Das Wort zur Begründung des Entwurfs Drucksache 2645 hat der Herr Abgeordnete Dr. Klötzer.
Dr. Klötzer , Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens und im Auftrage meiner Fraktion darf ich zur Begründung des Ihnen in Drucksache 2645 vorliegenden Initiativgesetzentwurfes der Fraktion des GB/BHE folgendes ausführen.
Der Gesetzgeber des Jahres 1951/52 hat mit der Konzipierung und Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes völliges Neuland betreten. Bei allen ihm seinerzeit zur Verfügung stehenden Unterlagen handelte es sich um grobe und gröbste Schätzungen, und zwar sowohl bei der Aufkommensseite als auch bei der Leistungsseite. Weder die Höhe der von den nicht geschädigten Abgabepflichtigen zu erwartenden Abgaben noch die Höhe der zu entschädigenden Verluste waren auch nur annähernd bekannt. Der Gesetzgeber hat daher in § 246 Abs. 3 und in § 295 Abs. 4 vorgesehen, daß nach Ablauf mehrerer Jahre, wenn eine gewisse Übersicht erlangt ist — man hielt damals etwa 5 Jahre für ausreichend —, überprüft werden soll, ob und in welchem Umfange eine Anhebung der den Geschädigten zugesagten Leistungen erfolgen kann. Schon allein aus der Tatsache, daß man in diesen beiden Paragraphen nur eine Besserungsklausel, d. h. nur eine Überprüfung nach der positiven Seite vorgesehen hat, kann geschlossen werden, daß seinerzeit die zugrunde gelegten Schätzungen vorsichtig, ja übervorsichtig waren und daß man sich dessen auch bewußt war.
Der in § 246 Abs. 3 vorgesehene Zeitpunkt ist nun sehr nahe herangerückt. Hierbei muß jedoch gleich gesagt werden, daß sich die Erwartung des 1. Deutschen Bundestages, man werde bis zum 31. März 1957 die erforderliche Übersicht über die Höhe der dem Fonds zufließenden Abgaben einerseits und der aus ihm zu erbringenden Leistungen andererseits erlangt haben, nicht erfüllt hat. Es ist bis heute weder eine vollkommene Veranlagung der Abgabepflichtigen erfolgt, noch ist die Feststellung der Verluste so weit fortgeschritten, daß man die Höhe der entstandenen Schäden auch nur annähernd in Zahlen angeben könnte. Letzteres hat nach unserer Meinung seinen Grund einmal in der unverantwortlichen und sicherlich schuldhaften Verzögerung bei der Erarbeitung und Herausgabe der Bewertungsvorschriften,
zum zweiten in der qualitativ und quantitativ unzureichenden Besetzung der Ausgleichsbehörden, die mit der Millionenzahl der Anträge nicht in dem erwünschten Tempo fertig werden können. Ich möchte daher von dieser Stelle aus und bei dieser Gelegenheit nochmals die dringende Bitte um Abstellung dieser Mängel lautwerden lassen, da nur ein rasches und reibungsloses Funktionieren der Ausgleichsverwaltung garantieren kann, daß das Lastenausgleichsgesetz und seine Novellen auch tatsächlich in der Praxis so, wie es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, zur Anwendung gelangen.
Der Initiativgesetzentwurf meiner Fraktion strebt zwei Ziele an: erstens, dem Befehl des Gesetzgebers von 1952 folgend, nach sorgfältiger Prüfung festzustellen, welche besseren und, den Verlusten entsprechend, auch gerechteren Leistungen den Geschädigten gegeben werden können, und zweitens im Zuge dieses Gesetzes gleichzeitig auch die bis jetzt festgestellten und in der praktischen Anwendung des Lastenausgleichsgesetzes in Erscheinung getretenen Härten, soweit irgend möglich, zu beseitigen. Dieser doppelten Zielsetzung unseres Entwurfes dienen die etwa 60 Einzelpunkte, durch welche eine Vielzahl von Paragraphen des Lastenausgleichsgesetzes angesprochen und deren Änderung angestrebt wird.
Es kann nicht Aufgabe der heutigen ersten Lesung sein, auf all die vielen Einzelprobleme einzugehen. Ich will deshalb nur die wichtigsten und grundsätzlichsten Fragen herausgreifen. Gestatten Sie mir aber noch eine Vorbemerkung.
Ich nannte Ihnen vorhin als erstes Ziel unseres Gesetzentwurfes eine Anhebung der nach unserer Meinung bis jetzt zu geringen und zu den entstandenen Verlusten in keinem richtigen Verhältnis stehenden Leistungen. Um Ihnen die Berechtigung dieser Forderung deutlich vor Augen zu führen, muß ich daran erinnern, daß bei der Konzipierung des Gesetzes im Jahre 1951/52 immer wieder mit besonderem Nachdruck betont wurde, daß die vorgesehenen Leistungen zwar von allen Seiten als sehr niedrig im Vergleich zu den Schäden angesehen werden müßten, daß man aber mit diesen Leistungen an die äußerste Grenze der Leistungsfähigkeit der westdeutschen Volkswirtschaft gegangen sei und daß man durch ein geringes Mehr diese westdeutsche Volkswirtschaft gefährden, ja dem Zusammenbruch aussetzen würde.
Herr Vizekanzler Blücher gab seinerzeit vor dem Plenum des Hauses namens der Bundesregierung eine Erklärung ab, aus der ich mit Genehmigung
des Herrn Präsidenten zwei Sätze zitieren darf. Herr Vizekanzler Blücher sagte:
Der Gesetzentwurf mutet der abgabepflichtigen Wirtschaft ebenso wie dem öffentlichen Haushalt Opfer zu, die nach der überwiegenden Auffassung des Ausschusses und der Bundesregierung das Äußerste darstellen, was unter Berücksichtigung der übrigen bestehenden Belastungen zur Zeit noch tragbar erscheint.
Er sagte weiter:
Bis zur äußersten Grenze der jetzt möglichen Belastung zu gehen, erschien jedoch im Hinblick auf die Notlage der Geschädigten unbedingt notwendig.
Aus den Worten „zur Zeit" und „jetzt möglichen Belastung" wird auch erkennbar, daß der Gesetzgeber seinerzeit bei der Einfügung des Abs. 3 in § 246 und des Abs. 4 in § 295 auch die Möglichkeit einer Steigerung der Leistungsfähigkeit und deren Berücksichtigung ausdrücklich vorsah.
Mit diesen Argumenten, mit dem Hinweis auf die Grenze der Leistungsfähigkeit hat man damals ein Gesetz geschaffen, das, wie wohl nicht bestritten werden kann und wie auch von Herrn Staatssekretär Hartmann soeben bestätigt wurde, in seinen Leistungen sehr dürftig, gemessen an den Verlusten, ausgefallen ist.
Inzwischen haben sich jedoch die Verhältnisse in der Bundesrepublik wesentlich verändert. Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung genommen, den man allerorts als das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder anpreist und hervorhebt. Ich möchte ihn hier in wenigen Zahlen skizzieren, weil wir bei Behandlung dieser Materie aus diesen Zahlen auch Schlußfolgerungen zu ziehen haben.
Das Bruttosozialprodukt ist von 1949 bis 1955 von damals 79 auf heute 164 Milliarden DM, d. h. um 107 % gestiegen. Die Investitionen in unserer Wirtschaft stiegen von 1951 bis 1955 um rund 65 %. Die Steuereinnahmen des Bundes, der Länder und der Gemeinden vermehrten sich im gleichen Zeitraum um 17 Milliarden DM und haben gegenüber dem Stand von 1951 heute die Höhe von 161 % erreicht. Ein letztes, besonders krasses Beispiel: Die Aktienkurse sind seit 1951 um durchschnittlich 260 % gestiegen.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß man es damals für notwendig hielt, gerade das Aktienvermögen nicht so wie alle anderen Vermögen entsprechend seinem vollen Einheitswert mit der Vermögensabgabe zu belasten, sondern es, das heute einen Stand von 260 % erreicht hat, nur mit 50 % seines Nominalwertes zur Vermögensabgabe heranzuziehen.
Schließlich hat sich die westdeutsche Volkswirtschaft bzw. die Bundesregierung, die seinerzeit durch nur etwas höhere Leistungen das gesamte Wirtschaftsleben als dem Zusammenbruch ausgesetzt gesehen hatte, gestatten können, von 1951 bis 1956 den Höchstsatz in der Einkommenbesteuerung von 80 auf 55% herabzusetzen, also gerade bei den höchsten Einkommensträgern auf sehr ins Gewicht fallende Steuereinnahmen zu verzichten. Schließlich hat man — auch das muß in diesem Rahmen
gesagt werden — in verschiedenen anderen inzwischen in diesem Hause verabschiedeten Entschädigungsgesetzen eine hundertprozentige Entschädigung festgelegt, und zwar nicht etwa wie beim LAG berechnet von den Einheitswerten, sondern vom Verkehrswert, vom gemeinen Wert. Ich will, um nicht falsch verstanden zu werden, damit keineswegs etwa einer Schmälerung der Leistungen aus diesen anderen Entschädigungsgesetzen das Wort reden, im Gegenteil, ich glaube, daß der Grundsatz „gleiches Recht für alle Staatsbürger" zu entsprechenden Folgerungen auch auf dem Gebiet des Lastenausgleichs zwingt.
Zusammenfassend darf ich wohl feststellen, daß die westdeutsche Volkswirtschaft von 1956 zu ganz anderen Lastenausgleichsleistungen fähig ist, als man sie im Jahre 1951 nur glaubte bewilligen zu können. Wir anerkennen hierbei, daß die Geltendmachung von Rechten und Ansprüchen ihre Grenze immer dort finden muß, wo die Leistungsfähigkeit des Schuldners aufhört. Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, daß die Leistungsfähigkeit des Schuldners beim Lastenausgleich — und, meine verehrten Damen und Herren, Schuldner ist bei dieser Materie nicht, wie man es hinstellt, der nicht geschädigte, der von Vertreibung und Kriegssachschaden verschont gebliebene Mitbürger, sondern Schuldner ist und bleibt der Staat — im Zeitalter des deutschen Wirtschaftswunders wesentlich anders zu beurteilen ist als im Jahre 1951, und ich glaube, daß man heute nicht, wie es 1951 geschehen ist, etwa vom Gedanken einer mangelnden Leistungsfähigkeit her den Ansprüchen der Millionen Geschädigter Schranken setzen kann.
Aus meiner vorigen Bemerkung, daß wir als Schuldner des Lastenausgleichs nicht den von Vertreibung und Kriegssachschaden verschont gebliebenen Mitbürger, sondern den Staat ansehen, ergibt sich auch, daß wir in unserem Entwurf nicht eine Erhöhung der Abgabeleistungen fordern, sondern verlangen, daß die für die verbesserten Leistungen erforderlichen zusätzlichen Mittel vom Staat, d. h. aus dem ordentlichen Etat erbracht werden. Die Inanspruchnahme des ordentlichen Etats für die verbesserten Leistungen ist auch durch die Steigerung des allgemeinen Steueraufkommens und durch die Entlastung der Fürsorge- und Sozialetats infolge des allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs seit 1951 durchaus gerechtfertigt.
Nun lassen Sie mich noch einige wenige Bemerkungen zu den wichtigsten Leistungen des Gesetzes und den von uns geforderten Verbesserungen machen. Ich darf zuerst auf die Hauptentschädigung zu sprechen kommen.
Der Grundgedanke, der uns bei Erstellung unseres Entwurfes leitete, war der Gedanke einer Lösung der Gerechtigkeit. Wenn wir diesen Grundsatz der Gerechtigkeit bei der Hauptentschädigung anwenden wollen, so können wir nur vorn Prinzip der vollen Entschädigung ausgehen. Die Millionen Vertriebener haben ihre Vermögen, ihre Arbeitsplätze und ihre Heimat im Osten für die Gesamtheit des Volkes aufgeopfert. Das gleiche gilt für die Millionen der Kriegssachgeschädigten und der anderen Geschädigtengruppen. Seit 1794 sind die §§ 74 und 75 des Allgemeinen Landrechts ununterbrochen gültig. Dort ist der Grundsatz niedergelegt, daß der Staat seinen Bürgern, soweit diese durch seine Maßnahmen Schäden erlitten haben, Ersatz zu leisten hat. Eine Einschränkung kann die-
ser Grundsatz, wie schon eingangs erwähnt, nur durch die Grenze der Leistungsfähigkeit erfahren. Andere Einschränkungen widersprechen der Gerechtigkeit.
Selbstverständlich muß der Anspruchsberechtigte in bezug auf die Hauptentschädigung das gleiche gegen sich gelten lassen, was ein nicht geschädigter Abgabepflichtiger auf Grund des gleichen Gesetzes gegen sich gelten lassen muß. Wenn ein Abgabepflichtiger, soweit sein Vermögen 5000 DM übersteigt, von dem übersteigenden Betrag 50 % als Vermögensabgabe abgeben muß, so wird auf der anderen Seite der Anspruchsberechtigte also auch nur für Verluste bis zu 5000 DM volle Entschädigung fordern können, für die übersteigenden Verluste aber nur eine 50%ige Entschädigung verlangen dürfen. Darüber hinaus wird man aus sozialen Gründen und wegen der erwähnten Grenze der Leistungsfähigkeit auch nicht unbegrenzt, bis zu Schadenshöhen, die in die Millionen gehen, eine 100- oder 50%ige Entschädigung fordern, sondern von einer gewissen Höhe an — wir haben in unserem Entwurf die Grenze bei einem Schaden von 25 000 DM vorgeschlagen — müssen diese Entschädigungsquoten allmählich sinken. Aber es darf als unterste Grenze nicht ein Entschädigungssatz von 6,5 % unterschritten werden. Wir haben nach den derzeitigen Bestimmungen als unterste Grenze 2 % und teilweise weniger. Man kann dem Verlierer von Sachwerten keinesfalls zumuten, für diese Sachwerte mit einer geringeren Entschädigung abgespeist zu werden, als man sie bei der Währungsreform selbst für teilweise höchst unlauter erworbenes Geld gewährt hat.
Mit der Höhe der Hauptentschädigung unmittelbar verbunden ist die Problematik der Bewertung. Wir wissen, daß als Grundlage für die Bewertung der Einheitswert gilt. Schon das bedeutet eine sehr erhebliche Abweichung vom Prinzip der vollen Entschädigung. Wir wissen weiter, daß die Einheitswerte bestenfalls bei 50 % des Verkehrswertes liegen, in einem Fall, bei der Land- und Forstwirtschaft, sogar noch viel niedriger, bei etwa 30 %. Wir haben in unserem Entwurf aus mancherlei Gründen, besonders weil technische Schwierigkeiten besonders großer Art dem entgegenstehen würden, uns nicht dazu entschlossen, vom Einheitswert abzugehen. Wir wollen damit insbesondere nicht einen Grund dafür liefern, daß die nunmehr auf der Basis der Einheitswerte angelaufene Feststellung mit den bis jetzt erzielten, leider Gottes nur sehr geringen Erfolgen und Fortschritten ad acta gelegt wird und eine neue Feststellung auf einer anderen Basis beginnen muß.
Die Frage „Einheitswert oder Verkehrswert" ist auch nicht die entscheidende Frage. Entscheidend ist allein die Höhe der Entschädigung. Es ist gleichgültig, ob ich 50 % vom Verkehrswert oder 100 % vom Einheitswert gebe. In beiden Fällen würde sich die Entschädigungssumme in gleicher Höhe errechnen.
Entscheidend wichtig bei diesem Problem der Bewertung ist jedoch, daß alle Vermögensarten nach dem gleichen Maßstab bewertet werden. Das ist leider zur Zeit nicht der Fall. Während die Einheitswerte bei Hausbesitz, bei Gewerbevermögen usw. etwa gleich sind, sind sie beim land- und forstwirtschaftlichen Vermögen erheblich niedriger. Dieser Unterschied muß beseitigt werden. Wir haben hierzu in unserem Entwurf mit der Anhebung der land- und forstwirtschaftlichen Einheitswerte einen geeigneten Weg vorgeschlagen. Hierbei sollen nach unserem Entwurf auch die bisher überhaupt nicht im Einheitswert erfaßten Vermögensteile berücksichtigt werden.
Schließlich soll nach unserem Entwurf das bisherige Gruppensystem des § 246 mit seinen in Gruppen sprunghaft sich erhöhenden Entschädigungssätzen durch ein gleitendes Entschädigungssystem abgelöst werden, welches viel gerechter erscheint.
Wenige Sätze zur Hausratentschädigung. Wir verlangen, daß nunmehr bei der Hausratentschädigung schnellstens ein Abschluß erreicht wird. Die Hausratentschädigung in ihren bis jetzt vorgesehenen Sätzen sehen wir als nicht ausreichend an. Ich glaube auch nicht, daß die im Regierungsentwurf vorgesehene Anhebung um 200 DM, in einem Fall nur um 100 DM, ausreichend ist. Wir haben eine Aufstockung in allen Gruppen um 400 DM beantragt und in diesem Zusammenhang gleichzeitig eine sehr grobe Härte zu beseitigen versucht. Es handelt sich um das immer wieder diskutierte Problem der „Möbelkinder", derjenigen Jahrgänge, die ihren Hausrat zu Hause schon besessen und ihn verloren haben und die heute völlig leer ausgehen, obwohl sie gerade in den Altersstufen stehen, wo sie in die Gründung eines eigenen Hausstandes eintreten.
Ich darf noch ganz wenige Sätze zur Hauptentschädigung nachholen, und zwar zu deren Freigabe und Zahlung. Hier ist unser Anliegen, daß nunmehr mit der Zahlung schnellstens begonnen wird und daß vor allem die alten und älteren Geschädigten noch bei Lebzeiten in den Genuß ihrer Hauptentschädigung gelangen. Es wird Aufgabe der Ausschußberatungen sein, hier einen geeigneten Weg zu finden.
Zur Unterhaltshilfe. Meine Damen und Herren, die Unterhaltshilfe ist für rund 700 000 Geschädigte die Altersversorgung, meist die einzige Altersversorgung. Nun war man schon 1951, ja noch früher, schon im Soforthilfegesetz, von dem Grundsatz ausgegangen, daß die Unterhaltshilfe etwa 20 % über den Fürsorgerichtsätzen liegen soll. Heute ist es leider so, daß die Fürsorgerichtsätze in vielen Gebieten, besonders in den größeren Städten, die Unterhaltshilfe erreichen und überschreiten, in den Großstädten fast überall übersteigen. Wir haben daher in unserem Entwurf auch eine angemessene Anhebung der Unterhaltshilfe im Rahmen von 20 % beantragt, weil wir der Meinung sind, daß auch die Empfänger dieser Leistung ein Anrecht darauf haben, am sozialen Aufstieg in der Bundesrepublik teilzuhaben.
Bei diesem Komplex Unterhaltshilfe muß auch eine besonders große Härte aus dem Gesetz herausgenommen werden, indem man das Hineinwachsen in die Unterhaltshilfe auch den nach 1890, bei Frauen nach 1895 geborenen Jahrgängen noch ermöglicht. Hier wird auch das Problem der Anrechnung sonstigen Einkommens, insbesondere Arbeitseinkommens, einmal überprüft und eine Lokkerung versucht werden müssen. Ich glaube nicht, daß der Gesetzgeber wünscht, daß man die Unterhaltshilfeempfänger, die sich noch nicht zum alten Eisen legen lassen wollen, die sich noch irgendwie mitbetätigen wollen, sei es auch nur in kleineren Nebenerwerbsmöglichkeiten, durch Abzug ihres
Einkommens von der Unterhaltshilfe noch dafür bestraft, daß sie nicht die Hände in den Schoß legen und von früh bis abends nur Däumchen drehen.
Bei der Entschädigungsrente, die man nach unserer Meinung nicht als eine Sozialleistung, sondern als echten Rechtsanspruch mit Entschädigungscharakter anzusehen hat, sieht unser Entwurf die Streichung der bisherigen Einkommenshöchstgrenze vor. Wir wollen die Entschädigungsrente als eine Art Verleibrentung des Hauptentschädigungsanspruches gestalten.
Schließlich verlangt unser Entwurf auch eine Fortsetzung der nach dem Lastenausgleichsgesetz nunmehr auslaufenden Aufbaudarlehen, mit der Begründung, daß die Eingliederung der Geschädigten noch nicht in dem Maße fortgeschritten ist, daß man an den Wegfall dieser der Eingliederung dienenden Leistung denken könnte.
Zum Schluß eine kurze Bemerkung zu den Stichtagen, die das Gesetz gesetzt hat. Stichtage bringen zwangsläufig immer Härten mit sich. Man wird sie zwar nie ganz entbehren und vermeiden können, doch sollte man diese Stichtage, die ja aus der Situation im Zeitpunkt der Beratung und Verabschiedung eines Gesetzes gesetzt werden, in gewissen Zeitabständen auf ihre Notwendigkeit überprüfen. Wir sind der Meinung, daß einige der im Lastenausgleichsgesetz gesetzten Stichtage, z. B. der Anwesenheitsstichtag — 31. 12. 1952 —, der über die Anspruchsberechtigung überhaupt entscheidet, und der Stichtag für den Nachweis der Erwerbsunfähigkeit — 31. 8. 1953 —, geändert oder gestrichen werden müssen.
Schließlich sollte man auch die Frist für die Anmeldung von Ansprüchen nach diesem Gesetz einer Überprüfung unterziehen. Der Gesetzgeber hat die Ausschlußfrist für die Anmeldung von Schäden seinerzeit gesetzt, um zu erreichen, daß alle Geschädigten bis zum Ablauf dieser Frist ihre Ansprüche anmelden, und um so die Unterlagen für die Errechnung aller Zahlen zu besitzen. Man kann wohl sagen, daß 98 bis 99 % aller Geschädigten diese Frist innegehalten haben und daß nur rund 1 %, insbesondere alte, weniger gewandte Menschen, die irgendwo draußen auf dem Lande wohnen und denen die nötige Aufklärung gefehlt hat, die Frist versäumt hat. Es geschieht kein Unglück, wenn man diesen Menschen nochmals die Möglichkeit eröffnet, ihre Ansprüche. die sie aus vertretbaren Gründen nicht angemeldet haben, anzumelden.
Für alle in unserem Gesetzentwurf beantragten Verbesserungen ist auch die Aufbringung der erforderlichen Mittel vorgesehen. Wir haben hierzu insbesondere eine entsprechende Änderung des § 6 vorgeschlagen. Ich möchte angesichts der fortgeschrittenen Zeit davon absehen, auf Einzelheiten der von uns vorgeschlagenen Deckung einzugehen; die Ausschußberatungen werden ausreichend Gelegenheit zur Erörterung auch dieses Problems geben.
Zum Schluß darf ich das Hohe Haus und insbesondere die Vertreter der einzelnen Fraktionen im zuständigen Ausschuß bitten, bei der Beratung unseres Initiativgesetzentwurfs stets das Schicksal und die Notlage der Millionen Geschädigten vor Augen zu sehen, sich nicht darüber täuschen zu lassen, daß der größte Teil dieser Geschädigten, Vertriebene wie Einheimische, von den Früchten des deutschen Wirtschaftswunders bislang noch
sehr wenig und teilweise gar nichts verspürt hat
und daher nach wie vor dringend der Hilfe bedarf. Es geht auch beim Lastenausgleich keineswegs, wie oft böswillig behauptet wird, nur um materielle oder gar egoistische Ansprüche, sondern es gilt, einen gerechten Ausgleich der durch den Krieg und durch die Vertreibung entstandenen Lasten herbeizuführen und dadurch all die existenzlos und heimatlos gewordenen Teile unseres Volkes wieder einzugliedern, um ihre Substanz zu schützen und zu erhalten. Ich glaube, für diese Aufgabe lohnt es sich insbesondere im Hinblick auf die Wiedervereinigung und die Realisierung des Rechtsanspruchs auf die deutschen Ostgebiete, ein Maximum an Mühe und Gründlichkeit aufzuwenden und die Leistungsfähigkeit wirklich voll auszuschöpfen.
Ich bin nicht der Meinung, daß der Regierungsentwurf, den Herr Staatssekretär Hartmann begründet hat, diesen Erfordernissen entspricht, daß er wirklich eine Ausschöpfung der Leistungsfähigkeit des Schuldners von 1956 — nicht des Schuldners von 1951 — darstellt.
Ich glaube, daß der Regierungsentwurf für die Millionenzahl der Geschädigten, ob sie nun den Kreisen der Kriegssachgeschädigten oder der Vertriebenen angehören, eine bittere Enttäuschung darstellt und daß es Aufgabe des Ausschusses sein wird, hier Abhilfe zu schaffen und die Überzeugung zu vermitteln, daß man wirklich die Grenze der Leistungsfähigkeit angestrebt hat.
Namens meiner Fraktion darf ich beantragen, unsern Initiativgesetzentwurf an den Ausschuß für Lastenausgleich zu überweisen.