Ich möchte das ganz klarstellen. Die Synode hat einen einmütigen Auftrag erteilt, durch ihre Delegation diese Bedenken von Synodalen hier vorzutragen. Der Auftrag der Synode ist einmütig.
Und wenn Sie es genau wissen wollen, darf ich Ihnen hier eine Erklärung verlesen, die Sie vielleicht beruhigt:
Die Unterzeichneten schließen sich den Bedenken gegen die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht bzw. gegen Zwangsmethoden bei der Werbung für Wehrdienst an, die durch die von der Synode beauftragte Delegation in Bonn und Ost-Berlin vorgetragen werden.
Unter diesem Schriftstück befinden sich die Unterschriften von 62 der 120 Mitglieder der Synode
und außerdem 2 von den Ratsmitgliedern, die nicht gleichzeitig Angehörige der Synode sind.
Meine Damen und Herren, diejenigen, die diese Unterschriften in der Tasche hatten, als sie hierher kamen — nämlich die Beauftragten der Synode —, haben gut daran getan — und deshalb sollten wir auch nicht den Bischof Dibelius drängen, daß er nunmehr die Namen der Unterzeichner bekanntgibt —, die Namen nicht bekanntzugeben wegen der Folgen, die eine Bekanntgabe für die einzelnen Unterzeichner oder Nichtunterzeichner insbesondere in der sowjetischen Besatzungszone haben könnte.
Es scheint manchem in diesem Hause — ich muß noch einmal darauf zurückkommen — nicht bewußt zu sein, welch ein Unterschied selbst für unsere Brüder in der Sowjetzone zwischen dem gesetzwidrigen Druck der kommunistischen Organisationen auf Eintritt in die Armee der Zone und der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht durch eine für alle Bürger durch Gesetz verbindliche Bestimmung besteht. Das ist ein Unterschied, und zwar ein erheblicher.
Der Kollege Berendsen hat hier gesagt, wir sollten uns nicht davor fürchten, daß etwa die Jugend, wenn sie durch ein Wehrpflichtgesetz in größerem Umfang in die Zonenarmee hineingepreßt würde, dort der kommunistischen Beeinflussung erliegen könnte. Wer bis zu seinem 19. Lebensjahr standhaft geblieben sei, der bleibe es auch weiterhin. — Herr Kollege Berendsen, wir haben alle die bitteren Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hinter uns.
Wir wissen alle, mit welchen Mitteln des Meinungsmonopols, der Disziplinierung und zusätzlich noch durch die Form der Armee, die die Kommunisten drüben geschaffen haben, die junge Generation auf Wege gebracht werden kann, an denen sie nicht Schuld trägt, die ihr aber von dem Mechanismus der totalitären Gewaltherrschaft aufgezwungen werden.
Da sollten wir das nicht leicht nehmen, wenn uns in Sorge dargelegt worden ist, wieviel stärker der Zugriff der Kommunisten auf die Seele der jungen Menschen ist, wenn sie ihnen anderthalb oder vielleicht auch zwei Jahre ununterbrochen in der Atmosphäre ihrer disziplinierten Armee ausgeliefert sind.
Meine Damen und Herren, wir sollten auch daran denken, welche Konsequenzen es hätte, wenn die Einführung der Wehrpflicht zu einer weiteren Entleerung der Sowjetzone gerade von den Menschen führen würde, die innerlich das Regime so ab-
lehnen, daß sie unter gar keinen Umständen bereit wären, auch auf Grund eines Gesetzes drüben Dienst zu leisten.
Das Problem ist dann gar nicht, ob die Betreffenden vielleicht bereit wären, dann in die Wehrpflichtarmee der Bundesrepublik einzutreten. Das Problem ist ein ganz anderes. Wieviel an innerem Widerstandswillen geht uns dadurch in der sowjetischen Besatzungszone verloren!
Wenn wir diese Fragen erörtern — nicht nur beim Prinzip der Wehrpflicht, sondern nachher auch bei den einzelnen Paragraphen Ihres Gesetzes —, wenn wir auf die Folgen aufmerksam machen und uns dann darum bemühen, wenigstens diese Folgen zu mildern, dann denken Sie bitte daran: Hier handelt es sich nicht um Konzessionen, die man einem Gewaltregime gegenüber macht, nicht um das Regime, sondern hier handelt es sich um die Berücksichtigung der Sorgen und Nöte unserer eigenen Landsleute drüben.
Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, welche Folgen die Wehrpflicht hüben wie drüben in bezug auf die Unterbindung des freien Personenverkehrs, zumindest der männlichen Bevölkerung, über die Zonengrenze hinweg hätte. Sie wissen alle, was es für unsere Landsleute drüben bedeutet, daß es uns immerhin gelungen ist, diesen Verkehr von Millionen von Menschen über die Zonengrenzen trotz aller Beschränkungen in dem großen Umfang aufrechtzuerhalten, wie er noch besteht. Nur so ist es doch überhaupt möglich, das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit und Solidarität lebendig zu erhalten und nicht völlig den Weg der Auseinanderentwicklung in zwei verschiedene Staaten zu gehen.
Die Einschmelzung der Wehrpflichtarmee hier in den Atlantikpakt und der Wehrpflichtarmee drüben
in den Warschauer Pakt, das sind Stücke der Zementierung der Spaltung Deutschlands, und mit jedem weiteren Schritt auf diesem Wege wird es immer schwieriger, die eingegangenen Bindungen einmal so umzugestalten, daß wir aus den verschiedenen Teilen Deutschland überhaupt einmal wieder einen einheitlichen Staat werden schaffen können. Aber ohne die Umgestaltung dieser Bindungen werden wir Deutschland nie zusammenbekommen.
Deutschland im Atlantikpakt als wiedervereinigtes Deutschland — diese Illusion haben auch Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie ehrlich sind, alle längst aufgegeben.
Infolgedessen ist es Aufgabe der deutschen Politik — wir denken dabei an die Debatte, die wir zur außenpolitischen Lage in diesem Hause gehabt haben —, selbst Vorschläge zu machen, wie das wiedervereinigte Deutschland militärisch beschaffen sein könnte als Teilnehmer eines europäischen Sicherheitspaktes, wie wir die Lösung der Deutschlandfrage einbauen in die weltweiten Probleme der Ost-West-Beziehungen, der Rüstungsbegrenzung,
der Sicherheit in Europa. Der Einbau eines wiedervereinigten Deutschlands in ein System der kollektiven Sicherheit, zu dem wir mit eigenen Leistungen beizutragen hätten, gibt uns und dem Westen in Wahrheit mehr Sicherheit, als sie überhaupt gewonnen werden kann, solange sowjetische Truppen im Herzen Deutschlands stehen.
Die große Gefahr ist doch, daß die Bundesrepublik, die es mit der Einführung der Wehrpflicht so eilig hat, auf dem anderen Gebiet einfach wartet. Chruschtschow, der ja so gern zitiert wird, hat einmal gesagt: „Uns bläst der Wind nicht ins Gesicht". Die Sowjetunion kann es aushalten. Ich glaube, bei uns müßte die Initiative liegen, und daher würde ich auf gar keinen Fall eine Position beziehen, wie sie der Herr Bundeskanzler etwa in Mailand bezogen hat. Er hat sich dort mit anderen Worten ausgedrückt, aber der politische Inhalt seiner Mailänder Darstellung war doch ungefähr der: Die Sowjetunion muß erst auf bestimmten Gebieten dem Bolschewismus überhaupt abschwören, bevor wir geruhen, mit ihr über die Wiedervereinigung auch nur zu reden.
Welch ein Unterschied in der Aktivität auf dem Gebiete der Einführung der Wehrpflicht hier und der Politik der Wiedervereinigung auf der anderen Seite!
Haben wir doch nicht so entsetzliche Angst, daß wir durch ein mutiges Anpacken dieser Probleme etwa die Freundschaft und Solidarität unserer
westlichen Partner verlieren könnten!
Es ist ein erheblicher Umschwung der öffentlichen Meinung auch in den Vereinigten Staaten eingetreten. Es handelt sich nicht nur um Kennan, immerhin den ehemaligen Leiter des Planungsstabes des State Departments, um die „Washington Post", um den „Christian Science Monitor", um Walter Lippmann mit seinen in über 200 Zeitungen verbreiteten Artikeln. Es handelt sich auch um die Stimme gewichtiger Senatoren, wobei ich mir durchaus bewußt bin, daß Mr. Flanders in manchen Fragen ein Einzelgänger ist; aber wenn ein Mann wie Mansfield sich ihm zugesellt, ist das keine Einzelerscheinung mehr. Wenn Mansfield sagt, daß Amerika den Widerstand gegen die Wiederbewaffnung in Deutschland anerkennen müsse und deshalb noch einmal im Zusammenhang mit den Abrüstungsbesprechungen prüfen solle, ob die jetzige Art der Wiederbewaffnung wirklich notwendig sei, dann ist das eine Stimme von nicht zu unterschätzendem Gewicht.
Meine Damen und Herren, wir stehen — ob Sie das wahrhaben wollen oder nicht — in der Gefahr, uns durch unsere Untätigkeit in der Förderung des internationalen Gesprächs über die Wiedervereinigung und unsere sehr aktive Tätigkeit auf dem Gebiete der Bewaffnung der Bundesrepublik zu isolieren, als Störenfried angesehen zu werden, über dessen Kopf hinweg man einmal eine Lösung suchen wird, die uns allen nur unangenehm sein kann.
Wir werden einmal ein unbequem gewordener
Bundesgenosse sein; das späte Echo einer eigenen
Politik, die man längst zu verlassen im Begriff ist.
Wir sollten zur Warnung daran denken, daß es im letzten Jahrzehnt schon mehr derartige Entwicklungen in der Welt gegeben hat von Tschiang Kai-schek über Bao Dai bis Syngman Rhee. Den Schaden, der aus einer solchen Entwicklung für uns entstehen würde, trägt nicht der Herr Bundeskanzler allein, sondern das ganze deutsche Volk.
Besonders deutlich wird die Überalterung unserer Vorstellungen an der Frage, die wir heute diskutieren. Die Pläne, eine Halbmillionen-Armee mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht aufzustellen, datieren aus dem Jahre 1950. Damals sind ja auch die Pläne konzipiert worden, die davon ausgehen, daß die moderne Strategie — 1950 war sie noch gar nicht ganz geboren — zwar dafür sorgen würde, daß die anderen Armeen mit den nun einmal leider entscheidenden Waffen ausgestattet werden, daß die Bundesrepublik Deutschland aber demgegenüber etwas zurückstehen müsse. Wir würden also nicht einmal der letzte Soldat, sondern nur der letzte standhafte Zinnsoldat des Kalten Krieges werden. Die Argumente des Kalten Krieges gelten heute nicht mehr; der Kreuzzug findet nicht statt.
Wir versuchen hier künstlich, alte Parolen wiederzubeleben. Die Aggression, die man im Zuge der Korea-Ereignisse Grund hatte zu befürchten, ist angesichts der letzten weltpolitischen Entwicklung für absehbare Zeit in den Bereich des nahezu Ausgeschlossenen abgedrängt worden.
- Ich schließe mich hier dem an, was Sie als Prophezeiungen in den Darlegungen des amerikanischen Verteidigungsministers Wilson vor dem Senat der Vereinigten Staaten lesen können. Ich finde, das ist immerhin eine Autorität, der wir doch einiges Gewicht beimessen sollten. Nebenbei darf ich Ihnen sogar versichern, daß von dieser Zuversicht, es stehe in absehbarer Zeit kein sowjetischer Angriff hier im Herzen Europas bevor, auch der Oberbefehlshaber der atlantischen Truppen, General Gruenther, ausgeht, erfreulicherweise!
Meine Damen und Herren, welche geistigen und politischen Parolen wollen Sie eigentlich den Wehrpflichtigen bieten, um ihnen die Notwendigkeit dieses Dienstes klarzumachen, in einer Situation, in der die Armee viel stärker als äußerliches Symbol der Teilung unseres Landes empfunden würde denn als irgend etwas anderes? Nein, in dieser Lage würde dem Provisorium .,Bundesrepublik" vollauf Genüge getan mit der Erfüllung der nun einmal von Ihnen beschlossenen und gegen uns durchgesetzten Verträge durch ein Heer, das ausschließlich aus Freiwilligen besteht.
Die moralische Grundlage für die Wehrpflicht könnte, wenn überhaupt, nur die Nation im ganzen sein.
Meine Damen und Herren, die Verträge verpflichten zu einem Beitrag. Ich bin erfreut darüber, daß Herr Kollege Berendsen ganz klargemacht hat, es werde nicht mehr an der Lehre festgehalten, aus diesen Verträgen müsse man zwangsläufig Form und Größe des Verteidigungsbeitrags der Bundesrepublik ableiten. Bei uns liegt es also, sorgfältig Form und Größe dieses durch die Verträge leider nun einmal beschlossenen Beitrages abzuwägen. Die Planung, von der Sie sprachen, Kollege Berendsen, ist keine Verpflichtung. Wie überaltert sie ist, das empfinden manche in ihrem Innern, wenn sie es nach außen hin auch nicht allzu laut sagen.
Meine Damen und Herren, vorhin ist von der Abrüstungsdiskussion in der Welt etwa in dem Ton gesprochen worden: Wir erwarten in absehbarer Zeit gar keine Ergebnisse. Sollten aber durch ein Wunder doch Ergebnisse erzielt werden, können wir uns natürlich darüber freuen und würden bereit sein, später die daraus erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. — Nun, sicher, niemand soll ein Abrüstungsabkommen bereits für abgeschlossen halten, bevor es zustande gekommen ist; das ist absolut richtig. Aber jeder sollte sich bemühen, das Seine zu tun, damit die Wege zu einem solchen Abkommen geebnet und nicht etwa noch erschwert werden.
Das ist die Frage, die wir zu diskutieren haben.
Am Dienstag sind die Verhandlungen zu diesem Problem im Gebäude der Vereinten Nationen in New York wieder aufgenommen worden. Wir alle kennen die Schwierigkeiten und Probleme. Aber wir alle wissen auch — Herr Kollege Berendsen, Sie selbst haben es gesagt —: Die Weltmächte haben begriffen, daß ein Konflikt mit den modernen Massenzerstörungsmitteln praktisch keine von ihnen überleben ließe; beide würden mit ihrer Existenz spielen, wenn eine von ihnen einen bewaffneten Konflikt mit der anderen entstehen ließe. Das ist der Zwang, unter dem die beiden stehen: Man kann in Zukunft nie sicher sein — und man ist sich auch nicht sicher —, ob das Monopol der Atom- und Wasserstoffbombe bei denen bleibt, die es heute haben. Es kann ja auch einmal Irrsinnige in der Welt geben, die imstande wären, solche Waffen zu produzieren. Das haben wir auch schon in der Geschichte erlebt.
Gerade deshalb sind die Großen in der Welt unter dem inneren Zwang, um das Schicksal ihrer Völker und damit der ganzen Menschheit willen das Abrüstungsgespräch nicht abreißen zu lassen, sondern nach wirksamen Lösungen zu suchen.
Vor welchen Problemen die Weltmächte da stehen, hat der amerikanische Generalleutnant Gavin vor einem Senatsausschuß ausgeführt. Er hat dargestellt, daß bei einem Angriff mit Wasserstoffbomben auf bewohnte Gebiete je nach der Windrichtung mehrere hundert Millionen Menschen betroffen sein können. Sehen Sie, das ist der innere Zwang, der die Weltmächte dazu treibt, sich nach Wegen umzusehen, die zu einer Beendigung des Wettrüstens auf dem Gebiet der Atomwaffen führen können. Das ist übrigens ein Problem, das auch unserer Regierung Veranlassung geben sollte, auf die Gefahren für die Gesundheit aller Völker aufmerksam zu machen, die schon heute durch die ständigen Atomexplosionen zu Versuchszwecken heraufbeschworen worden sind.
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß ein Abrüstungsabkommen oder ein Abkommen über Begrenzung und wirksame Kontrolle der Rüstungen auf gar keinen Fall nur eine einzige Waffengattung umfassen kann. Hier setzt der logische Kurzschluß ein, den ich in den Ausführungen des Kollegen Berendsen beklage. Die Alternative zu der fürchterlichen Auseinandersetzung mit den Atomwaffen ist in Wahrheit nicht ein Krieg mit konventionellen Waffen, sondern ein Versuch mit aller Leidenschaft und allen politischen Mitteln, an die Stelle der möglichen bewaffneten Auseinandersetzung die Erhaltung des Friedens zu setzen.
— Ich unterstelle niemandem, am allerwenigsten dem Kollegen Berendsen und auch Ihnen, Herr Kollege Stücklen, nicht, der Sie das, was ich eben gesagt habe, als unglaublich bezeichneten, ich unterstelle selbstverständlich niemandem von Ihnen, daß er deswegen etwa eine bewaffnete Auseinandersetzung mit konventionellen Mitteln plant. Wir alle haben ein Interesse an der Bewahrung des Friedens, aber die Frage ist: Wie wird der Friede bewahrt?
Da sind wir eben der Meinung, daß die einzig wirksame und dauerhafte Möglichkeit außer dem Abkommen, das Atomwaffen von der Verwendung ausschließt, die Begrenzung der konventionellen Waffen ist. Das gehört beides zusammen.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, beklage ich, daß wir einem Erfolg auf diesem Gebiet durch unsere Politik bereits ein ernsthaftes Hindernis bereitet haben.
— Nein, hören Sie die Zahlen! Die Westmächte selbst waren es, die seinerzeit den Vorschlag im Abrüstungsunterausschuß der Vereinten Nationen machten, die Personalstärken der Armeen auf bestimmte Zahlen zu begrenzen. Der Vorschlag sah vor: je anderthalb Millionen Mann für die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion und China, je 650 000 Mann für Großbritannien und Frankreich, und infolgedessen dann je etwa 200 000 Mann für die übrigen Staaten. Das hätte eine Aufrüstung der Bundesrepublik in dem vorgesehenen Umfang natürlich erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Damals lagen leider die Erklärungen noch nicht vor, daß Sie selbst bereit seien, falls eine solche Einigung zustande komme, sich mit 200 000 Mann zu begnügen, sondern damals ist der amerikanische Bundesgenosse davon ausgegangen, daß man, um die Proportion mit den 500 000 Deutschen zu wahren, sich eben nicht mit anderthalb Millionen Mann bei den ganz Großen begnügen könne, sondern 2 1/2 Millionen Mann haben müsse.
So wurde, nachdem die Sowjetunion in diesem
Punkte wenigstens einmal den ursprünglichen
westlichen Vorschlag aufgegriffen hatte, vom Westen gesagt: Das reicht uns nicht mehr aus; wir verlangen 21/2 Millionen für die Sowjetunion, China und die Vereinigten Staaten, 750 000 für Großbritannien und Frankreich und dann Entsprechendes für die anderen. Meine Damen und Herren, zur Konsequenz hatte dieser Vorgang also, bei Lichte betrachtet, daß man anscheinend bereit war, um eines Mehr an 300 000 deutschen Soldaten willen die Armeen in den kommunistischen Staaten um 2 Millionen Köpfe stärker zu lassen, als die ursprüngliche Chance gewesen wäre. In unserer eigenen Starrsinnigkeit, in dem Beharren auf der Armee von einer halben Million Mann für die Bundesrepublik sehe ich den ersten Vorgang, durch den wir das Abrüstungsgespräch international ungünstig beeinflußt haben.
Da können wir uns doch nicht darüber hinwegtrösten, indem wir sagen: man muß natürlich erst einmal aufgerüstet haben, damit man auch etwas abzurüsten habe. Wir waren ja noch gar nicht an den voraussichtlichen Plafond herangekommen. Es hätte durchaus noch Zeit genug gegeben, erst einmal bis zu diesem Plafond zu gehen, wenn Sie unbedingt gewollt hätten, um die Lage dann zu prüfen. Aber dieses Beharren auf den im Jahre 1950 konzipierten Plänen ohne Rücksicht auf die .Verhandlungen erweckt den Eindruck, daß wir uns um die Abrüstungsverhandlungen überhaupt nicht scheren, weil wir sowieso gar nicht daran glauben. Das weckt schmerzliche Erinnerungen bei anderen Völkern, die sich entsinnen, daß schon einmal in einem entscheidenden Stadium es leider eine — andere — deutsche Regierung gewesen ist, die sich in wenig erfreulicher Weise den Abrüstungsbemühungen in den Weg gestellt hatte, allerdings, das gebe ich zu, nachdem die anderen auch nichts zuwege gebracht hatten.
— Ja, aber wir haben dann die Abrüstungskonferenz verlassen und haben auf diese Weise auch jede Chance verbaut, überhaupt noch zu einer Verständigung zu kommen.
Nun zu den militärischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Wehrpflichtvorlage ergeben. Ich wiederhole: die Strategie des Atlantikpaktes läßt gar keinen Zweifel daran, daß ein bewaffneter Konflikt in Europa keine Aussicht hat — auch mit 500 000 deutschen Soldaten nicht —, ein Konflikt mit konventionellen Waffen zu bleiben, sondern die Planungen der atlantischen Organisation gehen von dem sofortigen und direkten Einsatz von Atomwaffen im Konfliktsfall in Europa aus. Herr Kollege Kiesinger, Sie schütteln das Haupt.
Sie müßten selber nachlesen, was offiziell und nicht nur geheim dazu gesagt worden ist.