Nein, ich will jetzt zuerst meinen Gedankengang zu Ende führen!
Ich darf dazu sagen, Herr Präsident: ich gestatte jede Frage, die sachlich und in parlamentarischer Noblesse vorgetragen wird.
Ich gestatte keine Frage, die lediglich den Zweck
hat, der in Bonn manchmal schon Tendenz ist,
einen politischen Gegner persönlich abzuwerten.
Meine Damen und Herren, ich darf meinen Gedankengang fortführen. Die andere Möglichkeit, wie sie auch die Gutachter darstellten, wäre ein Zusammenstoß auf dem europäischen Gebiet ohne atomare Waffen, d. h. also ein Zusammenstoß in der bisherigen klassischen Strategie. Ich habe schon in der ersten Lesung und auch bei der Debatte um die Wehrpolitik im allgemeinen im Sommer vorigen Jahres ausgeführt, daß die atomare Entwicklung die klassische Bewaffnung nicht überflüssig macht, daß sie lediglich zu einer Umkonstruktion der klassischen Bewaffnung führt. Aber — ich wiederhole es hier — jene atomare Entwicklung macht die klassische Bewaffnung nicht schlechthin überflüssig, sie zwingt nur zur Veränderung ihrer Struktur.
Damit komme ich zu der zweiten Frage, den Möglichkeiten eines begrenzten Zusammenstoßes in Europa. Solche Zusammenstöße wären in der ersten Phase nur mit klassischen Waffen zu erwarten. Sie können sich sehr schnell aus einem Ereignis Posener Art entwickeln. Für diese Möglichkeit der Zusammenstöße mit klassischen Waffen muß selbstverständlich die Bundesrepublik gerüstet sein. Deshalb haben wir doch dem Freiwilligengesetz, dem Soldatengesetz und allen übrigen einschlägigen Gesetzen zugestimmt, auch der beschleunigten Überführung des Bundesgrenzschutzes. Wir sind ja keine Gegner der allgemeinen Verteidigungsdienstpflicht, sondern wir bejahen dieses Prinzip. Es geht um die Frage der modernsten Form dieses Prinzips unter den heute gegebenen Umständen.
Die dritte Möglichkeit wäre dann — man möge mir das harte Wort verzeihen — der deutsche Bürgerkrieg. Der deutsche Bürgerkrieg ist gar nicht so ausgeschlossen, wie es mancher allzu spießbürgerlich denkende Bundesrepublikaner vielleicht meint. Auch die Gutachter haben anflesichts der Lage Deutschlands einen Zusammenstoß mit Volkspolizeidivisionen, mit Arbeitermilizen, mit Freiwilligenverbänden für möglich gehalten. Auch das ist ein Grund für eine schnelle Aufstellung einsatzbereiter Kaderverbände, um eine innerdeutsche Aktion derer zu verhindern, die uns heute leider immer noch überlegen sind dadurch, daß sie bereits vor Jahren sieben Volkspolizeidivisionen aufgestellt haben — unter Führung der ehemaligen Wehrmachtgenerale Vinzenz Müller, von Lenski, Lattmann, Dr. Korfes —, daß sie eine Luftwaffe und eine Marine aufgestellt haben und an vormilitärischer Ausbildung weit über das hinausgegangen sind, was selbst im Dritten Reich unter Hitler in Deutschland möglich war. Sie alle kennen jene Bilder des Vorbeimarsches mit Gewehren ausgerüsteter junger Männer und sogar junger Mädchen. Sie alle kennen die Verleihung von Schießabzeichen, die Verleihung von Gewehren, die Jugendweihen, das Küssen einer Fahne und was sonst an militaristischen Kulten in der
Sowjetzone an der deutschen Jugend verbrochen wird.
— Darauf komme ich!
Die Folgerungen sind ein möglichst schneller Aufbau jener deutschen Kaderverbände, die wir auch in unserem Memorandum gefordert haben, das wir am 31. Januar 1956 dem Herrn Bundeskanzler zugeleitet haben. In diesem Memorandum steht:
Nunmehr droht zum Ablauf der im Freiwilligengesetz vorgesehenen Frist 31. 3. 1956 eine erneute Verzögerung in der Aufstellung der deutschen Wehrmachtsverbände dadurch einzutreten, daß die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen noch nicht vorhanden sind. Weder sind die seitens der Koalition durch die im Bundestag ausdrücklich abgegebene Erklärung dies seinerzeitigen Berichterstatters, Bundesminister Dr. von Merkatz, vereinbarten Verfassungsergänzungen bisher verabschiedet, noch die wichtigsten anderen gesetzlichen Grundlagen. Zwar bestehen Aussichten, Verfassungsergänzungen, Soldatengesetz, Bundesleistungsgesetz und Besoldungsordnung noch vor dem 31. 3. 1956 zu verabschieden, dagegen ist es sehr fraglich, ob die Gesetze über die Soldatenversorgung und Soldatenfürsorge, Disziplinarordnung, Beschwerdeordnung, Organisationsgesetz, Gesetz über den Schutz von Uniformen, Orden und Ehrenzeichen und andere noch termingerecht erledigt werden können, wenn Bundestag und Bundesrat nicht erneut in Zeitnot kommen sollen mit allen sich daraus ergebenden unerfreulichen Spannungen.
Neben dem innerpolitischen Schaden, der durch einen erneuten Streit um die wehrgesetzlichen Grundlagen zwangsläufig entstehen muß, sieht die Bundestagsfraktion mit besonderer Sorge auch zu befürchtende Mißverständnisse auf außenpolitischem Gebiet.
Und dann ist ausdrücklich, Herr Kollege Haasler, auf Seite 3 dieses Memorandums, das ich mir im ganzen Wortlaut zu Protokoll des Bundestages zu übergeben erlaube, ausgeführt:
Die Sowjetzone ist durch die Aufstellung von 7 Volkspolizeidivisionen, einer Volksmarine und einer Volksluftwaffe der Bundesrepublik auf dem Gebiet der praktischen Wehrpolitik weit voraus. Auch wenn man den Kampfwert der Sowjetzonenstreitkräfte nicht hoch veranschlagt und mit Recht auf den Mangel an zuverlässigen und qualifizierten Offizieren und Unteroffizieren hinweist, bleibt die Bewaffnung der Sowjetzone eine große staatspolitische Gefahr für die Bundesrepublik.
Und es heißt dann weiter:
Aus diesem Grunde hat die Fraktion in der Kabinettssitzung
— als wir noch in der Koalition waren —
vom 20. 11. 1955 der dringenden Übernahme des Bundesgrenzschutzes zugestimmt, um in wenigen Monaten
— Herr Kollege Haasler! —
durch die Ausrüstung des Bundesgrenzschutzes mit den ersten schweren Waffen und durch die Auffüllung dieser Kader durch Freiwillige noch in diesem Jahr 3 einsatzbereite Divisionen aufzustellen.
Hier geht es uns nicht schnell genug in der Sicherung der Notwehr der Bundesrepublik. Aber das Wehrpflichtgesetz, ,das ja frühestens in einem Jahr überhaupt erst praktiziert werden kann, bringt keine Beschleunigung jener Notwehr, sondern zerreißt dieses Haus und zerreißt in dieser Situation auch unser Volk!
Ich hätte gewünscht—und ich werde zum Schluß darauf kommen —, daß wir auch in dieser Frage bei ruhiger Beratung vielleicht im Herbst, vielleicht bis zum kommenden Frühjahr jene Lösung gefunden hätten, die das Verteidigungsproblem weitestgehend aus dem parteipolitischen Streit verbannt hätte, wie das im Frühjahr bei der Grundgesetzergänzung glücklicherweise der Fall gewesen ist.
Lassen Sie mich nun noch zu den weiteren sachlichen Voraussetzungen kommen, die wir bei diesem Wehrpflichtgesetz als nicht gegeben erachten. Aber vorher noch eine Bemerkung. Da ich soeben das Memorandum an den Herrn Bundeskanzler vom 31. Januar 1956 zu Protokoll des Bundestages gegeben habe, lassen Sie mich auch mitteilen, was der Herr Bundeskanzler der Fraktion der Freien Demokraten unter dem 2. Februar 1956 mitgeteilt hat. Der Herr Bundeskanzler schreibt:
Ich bestätige den Empfang Ihres Schreibens
vom 31. Januar. Die von Ihnen angeführten
Mängel bedürfen einer eingehenden Nachprüfung. Ich komme baldigst darauf zurück.
Bis zum heutigen Zeitpunkt ist über diese Antwort hinaus keine weitere Stellungnahme zu unserem Memorandum erfolgt.
Die Fraktion der Freien Demokraten erklärt bei prinzipieller Bejahung einer allgemeinen Verteidigungsdienstpflicht, daß die Voraussetzungen sachlicher Art für dieses Gesetz in diesem Zeitpunkt nicht gegeben sind. Es fehlt nämlich zunächst das Besoldungsgesetz. Wenn Sie mich fragen, warum wir jetzt leider nicht 15 000 Bundesgrenzschutzleute in die Bundeswehr übernehmen können, wie wir gehofft haben,
sondern leider nur etwas über die Hälfte, und wenn Sie mich fragen, warum der Drang junger Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften des Bundesgrenzschutzes zur Bundeswehr nicht den Erwartungen entspricht, so muß ich Ihnen sagen, daß dies an den vielen leider noch ungeklärten Rechtsverhältnissen des deutschen Wehrwesens liegt.
Das gilt nicht allein für das Besoldungswesen. Aber selbst bei der Bundeswehr hat uns das fehlende Besoldungsgesetz schon Kummer bereitet. Sie wissen, daß auf einem Flugplatz Süddeutschlands eine Mißstimmung ausgebrochen ist und daß die dort stationierten Soldaten der neuen Luftwaffe eine Petition an den Verteidigungsausschuß
des Bundestages geleitet haben, in der sie gebeten haben, einige noch ungeklärte Fragen der Besoldung, der Gefahrenzulage usw. zu klären.
— Und auch der Unterbringung. Der Ausschuß für Verteidigung hat zwei Abgeordnete beauftragt, die Angelegenheit an Ort und Stelle zu klären. Sie ist in ,der Presse gewissermaßen als der erste Bundeswehrstreik bezeichnet worden, eine Bezeichnung, die meines Erachtens über den Tatbestand hinausgeht. Auch der Herr Verteidigungsminister hat sich sich veranlaßt gesehen, einen Oberst der Luftwaffe zu diesen Fliegern zu schicken, um diese Mißstimmung zu beseitigen.
Das gleiche gilt für das noch fehlende Versorgungsgesetz. Meine Damen und Herren, wenn jetzt in der Ausbildung — und die Ausbildungsverluste sind in modernen Armeen leider sehr wahrscheinlich — jemand getötet oder verletzt wird — wie der unlängst tödlich verunglückte Oberfeldwebel —, so weiß seine Witwe, so wissen seine Waisen nicht, was sie an Versorgungsansprüchen geltend machen können.
Es fehlt gegenwärtig eine Regelung, die über die Rechtsansprüche der Hinterbliebenen oder der Geschädigten eine klare gesetzliche Auskunft gibt.
Das gleiche gilt von dem Organisationsgesetz. Das Organisationsgesetz hätte wahrlich verabschiedet sein müssen; denn dies Gesetz soll doch eine allgemeine Darstellung des Aufbaus des Wehrwesens geben. Ich erinnere nur daran, wie bedrückt die Standesorganisation der Ärzteschaft darüber war, daß das Sanitätswesen beim Aufbau des Wehrwesens so stiefmütterlich behandelt werden würde. Das gleiche gilt für das Problem Technik und Forschung und vieles andere. Auf welchen Säulen ruht das Organisationswesen der neuen Wehrmacht? Das Organisationsgesetz ist nicht verabschiedet.
Die Beschwerdeordnung ist ebenfalls nicht verabschiedet. Man braucht sie nicht erst für das Wehrpflichtheer, man braucht sie schon heute für die rund 30 000, die man in wenigen Tagen haben wird.
Die Wehrdisziplinarordnung ist gleichfalls noch nicht verabschiedet. Ja, bei der Wehrdisziplinarordnung fand sich und findet sich als Vorschlag der Bundesregierung noch jener Passus, daß wie weiland beim Alten Fritzen und wie später — als wenn nichts Neues auch auf dem Gebiete der Menschenbildung und Menschenführung entstanden wäre — der geschärfte Arrest wieder eingeführt werden soll, das heißt, nach der Vorlage der Bundesregierung sollen Bundesbürger bis zum 60. Lebensjahr — denn so weit geht ja die Wehrpflicht für Offiziere und Unteroffiziere, für Mannschaften geht sie bis zum 45. — in geschärften Arrest kommen können; bei Wasser und Brot und auf hartem Lager soll man ihnen also die Freizeit entziehen können.
Sicher, es ist abgeschwächt dadurch, daß zwar nicht wie früher der Kompaniechef, sondern der Bataillonskommandeur die Strafe des geschärften Arrests ausspricht und daß sie auch richterlich nachgeprüft wird; aber feststeht: mit dem Art. 1 unseres Grundgesetzes — „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" — hat der geschärfte Arrest in der Disziplinarvorlage der Bundesregierung wahrlich nichts gemein.
Wer mir erklärt, man müsse den geschärften Arrest wegen der Halbstarken und .anderer wilder Leute, die es gebe, haben, wer glaubt, diese Maßnahme des geschärften Arrests — bei Wasser und Brot, auf hartem Lager — nötig zu haben, weil er sich sonst disziplinar nicht durchsetzen kann, der beweist, daß er für die Aufgabe der Menschenführung in einer rechtsstaatlichen demokratischen Armee ungeeignet ist.
Wir kennen den Freiheitsentzug nur nach einem richterlichen Verfahren mit allen Mäglichkeiten der Anklage, Verteidigung, mit allen jenen Sicherungen. Wollen wir zu dem zurückkehren, was schon in einer anderen Frage durch das Eingreifen des Verteidigungsausschusses gottlob als nicht mehr zeitgemäß beseitigt werden konnte? Nämlich die Grundstellung dadurch herbeizuführen, daß man außerdem die Mittelfinger an die linke oder rechte Hosennaht zu legen habe?
Ich frage mich, wie das dann ausgefallen wäre, wenn bei den neuen Kampfanzügen die Hosennaht hinten gewesen wäre.
Ich will Ihnen bei aller Bejahung einer allgemeinen Verteidigungsdienstpflicht mit diesen wenigen Bemerkungen darlegen, daß die sachlichen Voraussetzungen für dieses Wehrpflichtgesetz nicht gegeben sind.
Nun zu der Frage der psychologischen Voraussetzung. Dieses Haus hat oft Debatten über die ideelle und materielle Wiedergutmachung am deutschen Soldatentum erlebt. Wir wissen, daß sich 1945 leider böse Erscheinungen ergeben haben, als man vom Heldenkult der Vergangenheit in die Kriegsverbrecherpsychose verfiel, in den Militaristenstreit, und vom Unteroffizier aufwärts der Militarist und geradezu der Kriegsverbrecher begann. Sie wissen auch, wie schlecht die ehemaligen Berufssoldaten materiell behandelt wurden, obgleich sie sich zum Teil unter Kaiser Wilhelm II. und später unter dem Reichspräsidenten Ebert und dem Reichswehrminister Noske und unter Hindenburg, leider auch unter Hitler, an die Ausübung ihres Berufs gehalten hatten. In Kenntnis der vertraglichen, zweiseitigen Verpflichtung, die vom Staat eingegangen worden war, ist es nachher zu jener ungesetzlichen Behandlung der ehemaligen Berufssoldaten gekommen. Wir glauben, daß es schon aus psychologischen Gründen zweckmäßig wäre, die zweite Novelle zum Gesetz nach Art. 131 GG baldigst zu verabschieden. Auch das hätte bei kluger politisch-psychologischer Handhabung ebenso vor der Verabschiedung dieses Gesetzes stehen müssen wie die restlose Bereinigung der Kriegsverurteiltenfrage.
Ich habe an den Herrn Bundeskanzler schon in der zweiten Lesung eine Frage gerichtet, die ich bitte vielleicht heute zu beantworten. Sicher, es waren im Jahr 1950 noch 5000; es sind heute nur wenige, die noch hinter den Kerkertüren unserer Partnermächte, die im elften Jahr in Haft sind. Es scheiden aus unseren Überlegungen alle die aus, die als Verbrecher im wahrsten Sinne des Wortes schuldig geworden sind und den deutschen Namen mit Schande bedeckt haben, weil sie sich ohne die Not des Krieges als Sadisten an wehrlosen Menschen vergangen haben. Für sie sprechen wir nicht, obgleich auch sie schon elf Jahre in Haft sind. Sie mußten und müssen die gerechte Strafe erleiden. Wir sprechen, wenn wir von Kriegsverurteilten reden, für die, die durch die besonderen Ereignisse des Krieges in Handlungen verstrickt warden sind, bei denen sie dann nicht mehr die strengen völkerrechtlichen Maßstäbe ,angelegt haben. Das Völkerrecht ist leider im zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten gebrochen worden, und wir haben allesamt Grund, uns dessen zu schämen, was aus dem Völkerrecht des Hugo Grotius und was aus den Prinzipien Immanuel Kants im zweiten Weltkrieg auf allen Seiten leider gemacht wurde.
Aber, meine Damen und Herren, das Vaterunser gebietet, doch einmal einen Schlußstrich zu ziehen nach der Forderung: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern". Wir glauben, es ist, bevor man der Mutter zumutet, ihren Sohn wieder auf Befehl handeln zu lassen, an der Zeit, daß der letzte noch inhaftierte Soldat frei ist, der auch nur deswegen hinter Kerkermauern sitzt, weil er in falsch verstandenem Gehorsam, in einem Befehlsnotstand gehandelt hat. Der Verband der Heimkehrer, einer der großen Verbände der ehemaligen Kriegsgefangenen und Vermißtenangehärigen Deutschlands, schreibt daher an alle Abgeordneten den schwerwiegenden Satz:
Die wiederholten öffentlichen Erklärungen des Bundesverteidigungsministers, die Kriegsverurteiltenfrage werde gelöst, bevor der erste Deutsche wieder Uniform anziehen würde, konnten nicht eingelöst werden. Eine große Anzahl ,der Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr befindet sich in einem echten Gewissenskonflikt. Ohne Lösung dieses Konflikts ,die wehrfähige deutsche Jugend, darunter auch Söhne von Kriegsverurteilten, und die ehemaligen Soldaten unter Wehrpflicht zu stellen, muß zu einem sittlichen Notstand führen, unter dem keine krisenfeste Moral ,der Bundeswehr gedeihen kann.
Ich habe vor der Reise des Herrn Bundeskanzlers 1955 dem Herrn Bundeskanzler ein Telegramm geschickt, in dem ich bat, doch auf die wichtige psychologische Verbindung zwischen der Lösung der Kriegsverurteiltenfrage und der Wehrfrage in Deutschland hinweisen zu wollen. Ich wäre dankbar, wenn der Herr Bundeskanzler hier erklären könnte, welche Zusagen er bezüglich der noch Inhaftierten bei seiner Amerikareise im vorigen Monat erreichen konnte und wann wir erwarten können, daß hier endlich ein Schlußstrich unter diese leidige Frage des 2. Weltkriegs gezogen wird.
Lassen Sie mich auf ein anderes heißes Eisen hinweisen, auf eine Frage, die wir bereits auf unserem Parteitag in Würzburg erörtert haben. Man mag es gern hören oder nicht, es hat nun einmal im 2. Weltkrieg neben den Verbänden des Heeres, der Marine und der Luftwaffe auch rund 36 Divisionen der Waffen-SS gegeben, die gewissermaßen als ein Teil der Wehrmacht unter dem Oberbefehl von Kommandierenden Generalen des Heeres kämpften. In den Dienst der Verbände der Waffen-SS sind nicht etwa nur notorische Nationalsozialisten gekommen, sondern es sind auch die jungen 17-, 18-, 19-jährigen, zum Teil gegen ihren Willen, zu dieser Truppe gekommen, die besser ausgerüstet war und gewisse Vergünstigungen hatte. So stellen wir heute fest, daß 700 000 Angehörige der ehemaligen Waffen-SS im Bundesgebiet leben, darunter 200 000, die ,den Dienstgrad vergleichsweise vom Unteroffizier aufwärts haben. Sie werden nach den bisherigen Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums nicht für würdig erachtet — aus welchen Gründen auch immer —, freiwillig in die Bundeswehr einzutreten. Sie werden aber nach Verabschiedung dieses Wehrpflichtgesetzes würdig sein, in der gleichen Bundeswehr Wehrpflichtigendienst zu machen. Eine solche unterschiedliche Behandlung ist einer rechsstaatlichen Demokratie unwürdig.
Man muß daher auch in dieser heiklen Frage eine entschiedene Position beziehen: entweder man nimmt sie nicht aus und gibt ihnen keine Sonderbehandlung, dann aber auch in jeder Frage; oder man nimmt sie aus, dann aber insgesamt. Die Gefahr, daß etwa notorische Nationalsozialisten in höheren Rängen sich dann auch melden und eingestellt werden könnten, ist nicht gegeben, weil wir erstens verschiedene parlamentarische Sicherungen eingebaut haben, zweitens einen Gutachterausschuß besitzen. Drittens hat sich noch kein einziger ehemaliger höherer SS-Offizier überhaupt gemeldet, was an sich als eine Taktfrage selbstverständlich ist.
Lassen Sie mich nun noch auf einige politische Bedenken eingehen. Unsere Fraktion lehnt dieses Wehrpflichtgesetz trotz Bejahung der Prinzipien einer allgemeinen nationalen Verteidigungsdienstpflicht ab, zum größten Teil wegen der noch nicht erfüllten sachlichen und psychologischen Voraussetzungen. Es gibt einige andere Kollegen bei uns, denen weniger diese sachlichen als vielmehr die politischen Bedenken die schwerwiegenden sind. Wir befinden uns nun einmal in der tragischen Situation der Zweiteilung. Keiner der anderen 15 NATO-Partner steht in dieser tragischen Lage. Nur unser Volk erlebt die Aufstellung zweier Armeen, und an Elbe und Werra stehen sich auf Nahkampfentfernung die Militärblöcke des Ostens und des Westens gegenüber. Die Bundesrepublik ist Mitglied der NATO, die Sowjetzone Mitglied des Warschauer Paktes. Viele meiner Kollegen fragen sich, wie angesichts dieser Situation, wenn alles so bleiben soll, wenn sich nichts Neues ergibt im Einvernehmen mit den Westmächten, wenn man nicht neue Situationen weltpolitischer Art auch zu neuen Konstruktionen ausnutzt, die Wiedervereinigung überhaupt einmal kommen soll. Es genügt nicht, seit sieben Jahren hier nur das Bekenntnis zur Wiedervereinigung in Recht und Freiheit und in Frieden zu verkünden,
sondern man muß nunmehr auch einmal konkrete Lösungsmöglichkeiten in die weltpolitische Diskussion bringen.
— Ich werde Ihnen das gleich sagen. — Bei dem deutsch-englischen Gespräch beklagten sich drei britische Unterhaus-Abgeordnete: Elliot, Rubens und Richard Crossmann; Robens war immerhin Minister und ist der mögliche spätere neue Minister, der jetzige Shadow-Außenminister der Labour Party. Sie sagten: „Ihr habt uns bei der ersten Genfer Konferenz daran gehindert, den Edenschen Vorschlag weiterzuverfolgen." Es ist wörtlich gesagt worden:
„Es war die Bundesregierung, die Premierminister Eden bat, seinen Vorschlag der entspannten militärischen Zone nicht weiterzuverfolgen.
Hinter , die Bundesregierung haben sich dann die Vereinigten Staaten gestellt. Nun haben wir uns nach euren Wünschen gerichtet. Aber wenn ihr uns Engländer schon hindert, unsere Vorstellung von der Wiedervereinigung zu entwickeln, wo bleiben dann die konkreten Vorstellungen der deutschen Bundesregierung?'
Wir alle, die wir da saßen, aus allen Parteien — es sind Zeugen im Hause —, waren irgendwie verlegen. — Sie fragen: Wo bleibt Ihr Vorschlag? Entschuldigen Sie, ich habe als bescheidenen Beitrag in Fortführung der Edensehen Gedankengänge gewisse Möglichkeiten dargelegt. Ich wünschte, ich hätte das nicht nötig, weil sich andere und Berufenere dieser Schicksalsfrage annehmen.
Einige Herren Kollegen waren auch tief beeindruckt von ,dem, was aus der Synode der Evangelischen Kirche dargelegt wurde. Auch das hat sie bestimmt, zu diesem Zeitpunkt in dieser Situation nein zu sagen.
Wir haben daher einige Anträge eingebracht, um wenigstens ein Minimum an Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands auch nach der Einführung der Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Wir wollen da erreichen: daß diejenigen jungen Menschen — insgesamt etwa 200 000 — vom Wehrdienst befreit werden, die Verwandte ersten Grades in Mitteldeutschland haben. Nachdem dieser Antrag leider in der zweiten Lesung abgelehnt wurde, hoffe ich, daß unser Antrag wenigstens in der dritten Lesung Annahme finden wird. Damit würde wenigstens teilweise den Bedenken nicht nur der Synode der Evangelischen Kirche, sondern vieler anderer entsprochen.
Das gleiche haben wir bezüglich der letzten Söhne beantragt. Auch das ist abgelehnt worden. Frau Kollegin Lüders wird Gelegenheit nehmen, auch diesen Antrag noch einmal vorzutragen, wie Frau Kollegin Ilk Ihnen den Antrag bezüglich der Verwandten ersten Grades vortragen wird. Bei den letzten Söhnen, Herr Kollege Berendsen, habe ich speziell an die erhöhte Unfallgefahr einer modernen Armee gedacht. Wenn ein atomarer Krieg kommt — das sagte Kollege Erler schon —, dann gibt es
leider, leider keine Ausnahmen; dann kann es sogar sein, daß die Zivilbevölkerung in den Städten wesentlich mehr Front erlebt als manche Soldaten im vorderen Graben.
Nicht anders war es ja zum Teil schon im zweiten Weltkrieg. Da gab es für Frauen und Kinder in den deutschen Städten oft mehr Fronteinsatz als für manche Angehörige der rückwärtigen Dienste, höherer Stäbe oder mancher Truppen an den Fleischtöpfen Dänemarks, Norwegens oder auf der Insel Kreta.
Aber wollen wir die letzten Überlebenden der Gefahr aussetzen, bei den Schießübungen, bei den Fahrübungen, bei den Nachtübungen — bei der erhöhten Unfallgefahr in jeder technisierten Armee — auch noch zu Tode zu kommen? Sie haben, Herr Kollege Berendsen, bei der Debatte der zweiten Lesung auf das Schilaufen hingewiesen, haben gesagt, das sei ja auch gefährlich. Bei der dritten Lesung haben Sie sich immerhin schon auf die deutschen Straßen und auf den Bergbau berufen. Das aber ist kein logischer Grund, unseren Antrag abzulehnen. Wer sich auf die deutschen Straßen begibt, der begibt sich allerdings in Lebensgefahr, und nicht einmal freiwillig, sondern leider aus der allgemeinen Notwendigkeit des Daseinskampfes. Wer im Bergbau arbeitet, steht unter erhöhter Lebensgefahr. Im gedachten Falle aber zwingen Sie junge Menschen in besonderer Art in erhöhte Lebensgefahr, und das wollen wir nicht haben.
Wir wollen auch noch einmal unseren Antrag vorbringen, das Ende des Wehrpflichtalters für Unteroffiziere und Offiziere von 60 auf 55 Jahre herunterzusetzen. Herr Kollege von Manteuffel hat das letztemal gesagt, man müsse die Erfahrung der Älteren den Jungen vermitteln. Dem steht nichts entgegen. Jeder, der es will, soll sich freiwillig melden, — volenti non fit injuria. Wir möchten aber einen 56-, 57-, 59jährigen Mann davor bewahren, dadurch gesundheitliche Schäden zu erleiden, daß er sich noch irgendwelchen physischen Anstrengungen unterwerfen muß, denen er nach der Kenntnis unserer ärztlichen Wissenschaft einfach nicht mehr gewachsen sein kann.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß zu der Problematik der ganzen Wehrpflichtdebatte folgendes sagen. Wir Freien Demokraten haben uns als grundsätzlich soldatenfreundliche und der Freiheit und dem Notwehrrecht verschworene Politiker immer bemüht, ein möglichst gutes Klima in den Fragen zu erreichen, die gemeinsame Anliegen des ganzen Volkes sein müssen. Das ist weit vor vielen anderen Dingen der Neuaufbau einer Armee. Eine Wehrmacht darf nicht auf den schmalen Schultern einer Koalition oder gar einer großen Partei aufgebaut werden. Eine Wehrmacht muß auf den breiten Schultern aller staatstragenden demokratischen Kräfte unserer Nation aufgebaut werden.
In diesem Hause sind viele Bemühungen angestellt worden. Ich denke an die Bemühungen des Vizepräsidenten Dr. Jaeger in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, ich
denke an die Funktion des wehrpolitischen Sprechers der Sozialdemokraten, Fritz Erler, als stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Wie viele Möglichkeiten zu gemeinsamem Gespräch um die gemeinsame staatspolitische Not in diesen Fragen haben wir gefunden! Bei einer klugen Behandlung dieser Frage, nicht bei einer hektischen Verabschiedung — parallel zu den Plenarsitzungen die Ausschußsitzungen —, nicht bei solchen Abstimmungen, wie wir sie in der zweiten Lesung leider erleben mußten, hätte sich nach unserer Auffassung ein Weg gefunden, der glücklicher gewesen wäre als der, der erneut den Streit in das deutsche Volk trägt.
Es war doch geradezu deprimierend, wenn man von 23 bis 24 Uhr vorgestern am Westdeutschen und Norddeutschen Rundfunk hörte: bis § 12 Rede, Gegenrede, Abstimmung
— nun, wir wollen darüber nicht mehr sprechen —, ab §§ 13, 14, 15, 16 bis § 45 ging es in 30 Minuten wie folgt:
Ich rufe auf § 14. Liegen Wortmeldungen vor? — Wortmeldungen liegen nicht vor. Dieser Paragraph ist angenommen. § 15! Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Paragraph ist angenommen.
§ 16! Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Paragraph ist angenommen.