Rede von: Unbekanntinfo_outline
diese Außerung in dieser Frage deutet entweder sauf einen laienhaften Unverstand oder auf eine gewollte Fehlunterrichtung der Öffentlichkeit hin.
Beides ist gleich schlimm. Es steht einem Gegensatz zu dem Verhalten, das eine Macht an den Tag legt, die selber im Besitz dieser schrecklichen Waffen ist, aber sagt: Gerade deshalb muß man das Volk aufklären, was das bedeutet.
Der ehemalige Oberkommandierende der strategischen Luftstreitkräfte, der Vereinigten Staaten General Curtis Lemay hat am 5. Dezember 1955 folgendes gesagt:
Wir sollten allen Menschen auf der Erde einen Begriff von den Wirkungen der modernen Waffen geben, vor allem derjenigen, mit denen wir zur Zeit ausgerüstet sind, damit die Sinnlosigkeit eines Krieges klar wird.
Das war die Sprache eines Soldaten, der genau weiß, wovon er spricht.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie noch einmal an unsere ständigen Darlegungen hier im Hause und anderwärts über die Wirkungen sogenannter taktischer Atomgeschosse erinnern. Es ist nie bestritten worden, wenn auch die Öffentlichkeit erst jetzt durch die Erklärungen der Wissenschaftler diesen Sachverhalt richtig aufgenommen und begriffen hat: jene Bombe, die Hiroshima auslöschte, ist heute ein taktisches Geschoß. Man kann die Träger einer Sprengkraft von dieser Wirkung mit Kanonen, mit Raketen abschießen, man kann, sie von Flugzeugen abwerfen. All das wird von den Militärs heute unter dem Sammelbegriff der taktischen Atomwaffen zusammengefaßt. Es gibt die eine oder andere Waffe — aber das hat sehr enge technische Grenzen -, die etwas weniger an Sprengkraft entfaltet, aber buchstäblich nur „etwas" weniger, die etwas weniger radioaktiv geworden ist, die aber immer noch radioaktiv ist. Immer noch steckt in jedem Schuß eine Sprengkraft von mehreren tausend Tonnen Trinitrotoluol. Das sind mehrere tausend Luftminen des zweiten Weltkrieges auf einmal,
ohne daß man zwischen mehreren Luftangriffen wenigstens noch die Zeit hat, Schäden zu reparieren, Kranke zu behandeln usw. Das ist die Wirkung eines Schusses dieser taktischen Waffen. Mit einem Schuß wäre eine Stadt wie Bonn zerstört, verschwunden mit allem, was da ist. Die Totalzerstörung würde zwar nur einen Kreis von 1,6 km bedecken. Aber auch darüber hinaus wäre das Leben weitgehend erloschen. Schwere Schäden an Menschen und Gebäuden in einem Umkreis von vielen Kilometern wären die Folge.
Darf ich Sie daran erinnern, daß wir uns hier vor Jahren schon einmal über die Konsequenzen
unterhalten haben, die es aus den Manövern „Carte blanche" zu ziehen gelte. Bei diesen Manövern ging man davon aus, daß im Kampf um die wechselseitige Luftherrschaft allein in Deutschland etwa 350 Atombomben abgeworfen würden. Was wäre in diesem Lande allein durch einen solchen „Vorkampf" um die Luftherrschaft schon alles an Zerstörungen angerichtet worden! — Wenn Sie, was ich doch wohl unterstellen darf, die Manöverannahmen gelesen haben, von denen die letzte Stabsübung „Lion noir", „Schwarzer Löwe", ausging, dann wird Ihnen klar: bei einer solchen Kriegführung bliebe von Deutschland überhaupt nichts übrig, auch wenn keine Wasserstoffbombe fällt.
Die alte Erkenntnis kann nicht oft genug wiederholt werden: bei Konflikten mit diesen Waffen gibt es nicht Sieger und Besiegte, sondern nur Besiegte. Das deutsche Volk würde einen solchen Konflikt nicht überleben. Diejenigen, die an den Folgen der Waffenwirkungen nicht draufgingen, würden den Folgen, den Gesundheitskatastrophen und dem Hunger, erliegen. Jede Verteidigung verliert ihren Sinn, wenn das zu schützende Objekt dabei zerstört wird.
Unter einer solchen Manöverannahme, die die gegenwärtige Weltlage sehr realistisch einschätzt, ist nicht einmal eine Mobilmachung möglich. Wie wollen Sie unter diesen Umständen überhaupt noch den Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht aufrechterhalten?!
Meine Damen und Herren, das, was heute den Frieden aufrechterhält, das Gleichgewicht des Schreckens, jawohl, das besteht, ob es in der Bundesrepublik Deutschland Atomwaffen gibt oder nicht!
Wir haben in Auflehnung gegen jene Politik, die zu diesen Konsequenzen geführt hat, seinerzeit bei den Debatten in diesem Hause die Bundesregierung immer darauf aufmerksam gemacht, daß sie die Augen nicht verschließen dürfe, von welchen Annahmen eigentlich die gesamte Planung der Atlantikorganisation ausgeht. Wir haben eine sorgfältige Beobachtung all dieser Dinge — all dessen, was sich Umrüstung nennt — in der Welt gefordert. Aber, um das hier einmal klar vom Tisch zu bringen: wir haben niemals und zu keiner Stunde die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen gefordert.
Ihr Pressedienst hat fälschlicherweise das Gegenteil behauptet. Er hat mich absolut richtig zitiert: Es muß das Ziel sein, die Atomwaffen aus der Welt zu bringen, — und dann meine Vorschläge zur Abrüstung auf Gegenseitigkeit. Dann aber kommt eine Leserzuschrift aus Berlin, in der Atomwaffen für die Bundeswehr gefordert werden. — Meine Damen und Herren, ist das plötzlich der politische Stil, daß man Leserzuschriften an eine Zeitung als maßgebende Meinung einer politischen Partei deklariert?
Aber sicher ist es richtig, daß auch ohne Atomwaffen technische Umwälzungen in der Welt vor sich gegangen sind, an denen man nicht vorbeisehen kann. Die Entwicklung der Radartechnik, der Elektronik, der Flugabwehrgeräte, der Raketen auch ohne Atomsprengköpfe — z. B. auf dem Gebiet der Luftabwehr —, der Fahrzeuge mit allen Folgerungen für Gliederung, Panzerung, Ausstattung mit Flugzeugen oder nicht, — all das galt es zu beobachten, weil daraus klar wird, auch ohne das Problem der Atomwaffen in die Diskussion einzubeziehen, daß die Zeit der Massenheere von einst auf jeden Fall vorbei ist. Unter dem Druck unserer Kritik hatte die Bundesregierung ihren ursprünglichen Plan weitgehend über Bord gehen lassen.
Wo sind denn die ursprünglichen Planzahlen von 500 000 Mann geblieben? Wo ist denn die Ausschöpfung der allgemeinen Wehrpflicht? Heute spricht doch in Ihren Reihen so ziemlich jedermann von Modifizierung. Die allgemeine Verteidigungspflicht, von der der Herr Verteidigungsminister spricht, hat doch mit dem beschlossenen Wehrpflichtgesetz, der dort vorgesehenen Organisation und Länge der Dienstzeit nicht das geringste zu tun.
Großbritannien hat, das hatten wir Ihnen angekündigt, die Wehrpflicht abgeschafft. Als ich das hier ankündigte, fand ich Unglauben auf allen Seiten. Herr Kollege Dr. Jaeger hat die Engländer in Königswinter geradezu beschworen, doch wieder zur Wehrpflicht zurückzukehren.
Herr Montgomery hat in einem Vortrag vom 12. Oktober 1955 aber bereits alle diese Konsequenzen für sein Land gezogen. Ähnliches gilt für den Radford-Plan. Angeblich gibt es den gar nicht; aber durchgeführt wird er.
Als ich damals davon sprach, hat der Herr Bundeskanzler versichert, er wisse von solchen Überlegungen gar nichts. „Woher will der Herr Erler das wissen?". Dann mußte er wenige Wochen später aus dem Urlaub nach Bonn zurückkehren, um sich genau mit diesem Problem zu befassen, von dem er vorher gar nichts gewußt hat.
Meine Damen und Herren, Sie werden wahrscheinlich sagen : Wo willst du denn eigentlich hin? — Das kann ich Ihnen genau sagen. Nachdem uns die militärische Entwicklung auf dem ganzen Erdball in eine Sackgasse hineingeführt hat, müssen wir jetzt versuchen, mit politischen Mitteln Auswege zu finden, um die Menschheit vor dem Selbstmord zu bewahren.
Deshalb müssen alle Kräfte — und wir haben noch eine ganze Masse — nun ,auf dieses Ziel der Entspannung, der Ermöglichung einer umfassenden Abrüstung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung unseres Landes konzentriert werden, und zwar ehrlich und ernsthaft konzentriert werden. Das ist unvereinbar mit dem Drängen nach Atomwaffen und Teilnahme am atomaren Wettrüsten.
Die Zeitbombe der deutschen Spaltung ist für alle, nicht nur für uns, gefährlich genug. Diese Bombe wird noch gefährlicher, wenn man sie mit atomarem Sprengstoff füllt.
Als wir hier um das Freiwilligengesetz und die Wehrpflicht gestritten haben, haben Sie versucht, unserem Volke die Illusion vorzuführen, eine konventionelle Aufrüstung in dem damals vorgesehen Ausmaß würde uns den Atomkrieg ersparen. Das ist gar nicht wahr. Das sehen wir inzwischen. Diese Illusion ist zerstoben. Gewiß, jede Macht — jede! — verhindert einen Abfall von Gebieten aus ihren eigenen Machtbereichen mit Gewalt, mit so brutaler Gewalt wie die Sowjetunion in Ungarn und mit vielleicht nicht ganz so brutaler, aber immerhin noch erschreckender Gewalt genug wie Frankreich in Algerien. Aber eines ist sicher. Das Herausbrechen eines Landes aus einem Gebiet des anderen Machtbereichs mit Gewalt von außenher bedeutet vor allem in Europa den Ausbruch des Atomkrieges.
Der Herr Bundeskanzler hat uns hier einmal — auch ziemlich gemütvoll — versichert: „Solange wir nicht zur NATO gehören, sind wir im Falle eines heißen Krieges zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten das europäische Schlachtfeld, und wenn wir in der Atlantikpaktorganisation sind, dann sind wir dieses Schlachtfeld nicht mehr."
Daran darf man doch erinnern, um zu zeigen, daß das sicher nicht die richtige Begründung für den Eintritt der Bundesrepublik in den Atlantikpakt gewesen ist. Mein Freund Mellies hat im Herbst 1956 in aller Nüchternheit ,darauf aufmerksam gemacht: „In Europa bedeutet jeder Krieg zwischen einem Gebiet, das auf der westlichen, und einem Gebiet, das auf der östlichen Seite steht, den Atomkrieg." Das hat auch kein geringerer als General Gruenther am 17. Dezember 1956 im Fernsehen ausgeführt. Er hat nämlich hinzugefügt:
Europa kann ohne Anwendung von Atomwaffen nicht wirkungsvoll verteidigt werden, da der Westen nie in der Lage sein wird, mit den Massenarmeen des Ostens zu konkurrieren.
Ähnlich hat sich der britische Verteidigungsminister Duncan Sandys geäußert. Er hat gesagt:
Ich will nicht behaupten, daß im Fall eines Krieges in Deutschland irgendwelche Hoffnungen bestehen, die Ausweitung dieses Konflikts zu einem Weltkrieg zu verhindern. Es sind dort allzustarke militärische Kräfte konzentriert, und außerdem sind die Großmächte dort automatisch in jede Auseinandersetzung verwickelt.
Meine Damen und Herren, damit ist noch einmal klar gesagt, was wir lalle seit dem Dezember 1954, als der NATO-Rat Idas beschloß, wissen, nämlich: Die gesamte Verteidigungskonzeption der NATO — angesichts der Weltlage kann sie sich wahrscheinlich sogar gar nicht anders verhalten — beruht auf dem Einsatz von Atomwaffen. Aber dann müssen wir eben wissen, was das für unser Volk konkret bedeutet.
Lehren darüber kann man aus dem Unternehmen Sage Brush im September 1955 in den USA
ziehen. Diese Manöver fanden bei einer Beteiligung von 1200 Flugzeugen und 110 000 Mann statt. Die dort 'theoretisch verwendeten sogenannten Babyatombomben und -granaten rangierten in der Größenordnung von etwa einem Zehntel bis zur doppelten Stärke der über Hiroshima abgeworfenen Bombe. Das ist ungefähr die Skala, mit der man sich vertraut machen muß.
Die Lehren dieser Manöver sind vor allem für Westeuropa, ,das die Luftmanöver Carte blanche noch in Erinnerung hat, von überragender Bedeutung. Das Unternehmen Sage Brush zeigte vor allem zweierlei: erstens, daß selbst dann, wenn in einem künftigen Krieg nur taktische Atomwaffen angewendet werden, die Verwüstungen in den betreffenden Gebieten fürchterlich wären. Weite Landstriche wären radioaktiv verseucht, und eine organisierte Kriegführung mit größeren, schweren, auf Nachschub angewiesenen Einheiten wäre wahrscheinlich nicht möglich.
Zweitens demonstrierten die Manöver, daß es, wie der führende amerikanische Militärschriftsteller Hanson Baldwin schreibt, so etwas wie einen begrenzten oder nur mit taktischen Atomwaffen geführten Krieg mindestens in Westeuropa höchstwahrscheinlich nicht geben wird. Fast unvermeidlich würde der Krieg sich zu einem strategischen Konflikt ausdehnen, in den die rückwärtigen Basen und Städte mit verwickelt würden.
Meine Damen und Herren, das alles scheint einigen Abgeordneten Ihrer Seite offenbar völlig unbekannt gewesen zu sein, als sie am 6. Juli 1956 hier im Bundestag die NATO-Planung über den Einsatz von Atomwaffen auch bei Vorhandensein einer Bundeswehr von 500 000 Mann bestritten. Als ich das damals hier darlegte, wurde mir mehrfach, sogar auch in Unterbrechungen, vorgehalten, das sei nicht wahr. Leider ist das die Wahrheit und nichts anderes.
Damit ist klar erwiesen: Die Atomwaffen bringen wir durch die konventionelle Aufrüstung nicht aus der Welt, sondern nur durch die Begrenzung auch und gerade der konventionellen Streitkräfte und Waffen im Zusammenhang mit einer Beendigung des Atomwettrüstens.
Weiter ist erwiesen, daß die eigenen Atomwaffen im Konfliktfalle ziemlich sicherlich die Bomben — und zwar die schwersten einschließlich auch der Wasserstoffbomben — der Großmächte geradezu auf sich ziehen würden. In diesem Zusammenhang müssen wir den Wert der Londoner Verhandlungen sehen und alles tun — ich wiederhole es —, um sie zu unterstützen, und dürfen nichts tun, was sie gefährden könnte.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland einen Aufstand des Gewissens zu diesem Problem erlebt. 18 Forscher haben sich geäußert; Sie wissen alle, in welcher Richtung. Der Herr Bundeskanzler hat am 12. April dazu gesagt:
Wenn die Wissenschaftler sagen, ein kleines Land wie die Bundesrepublik schütze sich am besten, wenn es freiwillig auf Atomwaffen verzichte, dann hat eine solche Erklärung mit physikalischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen nichts zu tun. Sie ist rein außenpolitischer Natur. Zu ihrer Beurteilung muß man Kenntnisse haben, die diese Herren nicht besitzen.
Denn sie sind nicht zu mir gekommen.
Dafür haben aber jene 18 Wissenschaftler offenbar wenigstens gewußt, was dem Herrn Bundeskanzler nicht bekannt war, welche Auswirkungen taktische Atomwaffen haben. Sonst hätte er nicht von der Fortentwicklung der Artillerie gesprochen.
Meine Damen und Herren! Auch Demokratie bedarf der Führung. Aber in keinem demokratischen Staate ist es möglich, daß ein Regierungschef in dieser Weise gewissermaßen das Monopol der Diskussion für sich in Anspruch nimmt und anderen die Mitwirkung an der Meinungsbildung streitig zu machen sucht.
Im alten Preußen war einmal vom beschränkten Untertanenverstand die Rede. Das ist genau das, was der Herr Bundeskanzler in höflicher Form auch den Wissenschaftlern vorgeworfen hat.
Ich hatte nicht den Vorzug, sehr lange Soldat zu
sein; aber ich entsinne mich noch sehr gut, — —
— Meine Damen und Herren, warum regt Sie das so auf? Wenn jemand im Verlaufe seiner Militärzeit noch aktiv im Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft gearbeitet hat und dann deswegen vor das Volksgericht unserer Henker kam, dann ist das kein Anlaß, ihm daraus einen Vorwurf zu machen.
Aber zurück!