomwaffen beteiligen zu wollen, den Teufelskreis der scheinbaren Ausweglosigkeit der Entwicklung durchbrochen.
Damit ist nicht nur „manifestiert" worden, sondern ist gehandelt worden, um einem Unheil zu steuern, I das auf uns zukommt.
Gestatten Sie mir, in Klammer zu sagen — ohne unmittelbaren Bezug auf das, wovon wir heute reden —: Wie sähe die Welt aus, wenn sich in den Jahren vor 1933 die deutschen Universitäten so verhalten hätten, wie die Achtzehn sich jetzt verhalten haben!
Der Bundeskanzler sagt, die Achtzehn hätten vielleicht im Bereich persönlicher moralischer Entscheidungen recht, aber sie hätten nicht recht im Bereich des Politischen. — Nun, wenn Moral das Handeln nach der Stimme des Gewissens ist —etwa im Sinne der Konkretisierung des kategorischen Imperativs hier und jetzt, wenn Politik Umgang mit der Macht und den Mitteln der Macht nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ist, wenn Atomkrieg Selbstmord ist — nun, dann haben die Achtzehn, die erklärten, sich an der Herstellung von Selbstmordinstrumenten nicht beteiligen zu wollen, ebenso moralisch wie politisch gehandelt!
Sie bedurften dazu keiner besonderen Lektion seitens der installierten Obrigkeit.
Wenn man Menschen wie den Achtzehn nicht zutraut, auch unter dem Druck ihres Gewissens politisch nichtig zu handeln — was sollten wir dann noch mit unserer Demokratie anfangen?
Dann soll man — nach den Worten meines Freundes Erler — der Obrigkeit das Meinungsmonopol überlassen. Ich meine aber, daß die Freiheit eines Christenmenschen, nämlich die Freiheit des Gewissens, auch in politischen Dingen sogar Atomwissenschaftlern zusteht!
Der Vorwurf, die Achtzehn hätten es sich leicht gemacht, sie hätten eben durch ihre Erklärung ihre Seele retten wollen,
ja, sie hätten vielleicht sogar östlichen Einflüsterungen gehorcht, wie es in der CSU-Korrespondenz vom 24. April steht. Nun, Herr Bundesverteidigungsminister, stehen Sie zu der Erklärung der Korrespondenz Ihrer Partei?, — Sie stehen nicht dazu? — Ich frage: Stehen Sie ,dazu? Ich frage nicht, ob Sie etwas damit zu tun hatten. Ich halte Sie nicht für den Verfasser. Ihr Deutsch ist besser als das in ,dieser Korrespondenz verwendete.
Ich frage Sie, ob Sie heute, hier und jetzt, in diesem Hause, dazu stehen.
— Ich kann sie Ihnen vorlesen.
— Den ganzen Text habe ich nicht.
— Meine Damen und Herren, „aha" ist ein Zweisilber, mit dem man es sich leichter macht, seine Seele zu retten und sein Gewissen zu beruhigen, als es die 18 Atomwissenschaftler mit ihrem Schritt getan haben.
Nun, man spricht in dieser Erklärung davon, daß die Atomforscher sehr fragwürdigen Kräften Vorschub geleistet hätten. Mit ihrer Hilfe sei eine propagandistische Offensive in der Zielrichtung auf das tückische neutralistische Dogma entfaltet worden, die von gefährlichen Kräften getragen werde. Man dürfe sich nicht wundern, daß dieses Manifest ausgerechnet in Göttingen aus der Taufe gehoben worden sei,
wörtlich: „dem Zentrum des Neutralismus . . . , wo an wissenschaftlichen und künstlerischen Individualitäten mit sehr verfänglicher politischer Zielrichtung kein Mangel herrscht". Wie immer bei solchen Gelegenheiten seien denn auch — wörtlich — „die ewigen Wanderer zwischen zwei Welten von Gräber über Heinemann bis Niemöller . . . in den schauerlichen Chor der abendländischen Selbstmörder aus Angst vor dem Tode" eingefallen.
Ich glaube, man sollte dieses Stück Papier recht niedrig hängen. Bösartiger kann man wohl nicht hetzen, und mehr kann man wohl nicht unter dem Niveau der Sache stehen!
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht zugrunde gehen wollen, wenn wir hier im Westen
unseren Vorrang vor der totalitären Welt behalten wollen, müssen wir anerkennen, daß eine Gewissensentscheidung den Vorrang vor jeder Zweckmäßigkeitsentscheidung hat.
Freilich, ich will hier eine Einschränkung machen. Man muß dabei mit Vorsicht prüfen, ob eine wirkliche Gewissensentscheidung vorliegt und ob nicht einer lediglich seine Gemütsbedürfnisse stillen will.
— ,,Aha" ist offenbar Ihr ganzes Vokabular, verehrter Kollege!
Man unterscheidet in der Ethik mit Recht zwischen der Gesinnungsethik und der Verantwortungsethik, der Gesinnungsethik, die sich damit begnügt, ethisch richtig zu fühlen und zu denken ohne Rücksicht auf das, was darauf werden könnte, und der Verantwortungsethik, bei der einer sich entscheidet und sein Gewissen befragt, wenn er an die Folgen seiner Entscheidung denkt.
Wenn man die Erklärung ,der 18 liest, kann kein Zweifel beistehen, daß diese Männer, ehe sie gesprochen haben, ihr Gewissen geprüft haben, und daß sie entschlossen waren, Verantwortung für unser Volk und für den Weiterbestand unseres Volkes
auf sich zu nehmen und nicht nur ihre Seele zu retten. — Und diese Tat war eine patriotische Tat, Herr Kollege!
Selbst wenn wir eine Atompolitik treiben sollten, und selbst wenn Erklärungen wie die der 18, Herr Kollege, mit Recht als Störung dieser Politik empfunden werden sollten — angenommen —, brauchten wir moralische Kräfte wie idie der 18, wenn nicht alles in purer Mechanik, ,d. h. in Barbarei untergehen soli!
Ich glaube, Herr Bundesverteidigungsminister, daß Sie sich dies auch zu Herzen nehmen sollten.