Meine Damen und Herren! Sie haben den Bericht des Abgeordneten Dr. Graf zu dem Jugendforschungsinstitut, dessen Errichtung wir beantragt hatten, gehört. Dieser Bericht ist das Ergebnis einer Arbeit im Ausschuß von über zwei Jahren seit der ersten Lesung des SPD-Antrags. Der Antrag hat im Ausschuß zu einer langwierigen Debatte geführt, die Herr Dr. Graf chronologisch wiedergegeben hat. Ich will keine Einzelheiten aus dieser Debatte wiederholen. Das vorliegende sehr dürftige Ergebnis in Form einer Empfehlung, ein Studienbüro zu errichten, ist nicht so, wie wir uns es vorgestellt haben.
In dem Mündlichen Bericht wird ein Studienbüro befürwortet, das seinem Umfang nach nicht das zu leisten vermag, was an Anforderungen an eine wissenschaftlich leistungsfähige Einrichtung zu stellen ist. Das Studienbüro tut nicht viel anderes als das, was das bisherige Jugendarchiv in München in Form von gewissen Veröffentlichungen, die dort schon sporadisch erschienen sind, und gewissen archivalischen Zusammenstellungen von Arbeiten auf dem Jugendgebiet auch bisher geleistet hat. Ich will hier keine neuen Argumente aufzählen und auch nicht die Gründe wiederholen, die uns zur Stellung unseres Antrags bewogen haben. Sie hat mein Kollege Wienand bei der ersten Lesung eingehend dargestellt.
Ich muß hier aber konstatieren, daß in letzter Zeit durch weitgehende Diskussionen und Feststellungen allen Kreisen und Schichten unseres Volkes klargeworden ist, in welcher Lage Wissenschaft und Forschung sich in der Bundesrepublik befinden. Das gilt nicht nur für die Naturwissenschaft und für die technische Forschung, sondern ebenso auch für den Raum der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Für den Bereich, den wir
hier zu besprechen haben, gilt das in einem erhöhten Maße, weil die praktischen Aufgaben, die hier an uns herantreten, es dringend erfordern, unsere Kenntnisse und Erkenntnisse über die Probleme unserer halbwüchsigen Jugend, ihre Lebensumstände, ihre Verhaltensweisen und ihre Erwartungen in der heutigen Zeit, an die heutige Gesellschaft, zu vergrößern.
Man hätte unter diesen Umständen erwarten können, daß die Regierung und die Regierungsparteien bei der Auseinandersetzung um diesen Antrag demonstriert hätten, daß es ihnen ernst um die Verbesserung der wissenschaftlichen Arbeit in der Bundesrepublik ist. Denn heute, glaube ich, sehen auch diejenigen die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Aufhellung der Jugendprobleme ein, die nicht unmittelbar in der Jugendarbeit stehen oder sich mit jugendpolitischen Aufgaben auseinandersetzen müssen. Die Fragen, die z. B. aus der Reaktion der Jugend auf die Wehrpflicht entstanden sind, sind an alle herangekommen. Die Probleme werden sichtbar aber auch in den Äußerungsformen von Teilen unserer Halbwüchsigen, durch die scheinbar größere Kriminalität und die Gewaltverbrechen, über die in den Zeitungen zu lesen war, und an vielen anderen Dingen, nach deren Hintergründen und Ursachen wir uns zu fragen haben.
Ich glaube, daß die ernsthaften Leute in unserem Volk sich nicht mit einer Beantwortung zufriedengeben werden, wie sie durch zweifellos in vielfacher Hinsicht interessante Feststellungen von Meinungsforschungsinstituten und ähnlichen Einrichtungen erfolgte. Wir alle erwarten ein wirklich gutes, wissenschaftlich und objektiv erarbeitetes Bild von Erkenntnissen, die uns sachliche und objektive Hinweise geben, wirklich durchgreifende Hilfen einzuleiten.
Das von uns laut Antrag Drucksache 883 vorgeschlagene Institut sollte eben diese Aufgabe übernehmen. Es sollte nach unseren Vorstellungen von Wissenschaftlern geleitet werden, die z. B. als Soziologen oder auch als Pädagogen bereits einen Ruf haben, vielleicht zunächst eine kleine Zahl — darauf kam es uns nicht so sehr an — erstklassiger Mitarbeiter mitbringen und mit Hilfe dieser Mitarbeiter und auf Grund ihrer eigenen Leistungsfähgkeit in der Lage sind, die Tür zur Zusammenarbeit z. B. mit Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen zu öffnen, um die Auswertung bereits geleisteter Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet zu ermöglichen, neue Forschungen anzuregen und selbst Forschungen einzuleiten, wenn es notwendig wird. Diese letzte Einschränkung ist ganz klar, weil wir alle nicht wollen, daß unnötige Doppelarbeit geleistet wird.
Ich möchte Sie auf unseren Antrag hinweisen, weil er sehr detaillierte Vorstellungen von den Aufgaben eines solchen Instituts enthält. Hierin haben wir auch formuliert, wie wir uns die darüber hinausgehende Wirksamkeit des Instituts vorstellen.
Unter diesem Aspekt, meine Damen und Herren, frage ich Sie, ob Sie annehmen können, daß diese Aufgaben des Instituts erfüllt werden können, wenn nicht wirklich wissenschaftlich frei und völlig unabhängig gearbeitet werden kann. Aber nur durch eine wirkliche Qualifikation wird auch eine Autorität bei anderen Wissenschaftlern, bei den Praktikern der Jugendarbeit und natürlich auch
bei den Politikern erreicht, die sich der Ergebnisse dieser Einrichtung j a bedienen sollen und es auch wollen.
Nachdem wir bei den langen Debatten im Ausschuß während des ersten halben Jahres — wie Herr Abgeordneter Dr. Graf auch berichtet hat — diese Vorstellung mit dem gesamten Ausschuß und auch mit dem Ministerium teilten, trat — das muß ich ausdrücklich sagen -- plötzlich ein Wandel ein,
ein Wandel der Auffassung des Ministeriums, der ganz offenbar von bestimmten Kreisen außerhalb des Parlaments verursacht worden war. Noch am 21. Januar 1955 stimmte das Ministerium in einem Brief an den Ausschußvorsitzenden voll der Vorstellung zu, wie wir sie von diesem Institut hatten, und wir hatten sogar schon die Formen und die Dotierung eines solchen Instituts sehr präzise niedergelegt.
Nachdem aber die Regierung diesen Wechsel in ihrer Auffassung deutlich machte, nahm natürlich auch die CDU/CSU-Fraktion prompt einen Wechsel in ihrer bisherigen Haltung vor.
Die Folgen waren dann die langwierigen, zögernden Debatten im Ausschuß, die nicht von der Stelle kamen, weil man sich in der CDU-Fraktion noch lange nicht klar war und weil man natürlich auf Grund der völlig anderen Aspekte auch noch versuchte, bei uns Verständnis nach der einen oder anderen Richtung zu erwecken.
An dem Verlauf der Diskussionen ist jedenfalls entscheidend, daß man alles unternahm, um dieses Institut fürderhin so klein und so aktionsunfähig zu halten, wie es nach Lage der Dinge dann überhaupt noch möglich war. Das Institut soll aus unergründlichen Erwägungen z. B. keine eigenen Forschungsarbeiten mehr leisten und hinsichtlich der Qualität, der wissenschaftlichen Befähigung der Mitarbeiter so eingeengt werden, daß vorauszusehen ist, daß die Leistungsfähigkeit des Instituts gering sein und kaum Beachtung finden wird, vor allem in Anbetracht der vielen anderen bestehenden Institute, die sich bereits mit Teil- und Spezialaufgaben auf diesem Gebiet befaßt haben, ohne daß die großen Erkenntnislücken, die bestehen, geschlossen werden konnten, die Lücken, unter denen wir alle leiden, auch wir, die wir hier sitzen, die mit der Jugend und für die Jugend arbeiten und letzten Endes die Verantwortung für ihr Hineinwachsen in Gesellschaft und Staat tragen.
Die Begründung z. B., daß eigene Forschungsaufgaben durch eine solche wissenschaftliche unabhängige Einrichtung nicht wahrgenommen zu werden brauchten, weil es so viele Stellen gebe, die solche Arbeiten durchführten oder schon durchgeführt hätten, steht in einem ganz krassen Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundesministers, die er uns noch in dem Brief vom 21. Januar schwarz auf weiß niedergelegt hat. Er hat folgende Lücken in den Forschungsaufgaben angeführt und betont, daß diese nur durch eigene Forschung eines neu zu gründenden Instituts geschlossen werden könnten,
z. B. die „Geistige Situation der Jugend", die „Staatspolitische Erziehung" usw. Herr Dr. Graf hat es bereits wiedergegeben. Ich will Sie nicht unnötig mit der Aufzählung aufhalten. Wir würden noch hinzufügen können: Fragen der Berufsausbildung, die völlig ungeklärt sind, Fragen der Jugend in der Sozialreform, Fragen der Jugendkriminalität, die uns alle sehr angehen, das Wehrproblem und viele andere Dinge.
Nun frage ich Sie: wie sollen diese großen Probleme wirklich geklärt, sachgemäß geklärt werden, wenn man die Ziffern 2 a bis c des Mündlichen Berichts akzeptiert, die als Richtlinie und Maß für das Jugendinstitut gelten sollen? Selbst die Zusammenfassung, selbst die Koordinierung nach übergeordneten Gesichtspunkten gesammelten wissenschaftlichen Materials ist doch mehr als nur eine archivähnliche Arbeit, sondern erfordert wissenschaftliche Qualifikation. Meine Freunde und ich sind der Meinung: dadurch, daß man im Verlauf der Auseinandersetzung dieses Institut von einer echten wissenschaftlichen Aufgabe her zu einer archivähnlichen Einrichtung umgestaltet hat, wird Wissenschaftlern von Qualität überhaupt kein Anreiz zur Übernahme einer solchen Position mehr gegeben. Oder glauben Sie etwa, daß ein Professor aus Göttingen, aus Hamburg oder auch aus Frankfurt eine solche Aufgabe übernehmen würde?
Auch der Beirat des jetzigen Münchner Jugendarchivs, das die Grundlage für diese Neueinrichtung sein soll, ist für das Archiv geschaffen und nicht für ein wissenschaftliches Forschungsinstitut. Er hatte eine begrenzte Aufgabe, und auch durch eine gewisse zahlenmäßige Ergänzung wird dieser Beirat wahrscheinlich weder seine wissenschaftliche Aufgabe bewältigen können, noch garantiert er für die überparteiliche und überkonfessionelle Arbeit eines solchen Instituts. Diese Forderung, die allseits erhoben wurde, ist aber überhaupt die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Arbeitsergebnisse einer solchen Einrichtung.
Nach unserem Antrag — das will ich hier einmal ganz klar gegenüberstellen — sollte das bestehende Jugendarchiv dem Forschungsinstitut angegliedert werden, und zwar als Hilfsorgan. Nach dem Ausschußbeschluß, wie er Ihnen im Mündlichen Bericht vorliegt, soll dagegen die wissenschaftliche Einrichtung an das bestehende kleine Archiv in München angehängt werden. Für eine solche Verzerrung unserer Vorstellungen wollen wir, die sozialdemokratische Fraktion, die Verantwortung nicht tragen.
Ich habe in den letzten Tagen sehr viele Zeitschriften lesen müssen und habe in nur zwei Referaten aus einer Tagung des Hauptausschusses, der Ihnen allen bekannt ist und dessen Beachtung hier eindeutig ist, mindestens achtmal gelesen, wie notwendig wirkliche Forschungsarbeit, nachhaltige Forschungsarbeit ist. Die Redner, Universitätsprofessoren und Sachverständige der Vereinigungen, haben sich abgelöst in den Feststellungen, daß hier nur „mangelhafte Forschungsergebnisse vorliegen", dort „Felduntersuchungen" gebraucht werden, daß es da an der „notwendigen Kooperation" fehlt usw., „die Bundesregierung muß unbedingt mehr Geld für solche Dinge geben". Der Deutsche Städtetag, dessen Rundschreiben Sie vor sich liegen haben, wiederholt das und bittet Sie alle, sich noch einmal zu überlegen, ob dieses kleine Institut, wie es der Ausschuß beschlossen hat, leistungsfähig ist und den Ansprüchen genügt. Auch der deutsche Bundes-
jugendring ist immer wieder im Ausschuß und bei den Gremien, in denen er Gesprächspartner ist, vorstellig geworden mit dem Wunsch, zur Erleichterung der Jugendarbeit einen wirklich großzügigen Beschluß zu fassen. Wenn ich sage „großzügig", werden Sie vielleicht meinen, daß es eine Million oder noch mehr kostet. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Jetzt rechnet man nach dem Ausschußbeschluß mit einer Kostenhöhe von etwa 80 000 DM für ein solches Institut. Vorher hatte man 250 000, höchstens 300 000 DM angesetzt. Keiner von Ihnen wird sagen, daß man den Aufbau eines qualitativ leistungsfähigen Instituts an der Kostenfrage scheitern lassen sollte, da diese doch so gering sind.
Unerfindliche Überlegungen der Regierungsparteien walten bei diesem ganzen Problem. Gestern haben wir eine gemeinsame Sitzung des Jugendausschusses mit leitenden Männern und Frauen der Jugendarbeit gehabt, auf der eindeutig und mit allem Nachdruck die wissenschaftliche Forschung für die Lösung der kommenden Aufgaben der außerschulischen Jugendarbeit gefordert wurde. Sie sei das A und O der richtigen Bewältigung der Probleme, die anstehen und die noch auf uns zukommen; Herr Bundesminister Schröder hat sie ja schon in etwa skizziert.
Wir wissen also gar nicht, was die Ursache sein kann, daß Sie auf diese sogenannte kleine — qualitativ kleine — Lösung zusteuern wollen. Wir fragen uns und fragen Sie als Regierung und Regierungsparteien, ob Sie etwa die Absicht haben — so schien es uns in den letzten Tagen fast —, statt einer wirksamen Dotierung dieses Institutes namhafte Beträge für Forschungsarbeit innerhalb weltanschaulich gebundener oder gar politischer Organisationen aufzuwenden? Ich komme auch deshalb darauf, weil der Kollege Dr. Graf abwertend gesagt hat, daß die Antragsteller ein „staatlich autorisiertes" Institut haben möchten. Um keine Mißverständnisse auftreten zu lassen, möchte ich sagen, daß wir unter einem „staatlich autorisierten" kein „staatlich gelenktes" Institut verstehen, sondern ein Institut, das durch Staatsmittel materiell unabhängig gemacht wird und dieselbe Autonomie hat, wie sie etwa Hochschulen haben. Man hat bereits gesagt, man könne auch weltanschaulich gebundene Einrichtungen mit Forschungsmitteln unterstützen oder müsse das sogar tun, weil die Wissenschaft sowieso nie völlig unabhängig, sondern immer irgendwie gebunden sei. Das ist eine sehr fadenscheinige Begründung, und ich finde, daß dieser Weg — das aufzuzeigen fühlen wir uns verpflichtet — sehr gefährlich ist. Würde diese Begriffsbestimmung der ungebundenen oder der gebundenen Wissenschaft einmal einreißen und damit eine völlige Verbiegung von Begriffen wie „frei" und „unabhängig" eintreten, dann wüßten wir nicht, wohin der Weg einmal führen könnte.
Wir würden uns jedenfalls — das erklären wir Ihnen hier — mit allen Mitteln dagegen wehren, solche Absichten mit öffentlichen Mitteln auszustatten.
Wir wissen, daß wir für unsere heranwachsende Jugend eine große politische Verantwortung und Verpflichtung tragen, die besonders drückend im außerschulischen Jugend- und Bildungsbereich in der Bundesrepublik ist. Hier liegt es noch viel
ärger als bei der allgemeinen Schul- und Kulturpolitik, die auf der Bundesebene durch einen Erziehungsbeirat wirksam werden kann und Anregungen empfängt und die auch in Fragen der Praxis durch die Kultusministerkonferenz Kontakte und Erfahrungen austauscht. Dieser Bereich der allgemeinen Schul- und Kulturpolitik ist durch die Länderregierungen, also auch in der Exekutive, vertreten.
Die Jugendarbeit im freien Raum dagegen, meine Herren und Damen, hat keinen entsprechenden Gesprächspartner in der Bundespolitik. Und die öffentliche Jugendarbeit wird zum großen Teil — das wissen Sie sicher alle so gut wie ich — von schlecht ausgerüsteten Jugendämtern getragen, die in Stadt- und Landkreisen sehr auf sich selbst gestellt sind und in den Länderregierungen meistens nicht direkt durch Minister und deshalb nur in zweiter Hand vertreten werden, bis auf die Stadtstaaten, die eine vorbildliche Arbeit auf diesem Gebiet leisten. Auf der Bundesebene haben die Organe dieser Jugendarbeit nur einen ganz losen Erfahrungsaustausch in praktischen Fragen. Sie verfügen aber über kein wirklich weit beachtetes Organ, das ihre Sorgen hört und ihren Mitarbeitern bei der Lösung der geistigen und praktischen Probleme für die Bewältigung ihrer Aufgaben an der heranwachsenden Jugend hilft. Wir meinen -das ist eine Nebenabsicht bei diesem Institut —, daß das Institut, so wie wir es gefordert haben, auch das mit hätte übernehmen können, wenn es mit dem richtigen Ansehen ausgestattet worden wäre. Das ist nun alles durch den Ausschußbeschluß erledigt. Wir werden den Mündlichen Bericht, so wie er Ihnen vorliegt, natürlich ablehnen müssen, weil der Sinn unseres Antrags, wie Sie aus meinen Ausführungen ersehen haben, in keiner Weise erreicht worden ist.
Man kann zum Schluß nur, vielleicht etwas resignierend, bemerken, daß uns, der sozialdemokratischen Fraktion, nichts anderes übrigbleibt, als der Jugend draußen das Urteil darüber zu überlassen und etwas Besseres für sie zu tun, wenn wir dazu in der Lage sind. Wir hoffen, daß das recht bald geschehen kann.