Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Darüber werde ich ganz offen sprechen. Ich werde dem, obwohl es sonst in der Diskussion nicht üblich ist, nicht ausweichen. Herr Kollege Schellenberg, Sie haben ja schon vorhin in Ihren Ausführungen gesagt, ich hätte im Ausschuß keine wesentlichen Änderungsanträge gestellt.
Meine Herren und Damen, es war ein offenes Geheimnis, daß in der Frage: besondere Angestelltenversicherungsrecht oder nicht, die Fraktion der Deutschen Partei sich in der Koalition nicht hat durchsetzen können. Es ist ein offenes Geheimnis, daß an der Vorarbeit für ein solches besonderes Angestelltenversicherungsrecht gerade ich beteiligt war und daß wir uns in der Koalition über diese Frage nicht haben einigen können.
— Sie wissen es doch, Sie haben es in Ihren Pressediensten geschrieben! Ich stehe nicht an, hier die volle Wahrheit zu sagen: Es wäre doch zwecklos gewesen, wenn ich dem Ausschuß ein besonderes Angestelltenversicherungsgesetz vorgelegt hätte bei einem Stand der Beratungen, in dem CDU plus SPD an den zwei Tagen einig waren, kein besonderes Angestelltenversicherungsgesetz, sondern die gleichen Paragraphen zu beschließen.
— Wenn Sie wünschen, Herr Kollege Arndgen, daß
ich sage, was ich in der Koalition alles verlangt
habe —; aber ich glaube, ich sollte es nicht sagen.
Herr Kollege Schellenberg, ich will Ihnen hier sehr offen antworten. Ich wiederhole, was ich in der ersten Lesung gesagt habe: Wenn man nur die Verweisung auf die gleichen Paragraphen und den gleichen Text der Paragraphen wollte, dann brauchte man kein besonderes Angestelltenversicherungsgesetz. Dann hätte es genügt, die Selbstverwaltung der Angestellten in diesem Gesetz besonders zu regeln und in der Frage des Heilverfahrens und vielleicht noch bei einigen anderen kleinen Dingen auf die besondere Situation der Angestellten hinzuweisen.
— Wir sprechen von materiellem Inhalt — —
— Herr Professor, ich werde Sie nicht enttäuschen; Sie wissen, ich tue das nicht.
Ich komme auch noch auf den materiellen Inhalt des Gesetzes.
Meine Herren und Damen, wir haben bei dieser Frage, die in erster Linie eine politische Frage von eminenter Bedeutung ist, eine einmalige Gelegenheit verpaßt, die Angestelltenversicherung nicht nur zu erhalten, sondern sie fortzuentwickeln, und zwar ihr Recht fortentwickeln. Wir haben eine einmalige Chance verpaßt, der Selbstverwaltung, von der immer so rühmend gesprochen wird, endlich größere Möglichkeiten zu geben.
Wir haben eine große Chance verpaßt, in der Angestelltenversicherung ohne Staatszuschüsse auszukommen und jenes Prinzip der Verantwortung aus eigener Kraft einzuführen, das der Arbeitsminister erstaunlicherweise soeben betont hat, als er von der Selbsthilfe besonderer Berufsgruppen sprach. Jenes Prinzip, aus eigener Kraft füreinander einzustehen, ist in der Angestelltenschaft in allen ihren Zweigen trotz der strukturellen 'Unterschiede, trotz der soziologischen Unterschiede, in der Spitze und an den Wurzeln viel lebendiger als etwa bei Bauern oder Handwerkern, wo es sehr viel schwerer ist, eine einheitliche Meinung zu finden. Die Angestellten in ihrer Gesamtheit waren nicht nur bereit, ihr materielles Angestelltenversicherungsrecht zu verteidigen und auszubauen, sie sind und waren bereit, Opfer zu bringen.
— Die werden sie nicht nur da bringen. Sie wissen ja noch gar nicht, ob ich sie beschließe; Herr Professor Schellenberg, Sie müssen sich an die Mehrheit wenden, der Sie doch angehören. Ich bin überzeugt, Sie werden es beschließen,
und Sie werden das bisherige Angestelltenversicherungsrecht beseitigen, nicht wir.
Sie haben der Regierung vorgeworfen, daß sie nur aus Gründen der Optik Besonderheiten der Angestelltenversicherung aufrechterhalte. Herr Schellenberg, ich bin mutig genug, Ihnen zu sagen, daß Ihnen da die Regierung antworten muß. Wir sind dieser Regierung in der Koalition verbunden, sind aber in diesem Punkt nicht mit allen Mitgliedern der Regierung einig.
Die grundsätzlichen Dinge, von denen Sie sagen, daß sie die überwältigende Mehrheit im Ausschuß für Arbeiter und Angestellte beschlossen habe, möchte ich jetzt nicht behandeln, weil jeder die Zusammensetzung des Ausschusses kennt und weiß, daß das nicht die überwältigende Mehrheit der Angestellten gewesen ist.
Sie sagen, wir hätten keine Vorschläge mehr gemacht. Ich bin so offen, Herr Kollege Schellenberg, Ihnen zu sagen: Ich habe mich zum Schluß überhaupt nicht mehr an Ihrer Diskussion beteiligt und das abgelehnt, was Sie dort als vollendete Tatsachen beschlossen haben, weil ich, wie Sie wissen, zu den Menschen gehöre, die sich nicht von der Mehrheit überfahren lassen in einer Situation, in der jede Diskussion aussichtslos war.
— Und ich habe, Frau Kollegin Korspeter, zu Protokoll gegeben, daß ich mich in den weiteren Beratungen über ein Angestelltenversicherungsgesetz — ich muß sagen: über ein sogenanntes Angestelltenversicherungsgesetz, das kein Angestelltenversicherungsgesetz ist — der Stimme enthalte.
Herr Schellenberg irrt sich in einem Punkt. Ich habe nicht Elternrente nur für Angestellte verlangt. Ich habe in der ersten Lesung wie im Ausschuß immer die Auffassung vertreten, daß die sozialpolitischen Probleme, die Arbeiter und Angestellte gleichermaßen angehen, auch gleichermaßen für beide bei der Reform berücksichtigt werden müssen. Aber wir haben um eine vollkommen andere grundsätzliche Konzeption da gekämpft, wo wir darum kämpfen mußten, und erst dann aufgegeben, als keine Möglichkeit mehr für uns bestand, einen Erfolg zu buchen. Das soll nicht heißen, Herr Schellenberg, daß wir nicht, wenn uns Gott und die Vorsehung die Gnade geben,
die Möglichkeit haben werden, gemeinsam miteinander für ein neues Angestelltenversicherungsrecht zu kämpfen.
Und nun zu den Anträgen. Es ist mir sehr übelgenommen worden, als ich in der zweiten Lesung von dem politischen Stil gesprochen habe. Es ist ein Merkmal der Massendemokratie, daß sich der einzelne mit den besten Ideen und Gedanken oft nicht durchsetzen kann, wenn die Masse ihm nicht folgen will, und es ist das Schicksal der kleinen Nationen wie der kleinen Parteien, daß sie mit den besten Gedanken und dem größten Sachverstande und aller Vernunft sehr oft nicht gegen das Gesetz der großen Zahl ankommen.
Der Herr Minister hat gemeint, uns einen kleinen Rückblick auf die historische Entwicklung geben zu sollen, und zwar mit so einigen wirtschafts-und sozialpolitischen Fragen, deren Beantwortung allein eine ganze Stunde erforderte. Ich kann leider nicht darauf antworten, weil ich andere wichtige Dinge zu sagen habe. Aber ich möchte zur historischen Entwicklung der Angestelltenversicherung doch einiges feststellen. Es waren die Angestellten-Organisationen, nicht Einheitsorganisationen der Arbeiter und Angestellten, sondern die Angestelltenverbände, die am 20. Mai 1911 den Entwurf eines Angestelltenversicherungsgesetzes vorgelegt haben. Dieser Entwurf ist am 5. Dezember 1911 ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen als „Versicherungsgesetz für Angestellte" im Reichstag einstimmig angenommen worden. Damals hat ein sozialdemokratischer Abgeordneter, der Abgeordnete Hoch, das Angestelltenversicherungsgesetz als einen sozialpolitischen Fortschritt für die Angestellten gewürdigt. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir dann aus den Reihen derjenigen, die von diesem sozialdemokratischen Abgeordneten hätten lernen können, von dieser Würdigung nicht mehr viel erfahren. Wir haben vielmehr nach 1945 erlebt, wie die Besatzungsmächte mit allen ihren Helfershelfern versuchten, in Deutschland das Recht der Angestelltenversicherung wie der Angestellten-Ersatzkassen zu beseitigen. Hier in diesem Hause sind zwei Leute — das sind der frühere Herr Bundesminister Dr. Hermann Schäfer und ich —, die 1945 durch die Lande gezogen sind und die hungernden Angestellten in Versammlungen zusammengeführt haben, die damals kamen mit leerem Magen, ohne Geld, ohne Auto, ohne Möglichkeit, Spesen als Funktionäre zu bekommen, die Angestellten, die bereit waren, Opfer für ihre Einrichtungen zu bringen. Damals fanden sich keine Sozialdemokraten, auch nicht Herr Professor Preller, die uns geholfen hätten. Herr Professor Preller saß damals in Stuttgart — ich erinnere mich noch sehr gut — beim Länderrat, wo ein Gesetz zur Einheitsversicherung vorbereitet wurde.
— Da haben wir uns doch getroffen!
In jenen Jahren, als der Herr Kollege Horn und ich in Berlin in Angestelltenversammlungen kämpften und uns die Mikrophone abgeschnitten wurden, in jenen Jahren, als wir im Kampf gegen alle diejenigen, die für Herrn Schellenbergs VAB kämpften, eine echte politische Kontroverse hatten, da gab es noch Kontraste, da gab es noch leidenschaftliche politische Kämpfe.
— Bei Gott, ich verspreche es Ihnen!
Da haben wir die Angestelltenversicherung verteidigt, und wir haben sie mit Erfolg verteidigt. Und dann haben wir hier gemeinsam, Herr Kollege Schüttler, Sie und ich und alle unsere Freunde hier, das Angestelltenversicherungs-Errichtungsgesetz gemacht. Wir haben uns zu dieser Angestelltenvercherung bekannt. Wir hätten dies Gesetz doch nicht gemacht, wenn wir es nicht für notwendig angesehen hätten.
Dann kamen die Sozialwahlen und die Selbstverwaltung, von der wir alle doch so viel halten. Sie brachten ein neues überwältigendes Bekenntnis der Angestellten zu ihren Einrichtungen. Die Tren-
nung zwischen Angestellten- und Invalidenversicherung kann man doch nicht nur historisch begründen. Es kann nicht bestritten werden, daß die Angestellten soziologisch eine Gruppe mit besonderem Wagnis, besonderem Bedürfnis, aber auch mit einer besonderen Bereitschaft zum Risikotragen sind. Trotzdem kann man doch nicht sagen: Sie sollen das gleiche Recht für gleiche Beiträge wie die Arbeiter haben; denn sie sind Arbeitnehmer schlechthin. Zu den Säulen der Arbeitnehmer gehören seit je die Arbeiter, die Angestellten und die Beamten. Und wer heute die Angestellten in das große gemeinsame Recht der Arbeitnehmer einwalzt, wird morgen das gleiche mit den Beamten machen. Die Beamten, die solche Vorlagen entwerfen und dafür eintreten, sollten auch über diesen politischen Zusammenhang einmal still und sehr ernst nachdenken.
Wer heute sagt, es gebe keine Sonderrechte für Angestellte, dem darf ich die Ausführungen meines Freundes Dr. Berg entgegenhalten, der in der zweiten Lesung gesagt hat: Leitende Angestellte sind andere Menschen, sie sind nicht besser, aber andere Menschen. Angestellte sind nicht bessere Arbeitnehmer als Arbeiter, aber Arbeitnehmer anderer Art. Niemand von Ihnen würde den Bergleuten etwa ihre eigene Knappschaft nehmen oder den Beamten ihr Beamtenrecht.
— Zumindest würden Sie es nicht in diesem Jahre verlangen.
Wir sollten, wenn wir Selbstverantwortung wollen, den Mut haben, über Gruppen und Gruppenbewußtsein sehr ernsthaft zu sprechen. Wir alle führen gemeinsam Klage, daß der Schrei nach dem Staat immer größer und der Wille zur Verantwortung immer geringer wird. Wenn aber eine Gruppe da ist, in der noch Gruppenbewußtsein lebendig ist, dann sollten wir doch alles tun, dieses Bewußtsein zu erhalten, zu stärken und zu mehren.
Ich habe auch im Beirat des Bundesministers für Arbeit in einer sehr kleinen Gruppe einen solchen Kampf geführt.
— Mit mir sollten Sie nicht diskutieren. In der politischen Entscheidung sind wir dort so unterlegen, wie wir heute wahrscheinlich in der politischen Entscheidung unterliegen werden.
In der moralischen Entscheidung werden wir niemals unterliegen; -denn wir werden nicht aufhören, für diese unsere Auffassung zu streiten.
Heute, meine Herren und Damen, wird durch Ihre Stimmabgabe entschieden, ob Sie nach 46 Jahren das Angestelltenversicherungsrecht beseitigen.
— Ich weiß gar nicht, warum Sie so schreien. Haben Sie ein schlechtes Gewissen?
Die Sozialdemokraten in Österreich waren sicher klüger; sie haben das Angestelltenversicherungsrecht nicht beseitigt, sondern die Pensionsversicherungsanstalt für Angestellte verteidigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat von der Basis der beruflichen Selbsthilfe gesprochen und gleichzeitig in einem Rückblick die Dinge so dargestellt, daß sie nach meiner Meinung nicht unwidersprochen hingenommen werden können. Wenn es zutrifft, Herr Bundesminister für Arbeit — und es trifft zu; da sind wir einig —, daß die Situation von heute eine vollkommen andere ist als vor 80 oder 100 Jahren, dann komme ich aber zu einer ganz anderen Auffassung als Sie. Dann müssen wir feststellen, ob derselbe Kreis von Menschen, die damals schutzbedürftig waren, auch heute noch schutzbedürftig ist und wo die Grenze liegt. Wir werden auf diese Ihre Auffassung zurückkommen, wenn wir zu entscheiden haben, wo die Grenze der Versicherungspflicht liegt.
Wir werden gemeinsam mit den Sozialdemokraten, wenn auch von einem anderen Gesichtspunkt her, in der Angestelltenversicherung, Herr Schellenberg, vielleicht gerade für die Aufrechterhaltung des alten Berufsunfähigkeitsbegriffs nach dem AVAVG von 1927 kämpfen. Denn wir glauben, was sich bewährt hat, was gut war, das muß man nicht ändern, und nur was sich nicht bewährt hat, das muß man ändern. Das ist ein Wort, das der Kollege Horn hier sehr oft ausgesprochen hat: Was Rechtens war und funktioniert hat, soll auch noch für die Zukunft Rechtens sein. Er wird ja dazu noch Stellung nehmen, wenn wir von der Versicherungspflichtgrenze sprechen.
Die Einführung einer Höchstbemessungsgrenze in der Angestelltenversicherung wird — ich habe das im einzelnen in der zweiten Lesung dargelegt — zu einem großen Nachteil für die Angestellten führen. Das gilt besonders für die Angestellten, die hohe Weiterversicherungsbeiträge oder zusätzliche Höherversicherungsbeiträge im öffentlichen Dienst zahlten und daran die Hoffnung knüpften, an ihrem Lebensabend eine höhere Durchschnittsrente zu erhalten. Diese Angestellten werden infolge der in der zweiten Lesung beschlossenen Formel auf Grund der zurückliegenden Beiträge im höchsten Fall vom doppelten Durchschnittslohn aller Versicherten ihre Rente bekommen. Sie werden also zweifelsohne außerordentlich benachteiligt. Alle jene Sprüche, daß höhere Beiträge auch höhere Renten zur Folge haben und daß der, der spart, der hohe Beiträge zahlt, belohnt werden soll, werden hier durch die Sprache des Gesetzes widerlegt.
Jetzt sei der Kollege Storch als Abgeordneter angesprochen. Er hat die Abgeordneten aufgefordert, diese Dinge ohne Leidenschaft zu diskutieren. Mein lieber Kollege Storch,
wenn wir nach 1945 in den letzten zehn Jahren' ohne Leidenschaft gekämpft hätten, wo wären wir hingeraten? Ich erinnere Sie nur daran, wie Sie sich im Wirtschaftsrat und wir uns in den verschiedenen Parlamenten mit den Besatzungsmächten auseinandersetzen mußten. Es wäre ja sehr schön, wenn wir heute eine gemeinsame Konzeption vertreten könnten, so daß es nicht einer
leidenschaftlichen Unterstreichung der Gegensätze bedürfte.
Sie haben von der Struktur des Volkes gesprochen und gesagt, zu Bismarcks Zeiten seien 20 % versicherungspflichtig gewesen, heute seien es 80 N. Das hat doch nichts mit der Sozialstruktur zu tun, sondern ist darauf zurückzuführen, daß anläßlich jeder Wahl und aller politischen Auseinandersetzungen Versprechungen gemacht wurden, die Versicherungspflicht immer weiter auszudehnen, die dann gehalten werden mußten. Ich komme zu der umgekehrten Schlußfolgerung: wenn Sie das ganze Volk in eine Versorgung oder Versicherung mit Höchstleistungen mit hohen staatlichen Zuschüssen einbeziehen, werden Sie bei diesem System nicht mehr in der Lage sein, denen ausreichend zu helfen, denen trotz aller Wirtschaftswunder auch in unserer Zeit noch geholfen werden muß.
— Ich bin darin nicht uneinig mit Ihnen; aber eine ausreichende Leistung für die, die es notwendig haben, kann man immer nur dann gewähren, wenn man auch den Mut hat — das werden Sie mir bestätigen —, denen etwas zu versagen, die es nicht notwendig haben.
Der Reichstag hat sich 1927 in der Debatte über das Problem der Kapitaldeckung mit vielen Fragen befaßt, über die wir auch heute wieder sprechen müssen. Wenn Sie aber, Herr Bundesminister für Arbeit, eine Vorlage für den Mittelstand, der jetzt dasselbe haben will, was Sie den anderen geben wollen, nämlich hohe Staatszuschüsse, machen
wollen, dann vergessen Sie nicht, den Mittelstand aufzuklären, damit es ihm nicht geht wie beim Kindergeldgesetz, wo er auch erst die Leistungen haben wollte und nachher sehr erschrocken war, als er den Preis für diese Leistungen kennenlernte.
Für meine Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei ist es unfaßbar, daß das alles geschieht in einer Situation, in der die Not der Gründungsjahre der Sozialversicherung genauso wenig existent ist wie die Not der Nachkriegszeit. Wir sind glücklich und stolz darauf, daß wir in den beiden Bundestagen und schon in der vorangegangenen Zeit gemeinsam mit unseren Koalitionsfreunden die Grundlagen der Wirtschaftspolitik und der Sozialpolitik gelegt und so dazu beigetragen haben, daß die große Massennot beseitigt ist. Wir sind glücklich und stolz darauf, daß wir heute Arbeiter haben, die Eigentümer sind, die Grundstücke besitzen, die nicht nur, wie Frau Finselberger gesagt hat, den Fernsehapparat und das Auto erstreben, nein, die darüber hinaus selber Versicherungsverträge abschließen und erfreulicherweise das gute Gefühl des verantwortungsbewußten Hausvaters und Staatsbürgers haben.
Wir haben aber leider gar keine Möglichkeit gehabt — man hat es nicht gewollt —, uns bei der Reformdebatte klarzumachen, daß man sehr wohl auch die Frage stellen muß — da gebe ich Ihnen recht —: Wenn Versicherungspflichtgrenze für Angestellte, warum nicht auch für Arbeiter? Natürlich gibt es an der Spitze der soziologischen Struktur, an der Spitze des Lebensbaums der Arbeiterschaft Facharbeiter, die weit besser dastehen, die weit gesicherter sind als viele Angestellte an den Wurzeln des gleichen Lebensbaums der Arbeitnehmer.
Aber es ist doch eine sozialpolitische Aufgabe —wenn es überhaupt eine gibt —, sich bei der Reform vorher Gedanken darüber zu machen, wo neue Grenzen zu ziehen sind, und dann mutige Entscheidungen zu treffen, selbst wenn sie unpopulär wären.
Nun komme ich nochmals zu Herrn Preller und seiner Auffassung, in der ich mit ihm einig bin: daß es höchstes Ziel eines Staates sein muß, für die Wohlfahrt seiner Bürger zu sorgen. Aber wir, die Abgeordneten in diesem Parlament, haben auch die Frage nicht nur zu stellen, sondern zu prüfen und zu beantworten, was denn diese Wohlfahrt unsere Bürger kostet. Denn der Staat muß ja die Mittel, die er verteilen will, in der Regel denselben Menschen abnehmen, denen er die Leistungen gibt. Ich will von den indirekten Steuern, die gerade die Konsumenten unter den Arbeitnehmern mit kleinen Einkommen und die kinderreichen Familien besonders treffen, in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen, obwohl dieser Zusammenhang unlösbar ist, denn Steuerreform und Sozialreform kann man nicht getrennt voneinander sehen.
Wenn hier gesagt wird, das Wort „Wohlfahrtsstaat" wird mißbraucht, so will ich in Zukunft, damit ich Ihnen eine Freude mache, Herr Professor Preller, gern vom Versorgungsstaat sprechen.
— Den sozialen Staat bejahen wir mit Ihnen. Wir möchten aber, daß dieser soziale Staat gerecht ist. Gerechtigkeit und sozial sein, das sind zwei Dinge, die wir für unlösbar miteinander verbunden halten.
Wer heute alle Arbeitnehmer in die Sozialversicherung überführt und ihnen Staatszuschüsse geben will, wird morgen wahrscheinlich die dritte Säule, die Beamten, genauso übernehmen müssen. Wer heute nicht den Mut zu einer ehrlichen Absage, die nicht nur optischen Charakter hat, wie die RheinNeckar-Zeitung sehr richtig schrieb, an die totale Versicherungspflicht hat, wer nur deklamiert, er sei nicht für eine totale Versicherungspflicht, und dann bei der nächsten Abstimmung 99 °/o aller Angestellten in die totale Versicherungspflicht einbezieht,
— aber 1913 bei einer ganz anderen Versicherungsgrenze, lieber Herr Schellenberg —
wer sich, wie gesagt, so verhält, der gibt der Sozialversicherung den Charakter der Volksversicherung. Das ist ja Ihr legitimes Ziel, das ich Ihnen noch nicht einmal abspreche.
— Ich spreche ganz klar gegen den Teil der Koalitionsparteien, der diese Auffassung mit Ihnen teilt.
Es ist so oft vor den Konsequenzen eines solchen totalen Versorgungsstaates gewarnt worden. Wer ihn exerziert hat — Herr Schellenberg hat so ein Stückchen davon exerziert —, der weiß, daß ein solcher Versorgungsapparat nicht ohne hohe Kosten aufrechtzuerhalten ist und daß der Versorgungsstaat mit allen seinen Apparaturen nicht
ohne den Zwang in seiner höchsten Perfektion auskommt. Wer das nicht will, der muß die Grenzen erkennen, der muß die Subsidiaritätsprinzipien nicht nur gelegentlich einer Festrede anwenden, sondern muß sie hier anwenden, wo wir uns zu entscheiden haben.
Es stimmt doch etwas nicht in unserem Staat,
— es freut mich sehr, daß Sie jetzt so munter
werden; sie waren den ganzen Morgen so müde! —
wenn bei steigendem Wohlstand und bei steigenden Aufstiegschancen aller Arbeitenden auf Grund des Erfolges der Wirtschaftspolitik, in der wir mit unseren Koalitionsfreunden unverändert einig sind und die wir zielklar fortsetzen wollen, trotzdem die Zahl der Schutz- und Hilfsbedürftigen laufend steigen soll. Das ist doch nicht logisch und ist auch nicht überzeugend zu beweisen.
Es ist auch nicht richtig, die Aufbringung der Staaatszuschüsse und die Forderung nach neuen Staatszuschüssen als soziale Tat zu bezeichnen, wenn man doch weiß, daß es die Ärmsten der Armen sind, die diese Steuern und Staatszuschüsse aufbringen müssen. Messner hat in seinem interessanten Buch über das sozialistische Experiment in England bestechend deutlich nachgewiesen, daß dort der Versorgungsstaat 80 0/0 der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen und großen Familien im Jahre 1948 57 Schilling pro Woche gegeben, ihnen aber 67 Schilling pro Woche an Abgaben und Steuern abgenommen hat.
Und was haben wir getan? Wir haben mit dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz die Leistungen erhöht und haben damals schon den Angestellten und Arbeitern doppelte Beiträge abgenommen für die Zahlung der Renten, für die der Staat aus ganz anderen Gründen verpflichtet gewesen wäre.
Wir werden bei der Frage der Wiedergutmachung und des Kriegsfolgenschlußgesetzes auf dieses Kapitel noch einmal zurückkommen müssen.
Aber, meine Herren und Damen, noch haben Sie eine Chance, hier in der Mehrheit sich alle diese Dinge tief auch in Ihr Gewissen zu schreiben.
Wir wollen gemeinsam, Herr Kollege Arndgen, Eigentum schaffen. Es steht so schön zu lesen: „Eigentum in Arbeiterhand." Wie gern möchte ich das mit Ihnen verwirklichen, nicht nur davon sprechen!
Aber das Zwangssparen in der Versicherung mit immer höheren Beiträgen und immer höheren Steuern — das führt niemals zu Eigentum in Arbeiterhand,
und hohe Beiträge und hohe Steuern verhindern eben den Wohnungsbau, wie wir ihn so mutig begonnen haben, verhindern 'die Eigentumsbildung, verhindern Rücklagen für die Ausbildung von Arbeiterkindern, verhindern alles das, was wir gemeinsam als Gesellschaftsreform anstreben. Und wer die Versicherungspflichtgrenze auch von der anderen Seite her sieht, vom Anreiz zum Sparen und zur Kapitalbildung, der muß doch dafür sorgen, daß gerade die Bezieher höherer Einkommen auch in der Lage sind, einem solchen Anreiz Folge zu leisten. Wer soll denn noch Kapital bilden? Doch nicht der, der über die Hälfte dessen, was er verdient, für Sozialversicherungsbeiträge und Steuern abgibt und sich dann mühevoll mit dem Rest durchschlägt und eines Tages zu der Überlegung kommt, ob es sich überhaupt noch lohnt zu arbeiten, oder ob nicht der viel klüger ist, der sich zunächst einmal dem Studium aller Möglichkeiten hingibt, aus dem Pott der Steuer- und Beitragszahler so viel wie möglich herauszuholen.
Und auch 'das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, wem man es wegnimmt und wem man die Last auferlegt, die wir uns vor diesen Beschlüssen viel gründlicher hätten überlegen müssen.
Ich wiederhole, was wir in der zweiten Lesung gesagt haben, das gilt für die Versicherungspflicht-grenze, das gilt nachher für die Rentenformel, das gilt für alle Fragen von grundsätzlicher Bedeutung: da gibt es keine schlechten Kompromisse, da gibt es keine Mitteltöne, da gibt es nur Schwarz oder Weiß, ja oder nein,
auch wenn das in namentlicher Abstimmung in die Geschichte eingeht.
Und nun noch ein Wort zu den Verpflichtungen des Staates gegenüber den Sozialversicherten. Für die zu erstattenden Ersatzzeiten, die wir in zweiter Lesung wieder neu beschlossen haben, hat der Staat der Sozialversicherung die für die Soldaten und Kriegsgefangenen zu erstattenden Ersatzzeiten der Vergangenheit noch nicht einmal wiedergegeben. Der Staat schuldet der Sozialversicherung Riesensummen, und er trägt Schuld daran, wenn die einzelnen Versicherten und wenn die Staatsbürger glauben, die Rentenmark sei mehr wert als die Sparmark, die er auf die Sparkasse oder zu einer Individualversicherung trägt. Denn der einzelne Versicherte glaubt, daß der Staat ihm die Sozialversicherungsrente 1 zu 1 umgestellt habe. Er weiß nicht, daß er selber das alles so schwer und bitter hat bezahlen müssen, ja daß die Beiträge nicht in dem Maße hätten erhöht werden müssen, wenn zum mindesten die Zinsen für die Verpflichtungen des Staates gezahlt worden wären. Die Verluste der Sozialversicherung durch die beiden Währungsneuordnungen sind mit 20 Milliarden angegeben. Das wären, um in der Sprache des Arbeitsministers und seiner Freunde zu sprechen, in heutiger Kaufkraftwährung 40 Milliarden DM. Eine Verzinsung dieses Vermögens brächte der Sozialversicherung, wenn ich 6 oder 7 % ansetze, allein 3 Milliarden DM Zinsen. Meine Herren und Damen, welche zusätzlichen Leistungen hätten wir davon für diejenigen geben können, die als alte Menschen einen Anspruch auf schnelle Hilfe haben!
Gestatten Sie mir nun, Herr Präsident, daß ich einmal aus dem Gutachten zitiere, das die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung vor den Beratungen zur Reform der Rentenversicherung hinsichtlich der Höhe der Beiträge und Leistungen und des Verhältnisses zwischen Beiträgen und Leistungen uns übergeben hat. Sie
hat damals darauf hingewiesen, wie wichtig die Vorschriften in unserer Rentenversicherung waren, daß die Beiträge immer so hoch angesetzt werden müssen, daß die Leistungen gedeckt sind, und sie hat erklärt: Wenn aber, was doch wohl das Gerechteste sein dürfte, jede Generation ihre eigene Last tragen soll, so verlangt das eben den Durchschnittsbeitrag, der zur Zeit wirklich notwendig ist. Soweit aber jene Ideologien, die heute und in den letzten Tagen immer wieder angeklungen sind, eine Berechtigung haben sollten, daß unsere Kinder und Enkelkinder diese Lasten zu tragen haben, so sagen meine Freunde von der Fraktion der Deutschen Partei in diesem Fall in Übereinstimmung mit den großen Sachkennern auch in der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung, daß das doch nur hinsichtlich der alten Last der Rentenversicherten gelten kann. Die Zuschüsse des Bundes brauchen ja nicht sofort gezahlt zu werden. Sie hätten gestundet werden können, und es wäre von wesentlicher Bedeutung, wenn wir wüßten, daß wir diese Zinsen oder Vermögenswerte, Hypotheken und Pfandbriefe, die die Bundesregierung als Eigentum hat, zur Abfindung dieser Verpflichtungen den Rentenversicherungsträgern geben könnten, damit wir den Beitragssatz unter Umständen nicht so radikal erhöhen müssen, wie wir das bei der jetzigen Konstruktion in Zukunft zweifellos werden tun müssen.
Aber auch der Vorschlag der Fraktion der Deutschen Partei über diese sogenannte alte Last hat selbst in höchsten Kreisen der Regierung zu Mißverständnissen geführt. Man hat da von Bedürftigkeitsprinzipien der Rentenversicherung gefaselt. Niemand hat jemals daran gedacht. Wir haben nur daran gedacht, daß der Staat, der in zwei Inflationen und in zwei Kriegen Vermögenswerte verbraucht hat, nicht durch den Mund seines Ministers sagen kann: Jede Mark ist Eigentum, und dieses Eigentum wollen wir bewahren, indem wir die Rentenmark nicht anders behandeln als die neue D-Mark und Sparmark. Das allein ist unser Anliegen gewesen: die große alte Belastung abzuschreiben durch die Verpflichtung des Staates und mit der Reform der Rentenversicherung neu zu beginnen. Ohne diese Sanierung, ohne die Herstellung einwandfreier Rechnungsgrundlagen, Bilanzen und Vermögensgrundlagen werden wir niemals zu einer ehrlichen Deckung des Defizits auch bei der versicherungstechnischen Bilanz kommen.
Darum hat die Fraktion der Deutschen Partei in der zweiten Lesung den Antrag gestellt — sie wiederholt ihn heute —, daß die Versicherungsträger statistisches Material für die künftige Rechnungslegung zur Verfügung stellen müssen, damit wir endlich nicht nur wissen, was unsere Beschlüsse kosten, sondern damit wir auch Bilanzen aufstellen können, die nicht über den Daumen gepeilt, die nicht geschätzt werden, für die wir zuverlässiges Material haben. Mit einer Zahlung von Abfindungsbeiträgen seitens des Bundes für die Vermögensverluste, die durchaus mit der Bundesregierung auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation und auf die finanziellen Auswirkungen hätten abgestimmt werden können, wäre es möglichgewesen, die Inflationsschäden der Rentenversicherung zu sanieren, und mit einer Übertragung von Teilen des Bundesvermögens ist es heute noch, spätestens aber im Kriegsfolgenschlußgesetz möglich, diese Dinge in Ordnung zu bringen. Hier steckt die Hauptursache für den großen Sog, der auch die Selbständigen in unserem Volk auf den Gedanken kommen läßt: Es ist doch besser, in die Sozialversicherung der Arbeitnehmer zu gehen und dort am großen Pott ,des Risikoausgleichs teilzuhaben. Hierin steckt der mangelnde Glaube an den Staat, das mangelnde Vertrauen an den Wert der Sparmark und die Unwirksamkeit der Gedanken des Risikos und der Solidarhaftung, von denen doch jeder weiß, daß sie überhaupt nur lebendig bleiben können, wenn überschaubare Gemeinschaften da sind. Jeder weiß, daß man bei der Versorgung des ganzen Volkes nicht mehr von einem solchen Gefühl des Risikoausgleichs ausgehen kann. Um so mehr ist der Gesetzgeber verpflichtet, diejenigen, die durch Zwang einbezogen werden, vor dem Schaden zu bewahren, den andere, die auch den Vorteil dieser Versicherung genießen wollen, dort anrichten könnten. Aber auch in dieser Frage — ich bedaure das — haben wir uns nicht durchgesetzt.
Der Abgeordnete Stingl hat in der zweiten Lesung von Maß und Mitte gesprochen. Über „Maß" und „Mitte" ließen sich viele sozialpolitische und noch mehr sozialethische Betrachtungen anstellen. Aber der Ausgleich, den Sie als Konsequenz von Maß und Mitte fordern sollten, wird nicht schwer sein, wenn Sie nämlich ein Höchstmaß an Pflichtversicherung in ein Verhältnis setzen zu einem Minimum an Zwang. Die Verpflichtung, Maß und Mitte zu finden, sollten Sie dort in Paragraphen Wirklichkeit werden lassen.
Die Regierung hat — ich sagte das schon in der zweiten Lesung — keine Begründung für die Ausweitung der Versicherungspflicht gegeben. Aber schon bei der Debatte über die Arbeitslosenversicherung war die These erkennbar, daß die Beiträge der bisher noch nicht Versicherungspflichtigen gebraucht werden. Meine Herren und Damen, keine These ist so falsch wie diese; denn wer Menschen in den Versicherungszwang einbezieht und nur an die Beiträge denkt, die sie bringen werden, dabei aber vergißt, was sie an Leistungen beanspruchen werden und welch ein besonderes Risiko sie in dieser Gemeinschaft bedeuten, der befindet sich wahrscheinlich mit seinem Rechenstift auf einem falschen Wege.
Es ist hier festgestellt worden — ich will das heute nicht noch einmal vertiefen —, daß der Mangel an statistischem Material — das Problem der Tabellen, das Herr Schellenberg und ich in der zweiten Lesung sehr gründlich dargelegt haben — für uns eine außerordentliche Gewissensbelastung bei unseren Entscheidungen gewesen ist und noch sein wird. Wir glauben, es ist fast nicht zu tragen, daß wir heute Entscheidungen fällen sollen, ohne daß wir den Versicherten sagen können, welche Beiträge und Steuern sie dann morgen bezahlen müssen; denn wir wissen doch alle, daß der Sozialversicherungsbeitrag und die Lohnsteuer wie die Einkommensteuer ihre natürliche Grenze haben. Die von der arbeitenden Bevölkerung aufgebrachten Beiträge zur Finanzierung der sozialen Leistungen müssen aber immer im Zusammenhang mit der Sparfähigkeit und der Spartätigkeit gesehen werden. Es ist wirklich nicht ehrlich, vom Willen zur Vorsorge und vom Wunsch zum Eigenturn zu sprechen, wenn man die Möglichkeit dazu einfach verbaut.
Aber die Ausweitung der Versicherungspflicht bedeutet auch höhere Staatszuschüsse. Denn darüber sind Sie sich doch klar, meine Herren und Damen: den Staatszuschuß, den wir heute beschließen, und den Staatszuschuß, der morgen und vor allem künftig bei den Wahlen und immer bei allen sozialpolitischen Auseinandersetzungen in steigender Höhe gefordert werden wird, müssen dann auch die leitenden Angestellten bekommen, den wollen dann auch die Bauern und Handwerker und die freien Berufe haben.
Mit welchem Recht will der Staat seine Bürger, denen er Steuern abnimmt, unterschiedlich behandeln?
— Das ist nicht Täuschung, das ist eine nüchterne Betrachtung der Gleichheitsgrundsätze, die Sie perfektionieren wollen.
Herr Professor Schellenberg hat heute morgen gesagt, daß der Gedanke der Lohnindexrente nicht mehr aus der Diskussion herauskommen und daß damit der § 1260 dieses Gesetzes der Schlüssel zu allen Auseinandersetzungen von morgen sein werde. Auch darin bin ich mit der Opposition einig, wenn auch von einem anderen Gesichtspunkt her.
In der ersten und zweiten Lesung habe ich mich sehr gründlich mit Ihnen auseinandergesetzt. Sie, meine Freunde aus der CDU/CSU, haben mir vorgeworfen, ich hätte nicht recht damit, daß in der Grundkonzeption dieses Gesetzes SPD und CDU-Mehrheit übereinstimmten. Herr Schellenberg hat heute etwas zugegeben, was jedem Kenner der Materie, aber auch jedem Kenner der großen Leitbilder der Sozialpolitik bekannt ist: daß es sozialdemokratische Konzeptionen sind, denen Sie hier gefolgt sind, allerdings nicht in der Konsequenz, mit der die Sozialdemokraten sie zu Ende führen.
Wir warnen vor diesen sozialdemokratischen Konzeptionen. Wir sind der Meinung, auch da gilt: ganz rot oder nein, aber um Gottes Willen nicht ein bißchen verwaschen, denn das ist schlecht, das führt irgendwann zu einer Schaukelpolitik, die nicht gut ist.
Die Zukunft wird lehren und zeigen, ob die Gefahren, die ich in der ersten Lesung hinsichtlich der Einführung von Gleitklauseln, verkappten, versteckten und verschleierten Indexformeln aufgezeigt habe, ob die Gefahren, die ich in der zweiten Lesung an dem Beispiel der anderen europäischen Länder aufgezeigt habe, ob die Probleme der Finanzierung, die Höhe der Beiträge und der Staatszuschüsse uns nicht zu Überprüfungen dieser Konzeption zwingen werden, zu der wir leider — ich kann nur immer wieder sagen: leider — in der Koalition eine einheitliche Meinung nicht finden konnten. Daß das Zurückschrecken vor der Dynamik des § 1260 auch Sie bewegt hat, das hat der Kollege Stingl bewiesen, als er beim § 1276 von den Bremsen und dem neuen Verfahren der Formel — des Inflationsmotors, wie er sagte — sprach. Ich möchte heute nicht noch einmal eine Debatte über drohende Inflation oder die Beschleunigung solcher drohenden Inflation auslösen. Ich habe die Meinung der Fraktion der Deutschen Partei dazu in der ersten wie in der zweiten Lesung deutlich und klar zu erkennen gegeben. Wir fürchten, diese Beschlüsse werden dazu führen, daß nicht, wie der Arbeitsminister annimmt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Lohndisziplin ermutigt werden, sondern daß die expansive Lohnpolitik die Gefahr des Verlustes der Autonomie der Arbeitgeber und Arbeitnehmer heraufbeschwört. Das würden wir außerordentlich bedauern.
Niemand hat uns in den Debatten der zweiten Lesung gesagt, was denn nun geschehen wird, wenn in der Krise die Löhne sinken oder sich nicht mehr aufwärtsentwickeln. Sollen dann die Renten auch gesenkt werden? Der Arbeitsminister hat zu dieser so eminent bedeutsamen Frage der neuen Konzeption seines Gesetzes nicht Stellung genommen.
In einem Aufsatz in der Deutschen Zeitung und Wirtschafts Zeitung ist die neue Rentenformel vor vielen Monaten — mir scheint, sehr richtig — als versicherungsrechtliche Ergänzung der Lohn-PreisSpirale bezeichnet worden. Sie beruht eben auf der Annahme, daß diese Spirale funktioniert oder funktionierend gemacht werden kann. Der Verfasser dieser Aussage in der Deutschen Zeitung und Wirtschafts Zeitung schrieb damals — ich bitte, es zitieren zu dürfen —:
Die Formel bedeutet einen Stachel zur Lohninflation und eine Strafe für den Verzicht auf die Lohninflation.
Auch hier wird die Zukunft erweisen, ob unsere Bedenken berechtigt waren und ob Ihr mutiges, revolutionäres Voranschreiten nicht Gefahren ausgelöst hat, so daß Sie noch Ihre Mühe, Ihre Sorgen und Ihre Not haben werden.
Wir wollen gemeinsam Preise und Kaufkraft stabil erhalten. Wir wollen gemeinsam die Währung festigen. Aber man kann diese Ziele nicht verkünden und zu gleicher Zeit Beschlüsse fassen, die das Erreichen dieser Ziele gefährden.