Frau Kollegin Kalinke, bei dem gegenwärtigen Rechtszustand haben die Arbeiter im Bundesgebiet im Krankheitsfalle eine mindere soziale Sicherung ,als die Angestellten. Die Arbeiter erhalten niedrigere Leistungen, nämlich für die ersten sechs Wochen keinen Lohn, sondern nur Krankengeld. Bei der gegenwärtigen Regelung werden ,die Arbeiter dafür gewissermaßen noch zusätzlich bestraft, in dem sie höhere Beiträge als die Angestellten zu zahlen haben. Diese Ungerechtigkeit wollen wir beseitigen. Wenn sie beseitigt ist, sind wir gern bereit, auch organisatorische Fragen zu regeln.
Der Gesetzentwurf versucht, organisatorische Fragen zu präjudizieren, ohne daß die Leistungsfragen geregelt werden. Das ist nicht nur eine wichtige Angelegenheit für Berlin, sondern auch eine Angelegenheit der Beziehungen Saarland- Bundesrepublik in bezug auf die Gestaltung der Sozialversicherung. Deshalb müssen zuerst — oder
mindestens gleichzeitig — die Fragen der Leistungsgestaltung geregelt werden.
Sowohl der Herr Bundesarbeitsminister wie Frau Kollegin Kalinke haben dargelegt, daß sie diesen Gesetzentwurf für besonders eilig halten. Das ist sehr merkwürdig. Die Frage der Selbstverwaltung wird nach den Ausführungen von Herrn Kollegen Grantze erst zum Juni 1958 akut. Der neue Bundestag könnte also dieses Gesetz erst im Frühjahr des nächsten Jahres verabschieden. Sie haben aber offenbar ,die Befürchtung, daß es bei der Zusammensetzung des nächsten Bundestages keine Mehrheit ,für ein solches Gesetz geben wird.
Unser Hauptanliegen ist die Gestaltung der Leistungen. In dieser Hinsicht haben wir berechtigte Sorgen. Was soll denn diese organisatorische Neugestaltung ,bezwecken? Sie soll für einen Teil der bisherigen Versicherten, die Mitglieder von Sonderkassen werden, Vorteile bringen, bessere Leistungen und niedrigere Beiträge. Aber es ist doch kein Wort darüber gesagt, woraus diese Besserstellung finanziert werden soll. Das ist der entscheidende Punkt.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat vom sozialen Lastenausgleich gesprochen. Der Tatbestand ist, daß die Rentenversicherung des Landes Berlin im letzten Jahr rund 75 v. H. ihrer Aufwendungen im Wege des Gemeinlastverfahrens und durch Bundeszuschüsse erhalten hat.
Der Etat des Landes Berlin — wir wissen es alle — wird ungefähr zur Hälfte durch Bundeszuschüsse finanziert. Nun wollen Sie das Wunder vollbringen, den höheren Leistungsstand der Krankenversicherung in Berlin zu halten, ohne für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen. Meine Damen und Herren, wer das erreichen will, gibt sich einer Illusion hin. Wir sind gern bereit, im Ausschuß mit Ihnen darüber zu sprechen und Ihnen das nachzuweisen.
Ein letztes Wort an den Herrn Bundesarbeitsminister. Der Herr Bundesarbeitsminister hat, als zum letzten Male über diese Frage diskutiert wurde, im Jahre 1952, laut Protokoll — ich darf zitieren — wörtlich erklärt:
Weil wir aber auf idem Gebiet der Krankenversicherung keinen Lastenausgleich zwischen den Versicherungsträgern der Bundesrepublik und Berlin haben, glaubten wir, die Entwicklung in Berlin vor allem in der heutigen Zeit den Berlinern selbst überlassen zu sollen.
So ist die Situation und nicht anders! — Der Herr Bundesarbeitsminister erklärte dann weiter:
Man sollte nicht in Berlin durch übereilte Maßnahmen die Überzeugung entstehen lassen, daß man von der Bundesrepublik aus den Berlinern etwas aufzwingen wollte, was sie selbst nicht wollen.
An diesem Tatbestand hat sich bisher nichts geändert. Denn weder das Abgeordnetenhaus noch der Senat des Landes Berlin haben eine Angleichung des Rechts der Krankenversicherung gewünscht. Im Gegenteil hat ,der Senat des Landes
Berlin — in dem auch die Hauptregierungspartei, die CDU, vertreten ist — erklärt, daß er keine zwingende sachliche Notwendigkeit sieht, die Wiederzulassung der Sonderkassen mit der Regelung der Selbstverwaltung im Lande Berlin zu verbinden.
Das sind die Tatbestände.