Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst erklären, daß wir dem vorliegenden Antrag des GB/BHE grundsätzlich zustimmen, nicht in allem seiner Begründung.
Als Heimatvertriebener darf ich insbesondere zu den Fragen der deutschen Ostgebiete kurz Stellung nehmen. In ihnen sollten sich die Heimatvertriebenen aller politischen Parteien mit den Einheimischen einig sein. Wir wollen im Wesen alle dasselbe, nämlich die Anerkennung unseres guten Rechts auf die Heimat und des Selbstbestimmungsrechts der Völker auf internationaler Basis.
Dazu gleich eine Frage als Selbstkritik: Warum schaffen die 8,5 Millionen Heimatvertriebenen im Bundesgebiet nicht endlich die Wiedervereinigung in ihren eigenen Reihen? Schon im Jahre 1951 wurde in Hannover der Einheitsverband aller Vertriebenen feierlich proklamiert. Trotzdem besteht heute noch eine Doppelgleisigkeit zwischen BVD und Landsmannschaften, die unendlich viel Organisationsarbeit, Geld und Nerven kostet.
— Dazu komme ich noch, aber es erscheint mir wichtig, bei der Gelegenheit zu sagen, daß es gerade jetzt, in dieser Zeit und in dieser schwierigen außenpolitischen Lage sehr notwendig wäre, daß
alle 8,5 Millionen Heimatvertriebenen einig sind und geschlossen auftreten.
Meine Damen und Herren, gerade wir Heimatvertriebenen, die den Osten und sein kommunistisches Regime mit allen Gefahren aus eigenem Erleben kennen — ich war auch drüben in Rußland, bei Moskau in Kriegsgefangenschaft —, wir, die alle Schrecken der Aussiedlung mitgemacht haben, bekennen uns nach wie vor zum freien demokratischen Westen und zu den abgeschlossenen Verträgen, weil wir sehr gut wissen, daß wir dringender denn je Freunde und Verbündete brauchen, um in Frieden und Freiheit leben zu können.
Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß drüben im weiten Osten ganz andere Begriffe von Zeit und Raum, von Recht und Menschlichkeit herrschen als bei uns und daß daher bei allen Verhandlungen größte Vorsicht geboten ist. Aber verhandelt muß trotzdem werden, gesprochen muß werden. Mit dem Reden kommen die Leut zusammen, wie man im Egerland sagt. Wir wollen eine klare, feste, bündnistreue Außenpolitik, ohne daß wir dabei unseren Standpunkt aufgeben, ohne daß wir das an uns begangene Unrecht anerkennen. Wir müssen aber jetzt, etwa zehn Jahre nach Kriegsschluß, nach Kontakten auf bestimmten Gebieten suchen und eine elastischere, beweglichere, aufgelockerte Politik betreiben. Es müssen neue Wege und neue Ideen aufgezeigt werden können. Ich berufe mich hier auf ein Wort, das in der Regierungserklärung steht: Aktion ist besser als Reaktion.
— Da müssen Sie andere fragen, nicht mich.
Ich weiß, wie bitter und unerträglich es wäre, wenn es in Prag und Warschau und Budapest zwei deutsche Gesandtschaften gäbe, eine aus Bonn und eine aus Pankow. Aber ich muß wirklich fragen, ob es nicht doch möglich wäre, auch ohne Gesandtschaften und ohne diplomatische Beziehungen darüber zu verhandeln, daß z. B. die letzten Kriegsgefangenen, Verurteilten und Zwangsarbeiter entlassen werden,
daß die zurückgebliebenen Deutschen, die zu ihren Angehörigen in der Bundesrepublik wollen, endlich ausgesiedelt werden, daß die Heimatvertriebenen die amtlichen Unterlagen für den Lastenausgleich zur Feststellung ihres verlorenen Vermögens bekommen, auch für den Währungsausgleich für Sparguthaben und für Versicherungen, daß gegenseitige Besuche von Familienangehörigen erleichtert werden, daß eine gegenseitige Rechtshilfe vereinbart wird und vieles andere mehr, damit endlich der Eiserne Vorhang, wenn auch nicht aufgehoben, aber doch gelockert wird.
Das soll und darf kein Verzicht auf unser gutes Recht sein, keine Anerkennung des begangenen Unrechts. Wir werden Potsdam niemals anerkennen. Aber wir wollen auf all diesen Gebieten endlich weiterkommen.
In der Regierungserklärung wird ausdrücklich gesagt, daß unter den augenblicklichen Umständen diplomatische Beziehungen mit den östlichen Nachbarstaaten nicht aufgenommen werden können, was aber nicht bedeutet, daß die Bundesregierung an der Herstellung normaler Beziehungen uninteressiert wäre und daß der aufrichtige Wille zur Verständigung nicht bestünde.
Dazu ist allerdings eine Aktivierung der Ostpolitik notwendig, vor allem auch — das verlangt der vorliegende Antrag — der Ausbau und die richtige Besetzung einer Ostabteilung im Auswärtigen Amt mit Referenten, die den Osten kennen und dadurch sicherlich sehr wertvolle Arbeit leisten können. Das ist ein sehr alter, berechtigter und dringender Wunsch aller Heimatvertriebenen, der aber leider bisher nicht erfüllt wurde.
Ich möchte nochmals ausdrücklich feststellen, daß für uns Heimatvertriebene die Wiedervereinigung Deutschlands die erste und vordringliche Aufgabe ist und bleibt. Das ist der erste Schritt, und dann kommen erst wir. Denn erst nach erfolgter Wiedervereinigung kann die Frage der deutschen Ostgebiete nur durch eine gesamtdeutsche Regierung und durch einen Friedensvertrag gelöst werden. Das besagt auch die vorliegende Regierungserklärung klar und deutlich.
— Das müssen Sie doch langsam schon erkannt haben! —
Wir wollen eine Wiedervereinigung und auch eine Rückgewinnnung der verlorenen Heimat ohne jede Gewalt. Wir möchten es nach all dem furchtbaren Geschehen dieses halben Jahrhunderts, das wir durchgemacht haben, wirklich alle gern erleben, daß endlich in einer neuen besseren Welt nicht die Idee der Gewalt, sondern die Gewalt der Idee zum Siege kommt.
Ich muß, meine Damen und Herren, offen erklären — ich beziehe mich da auf meinen Vorredner und will mich nicht allzuviel wiederholen —, daß in letzter Zeit alle Heimatvertriebenen durch offizielle und inoffizielle Äußerungen stark beunruhigt worden sind. Der Herr Außenminister Dr. von Brentano hat bereits zu dem Thema Stellung genommen; Sie können von seinen Erklärungen Kenntnis nehmen.
In der Regierungserklärung steht ausdrücklich, daß einseitige Entscheidungen, die in den Jahren nach dem Zusammenbruch getroffen wurden, vom deutschen Volke nicht anerkannt werden und daß die Anerkennung des Rechts auf die Heimat und des Selbstbestimmungsrechts unabdingbare Voraussetzung für die Erlösung der in der Vertreibung oder in Unfreiheit lebenden Menschen und Völker sind.
Mr. McCloy hat davon gesprochen, daß die Gebiete jenseits von Oder und Neiße als Tauschobjekt für die Wiedervereinigung angeboten werden sollen. Meine Damen und Herren, deutsches Land und deutsche Menschen sind kein Tauschobjekt. Dagegen müssen wir uns in aller Entschiedenheit verwahren. Dieser Grundsatz hat sich auch Gott sei Dank in der Saarfrage durchgesetzt. Zu solchen Offerten besteht auch nicht der geringste Anlaß, da ja über diese Frage, wie wir wissen, erst bei einem Friedensvertrag nach der Wiedervereinigung gesprochen werden kann.
Schließlich muß ich noch, so peinlich mir das auch aus Gründen der Kollegialität ist, zu öffentlichen Äußerungen des Kollegen Dr. Greve Stellung nehmen, die nicht nur die Sudetendeutschen, sondern alle Heimatvertriebenen zu schärfsten Protesten veranlaßt haben. Ich kann mich dabei auf die ablehnende Stellungnahme seiner eigenen Parteifreunde und Fraktionskollegen, Minister Hoegner, Jaksch und Reitzner berufen. Er hat gesagt, daß das Sudetengebiet kein deutsches, sondern tschechoslowakisches Staatsgebiet sei und bleibe und daß wir keinerlei Ansprüche auf dieses Gebiet erheben. Er hat weiter gesagt, daß Verrat an der Wiedervereinigung und Kriegshetze begehe, wer unter den Klängen des Egerländer Marsches auf Raub fremden Staatsgebietes ausziehen wolle. Dazu muß ich feststellen, meine Damen und Herren, daß das Sudetenland, was allgemein bekannt sein sollte, — —
— Na, wenn man die Äußerungen hört, muß man annehmen, daß der oder jener das, was ich jetzt sagen will, nicht weiß:
daß das Sudetenland jahrhundertealtes deutsches Gebiet ist. Schauen Sie doch nur auf die Bauten, die Kirchen, die Straßen und die Plätze in Eger, Prag und Reichenberg und in anderen Städten, wo die Steine reden — Saxa loquuntur! — und zeugen von einer echten alten deutschen Kultur- und Aufbauarbeit. Was wäre uns erspart geblieben, wenn nach dem ersten Weltkrieg im Jahre 1919 das proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen anerkannt worden wäre! Sie wollten zu Österreich; aber man hat sie damals gegen ihren Willen in die Tschechoslowakei eingegliedert. Es wäre uns sicherlich sehr, sehr viel erspart geblieben, wenn man damals Recht und nicht Unrecht gesetzt hätte.
Darf ich mich zu der Frage auf einen unbefangenen Zeugen berufen, und zwar Herrn Vizepräsidenten Dr. Jaeger , der ausdrücklich gesagt hat — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenden vorlesen —:
Gerade gegenüber dem Osten muß eines völlig klargestellt werden. So sehr uns die Wiedervereinigung am Herzen liegt, so darf sie keineswegs mit dem Verzicht auf andere Gebiete erkauft werden, die ebenso wie die Sowjetzone zum Reichsgebiet von 1937 gehört haben. Schlesien und Ostpreußen sind ebenso unbestreitbar deutscher Boden wie Thüringen und Mecklenburg. Man kann nicht einen Rechtsbruch dadurch heilen, daß man einen anderen, noch größeren Rechtsbruch anerkennt.
Was aber vom deutschen Recht auf die Ostgebiete gilt, gilt auch vom Heimatrecht der nach Deutschland Vertriebenen aus Gebieten außerhalb der Reichsgrenzen. Die Bundesrepublik ist nun einmal durch die Geschichte der letzten elf Jahre zum Schirmherrn der Sudetendeutschen geworden. Sie darf deshalb keine Politik betreiben, die rechtlich oder praktisch die Anerkennung der Ausweisung der Deutschen in Böhmen und Mähren bedeuten würde.
Ich bin dem Herrn Kollegen Vizepräsidenten Jaeger für diese Worte dankbar.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein ganz kurzes Wort an den Herrn Außenminister. Er hat in der Regierungserklärung von seinen Besuchen gesprochen, von der freundlichen Aufnahme und von den guten Beziehungen zu den Ländern bis weit hinaus in den Fernen Osten. Von seinem Besuch aber in Wien, wo er doch auch sehr herzlich aufgenommen wurde und wo seither, sicherlich gerade auch durch diesen Besuch, sehr freundschaftliche Beziehungen herrschen, hat er kein Wort gesagt. Sie werden es verstehen, daß unserm Herzen das deutsche Nachbarland, die deutschen Brüder und Schwestern in Wien näher stehen als so manches andere sehr sympathische Land und Volk im Fernen Osten, „unnahbar euren Schritten". Das wollte ich zum Schluß mit der mir angeborenen österreichischen Höflichkeit gesagt haben.