Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundesregierung lege ich hiermit die Verträge über die Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft dem Bundestag vor und bitte das Hohe Haus, diesen Verträgen zuzustimmen.
Lassen Sie mich daran erinnern, daß heute vor sieben Jahren der damalige französische Außenminister Robert Schuman den Vorschlag machte, die Europäische Montangemeinschaft zu errichten. Dieser Vorschlag eines weitblickenden europäischen Politikers war der Ausdruck der Erkenntnis, daß die Zeit vorüber war, in der zu klein gewordene europäische Nationalstaaten ihr Leben so gestalteten, daß sie ihre Interessen gegeneinander führten. Er war der Ausdruck einer neuen Bereitschaft, einer Umstrukturierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Welt Rechnung zu tragen. Darum war auch die Bundesregierung damals sofort bereit, sich diesem Appell nicht zu verschließen, sondern alles zu tun, um den darin enthaltenen wirklich neuen, ich möchte sagen, revolutionären Gedanken zu verwirklichen.
Es ist begreiflich, daß solche Erkenntnisse sich nicht an einem Tage durchsetzen. Es bedarf einer gewissen Entspannung, es bedarf einer Zeit des Umdenkens. Ich glaube, daß wir mit den Verträgen, die ich heute vorlege, einen Ansatzpunkt erreicht haben, von dem wir sagen können: Wenn diese Verträge ratifiziert werden — ich zweifle nicht daran, daß in allen sechs Ländern die Entschlossenheit dazu besteht —, dann wird damit der erste reale Ansatzpunkt für die Verwirklichung des Fernziels geschaffen, eine echte europäische wirtschaftliche u n d politische Gemeinschaft zu errichten.
Es war damals ein Schritt, der überall in der Welt Aufsehen erregte, ja auch Verstimmung weckte, als die Regierungen der Bundesrepublik, Frankreichs, Italiens, Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs sich für die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl einsetzten. Man hat damals vorgesehen — es wurde später auch verwirklicht —, dieser neuen Gemeinschaft ein Verwaltungs- und Exekutivorgan in der Form der Hohen Behörde zu geben, das einem gemeinsamen Parlament — wenn auch nicht voll
und ganz — verantwortlich sein sollte. Der Zweck dieser Montangemeinschaft — ich darf daran erinnern — war die Schaffung eines großen Gemeinsamen Marktes ohne Zölle, ohne Diskriminierungen und ohne Beschränkungen, vorläufig ¡allerdings nur auf dem Gebiete von Kohle und Stahl.
Wenn die Bundesregierung damals diesem Gedanken zustimmte und alles tat, um ihn zu verwirklichen, geschah das nicht aus opportunistischen, nicht aus vorwiegend ökonomischen Erwägungen, obwohl die deutsche Grundstoffindustrie damals ja noch einer besonderen Kontrolle unterlag und ein solches Interesse legitim gewesen wäre.
Wir haben auch dem Schuman-Plan nicht zugestimmt, um gewisse technische Fortschritte in der Vereinheitlichung und Rationalisierung des europäischen Wirtschaftsprozesses zu erzielen. Auf diesem Gebiete hatte der im Jahre 1948 bereits gegründete Europäische Wirtschaftsrat sehr nützliche und in mancher Hinsicht vorbildliche Arbeit geleistet.
Für die Schaffung der Montangemeinschaft im Sinne des Vorschlags von Robert Schuman haben wir uns damals eingesetzt, weil wir in ihm eine Vorstufe des politischen Zusammenschlusses der europäischen Völker gesehen haben. Ich darf daran erinnern, daß uns in der Debatte, die wir seinerzeit in diesem Hause führten, auch von allen Rednern dieses Hauses gesagt wurde, es könne und dürfe nicht bei dieser Teilintegration bleiben. Sie habe nur Sinn und Aussicht, bestehen zu können, wenn ihr eine fortschreitende Integration auf anderen Gebieten, insbesondere wirtschaftlichen Gebieten, folge.
1 Nun, heute wissen wir, was es bedeutet hat, daß zu Beginn des Jahres 1953 der Gemeinsame Markt für Kohle und für Stahl errichtet worden ist. Es entstand — so wie wir das :erhofft und erwartet hatten — eingroßer, einheitlicher Wirtschaftsraum für die Grundstoffindustrien unserer sechs Länder, ein Wirtschaftsraum, dessen Stahlproduktion heute unmittelbar jener der Vereinigten Staaten folgt und 20 % der Weltproduktion umfaßt, ein Wirtschaftsraum, dessen Kohleproduktion nur noch von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion übertroffen wird.
Keine der zahlreichen pessimistischen Prognosen ist eingetreten, die damals eine Verkümmerung der europäischen Wirtschaftsinitiative und des europäischen technischen Fortschritts unter der neuen Integration voraussagten. Vielmehr hat sich erfüllt, was wir erhofft und erwartet hatten: eine unablässige Steigerung der Produktion in allen Bereichen, namentlich auch im Bereich der Schwerindustrie.
Wir waren uns damals in Deutschland und in den übrigen Staaten der Montangemeinschaft darüber im klaren, daß 'diese Teilintegration — ich sagte es schon — nicht für sich allein bleiben dürfe, sondern daß ihr ein umfassender Zusammenschluß folgen sollte. Ich darf daran erinnern, daß unmittelbar nach Inkrafttreten der Kohle- und Stahl-Gemeinschaft von parlamentarischer Seite aus, unter Beteiligung auch von Abgeordneten dieses Hauses, der Versuch unternommen wurde, ein Statut für eine europäische politische Gemeinschaft auszuarbeiten. Der darin vorgesehenen politischen Behörde sollten nicht nur die durch den Montangemeinschaftsvertrag und den damals noch nicht ratifizierten und später im französischen Parlament abgelehnten Vertrag über die Verteidigungsgemeinschaft vorgesehenen Organe eingegliedert werden, sondern diese Behörde sollte auch konkrete Vollmachten auf dem Gebiete der Außenpolitik, der Finanzen, der Wirtschaftspolitik und der Sozialpolitik erhalten.
Wir wissen, daß sich diese Vorstellungen nicht verwirklichen ließen. Aber ich kann mit Befriedigung feststellen, daß auch die Enttäuschung, die das Scheitern dieser Pläne und dieser Hoffnungen ausgelöst hatte, nicht dazu geführt hat, daß nun in den beteiligten Ländern die Verantwortlichen die Hände in den Schoß legten, sondern überall haben sich wieder die politischen Menschengefunden, die sagten, daß man dann auf anderem Gebiet, mit anderen Methoden und in anderen Formen diese Politik der europäischen Integration vorantreiben müsse.
Das wesentlichste Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit liegt Ihnen heute in Form der beiden Verträge vor. Vielleicht ist es für die Stabilität dieses Organismus, den wir schaffen wollen, ganz gut und vorteilhaft, daß dieser Zusammenschluß, dieser Gemeinsame Markt nicht einem Überschwange des Gefühls sein Entstehen verdankt, sondern seine Grundlage findet in einem mühsam ausgehandelten — aber, so glaube ich —, darum auch traigfähigen Kompromiß.
Ich kann nur, wenn ich an diese Arbeit denke, ein Wort der Dankbarkeit und der Anerkennung für denjenigen finden, der sich unermüdlich bemüht hat, diese europäische Zusammenarbeit zu verstärken, der sich unermüdlich bemüht hat, auch dann, wenn unüberwindliche Hindernisse im Wege zu stehen schienen, eine Verständigung zu suchen. Es ist der belgische Außenminister Paul Henri Spaak.
Er war es 'auch — ich darf daran erinnern —, der in seinem Memorandum vom Frühjahr 1955, das er an die übrigen Mitgliedstaaten der Montanunion richtete, die Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraums durch die Bildung eines großen Gemeinsamen Marktes, den Ausbau gemeinsamer Institutionen, die fortschreitende Verschmelzung der nationalen Wirtschaften und die allmähliche Angleichung ihrer Sozialpolitik forderte.
Daneben kam der Gedanke einer Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Atomforschung auf, jenem hochspezialisierten Gebiet wissenschaftlicher Arbeit und industrieller Fertigung, dessen Investitionskosten heute in allen seinen Bereichen schon so gewaltig sind, daß selbst die größten Weltmächte diese Aufwendungen nur mit Mühe zu tragen vermögen. Angesichts des unbestreitbaren Rückstandes der industriellen Entwicklung der Bundesrepublik in diesem Bereich war eine gemeinschaftliche Betätigung zusammen mit 'anderen Staaten besonders naheliegend.
Das sind, meine Damen und Herren, in kurzen Worten die wesentlichen Erwägungen, die die Bundesregierung veranlaßt haben, in die Vertragsverhandlungen über die Schaffung eines europäischen Gemeinsamen Marktes und einer Europäischen Atomgemeinschaft einzutreten.
Ich möchte vermeiden, das zu wiederholen, was in meiner Vertretung der Herr Staatssekretär Professor Hallstein in der 200. Sitzung des Deutschen
Bundestages am 21. März zu diesem Thema gesagt hat. Ich möchte mich vielmehr darauf beschränken, auf diese Erklärungen Bezug zu nehmen und darauf hinzuweisen, daß alle Beweggründe, die für die Bundesregierung bei dem Zustandekommen dieses bedeutungsvollen Vertrages maßgebend waren, dort angesprochen worden sind.
Die Debatte hier im Bundestag, die sich an diese Erklärung angeschlossen hat, war, ich darf das mit Dankbarkeit feststellen, wertvoll und fruchtbar, und sie hat Anregungen auch für die künftige materielle Ausfüllung des ganzen Vertragswerkes gegeben.
Ich möchte weiter Bezug nehmen auf die Begründung des Gesetzentwurfes, der Ihnen vorliegt. Sie finden darin auch detaillierte Erläuterungen zu jeder wesentlichen einzelnen Vertragsbestimmung.
Ich habe schon gesagt, es ist eine Unsumme von Kleinarbeit in diesen beiden Vertragswerken enthalten, und es mußten — ich leugne das nicht — zahlreiche Kompromisse zum Ausgleich der nun einmal widerstrebenden Interessen geschlossen werden. Wir dürfen ja nicht vergessen, daß die beteiligten Länder in Jahren und Jahrzehnten der Vergangenheit in einer nationalwirtschaftlichen, zum Teil mit der Vorstellung der Autarkie gewachsenen Wirtschaftsordnung sich gegenüberstanden und daß es schwer — aber möglich — war, diese widerstrebenden, zum Teil legitimen Interessen und Vorbehalte in diesem Vertragswerk miteinander in Einklang zu bringen.
Meine Damen und Herren! In der ersten Debatte hier im Bundestag ist von allen Rednern des Hauses eine grundsätzliche Zustimmung zu den Zielen und Vorstellungen dieser Verträge zum Ausdruck gebracht worden. Ich glaube deswegen, daß ich mich auf kurze grundsätzliche Bemerkungen beschränken darf.
Ich habe gesagt, daß diese Debatte wertvolle Anregungen gab, und möchte das noch einmal unterstreichen und auf zwei besonders wichtige Punkte eingehen.
Der deutsche Interzonenhandel hat in den letzten Besprechungen in Rom am 25. März unmittelbar vor der Unterzeichnung der Verträge eine Regelung gefunden, die den Anregungen entspricht, die in diesem Hohen Hause am 21. März vorgebracht worden sind. Es ist nunmehr ausdrücklich festgestellt, daß der Handel zwischen den deutschen Gebieten innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes für die Bundesrepublik und den deutschen Gebieten außerhalb dieses Geltungsbereichs Bestandteil des innerdeutschen Handels ist und daß die Anwendung des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in Deutschland keinerlei Änderung des bestehenden Systems des Interzonenhandels nach sich zieht.
Die Regierungen der sechs vertragschließenden Staaten haben ferner in einer gemeinsamen Erklärung im Hinblick auf die besondere Lage Berlins die Notwendigkeit seiner Unterstützung durch die freie Welt ausdrücklich anerkannt und zugesagt, sich in der Gemeinschaft dafür einzusetzen, daß — ich zitiere — „alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um die wirtschaftliche und soziale Lage Berlins zu erleichtern,
seine Entwicklung zu fördern und seine wirtschaftliche Stabilität zu sichern."
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir unseren Vertragspartnern doch Dank schulden für das Verständnis, das sie durch diese Erklärung diesem besonderen Anliegen unserer deutschen Politik entgegengebracht haben. Wieder ein Zeichen dafür, meine Damen und Herren, daß das Bewußtsein dieser europäischen Solidarität ständig im Wachsen ist und daß wir wirklich nur eine deutsche Aufgabe, eine Aufgabe der deutschen Politik erfüllen, wenn wir durch die Zustimmung zu diesen Verträgen diese Entwicklung fördern.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der sich mit den Abänderungswünschen beschäftigt, die vom Bundesrat anläßlich seiner Zustimmungserklärung geäußert worden sind. Ich stelle zunächst mit großer Befriedigung fest, daß der Bundesrat sich entschlossen hat, diesen beiden Verträgen einstimmig zuzustimmen.
Ich begrüße das besonders, weil ich wohl weiß, daß diese Verträge auch in die Wirtschaft der Länder eingreifen und daß man mit Recht einmal gewisse Sorgen äußern kann. Sie sind auch angesprochen worden, aber der Bundesrat hat doch die politische und wirtschaftliche Bedeutung des Gesamtwerks, wie ich glaube, richtig erkannt und seine Bedenken zurückgestellt, als er — ich sagte es schon —diesen Verträgen einstimmig seine Zustimmung erteilte.
Die Wünsche des Bundesrates beziehen sich einmal auf die Beteiligung des Bundesrates bei der Bestellung der Mitglieder der Gemeinsamen Versammlung der Gemeinschaft. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat zu dieser Frage, die, wie ich glaube, sehr sorgfältiger Prüfung bedarf, noch nicht materiell Stellung genommen. Aber ich möchte der Meinung Ausdruck geben, daß, wie auch die Entscheidung zu dieser Frage ausfällt, sie nur einheitlich für die verschiedenen europäischen parlamentarischen Versammlungen getroffen werden sollte. Ich darf mir vorbehalten, den Standpunkt der Bundesregierung bei der Beratung im Ausschuß noch zu präzisieren.
Der zweite Änderungsvorschlag des Bundesrates bezieht sich auf die Mitwirkung bei der Erteilung von Weisungen an die deutschen Regierungsvertreter im Ministerrat der Gemeinschaft. Die Bundesregierung wird der ihr schon durch das Grundgesetz aufgegebenen Informationspflicht gegenüber dem Bundesrat in weitestem Umfang nachkommen. Schon die Vertragsvorbereitungen haben die Nützlichkeit solcher gemeinsamen Beratungen von Bundesrat und Bundesregierung in Fragen, die die Länder unmittelbar berühren, ergeben. Ich verkenne auch in keiner Weise das berechtigte Interesse des Bundesrates, an einer solchen rechtzeitigen Unterrichtung, an einer, ich möchte sagen, laufenden Konsultation. Aber, meine Damen und Herren, ein unmittelbares Mitwirkungsrecht des Bundesrates bei der Erteilung von Weisungen an die Mitglieder des Ministerrats scheint mir kaum denkbar, und ich weiß auch nicht, ob dieser Gedanke sich mit der verfassungsmäßigen Ordnung überhaupt in Einklang bringen ließe. Mitglieder des Ministerrats sind zunächst die Minister. Also ein Mitglied der deutschen Bundesregierung wird
in dem Ministerrat der Gemeinschaft die deutsche Bundesrepublik vertreten. Dieser Minister, dieses Mitglied der Bundesregierung, ist einmal an die Kabinettsbeschlüsse gebunden und zum zweiten dem Deutschen Bundestag verantwortlich. Ich glaube daher, ein mitbestimmendes Weisungsrecht des Bundesrates könnte hier unter Umständen zu Schwierigkeiten führen, die auch von dem, der die Weisungen auszuführen hätte, kaum gelöst werden könnten. Wenn auf der anderen Seite nicht ein Minister, sondern ein Beamter eines Ministeriums im Ministerrat oder in einem Ausschuß des Ministerrats tätig wird, dann erhält er seine Weisungen naturgemäß von dem Ressortminister. Ich kann mir auch nicht denken, daß eine Weisungserteilung durch eine dritte Stelle, durch den Bundesrat, gut und nützlich wäre.
Meine Damen und Herren, ich meine, daß wir auch diese Frage im Ausschuß in aller Offenheit diskutieren sollten. Denn ich bin durchaus bereit — und ich glaube, das auch im Namen der Bundesregierung sagen zu können; wie gesagt, wir haben diese Frage im Kabinett noch nicht diskutiert —, den von mir durchaus anerkannten und berechtigten verständlichen Wünschen der Länder in jeder Weise entgegenzukommen. Ich unterstreiche noch einmal, daß ich wohl verstehe und bereit bin, auch anzuerkennen, daß die Länder ein echtes Interesse an dieser Entwicklung haben und daß wir auch gemeinsam alles tun sollten, um nachteilige Einwirkungen der Entwicklung von dem einen oder anderen Lande fernzuhalten. Ich zweifele nicht, daß wir hier eine uns beide befriedigende Lösung finden werden.
Ich habe auf die politische Bedeutung dieser Verträge hingewiesen. Ich möchte aber auch noch ein Wort zu der wirtschaftspolitischen Bedeutung sagen. Ich möchte daran erinnern, daß der Anteil der sechs Länder der Gemeinschaft am Welthandel heute etwa 25 % beträgt. Die Bedeutung ihrer industriellen Produktion — wenn man sie zusammenfassen wollte — ist schwer abzuschätzen. Aber ich glaube, man darf sagen, daß ihre industrielle Produktion und ihre Leistungsfähigkeit nicht hinter der anderer großräumiger Wirtschaftsgebilde der Welt zurückstehen dürften. Die Handelsflotte dieser Gemeinschaft beträgt heute schon wieder 15 Millionen BRT und befindet sich in einem ständigen Ausbau. 162 Millionen Menschen leben in diesem Wirtschaftsraum, der über gesunde Rohstoffgrundlagen, Kohle, Erze und auch Öl, verfügt. Ich glaube doch sagen zu dürfen, daß auch in diesem Teil der Welt, in diesem europäischen Kontinent mit seinen 162 Millionen Menschen ungeheure noch unerschlossene Energien liegen und daß die Arbeitskraft, die Tüchtigkeit und das Wissen dieser Völker, wenn sie einmal zusammengeführt werden, nur dazu beitragen können, die gesamte Entwicklung nach oben zu führen und den Lebensstandard und damit die soziale und politische Sicherheit dieses Teils der Welt zu heben.
Ich möchte einer Vorstellung ausdrücklich begegnen, die oft geäußert wird, wenn über die wirtschaftspolitische Bedeutung dieser Verträge gesprochen wird. Man hört oft, diese neue europäische Zollunion, durch die der Gemeinsame Markt nach außen in Erscheinung treten muß, könne die guten weltwirtschaftlichen Beziehungen der einzelnen Staaten der Gemeinschaft zur Außenwelt verschlechtern. Ich glaube, daß dagegen wirklich jede wirtschaftliche Erfahrung spricht. Große Wirtschaftsräume haben in sich die Tendenz zu gesteigerter eigener Produktion, zu steigendem Lebensstandard und damit auch zu einem verstärkten Warenaustausch mit der Außenwelt. Die Entwicklung in der Montanunion, von der ich vorhin sprach, hat, wie ich glaube, die Richtigkeit dieser These schon überzeugend bewiesen.
Es kommt aber noch eins hinzu: Die Bundesrepublik hat sich in dem Nachkriegsjahrzehnt tatsächlich im Welthandel wieder einen der vordersten Plätze erworben, und man wird uns glauben, man wird uns aber auch verstehen, wenn ich es ausspreche, daß wir alles tun werden, um diesen Vorsprung, der wirklich in bestem friedlichem Wettbewerb mit anderen Nationen errungen worden ist, zu halten und wenn möglich zu verbessern. Aber auch die anderen Länder der Gemeinschaft wie gerade Belgien und Holland, auch Frankreich und Italien sind auf einen steigenden Export angewiesen, und darum glaube ich auch, wir können ohne weiteres davon ausgehen, daß niemand in dieser Gemeinschaft für einen übermäßigen Protektionismus eintreten wird, der ja seiner eigenen Wirtschaft nachteilig wäre. Ich bin vielmehr überzeugt, daß die Erleichterung des Welthandels gerade durch die Schaffung des größeren Wirtschaftsraumes und durch die Beseitigung der Binnenzölle gegeben sein und dieser Vorgang sich ,für alle einzelnen Wirtschaften und für den Welthandel selbst nur positiv auswirken wird.
Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, weil es in mancher Darstellung mißverständlich interpretiert wird, daß der kommende gemeinsame Zolltarif der Gemeinschaft ja nur ein Ausgangspunkt, ein Ausgangstarif für die Verhandlungen sein wird und daß es an dem Ergebnis dieser Verhandlungen selbst liegen wird, welche Höchstzollsätze in der Gemeinschaft endgültig eingeführt werden. Ich glaube kaum darauf hinweisen zu müssen, daß wir im Rahmen der Gemeinschaft und in der Zusammenarbeit mit den anderen Partnern der Gemeinschaft alles tun werden, um unseren Partnern die Nützlichkeit einer Senkung der Zollsätze vor Augen zu führen. Das entspricht ja der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre, deren Erfolg auch von unseren Partnern nicht bestritten werden kann.
Noch ein Weiteres. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, und ich möchte es auch hier betonen, daß die neuen Gemeinschaftsverträge keine Tendenz zur Ausschließlichkeit besitzen. Vielmehr stehen sie jedem anderen Staat in Europa offen, der ein Minimum an innerer und äußerer Homogenität mitbringt, jedem Staat, der bereit ist, durch seinen Beitritt in irgendeiner Form Rechte und Pflichten gegenüber der Gemeinschaft zu übernehmen. Es gibt bei allen sechs vertragschließenden Staaten — das ist in den Beratungen, Gesprächen und Verhandlungen mit anderen Regierungen zum Ausdruck gekommen — keine Tendenz zu einer kleineuropäischen Blockbildung. Ich kann es darum nur begrüßen, daß die Verhandlungen, die jetzt in Paris über die Möglichkeit einer europäischen Freihandelszone geführt werden, die Unterstützung aller finden und daß diese Freihandelszone auch von einer Reihe von Ländern — ich erinnere insbesondere an Großbritannien — als ein nützliches und wichtiges Akzessorium zum Gemeinsamen Markt angesehen wird.
Sie werden dem Kommuniqué, das gestern zum Abschluß des Besuchs des englischen Premierministers und seines Außenministers veröffentlicht worden ist, entnommen haben, daß auch diese Frage
Gegenstand der deutsch-englischen Gespräche gewesen ist und daß wir uns mit der englischen Regierung voll und ganz darüber verständigt haben, daß die Ratifizierung der Verträge, so wie sie vorliegen, notwendig ist und möglichst schnell erfolgen soll; unser gemeinsames Bemühen soll aber darauf gerichtet sein, neben diesem Kern der europäischen Gemeinschaft, die den Gemeinsamen Markt bildet, einen erweiterten Bereich in der Freihandelszone zu schaffen.
Ich zweifle nicht daran, daß nicht nur Großbritannien, sondern auch andere Staaten bereit sind, sich dieser Freihandelszone anzuschließen. Ich erinnere an die Tendenzen in den skandinavischen Staaten, insbesondere Dänemark. Ich weiß aus persönlichen Gesprächen, die mit mir geführt wurden, daß auch andere Länder ein Interesse daran haben, sich in irgendeiner Weise zu assoziieren — es gibt ja sehr viele Möglichkeiten der Assoziation —: Österreich, unter Umständen die Schweiz, Portugal und vielleicht auch Staaten im Mittelmeerraum.
Aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen: wir sind — und das kommt auch in dem gemeinsamen Kommuniqué von gestern zum Ausdruck — allerdings davon überzeugt, daß die Schaffung des Gemeinsamen Markts eine unerläßliche Voraussetzung für das Zustandekommen einer Freihandelszone ist, so daß wir also unsere erste Energie darauf verwenden müssen, diese Verträge zu ratifizieren, um dann um den Kern, wie ich schon sagte, diese Freihandelszone zu errichten.
Auch die ersten Diskussionen in dem großen weltwirtschaftlichen Gremium, dem GATT, die über den Gemeinsamen Markt geführt wurden, lassen erkennen, daß sich ein großer Teil der Handelspartner, die nicht dieser Gemeinschaft angehören, des Vorteils bewußt sind, den ihnen das vergrößerte Absatzgebiet und der Gemeinsame Markt der sechs in Zukunft einmal bieten können. Es ist das ein wirtschaftliches und ein politisches Interesse, wie es beispielsweise in der Politik der Vereinigten Staaten zum Ausdruck kommt. Sie wissen selbst — ich verrate damit kein Geheimnis, wenn ich das wiederhole —, daß die Regierung der Vereinigten Staaten entscheidendes Gewicht auf die fortschreitende Integrierung legt und der Ratifizierung der Ihnen heute vorgelegten Verträge eine außerordentliche Bedeutung beimißt. Sie glaubt — ich meine nicht mit Unrecht — aus der Entscheidung entnehmen zu können, ob sich Europa vielleicht in später Stunde auf sich selbst und seine eigenen Möglichkeiten besinnt oder ob es weiter in einer hoffnungslosen Zersplitterung Kostgänger und Unterstützungsempfänger anderer Teile der Welt sein und damit auch auf eine politische Einflußnahme verzichten will, die dem einzelnen europäischen Land heute schlechthin unmöglich ist.
Was ich über die Assoziation, über die Schaffung der Freihandelszone und über die Ausweitung des Welthandels sagte, gilt auch gegenüber unterentwickelten Ländern. Ich habe in meinen Gesprächen mit der indischen Regierung, wo ich mit Sorge gerade darauf angesprochen wurde, ob etwa die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Indien auf den Gebieten, auf denen man unsere Unterstützung wünscht, unter dieser Entwicklung leiden könne, darauf hingewiesen, daß wir nicht die Absicht haben, diese Aufgaben hinter denen des Gemeinsamen Marktes zurücktreten zu lassen, sondern vielmehr der Überzeugung sind, daß uns die Stärkung unserer Wirtschaftskraft und die unserer
Partner noch mehr als seither in Stand setzen wird, einen Beitrag zu einer gesunden Entwicklung in den unterentwickelten Ländern zu leisten.
Wir haben in den Verträgen auch der Tatsache Rechnung getragen, daß die Wirtschaft ihrer Struktur nach in unseren Ländern eine — ich möchte sagen — mittelständisch aufgebaute Volkswirtschaft ist. Wir haben es uns außerdem angelegen sein lassen — das ist auch in dem Vertrag zum Ausdruck gekommen —, die besonderen Interessen der Unternehmen sicherzustellen, die durch ihre geographische Lage unmittelbar an der Zonengrenze betroffen sein können. Die Verträge sehen ferner gemeinsame Bemühungen zur Erhaltung und Steigerung der Produktion der Landwirtschaft vor, und darüber hinaus ist der Vertrag über den Gemeinsamen Markt ein erster Versuch, eine sozialpolitische Aufgabe gemeinsam zu lösen. Denn es sind hier in der Tat Maßnahmen vorgesehen, um Unternehmen und Arbeitnehmern helfen zu können, sie vor den Folgen einer Umstellung zu schützen, wie sie durch die Schaffung des Gemeinsamen Marktes etwa notwendig werden kann. Ich glaube, daß dieses sozialpolitische Anliegen, das wir mit diesem Teil des Vertrages vertreten, gut ist und daß es auch für die Zukunft Schule machen könnte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Worte über den Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft hinzufügen. Er ist ja in vieler Hinsicht nicht mehr und nichtsanderes als die Fortsetzung und Erstreckung des Gemeinsamen Marktes auf ein besonders wichtiges spezialisiertes Gebiet unserer Volkswirtschaft. Der Grundgedanke, diese Atomgemeinschaft zu schaffen, ist der Erkenntnis entsprungen, daß die umwälzende Entwicklung der Kernenergie, ihre überaus kostspielige Erzeugung und ihre entscheidende Bedeutung für alle Zweige des wirtschaftlichen Lebens eben eine neue Form gemeinsamer zwischenstaatlicher Arbeit notwendig machen. Der Vertrag sieht eine solche gemeinsame Nutzung und die Schaffung von Anlagen, die der Erzeugung dienen, vor.
Es ist gewiß eine Lebensfrage für uns und für die anderen Partner, daß wir uns rechtzeitig in die Lösung der mit der Nutzung der Atomenergie verbundenen Fragen einschalten. Im letzten Jahre — wenn ich diese Zahl nennen darf — hat die Bundesrepublik etwa 5 % ihres Energiebedarfs vom Ausland beziehen müssen. Wir schätzen aber, daß in wenigen Jahren, etwa im Jahre 1965, das Energiedefizit bereits zwischen 15 und 20 % liegen wird. In den darauffolgenden Jahren würde es in einem Ausmaß anwachsen, daß wir überhaupt keine Möglichkeit mehr hätten, das Defizit auszugleichen. Mit eigener Kraft werden wir diesen Ausgleich nicht schaffen können; ,denn die Möglichkeiten sind beschränkt. Die Wasserkraft ist in Europa weitgehend ausgenutzt, und, soweit ich weiß, stehen hier keine erheblichen Reserven mehr zur Verfügung. Die Kohle als Grundlage der Energiegewinnung ist nicht nur teuer, es ist auch nicht die nötige Quantität vorhanden.
Zur Durchführung all der großen Forschungs- und Investitionsaufgaben, die mit der Entwicklung der Kernenergie nötig sind und die sich uns ja sehr plötzlich und ohne Vorbereitung stellen, fehlt es uns an Kapital, an Arbeitskräften und an Kenntnissen und Erfahrungen. Der Zusammenschluß der sechs Staaten wird es uns möglich machen, diese Forschungs- und Entwicklungsarbeiten voranzutreiben, um unsere Energieeerzeu-
gung zu steigern. Die Zusammenarbeit wird hier sicherlich von Nutzen für alle Partner sein.
Der Kern der beiden Verträge, die Ihnen vorliegen, ist — ich habe es schon ausgesprochen und möchte es zum Schluß noch einmal sagen — letztlich ein politischer, und die Ziele, die wir mit diesen Verträgen verbinden, sind naturgemäß politische. Wir hoffen und wünschen, daß diese Verträge mit dazu beitragen, die politische Einigung Europas voranzutreiben, die Solidarität der europäischen Völker zu stärken, gleichzeitig sie aber auch in ihrer Abwehrkraft zu stärken; Aufgaben, die uns gemeinsam sind.
Wir glauben auch — und auch das ist ein politischer Aspekt dieser Verträge —, daß ,dieses Europa gemeinsam mit dazu beitragen kann, mehr als jeder einzelne der Sechs, mehr auch als die Bundesrepublik allein, der Wiedervereinigung zu dienen. Denn das Europa, das hier entsteht, dieses Europa der Freiheit, das sich nach oben entwikkelt, wird seine anziehende Kraft ausüben und wird bei allen Menschen auch jenseits der Zonengrenze und bei ,allen Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs in Europa das Gefühl stärken, daß man sich hier seiner Freiheit bewußt ist und sie auszubauen, zu erhalten und zu sichern wünscht, um sie denen, die noch auf sie warten müssen, zu vermitteln.
Meine Damen und Herren, ich habe schon gesagt, ich bin dankbar dafür, daß die Verträge in der ersten Debatte eine grundsätzliche Zustimmung aller Redner dieses Hohen Hauses gefunden haben. Sie werden jetzt in den Ausschüssen weiter beraten werden. Ich habe nur die Bitte an Sie, daran mitzuarbeiten, daß wir diese Verträge noch verabschieden können, bevor sich das Hohe Haus hier von der Arbeit trennt. Ich würde glücklich sein, wenn die Bundesrepublik ,der erste Staat wäre, der diese Verträge ratifiziert. Auch davon wird ein gewisser Einfluß ausgehen auf andere, die dieser Entscheidung vielleicht noch zögernd gegenüberstehen. Ich hoffe, wie gesagt, daß diese Verträge noch im Laufe dieses Jahres in Kraft treten, um sehr bald Folgen und Früchte zu zeigen.