Rede von
Peter
Nellen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Hochverehrte Frau Kollegin Dr. Weber, Sie können gewiß sein, ich verehre Sie mindestens so wie die große Theologin und Philosophin, die Heilige Katharina von Alexandrien, und wenn Sie mir so etwas sagen, nehme ich das außerordentlich ernst. Ich bitte Sie aber sehr herzlich, mir nicht den geradezu primitiven Irrtum zu unterstellen, gegen den ich mich ja schon am Anfang verwahrt habe, daß ich die
Stimme eines einzelnen Theologen etwa als die Stimme der katholischen Kirche nähme!
das haben Sie genauso gut gehört, wie ich es gehört habe. Der Jesuit Hirschmann wird keine individuellen Theorien vertreten, sondern er wird sehr wohl darauf achten, daß er sich in consensu theologorum, daß er sich in Übereinstimmung mit der kommunen Lehre der Moraltheologie befindet. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Es ist für mich vollkommen unerfindlich, wie gerade einem Jesuiten eine solche Fahrlässigkeit unterstellt werden kann, daß er Individualmeinungen in einem solchen Gremium vertreten könne.
— Nicht nur in Begleitung, sondern als der theologische Sprecher des Prälaten Böhler.
Die Herren Sachverständigen haben sich sehr deutlich und klar zu der Gehorsamspflicht des Christen und des Bürgers gegenüber der legalen Autorität geäußert. Herr Dr. Jaeger, darüber brauchen wir nicht weiter zu streiten. Ich habe in meiner letzten Rede zu dem Punkte auch ausgeführt, daß das Gebot der legalen Autorität an den Bürger, die Waffen zu ergreifen, im Gewissen bindet. Aber es bindet nicht absolut. Das Gewissen ist eine letzte und höchste Instanz. Dieses Wort ist mir von dem einen oder anderen vielleicht übelgenommen worden. Ich darf deswegen noch einmal Hirschmann zitieren, der im Ausschuß gesagt hat:
Das subjektive Gewissensurteil ist nach Anschauung der katholischen Kirche für den einzelnen Menschen die letzte unmittelbare Norm seines praktischen Verhaltens, die schlechterdings letzte und entscheidende.
Ich nehme meine Formulierung auf, die dem Buch
des Jesuiten P. Lorson entnommen ist: Das Gewissen ist befähigt und berechtigt, den Passierschein für alles zu verlangen, was von ihm gefordert wird.
Ich darf aber auf den Punkt zurückkommen, den ich für wesentlich halte. In der Formulierung — und ich glaube, das ist anerkannt — geht es faktisch darum, ob wir neben den rein normativen Gesichtspunkten auch dann von einer echten Gewissensentscheidung sprechen wollen und können — die wir nach dem Grundgesetz anzuerkennen haben —, wenn sich dieses Urteil wesentlich — wie Hirschmann ausführte — als ein Tatsachenurteil herausstellt. Übereinstimmend haben beide Gutachter diese Möglichkeit als absolut korrekt bejaht. Deswegen glaube ich sagen zu dürfen, daß diese Formulierung „Jeder ..." schlechterdings dem Anspruch des Gewissens nicht genügt.
Ich muß aber auf das zurückkommen, was ich sagte, als der hochverehrte Herr Kollege Jaeger mir eine Frage stellte. Ich darf noch einmal sagen: Wollen Sie, daß der Katholik, der mit seiner Kirche in regulären und ordentlichen Verhältnissen lebt, der sich nicht irgendeinem exzessiven Pazifismus ergibt, schlechterdings keinerlei Möglichkeiten hat, in Ansehung des heutigen Weltzustandes und gewisser Dinge, die er nicht mit vertreten zu können glaubt, von dem Schutz des Artikels Gebrauch machen kann?
Das können Sie nicht wollen.
Ich will nur ein einziges Beispiel einmal sagen. Es hat keinen Zweck — ich folge da der Anregung des hochverehrten Herrn Kollegen Weber — und ich denke nicht daran, hier theologische Vorlesungen zu halten; aber prüfen wir doch einmal in einem einzigen Falle, was es bedeutet, heute mit seinem Gewissen und seiner Erkenntnis die Situation zu prüfen.
Die beiden Gutachter haben immer wieder gesagt: Wir können heute nicht so vom Kriege sprechen, wie unsere Väter 1910 davon gesprochen haben. Wir müssen leider Gottes heute so vom Kriege sprechen, wie es allein möglich ist, seitdem die Bomben auf Hiroshima gefallen sind.
Wir wissen ja auch von weiteren Bomben, die „sinnvollerweise" am heiligen ersten Pfingsttag dieses Jahres abgeworfen wurden. Es gehört schon beinahe die dramatische Kunst eines Super-Calderon oder eines Super-Claudel dazu, um die Symbolkraft des letzten Atombombenabwurfs ausgerechnet am Pfingsttag in Wort und Gestalt zu kleiden.
Ich glaube, das sind sehr, sehr ernste Dinge.
Ich darf einmal an eine kleine Begebenheit erinnern, die ich in der amerikanischen Kriegsgefangenschaft erlebt habe. Ich wurde erschütterter Zeuge jener Rede, die der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Mister Truman — er hat uns neulich besucht —, damals hielt, wo er der Nation den Abwurf dieser Bomben mitteilte. Das, was der damalige Präsident Truman gesagt hat, schien mir so bemerkenswert, daß ich es mir bis aufs Wort gemerkt habe.
— Das war nicht nur schön, sondern sogar zweckmäßig, Frau Dr. Weber. Ich halte das für eine sehr wichtige Sache, die im Gedächtnis zu behalten sich für mich lohnt. Ich glaube nicht, daß Sie das einfach mit der Vokabel „schön" abtun können. Die Sache ist mir dazu zu ernst, und ich bitte Sie, meinen Ernst zu respektieren.
Der Präsident Truman sagte damals: Wir haben die Atomkraft entdeckt, entwickelt und in dieser Bombe angewandt „in Übereinstimmung mit dem Willen und mit den Plänen Gottes". Das ist ein Wort, das uns alle doch wohl außerordentlich nachdenklich machen könnte. Und glauben Sie nicht, daß auch der Christ, auch der „ganz kommune Katholik", der keinerlei besonderen sektiererischen Ideen anhängt, sich, wenn ein solches Wort ausgesprochen wird, fragt: Wie ist das mit der konkreten Situation? Erlaubt sie mir, hier und heute den Dienst zu fordern und zu leisten, den an und für sich und allgemein der Staat durchaus fordern kann?
Sie wissen ganz genau, daß etwa die Frage der Angemessenheit der Mittel, die im Kriege angewendet werden, wesentlich die Moralität und die Erlaubtheit des Krieges bestimmt. Darüber haben die Experten keinerlei Zweifel gelassen. Ich kann an das erinnern, was Hirschmann gesagt hat: daß sehr vieles dafür spricht, daß etwa die Anwendung solcher Waffen schlechterdings den Krieg unerlaubt macht. Muß ich hier die beiden Weihnachtsansprachen des Papstes vom 3. Januar 1955 und vom 24. Dezember 1955 zitieren, die die amerikanische Regierung dazu veranlaßt haben, eigens eine Kabinettsberatung abzuhalten unter dem Gesichtspunkt, ob es nach dieser Ansprache noch erlaubt sei, die Atombombenversuche weiterzuführen? Wenn in einem Lande, das vollkommen laizistisch ist, wo die Trennung von Kirche und Staat durchgeführt ist, die Papstansprachen zur Atomfrage einen solchen Effekt machen, dann möchte ich doch wirklich einmal fragen, ob wir nicht der Situation nur dann Genüge tun können, wenn wir diese Dinge in allem Ernst hier besprechen und wenn wir uns wirklich fragen, wie wir den möglicherweise bedrückten Gewissen gerecht werden können.
Ich will schließen. Ich kann noch einmal sagen: ich habe verzichtet, die Wolke von Zeugnissen, die Wolke von Zitaten, die uns von den prominenten Gutachtern gegeben ist, auszunutzen.
Ich glaube, das, was wir bis jetzt darüber betrachten konnten, dürfte uns genügen. Ich möchte herzlich wünschen, daß wir heute abend noch einmal die Frage prüfen, ob wir die engstmögliche Fassung — die die evangelische Kirche auf das Äußerste beklagt hat; ich verzichte auf die Zitate — Gesetz werden lassen. Diese Frage stellen heißt sich entschließen, sie noch einmal zu prüfen.
Man wird auch nicht sagen können, wie es gestern der von mir besonders hochverehrte Kollege Bausch gesagt hat, daß die jetzige Formulierung weitestgehend den Wünschen der evangelischen Kirche Rechnung trägt. Ich habe mir heute morgen wie ein ganz schlichter Schüler, der etwa im Unterseminar einen philologischen Text zu interpretieren hat, die Mühe gemacht, einmal jedes Wort, das den beiden Texten gemeinsam ist, zu unterstreichen, also eine Synopse herzustellen. Herr Kollege Bausch, Sie haben vollkommen recht; die
Neuformulierung, wie sie jetzt vorliegt, die unvergleichlich besser ist als die alte Regierungsvorlage, kommt den evangelischen Anregungen weit entgegen.
Aber das Maßgebende ist anders. Ich will es am Text nachweisen, denn diese Sache scheint mir einfach zu wichtig zu sein.
Die uns von der evangelischen Kirche vorgeschlagene Fassung lautet:
Wer aus religiöser oder sittlicher Gewissensüberzeugung sich der Beteiligung an der Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt, kann den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern.
„An der Waffenanwendung"; bei uns steht jetzt „an jeder Waffenanwendung", und das ist der springende Punkt. „Jeder" ist die von der evangelischen Kirche beklagte engstmögliche Fassung, „der" ist die Fassung, die sowohl dem Gewissensausspruch primär aus normativen Gründen, aus Grundsatz, als auch dem Gewissensausspruch aus der mitzuberücksichtigenden Situation gerecht wird. Beschränken Sie das, dann werden Sie sehr viele Gewissen in Schwierigkeiten bringen.
Ich darf schließen mit dem, was ich am Anfang gesagt habe: Wenn eine Verteidigungsbereitschaft, die ich rücksichtslos bejahe, ernst zu nehmen ist, dann zieht sie ihre Argumente nicht primär aus dem äußeren Wohlstand, sie zieht ihre Argumente nicht primär aus dem hohen Lebensstandard, den wir glücklicherweise erreicht haben,
sie zieht ihre Argumente nicht primär aus der Sozialen Marktwirtschaft — das alles tut sie auch —; das Letzte und Entscheidende ist hier die unverbrüchliche Ordnung der Freiheit, und die Freiheit ist die Freiheit des konkreten, christlich gesprochen: gottverbundenen Menschenwesens in konkreter Situation. Wenn dort die geringste Fragwürdigkeit auftaucht, haben wir unsere innere Legitimation und, wie ich dann befürchten müßte, auch unsere letzten Endes entscheidende Kraft verspielt.
Ich glaube, niemand wird mir bei ganz ruhiger Betrachtung in dem Zusammenhang den Vorwurf einer theologischen oder idealistischen Traumtänzerei machen. Ich glaube, lange genug in diesem Hause zu sein, um mir über die Möglichkeiten dessen, was hier an Gespräch, an Hören und auch Aufeinandereingehen möglich ist, klar zu sein; ich habe also die naivitas prima verloren. Trotzdem möchte ich dem Hause einen Vorschlag machen, der möglicherweise sofort geschäftsordnungsmäßig mit einem Finger vom Tisch gefegt werden kann: die Abstimmung über diesen Paragraphen auszusetzen, und ich möchte die Vorsitzenden der Fraktionen dieses Hauses — ich erlaube mir das, Frau Dr. Weber, wegen der Wichtigkeit der Frage — ansprechen, sich vielleicht zwischendurch noch einmal zusammenzusetzen und zu prüfen, ob eine Möglichkeit in der Richtung besteht, was ich — und da befinde ich mich weitgehend in Übereinstimmung mit dem Kollegen Arndt — als vom Grundgesetz und von einer echten Beachtung des Gewissens her als notwendig und gefordert ansehe.