Frau Kollegin Kalinke, ist Ihnen bekannt, daß die Allgemeine Ortskran-
kenkasse Hamburg mit Wirkung vom 1. März die Beiträge auf 8 % erhöhen, mußte, und sind Sie nicht auch der Auffassung, daß eine Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin ihren Beitrag mindestens so hoch gestalten müßte wie Hamburg?
Frau Kalinke : Ich bin der Auffassung, Herr Kollege Schellenberg, daß eine Verwirklichung der Anträge, die Sie heute vorgelegt haben, eine Verdoppelung der Beiträge für Berlin zur Folge hätte.
— Weil ich rechnen kann, weiß ich das. Ich bin außerdem der Meinung, Herr Kollege Schellenberg — —
— Ich glaube, daß Herr Kollege Schellenberg sehr genau Bescheid weiß. Er weiß auch, daß, wenn sein Propagandaantrag verwirklicht würde und wenn der Bund Zuschüsse zu einer Krankenkasse zahlte, es mit der Selbstverwaltung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Ende wäre, daß dann die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber in der Selbstverwaltung keine Rechte mehr hätten, sondern sie mit dem Bund und den Steuerzahlern teilen müßten. Ich glaube, im Interesse unserer Krankenversicherung und unserer Selbstverwaltung sollten wir es uns sehr genau überlegen, ob wir den Steuerzahler in der Krankenversicherung beteiligen wollen. Ich glaube auch nicht, daß das notwendig ist.
Auf meine Frage an Sie, Herr Schellenberg — vielleicht habe ich nicht deutlich genug mit Fragezeichen gesprochen; ich werde es daher noch sehr viel deutlicher formulieren —, haben Sie hier in der Diskussion nicht geantwortet. Sie sind ausgewichen — wie es ja der Bundesrat auf die Anregungen und Vorstellungen Berlins hin getan hat — in das Problem der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Meine Herren und Damen, das Problem der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist ein .arbeitsrechtliches. Die Neugestaltung des Krankenversicherungsrechts und des Leistungsrechts in der Krankenversicherung im allgemeinen sowie der Höhe des Krankengeldes im besonderen ist ein Problem, das man nicht losgelöst von der Beitragsgestaltung sehen kann. Wir müssen doch so ehrlich sein und sagen — und wir werden nachher noch darüber sprechen —, daß die Erfüllung sozialer Versprechungen bezahlt werden muß und daß es gerade jene bezahlen müssen, die wir doch schützen wollen. Man darf hier nicht nur eine Seite darstellen, Herr Kollege. Ich glaube, das ist Ihrer auch nicht würdig. Denn Sie wissen doch auf Grund Ihrer Sorgen in den letzten zehn Jahren, wie schwer gerade in Berlin die Verwirklichung und Beibehaltung der Leistungsgestaltung war.
Lassen Sie es mich nun ganz deutlich sagen, damit hier und in der Öffentlichkeit keinerlei Mißverständnisse aufkommen: Das Problem der Lohnfortzahlung stand weder in diesem Hause noch in der Öffentlichkeit zur Diskussion, als die Krankenversicherungsanstalt Berlin Beiträge und Leistungen festsetzte. Aber damals hatten wir eine Einheitsversicherung, in der alle — auch Beamte und Selbständige — versicherungspflichtig waren und in der Sie den Angestellten in Berlin — und das ist diskriminierend, nicht der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten; diskriminierend ist, daß Sie Angestellte zweierlei Rechts geschaffen haben — höhere Beiträge abnahmen, obwohl Sie ihnen kein Krankengeld zu zahlen brauchten. In der Bundesrepublik gilt dagegen das Recht der RVO, nach idem derjenige, der das Krankengeld nicht in Anspruch nimmt, entsprechend geringere Beiträge zu entrichten hat. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der echten Relation zwischen Beiträgen und Leistungen. Selbst wenn das Gesetz es nicht vorschreibt, sollte eine Krankenkasse für eine solche Relation zwischen Beiträgen und Leistungen sorgen. In Berlin haben Sie eben keine gewählte Selbstverwaltung, sondern erstaunlicherweise auf dieser Inseldemokratischer Tugenden ausgerechnet auf dem Sozialversicherungsgebiet eine berufene Selbstverwaltung, eine vorgeschlagene Selbstverwaltung. Dabei müssen wir uns
— da gebe ich Ihnen recht — hinsichtlich der Einengung der Selbstverwaltung im Ausschuß auch noch über etwas anderes unterhalten, nämlich darüber, was Sie denn unter „Gewerkschaften" und unter „Unabhängigkeit" verstehen. Das wird uns für Berlin sehr interessieren. Wir möchten nicht, daß eine Monopolgewerkschaft das Vorschlagsrecht hat, sondern wir möchten, daß alle Gewerkschaften
— insbesondere die der Angestellten — das Recht haben, in Berlin sowie im Bundesgebiet ihre Vertreter vorzuschlagen.
Wir möchten auch nicht, daß immer mit dem FDGB als Buhmann im Hintergrund gedroht wird; denn wir wissen, die Berliner sind vor solchen Einflüssen vollkommen sicher, viel sicherer als mancher hier in der Bundesrepublik.
Wir möchten in der Frage der Wiederherstellung der Rechtseinheit auch nicht d'en Eindruck erwekken, als seien die 'unterschiedlichen 'kleineren Abweichungen, die es in der Krankenversicherung in den verschiedenen Zonenrechten noch gibt, etwa mit dem Berliner Problem der wesentlichen Abweichungen im Recht der Krankenversicherung vergleichbar!
Nun hat Herr Schellenberg sehr ehrlich gesagt, das Wichtigste in diesem Gesetz sei für ihn nicht das Organisatorische, sondern die Leistungsgestaltung von morgen, obwohl er meint, daß das Organisatorische besonders gefährlich sei! Nein, wir meinen, daß die Angestellten und Arbeiter in Berlin nicht unter ein Ausnahmerecht fallen dürfen.
Sie müssen in Berlin genau wie im Bundesgebiet das Recht haben, sich freiwillig für ihre Ersatzkasse, für ihre Betriebskrankenkasse, für ihre Innungskrankenkasse zu entscheiden.
Das hat nichts mit organisatorischen Experimenten zu tun, sondern mit den gleichen Rechten für alle Staatsbürger.
Wenn die Ortskrankenkasse Berlin dann auch infolge dieser Aufgliederung einige Mitglieder verliert, wird sie damit übersichtlicher werden. Sie wird die Möglichkeit haben, ihren Risikoausgleich so zu gestalten, daß ihre Selbstverwaltung — und ich hoffe, sehr bald eine gewählte und wirklich selbstverantwortliche Selbstverwaltung — in der Lage sein wird, sich über Beitrags- und Leistungsgestaltung 'in Berlin zu unterhalten.
Und ein letzes Argument; der Herr Minister hat schon mit Recht darauf hingewiesen: Herr Schellenberg, Sie wissen doch besser als viele in diesem
Hause, daß man die Probleme der Rentenversicherung nicht mit denen der Krankenversicherung vergleichen und verquicken darf. Wenn die Rentenversicherung in Berlin der Zuschüsse bedarf und wenn die besondere Situation Berlins als Stadt der Dienstleistungsträger, in der soviele Angestellte, die früher bei Verwaltungen waren, früh berufsunfähig und früh Rentner geworden sind, eine besondere Belastung der Rentenversicherung mit sich gebracht hat, ist dazu zu sagen, daß wir ja hier in vielen Kämpfen — leider mußten wir damals mit Ihnen kämpfen — dafür Sorge getragen haben, daß dieses Risiko der Rentenversicherung wie das der Unfallversicherung auf die Schultern der größeren Gemeinschaft und damit in die Solidarhaftung aller Rentenversicherungsträger gelegt worden ist.
Über das Experiment Krankenversicherung der Rentner und Leistungsgestaltung der KVA Berlin will ich jetzt nicht sprechen. Ich möchte nur warnen: Sollten Sie mich dazu herausfordern, so will ich auch dazu einiges sehr deutlich sagen.