Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 25 enthält die Kernvorschrift über die Kriegsdienstverweigerung. Er soll nach der Ausschußvorlage und den Beschlüssen der zweiten Lesung lauten:
Wer sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, hat statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten... .
Der § 25 in dieser Fassung der Ausschußvorlage verbessert und erweitert die Fassung des Regierungsentwurfs. Als Änderung der Regierungsvorlage hat er deshalb im Verteidigungsausschuß die Zustimmung einiger meiner Freunde gefunden, aber nur die bedingte Zustimmung zum etwas Besseren, nicht die Anerkennung als gut oder befriedigend, bedingt durch den namentlich im Rechtsausschuß wieder und wieder betonten Vorbehalt, daß eine gesetzgeberische Interpretation oder Legaldefinition des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes gar nicht zulässig ist und daß jedenfalls in der Sache dieses Grundrecht nicht so eingeengt werden kann und darf. Es trifft daher nicht zu, was Herr Kollege Dr. Kliesing in der zweiten Beratung vorgestern gesagt hat, dieser Formulierung liege ein Antrag meines Fraktionsfreundes Bauer zugrunde.
— Ja, zugrunde!
— Ja, das ist jedenfalls sehr lückenhaft ausgedrückt, Herr Kollege Kliesing. Denn Herr Kollege Bauer hat ja im Rechtsausschuß mit allem Nachdruck den Standpunkt vertreten, Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes enthalte ein in sich abgeschlossenes Grundrecht, das gesetzgeberisch nicht ausgelegt oder eingeengt werden könne. Und erst als dieser Standpunkt des Kollegen Bauer, den auch meine Freunde und ich geteilt haben, abgelehnt worden war, hat Herr Kollege Bauer im Rechtsausschuß unter Aufrechterhaltung seiner Vorbehalte hilfsweise darum gebeten, wenigstens die Fassung anzunehmen, die für die Evangelische Kirche Militärbischof Kunst im Verteidigungsausschuß vorgeschlagen hatte. Diese Fassung deckt sich ja auch für Herrn Bischof Kunst keineswegs mit dem, was der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland empfohlen hat, sondern war nur eine letzte Rückzugslinie für ihn. Die vom Rat empfohlene Fassung lautete anders, nämlich so:
Wer aus religiöser oder sittlicher Gewissensüberzeugung sich der Beteiligung an der Waffenanwendung zwischen den Staaten wider-
setzt, kann den Kriegsdienst mit der Waffe
verweigern.
Darin ist sehr eindeutig enthalten, daß es sich um eine konkrete, bestimmte, aktuelle Anwendung der Waffen handelt, so daß es nicht richtig ist, was Herr Bausch vorgestern in der zweiten Lesung hier erklärt hat, daß damit den Anregungen und Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland weitgehend Rechnung getragen sei.
Bevor ich nun auf die Rechtsfrage und vor allem die Frage nach Inhalt und Tragweite dieses Grundrechts eingehe, darf ich Sie urn Gehör für eine allgemeine Bemerkung bitten. Meine Damen und Herren, uns entzweit die politische Frage, ob es sinnvoll ist, die allgemeine Wehrpflicht anzuordnen. Es ist aber nicht einzusehen, daß dieser Kampf um die Wehrpflicht notwendig auch einen Streit um die Verfassungsfrage der Kriegsdienstverweigerung bedeuten müßte. Eine Unvermeidlichkeit ist für einen solchen Zwist in keiner Weise einzusehen. Im Gegenteil, ich glaube, daß man Befürworter oder Gegner der allgemeinen Wehrpflicht sein kann — wie tief der Gegensatz sein mag oder wie hoch die Wogen der Leidenschaft auch gehen mögen —, nichts zwingt dazu, uns auch in der Frage der Kriegsdienstverweigerung uneins zu werden. Denn diese Frage ist in der Verfassung vorentschieden, in unserem Bonner Grundgesetz, das doch für Mehrheit und Minderheit den gemeinsamen Boden bildet, auf dem wir alle miteinander stehen.
Keine demokratische Partei kann daher ein Interesse daran haben, vom Grundgesetz abzuweichen oder es auszuhöhlen. Alle demokratischen und rechtsstaatlichen Kräfte sollten sich auch in dem Bemühen treffen können, daß wir keinen Massen-
verschleiß an Gewissen wollen, daß wir nicht mit dem Grundwert Schindluder treiben lassen, den das Gewissen des Menschen für unsere freiheitliche Ordnung und ihre sittliche Kraft bedeutet. Warum also sollte es nicht möglich werden, hier ein gemeinsames Anliegen zu sehen, jenseits aller Verschiedenheiten in der Wehrpflichtfrage das gemeinsame Anliegen der verfassungsgerechten Erfüllung des Grundgesetzes?
Nicht wir haben aus Anlaß dieser Gesetzesvorlage zu entscheiden, ob eine Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen anerkannt werden soll, sondern das Grundgesetz hat diese Regelung durch seinen ersten und vierten Artikel schon getroffen:
Niemand darf gegen sein Gewissen zum
Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden,
bekennt Art. 4. Wenn es dort weiter heißt: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz", so kann darin keine Ermächtigung liegen, zu bestimmen, was das Gewissen ist oder welches Gewissen zu Recht oder zu Unrecht schlägt; denn alle Grundrechte, auch das der Kriegsdienstverweigerung, binden nach Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes Recht. Also kann es sich bei den noch näher zu treffenden Regelungen nur um all das handeln, was nicht bereits Wortlaut und Sinngehalt des Grundrechts ist: die Frage des Zivildienstes, die Art, wie und wann das Grundrecht geltend zu machen und in welchem Verfahren darüber zu entscheiden ist, ob einer sich ernstlich auf sein Gewissen beruft. Das sind noch Fragen genug.
Aber man hat allerlei Einschränkungen versucht. Erstens hat man gesagt, das Grundrecht gelte
nur im Kriege, wobei man sich an den Wortlaut geklammert hat; als ob Worte wie „der Kriegsmann" — die auch in dieser Debatte schon bei der Frage, ob der Kriegsmann im seligen Stande sein kann, gefallen sind —, Worte wie „der Kriegsminister" Tätigkeiten beschrieben, die allein im Kriege auszuüben wären! Der Kriegsdienst ist doch nicht nur ein Dienst im Kriege, sondern der Waffendienst in Vorbereitung für die Verteidigung in einem Kriege. Klar hat als autorisierter Sprecher der katholischen Kirche Professor Hirschmann vor dem Verteidigungsausschuß hierzu gesagt —ich darf es wörtlich zitieren —:
Das Recht der Verweigerung bezieht sich im umschriebenen Sinne nicht nur auf den unmittelbaren Dienst mit der Waffe, sondern auf jede Handlung, die im Zusammenhang mit der Ablehnung der Kriegsdienstpflicht dem Kriegsdienstverweigerer sittlich untragbar erscheint.
Zweitens hat man gemeint, dieses Grundrecht und allein dieses Grundrecht sei ein Ausnahmerecht, weshalb sich im besonderen eine außerordentliche Ermächtigung erkläre, es noch der gesetzgeberischen Bestimmung zu unterwerfen. Aber dieser Interpretationsversuch übersieht, daß der dritte Absatz in Art. 4 des Grundgesetzes schon eine Präzisierung des ganzen, einheitlichen Grundrechts aus Art. 4 ist, der im ersten Absatz lautet: „Die Freiheit des Gewissens ist unverletzlich". Insoweit darf kein Gesetz das Nähere regeln, was ein Gewissen ist. Hierzu hat wiederum als autorisierter Sprecher der katholischen Kirche Herr Professor Hirschmann vor dem Verteidigungsausschuß erklärt — ich darf es wörtlich anführen —:
Niemals darf der Staat einen Menschen zwingen, etwas zu tun, was dieser, wenn auch unverschuldet, irrigen Gewissens wegen als Sünde ansieht. Das ist der Kern von Art. 4 Abs. 3 GG, der auch gilt, wenn es keinen Art. 4 Abs. 3 gäbe. Das ist einfachhin die Menschenwürde, von der die ganze Verfassung ausgeht. Die Verletzung dieses Grundtatbestandes wäre das, was Herr D. Kunst die Zerstörung der menschlichen Person genannt hat.
So weit Professor Hirschmann.
Außerdem verkennt diese Ansicht, daß es sich hier — angeblich — um ein Ausnahmerecht handele, überhaupt das Wesen der Grundrechte. Im sozialen Rechtsstaat der freiheitlichen Demokratie sind Grundrechte nicht mehr Gegenrechte gegen den Staat, sondern sowohl die staatliche Gemeinschaft mitgestaltende Rechte des einzelnen zum Staate hin als auch vor allem Selbstzeugnis der durch die Verfassung geschaffenen Rechtsgemeinschaft, die durch diese ihre individuelle Lebensordnung als ihr eigenes Gesetz über sich aussagt: Ich, die Bundesrepublik Deutschland, bin ein Staat, der die Gewissen nicht verletzt, weil ich das Gewissen um der Menschenwürde willen als einen absoluten Wert achte, einen Wert, der auch die Rechtswürde des Staates mitbegründet. Der Art. 4 Abs. 3 fügt hinzu, wenn ich es einmal mit diesen Worten ausdrücken darf: Ich, die Bundesrepublik Deutschland, bin ein Staat, der insbesondere in der Wehr- und Kriegsfrage kein Gewissensopfer fordert, weil über die Gewissen nicht durch Abstimmung entschieden werden kann. Darum will dieser Staat kraft des vierten Artikels seiner Verfassung ein Staat sein, der sich aus der freien Gewissensentscheidung der Menschen bildet. Dieses Grund-
recht ist somit ein Fundamentalsatz der Staatsstruktur, aber keine absonderliche Ausnahmebefugnis, sondern eine elementare Norm der Verfassung, die keiner weiteren Bestimmung des an sie gebundenen Gesetzgebers unterliegt. Aus diesen zwingenden Gründen ist jedes Unternehmen, in einem Wehrpflichtgesetz Legaldefinitionen zu bringen, weder statthaft noch fruchtbar. Allein die Rechtsprechung wird berufen sein, den Sinngehalt dieses Grundrechts zu erkennen und zu entwickeln. Das Gesetz darf deshalb nicht selbständig bestimmen, welchen Inhalt das Grundrecht hat, sondern es kann für seine Regelung der Folgen, die sich aus diesem Grundrecht ergeben, lediglich das in seinem Wortlaut und Sinn bereits vorgegebene Grundrecht voraussetzen. Schon aus diesem Grunde rechtfertigt sich unser Antrag.
Aber auch in der Sache bestehen Bedenken, ob dieser § 25 selbst in der etwas verbesserten Ausschußfassung dem Grundrecht gerecht wird. Denn § 25 erkennt seinem Wortlaut nach allein solche Gewissensgründe an, die jeder Waffenanwendung zwischen Staaten entgegenstehen. Diese Formulierung läßt es immerhin zweifelhaft erscheinen, ob sie wirklich den in Betracht kommenden Gewissensgründen angemessen ist. Sie klingt jedenfalls immer noch nach einer Intellektualisierung des Gewissens, wie ja seinerzeit auch die Regierungsvorlage die Gewissensentscheidung durch eine Doktrin zu ersetzen suchte, der man allgemein huldigen müsse. In Übereinstimmung mit dem Ratschlag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich Bischof Kunst vor dem Verteidigungsausschuß dagegen gewandt, die Gewissensentscheidung mit unveränderlichen Grundsätzen gleichzusetzen, und hat erklärt — ich darf es wörtlich zitieren —:
Nach evangelischer Lehre wird die Stimme des Gewissens in der Stellung zu einer bestimmten konkreten Handlung oder Entscheidung hörbar.
Von diesem evangelischen Verständnis des Gewissens aus können nicht nur die Gewissensbedenken eines dogmatischen Pazifisten oder eines Anhängers allgemeiner Gewaltlosigkeit anerkannt werden, sondern auch die Ablehnung eines besonderen Krieges deshalb, weil er nicht gerechtfertigt oder ungerecht erscheint oder weil er mit Massenvernichtungsmitteln geführt wird, deren Unheil unabsehbar ist. Ferner hat Bischof Kunst vorgetragen, daß es innerhalb der evangelischen Lehre eine Glaubenslehre gibt, für die auch jene Seelenangst als unüberwindliche Stimme des Gewissens Gehör verdient, die aus der gegenwärtigen Lage Deutschlands, aus der deutschen Spaltung und der Gefahr des Bruderkrieges erwächst.
Auf jeden Fall sind sich beide christlichen Kirchen darin einig, daß es keinen staatlichen Richter über das Gewissen gibt, wobei offensichtlich der Begriff des Richtens hier auch die gesetzgeberische Entscheidung mit umfaßt. Es wäre deshalb ein verhängnisvoller und mit dem Grundgesetz unvereinbarer Irrweg, von Gesetzes wegen feststellen zu wollen, welche theologische Lehre oder sittliche Grundauffassung richtig sei, welches Gewissen die rechte Stimme hört und welches sich irrt. Wir kämen dann in die Versuchung, den Glauben des anderen nicht zu glauben, weil es nicht unser Glaube ist, das Gewissen des anderen, weil es nicht unser Gewissen ist, auch nicht als sein Gewissen
hinzunehmen. In Gewissensfragen kann es sich niemals um Rechtsfragen in dem Sinne handeln, daß man das Gewissen als einen Rechtsbegriff von Staats wegen normieren dürfte, sondern wir haben es einzig und allein mit der Beweisfrage, mit der Tatfrage zu tun, ob es das Dasein solcher Gewissen und solcher unüberwindlichen Gewissensnöte gibt, auch dann, wenn wir sie selber nicht verstehen.
In dem schriftlichen Ausschußbericht des Herrn Kollegen Dr. Kliesing findet sich aber die Berner-kung, „daß es außerordentlich schwierig ist, die Gründe festzulegen, die eine im Sinne dieses Gesetzes relevante Gewissensentscheidung ergeben können". Aus dieser Bemerkung ergibt sich, daß sich der Ausschuß in seiner Mehrheit leider eine irrige Frage gestellt hat; denn es ist weder erheblich, noch gesetzlich bestimmbar, noch gerichtlich bewertbar, aus welchem Anstoß heraus, aus welcher Motivation eine Gewissensnot entsteht, sondern maßgeblich kann allein das Dasein der Gewissensbedrängnis sein. Dem Urteil einer staatlichen Instanz können somit nur die Ernstlichkeit, die Tiefe und die zwingende Kraft jener inneren Qual eines anderen Menschen unterliegen. Unmöglich ist dagegen ein Gericht darüber, ob das Gewissen dieses anderen Menschen irrt, ob also die letzte Norm, an die das Gewissen eines bestimmten Menschen hier und heute sich unüberwindbar gebunden weiß, von Staats wegen für gerechtfertigt gehalten wird oder nicht. Jeder Versuch, das Gewissen gesetzlich zu normieren, mit anderen Worten, das Gewissen des einen, der sich allgemein zur Gewaltlosigkeit bekennt, als ein beachtliches Gewissen zu erklären, dagegen das Gewissen eines anderen, der es nicht auf sich nehmen kann, mit Atomwaffen zu kämpfen oder auf Soldaten aus seinem eigenen Volke zu schießen, als ein unbeachtliches Gewissen abzuwerten, jeder solche Versuch ist eine Überforderung des Gesetzes, kann vor dem Grundgesetz nicht bestehen und endet in Unmenschlichkeit.
Hierüber darf es keine Unklarheit geben, weil sich in die Beratungen und in die Diskussionsbeiträge immer und immer wieder die falsche Frage nach dem richtigen Gewissen, insbesondere nach der richtigen Gewissensentscheidung eines evangelischen Christen, eingedrängt hat.
Soeben erst wieder hat sich das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung — Nr. 122 vom 5. Juli — „von evangelischer Seite", wie es dort heißt, schreiben lassen, für das evangelisch verstandene Gewissen sei der Erlanger Theologe Walter Künneth die Autorität, nach dessen jüngster Lehre die Kriegsdienstverweigerung Ungehorsam gegen Gottes Willen ist.
Dem nichtgenannten Verfasser dieses Eingesandt ist offenbar unbekannt, daß die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche eine besondere Kirche innerhalb der Evangelischen Kirche ist und daß sich die Lutheraner, zu denen Professor Künneth gehört, so sehr als besondere Konfession ansehen, daß sie die Abendmahlgemeinschaft mit anderen Evangelischen — mit den Unierten oder Reformierten — ablehnen.
Immerhin dürfte bemerkenswert sein, daß Professor Künneth nicht immer so sicher war, wel-
ches die rechte Gewissensentscheidung sogar für einen Lutheraner ist; denn noch in seiner erst im vergangenen Jahr erschienenen und vom Jahre 1954 datierten Schrift, seinem Werk über „Die christliche Ethik des Politischen", heißt es — ich darf das wörtlich zitieren —:
Aus diesen psychologischen Erwägungen ergibt sich, daß nicht jede an sich berechtigte politische Maßnahme zu jeder Zeit und in jedem Fall gutgeheißen werden kann, wenn sie zu einer Verwirrung der Gewissen und damit zu einer Infragestellung der ethischen Grundsätze führt. So ist die vor eingen Jahren plötzlich aufgetauchte Forderung der Wiederbewaffnung des deutschen Volkes eine seelische Überforderung gewesen,
die zu einer Gewissensprüfung aller verantwortlichen Politiker Anlaß geben muß.
An sich ist unbestreitbar, daß das Wehrrecht auch der deutschen Nation nicht abgesprochen werden kann, ebensowenig wie die Pflicht einer Verteidigung.
Und nun, meine Damen und Herren, kommt der entscheidende Satz:
Wenn aber diese Forderung in radikaler Umschaltung der bisher dem Volke eingeimpften Gesichtspunkte erfolgt, und ohne daß das Volk sein waffenloses Schicksal bisher zu deuten gelernt hat, so bedeutet ein solcher Umbruch der politischen und moralischen Argumentation eine psychologische Unmöglichkeit.
So Künneth im vorvergangenen Jahr.
Ich erwähne dieses Beispiel, um zu zeigen, wie unfruchtbar es ist, sich von Staats wegen in Glaubensfragen einmischen und darüber entscheiden zu wollen, an welche letzten Normen ein Gewissen von Rechts wegen gebunden sein kann. Es ist aber nicht nur ein auf Unkenntnis beruhendes Bemühen, einem evangelischen Christen, der kein Lutheraner ist, die Theologie der Erhaltungsordnungen des Lutheraners Walter Künneth als angeblich autoritativ im Bulletin der Bundesregierung vorhalten zu wollen, sondern die Staatsgewalt handelt verfassungswidrig und intolerant, sobald sie einzelne bestimmte Glaubenslehren von Amts wegen verbreitet und als maßgeblich hinstellt.
Unser Staat, wie ihm das Bonner Grundgesetz die Verfassung gegeben hat, ruht auf der Glaubens- und Gewissensfreiheit eines jeden seiner Bürger, d. h. der Staat erkennt diese Freiheit als einen seiner Grundwerte an. Aber der Staat selber hat keinen Glauben. Der Staat hat es deshalb hinzunehmen und zu bejahen, daß die Menschen seines Volkes verschiedene Glaubensbekenntnisse haben, insbesondere da es innerhalb der evangelischen Kirche sehr unterschiedliche Glaubenslehren gibt. Da ist die den Herrn Kollegen Bausch beunruhigende Lehre aus Kreisen der Bekennenden Kirche, daß der Befehl zum Wehrdienst ein Befehl zur Sünde sei, und da ist die Theologie des Lutheraners Künneth, daß die Wehrdienstverweigerung Sünde sei. Beide Überzeugungen und noch andere mehr sind vom Staate unbedingt hinzunehmen, zu achten und zu ehren. Geprüft werden kann einzig und allein, ob der eine oder andere Mensch ernstlich einem dieser vielfältigen Bekenntnisse so anhängt, daß er, ohne sich selber untreu zu werden oder zerbrochen zu werden, nicht gegen das handeln kann, was ihm als theonomes oder ethisches Gebot letzte Richtschnur ist.
Deshalb ist es ein böser Verstoß gegen die schlichtesten Erfordernisse der Toleranz, ja ein Angriff auf unverzichtbare Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung, wenn in jener Zuschrift an das Bulletin jene anderen evangelischen Glaubenslehren, die zu Künneths Theologie im Widerspruch stehen, als „Propaganda", noch möglichst als Propaganda, die von außen kommt, verleumdet werden, eine Propaganda, die den loyalen Staatsbürger verwirre.
Aus diesen Gründen verrät es weiterhin eine falsch gestellte, ja, eine von Verfassungs wegen unzulässige Frage, wenn im schriftlichen Ausschußbericht ferner gesagt wird, es sei im Ausschuß erörtert worden, wie es heißt, ob nur die grundsätzliche Verneinung der Gewaltanwendung im zwischenstaatlichen Bereich eine Kriegsdienstverweigerung begründen könne oder auch eine situationsgebundene Gewissensentscheidung, gleich welcher Motivierung. Der Ausschußbericht hüllt sich in tiefstes Stillschweigen darüber, was es bedeuten soll, daß der § 25 jetzt lautet:
Wer sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert . . .
Würde damit gemeint sein — man weiß es nicht —, daß ausschließlich eine solche Gewissensnot als Not des Gewissens geachtet werden soll, die überhaupt schlechthin jedweden Krieg zwischen Staaten ablehnt, dann wäre diese Einengung unerträglich und mit dem Grundgesetz unvereinbar.
Würde dies beabsichtigt sein — was ungewiß bleibt —, so wäre das eine Anmaßung, zwischen wertvollen und wertlosen Gewissen zu unterscheiden. Es hieße dies, alle anderen Gewissen in den Mülleimer werfen, die in unüberwindliche Not geraten, weil sich der eine oder andere Mensch in seiner letzten, tiefsten, äußersten Entscheidung nicht dazu verstehen kann, am Krieg mit Atomwaffen oder am Bruderkrieg innerhalb des gespaltenen Vaterlandes teilzunehmen. In diesem Falle entspräche das Gesetz unter keinen Umständen dem bekannten Ratschlag des Rates der Evangelischen Kirche. Bereits über den Regierungsentwurf hatte als ein Sprecher des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Bischof Kunst am 1. Juni vor dem Verteidigungsausschuß geklagt — ich will wörtlich zitieren —:
Er
— der Regierungsentwurf —
trägt an keiner Stelle den von den Synoden der Evangelischen Kirche und sonst vorgetragenen Bitten Rechnung.
Das ist sein Urteil darüber. Es gilt darum, im Gesetz durch einen einfachen und jedermann verständlichen Wortlaut klarzustellen, daß der Staat nicht Herr über die Gewissen ist und daß es keine Stellvertretung im Gewissen gibt, auch nicht in politischen Fragen.
Es geht nicht darum, ob wir für die eigene Person eine Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gutheißen oder nicht; das ist vom Grundgesetz entschieden. Es geht auch nicht darum, ob einer von uns selber ein Kriegsdienstverweigerer ist, sondern nach dem Gesamtinhalt des Art. 4 als einem Ganzen haben Gesetzgeber und Richter ausschließlich zu prüfen und zu achten, ob die Ernstlichkeit und die Tiefe feststellbar sind, mit der das Gewissen eines anderen Menschen ihn unüberwindlich zu einer Entscheidung zwingt. In diesem Sinne hat als der autorisierte Sprecher der Katholischen Kirche Professor Hirschmann erklärt:
Das Gewissen ist also immer individuell und
situationsbezogen. Es ist zugleich normbezogen.
Professor Hirschmann hat autoritativ als Lehrmeinung der Katholischen Kirche festgestellt — ein letztes wörtliches Zitat —:
Jedes Handeln der menschlichen Person gegen das eigene unüberwindlich irrige Gewissen ist immer und ausnahmslos in sich sittlich verwerflich. Jeder Zwang zu solchem Handeln ist ebenso wesensnotwendig sittlich verwerflich.
Und Professor Hirschmann fährt fort:
Selbst um seiner Existenz willen — um es schroff zu formulieren — darf der Staat nicht diese Existenz auf der Zerstörung der sittlichen Persönlichkeit des Menschen aufbauen. Der unmittelbare Zwang zum Handeln gegen das Gewissen wäre eine solche Zerstörung.
Ob ein jeder von uns diesen Glauben teilt oder nicht und ob uns dieser Glaube politische Schwierigkeiten bereitet oder nicht, darauf kann es und darf es nach dem Grundgesetz und nach den Grundsätzen unserer Gesittung nicht ankommen. Wir müssen es deshalb hinnehmen, daß Professor Hirschmann ausgesagt hat, die Katholische Kirche erkenne die Kriegsdienstverweigerung wegen der objektiven Ungerechtigkeit eines Krieges an. Der totale Krieg sei sicherlich unerlaubt, und man dürfe Waffen, deren Wirkung überhaupt nicht mehr überschaubar ist, selbst dann nicht einsetzen, wenn der andere Staat es tut.
Es ist leider nicht klar genug ersichtlich, ob der Verteidigungsausschuß alle diese rechtlich zu beachtenden Fälle von unüberwindlicher Gewissensnot in seine mehrdeutige Formulierung des § 25 miteinbeziehen wollte. Sicher ist allerdings, daß bedauerlicherweise der Rechtsausschuß — von dem man das am wenigsten erwarten dürfte —, dessen Mehrheit an der Regierungsvorlage festhielt, sich darüber klar war, daß die Regierungsvorlage weder den Glaubenslehren der Katholischen noch der Evangelischen Kirche gerecht wurde, sondern einen eigenen juristischen Begriff des Gewissens neu erfinden und schaffen wollte.
— Jawohl, darüber war sich der Rechtsausschuß völlig klar.
Meine Damen und Herren, hier könnte mich die Versuchung bedrängen, das ganze Pathos dieser Frage laut werden zu lassen; aber ich will die Leidenschaft bezwingen und gerade darum nur sehr leise meine Erwägungen zu bedenken geben. Es war ein bedrückendes Erlebnis, wie im Rechtsausschuß der eine und der andere aus der Minderheit das Wort suchte, das rechte Wort, aber leider immer nur die eine Seite, die Seite der Minderheit um Verständnis rang und doch nicht Gehör fand, als ob wir keine gemeinsame Sprache mehr redeten. Ist es denn wirklich so weit gekommen, daß wir nicht mehr aufeinander hören können? Stehen wir an dem Punkt, wo für uns aus dem andern bloß noch die parteipolitische Taktik spricht oder zu sprechen scheint?
Ich bitte Sie, sich zu fragen, was für eine Bundeswehr gewonnen sein soll, falls diese Grundfrage der Kriegsdienstverweigerung nicht gerecht geregelt würde. Ob wir nun Anhänger oder Gegner der Wiederbewaffnung sind, als Demokraten tragen wir die gemeinsame Verantwortung dafür, daß diese Bundeswehr, sobald eine uns verpflichtende Mehrheitsentscheidung sie, wie es geschah, als gesetzliche Einrichtung entstehen ließ, von uns ohne Unterschied der Partei als demokratische Institution zu gestalten und zu pflegen ist. Wie aber soll eine gute und freundliche Haltung zur Bundeswehr und ihrem inneren Gefüge noch möglich bleiben, falls das Entsetzliche einträte, daß sie nicht nur Bürger umfaßte, denen es ihr Gewissen erlaubt oder gebietet, Soldat zu sein, sondern zwangsweise auch Bürger mit schlechtem Gewissen, mit verletztem Gewissen, mit zerbrochenem Gewissen? Könnte eine Organisation, in der Menschen, auch wenn es nur eine Minderheit ist und wenn es eine kleine Minderheit ist, durch Gewissensqual zerstört werden, noch so vom ganzen Volke getragen werden, wie es in einer Demokratie für eine demokratische Armee unerläßlich ist?
Und glauben Sie, meine Damen und Herren, der Bundeswehr selber den freiheitlichen Geist und die wehrwillige Gesinnung ermöglichen zu können, falls Bürger gegen ihr Gewissen hineingepreßt werden? Und was soll uns den Doktrinen des Ostens gegenüber stark machen, wenn auch wir Gewissensnot wie Staub vom Tisch wischen, weil da und dort Gewissen sich nicht „verplanen" lassen?
In welche Gegensätzlichkeiten sollen Staat und Kirche geraten, falls § 25 dieses Gesetzes so zu lesen wäre, daß unter den möglichen Gewissensgründen der Staat vielleicht nur den einen oder den anderen anerkennt, aber die evangelische Kirche sowohl als auch wahrscheinlich die katholische sich um des Glaubens willen gehalten sehen, den vom Staats wegen nicht anerkannten Kriegsdienstverweigerern trotzdem beizustehen?
Schließlich ist, worauf Professor Hirschmann als autorisierter Sprecher hinwies, die Frage der Kriegsdienstverweigerung notwendigerweise im Zusammenhang mit den Sanktionen, mit den Folgen einer Nichtanerkennung der Verweigerung zu sehen. Meine Damen und Herren, mit der Freiheitsstrafe, selbst wenn wir die neue Form der bloßen Einschließung wiedereinführen sollten, ist es doch nicht getan! Die existenzvernichtenden Auswirkungen einer Strafe setzen vielmehr erst ein, wenn ein junger Mensch, der nicht anders konnte als seinem Gewissen zu gehorchen, dann aus der Gesellschaft ausgestoßen, vielleicht entehrt sein wird, ein Gebrandmarkter, dem viele Berufe verschlossen sind: der öffentliche Dienst, die von ihm ersehnte Ausbildung. Was glauben Sie wohl: mit welchem Empfinden wird ein Vater, wird eine
Mutter es mit ansehen, daß ihr Kind so zugrunde gerichtet ist!
Aus diesen Fragen — der Bundeskanzler scheint das lächerlich zu finden, mir ist es nicht lächerlich — erkennen Sie, daß es um mehr geht als bloß um ein Organisationsproblem der Bundeswehr, das gewiß nicht ohne Schwierigkeit sein mag, oder um die Tagesentscheidung über einen vereinzelten Gesetzesparagraphen. Diese Entscheidung — darüber mag sich niemand im unklaren sein — kann die Gesamtheit unseres Staatsgefüges in seiner ganzen Tiefe erbeben lassen.
Ich glaube, es ist kein unbilliger Wunsch, daß wir beantragen, die Voraussetzungen der Kriegsdienstverweigerung genau ebenso zu normieren, wie das Grundgesetz es bereits getan hat. Darum soll der § 25 nach unserem Antrage lauten:
Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, ist zum Wehrdienst nicht heranzuziehen. Er leistet einen Zivildienst oder auf seinen Antrag einen waffenlosen Dienst in der Bundeswehr. Das Nähere regelt ein Gesetz.
Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich, daß hierüber namentlich abgestimmt wird.