Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben.
In den ernsten Stunden, durch die die Welt in den letzten Tagen geschritten ist und die das deutsche Volk zutiefst erschüttert haben, sind — das glaubt die Fraktion der Deutschen Partei an den Anfang ihrer Erklärung stellen zu müssen — viele Illusionen der letzten Jahre zerstoben. Einer leidgeprüften Welt ist wiederum mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt worden, daß das Ziel aller Gutwilligen und Friedfertigen, die Probleme dieser Zeit allein nach den Maßstäben von Recht und Gerechtigkeit zu regeln, noch in weiter Ferne liegt. Sowohl die Ereignisse in Ungarn als im Nahen Osten haben dem deutschen Volk, das so sehr bereit ist, aus den bitteren Erfahrungen seiner Geschichte zu lernen, gezeigt, daß in entscheidenden Augenblicken in unserer Umwelt der Appell an die Waffen noch immer höher geschätzt wird als der unbedingte Wille zum friedlichen Ausgleich.
Die Bundestagsfraktion der Deutschen Partei ist der Meinung, daß deutsche Politiker ein Recht haben, diese Gedanken an den Anfang von Ausführungen zur augenblicklichen weltpolitischen Lage zu stellen. Wir tun dies allerdings nicht in einem Gefühl auswegloser Resignation. Wir glauben, daß die furchtbaren Vernichtungsmittel, mit denen heute der Frieden in der Welt aufrechterhalten wird, jeden verantwortungsbewußten Politiker zwingen, nicht abzulassen in dem Bemühen, die Gewaltanwendung als Mittel der Politik auszuschalten. Trotz aller Fehlschläge dürfen wir nicht müde werden, am Aufbau einer Herrschaft des Rechtes und der Gerechtigkeit in einer friedlichen Welt mitzuwirken.
Wenn es noch eines Anstoßes bedurft hätte, diese Aufgabe bitterernst zu nehmen, dann sind es die Angst und das Grauen, die in den vergangenen Tagen und Wochen schon wieder Millionen von Menschen der ganzen Welt ergriffen angesichts der Pläne von Politikern, die kaltrechnend die Sprache der Waffen in ihr politisches Kalkül einbezogen haben.
Die Bundestagsfraktion der Deutschen Partei bleibt der Auffassung, daß der Appell an Gefühle allein nicht ausreicht, um Situationen wie die jetzige zu meistern. Es gehört dazu die klare Einsicht in Ursache, Wirkungen und Zusammenhänge. In diesem Sinne begrüßt die Deutsche Partei die Feststellung der Bundesregierung, wonach eine isolierte Betrachtung der Unruhezentren der vergangenen Wochen nicht möglich ist. Auch wir sind der Meinung, daß die Grundsätze — und das scheint uns eine für das deutsche Volk besonders wichtige Erkenntnis zu sein —, die am Ende des zweiten Weltkrieges verkündigt wurden, nicht verwirklicht worden sind.
Noch ist nicht abzusehen, welche Folgen die Politik der Gewalt in Südosteuropa und im Nahen Osten für das Zusammenleben der Völker untereinander haben und welche politischen Verschiebungen sich vielleicht aus diesen Vorgängen ergeben werden. Eines aber ist sicher: Bekennt sich nicht die ganze Welt heute uneingeschränkt zum Gedanken der friedlichen Beilegung aller Zwistigkeiten und zum Gedanken der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts für jedes Volk auf seinem eigenen Heimatboden, dann steht vor der ganzen Menschheit das Ende in einem fürchterlichen Chaos.
Deshalb bekräftigt die Deutsche Partei an dieser Stelle nochmals ihre Auffassung, daß Gewaltanwendung in der heutigen Zeit unter keinen Umständen mehr ein Mittel zur Austragung politischer Gegensätze sein darf,
und dieser Grundsatz hat uneingeschränkt für alle Völker und Nationen dieser Erde zu gelten, gleichgültig, zu welcher Staatsauffassung und Lebensform sie sich bekennen.
Daraus ergibt sich: Eine dauerhafte und friedliche Ordnung in der Welt ist nur gewährleistet, wenn erstens das Recht jedes Volkes auf seine eigene Existenz uneingeschränkt anerkannt und geachtet wird, zweitens Einmischungen in die inneren Verhältnisse eines Staates als ein Verbrechen gegen die internationale Gemeinschaft gewertet und geahndet werden, drittens auf jede Gewaltanwendung bei internationalen Streitigkeiten verzichtet und deren Regelung durch ein internationales Gericht oder durch eine mit den entsprechenden Vollmachten ausgestattete politische Weltorganisation sichergestellt wird.
Von diesen Grundsätzen hat sich die Deutsche Partei leiten lassen, als sie zu Anfang dieser Woche feststellte, daß England und Frankreich mit ihrem Eingreifen in Ägypten gegenüber dem bolschewistischen Osten einen moralischen Trumpf aus den Händen gegeben haben. Dadurch ist offensichtlich zwischen den Vorgängen im Nahen Osten und der blutigen Unterdrückung des ungarischen Freiheitskampfes ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt worden, der das deutsche Volk in allen seinen Schichten tief erschüttert hat. Es ist unser Recht, in dieser Stunde festzustellen, daß die Panzer, die nach dem verzweifelten Notruf eines ungarischen Freiheitssenders über die Herzen des ungarischen Volkes rollen, auch über die Herzen des um seine Wiedervereinigung ringenden deutschen Volkes rollen. Niemand in der Welt als wir Deutsche kann besser verstehen, von welchen Gefühlen das ungarische Volk in diesen Tagen bewegt wird. Wir alle sind schmerzlich davon betroffen, daß in dieser Stunde die freiheitliche westliche Welt nicht in der Lage war, mit größerem moralischem und politischem Gewicht sich hinter den ungarischen Freiheitskampf zu stellen.
Die Bundestagsfraktion der Deutschen Partei erklärt in diesem Zusammenhang, daß die ungeteilte Zustimmung zum Freiheitswillen des ungarischen Volkes eine ebenso klare Zustimmung zum Willen nach Freiheit und Selbstbestimmung aller jungen Völker in der Welt bedeutet.
Dabei schließt das deutsche Volk die berechtigten Forderungen der mit Deutschland in jahrzehntelanger Freundschaft verbundenen arabischen Welt als selbstverständlich ein.
Wir begrüßen es von dieser Stelle aus nachdrücklich, daß in diesen Auffassungen die große amerikanische Nation und das deutsche Volk eines Sinnes sind. Wir halten es für unsere Pflicht, gerade in diesem Augenblick daran zu erinnern, welchen Dank Europa und vor allem Deutschland den Vereinigten Staaten und seinem wiedergewählten Präsidenten schuldet.
Es ist unsere Hoffnung, daß Amerika kraft seiner moralischen Stärke und als Weltmacht entscheidenden Einfluß auf die friedliche Gestaltung dieser Welt und auf die Bewahrung von freiheitlichen Grundsätzen nehmen und uns in der für uns brennendsten Frage der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes auch weiterhin beistehen wird. Das deutsche Volk gedenkt in diesem Augenblick auch dankbar der Bemühungen der Schweizerischen Bundesregierung, die ihrerseits einen wichtigen moralischen Beitrag zur Bewahrung des Friedens geleistet hat.
In diesem Sinne bejaht die Bundestagsfraktion der Deutschen Partei auch die in der Öffentlichkeit weithin mißverstandene Reise des Herrn Bundeskanzlers nach Paris.
Sie sieht darin den Versuch des verantwortlichen deutschen Staatsmannes, auch seinerseits einen wesentlichen Beitrag zur politischen Entspannung und damit zur Wiederherstellung und Erhaltung des Friedens zu leisten.
Die Deutsche Partei hat seit Beginn ihrer Tätigkeit uneingeschränkt den Gedanken einer europäischen Einigung und einer unverbrüchlichen Zusammenarbeit der westlichen Welt bejaht. Sie steht nach wie vor zu diesen Grundsätzen als einer unabdingbaren Voraussetzung für die Bewahrung von Freiheit und Selbständigkeit der europäischen Völker. Dieses Bekenntnis bedeutet aber für das deutsche Volk kein Eintreten für überholte politische Konzeptionen,
die das Lebensrecht anderer Völker beeinträchtigen. Es ist unsere Pflicht - und so sehen wir auch die Reise des Herrn Bundeskanzlers nach Paris -, unseren europäischen Freunden in gefährlichen Stunden den Rat unseres schwergeprüften Volkes nicht vorzuenthalten.
Ich habe zu Anfang von den Illusionen gesprochen, die in den letzten Tagen und Wochen in der Welt zusammengebrochen sind. Jedem Einsichtigen hat die grausame Wirklichkeit klargemacht, daß in dieser Welt, auch wenn wir es noch so sehr beklagen, der Wille zur Freiheit und zur Selbstbehauptung nicht auf die Möglichkeiten zum eigenen Schutz verzichten darf.
Das deutsche Volk aber verdient Dank für seine besonnene Haltung, die es in diesen kritischen Tagen bewiesen hat. Seine Sehnsucht sind Frieden und Recht auf Erden. Sie zu schaffen, sind wir alle berufen.