Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Das war eine Einzelfrage, die nicht von entscheidender Bedeutung gewesen ist, wie das Abstimmungsergebnis an der Saar am besten beweist.
Tatsache ist jedenfalls, daß die Annahme des Saarstatuts hier im Bundestag die Voraussetzung dafür war, daß die Bevölkerung Gelegenheit zur Abstimmung bekam. Diese Gelegenheit hat sie dann allerdings, wie wir dankbar anerkennen, dazu benutzt, die Annahme des Saarstatuts zu verhindern.
Aber noch in einem weiteren Sinne ist es richtig, zu sagen, daß dieses für Deutschland so positive Resultat der Saarpolitik nur erzielt werden konnte auf dem Boden der jahrelangen Politik der europäischen Aussöhnung, wie sie die Bundesregierung, gestützt von den Koalitionsparteien, betrieben hat.
Es mußte vorangegangen sein all das, was wir an politischen Entscheidungen in diesem Hause getroffen haben — leider gegen die Opposition —, angefangen von dem Petersberg-Abkommen über den Beitritt zum Europarat, über die Annahme des Montanunion-Vertrages, über die Annahme des EVG-Vertrages im deutschen Parlament bis zur Annahme des WEU-Vertrages und des Beitritts der
Bundesrepublik zur NATO. All das mußte erfolgt sein, damit sich in Frankreich eine Bereitschaft durchsetzte, überhaupt eine solche Lösung in Betracht zu ziehen, wie sie dann in dem Saarstatut, das die Volksbefragung vorsah, ihren Niederschlag fand.
Was nun die wichtigste Frage anlangt, die heute im Mittelpunkt unserer Erörterungen steht, so muß man sagen, daß gerade die Lösung, die das Saarproblem gefunden hat, für uns alle eine immerwährende Ermutigung sein sollte, in dem Kampf um die Befreiung Mitteldeutschlands den klaren Kurs, die zielklare, entschlossene und zähe Politik beizubehalten, wie wir sie die ganzen Jahre hindurch gerade im Rahmen der gesamten Westpolitik betrieben haben. Wir müssen uns doch alle darüber im klaren sein, daß wir das schwere friedliche Ringen mit der Sowjetunion um die Befreiung Mitteldeutschlands überhaupt nicht gewinnen könnten, wenn wir isoliert, auf uns selbst gestellt, in der Welt wären, wenn wir nicht mächtige Freunde und Bundesgenossen hätten. Erfreulicherweise ist festzustellen, daß die Front derjenigen Völker und Staaten, denen immer klarer wird, eine wie schwerwiegende Bedeutung die Wiedervereinigung Deutschlands für die Erhaltung des Friedens in Europa und damit des Friedens in der Welt hat, immer größer wird; denn bei den Neutralen, die erst während der letzten 20 Jahre der kolonialen Abhängigkeit entronnen sind und inzwischen ihre nationale Existenz gewonnen haben, dürfen wir ja voraussetzen, daß sie in dem Maße, in dem unsere Politik in dieser Richtung in aufklärendem Sinne tätig ist, immer mehr Verständnis für die Bedeutung der Wiedervereinigung gewinnen, so daß sie bereit sind, unser Anliegen zu unterstützen. So ist, darf man heute sagen, der Kreis der Nationen und Staaten, die sich gegenüber der östlichen Welt für die Wiedervereinigung auf der Basis der Freiheit einsetzen, Gott sei Dank schon längst nicht mehr auf die Mitgliedstaaten der NATO und sonstiger westlicher Verteidigungsgemeinschaften beschränkt, sondern er umfaßt heute bereits eine ganze Reihe jener an politischem Gewicht monatlich wachsenden neutralen Staaten Asiens und Afrikas.
Wir haben nun einmal mehr gehört, daß die NATO die deutsche Wiedervereinigung erschwere; das Festhalten an der NATO bedeute den Verzicht auf die Wiedervereinigung. In Wahrheit ist es doch so, daß allein die NATO die Sowjets dazu gebracht hat, die stalinistische Gewaltpolitik zunächst einmal abzubauen, wobei dahingestellt sein mag, ob das zunächst aus taktischen Gründen geschah oder bereits auf einem endgültigen Entschluß beruhte, von den Methoden der Aggression, von den Methoden der Gewaltpolitik endgültig Abschied zu nehmen. Die neue Phase der Koexistenz wäre von den Sowjets überhaupt nicht eingeleitet worden, wenn die westlichen Völker nicht so viel Besinnung geübt und die Notwendigkeit des kollektiven Widerstands gegen den aggressiven Stalinismus erkannt und daraus alle Konsequenzen gezogen hätten. Es ist bei Gott nicht unser Nachteil, der Nachteil der Deutschen in der Bundesrepublik gewesen, daß wir den Entschluß gefaßt haben, uns an den gemeinsamen Verteidigungsmaßnahmen des Westens zur Eindämmung des östlichen Gewaltsystems zu beteiligen.
Wenn nun von dem starren Festhalten an einer Politik gesprochen wird, die in immer stärkeren Gegensatz zu den Realitäten gerate, dann muß man fragen: Was sind hier eigentlich Realitäten? Herr Kollege Ollenhauer nannte die „Washington Post" und den Namen Lippmann. Nun, es ist nichts Neues, es ist in allen Ländern der westlichen Welt so, daß starke Gruppen von Zeitungen, starke Gruppen von Publizisten den Regierungskurs bekämpfen. Es gibt in allen westlichen Ländern wenn nicht eine parlamentarische, so doch eine außerparlamentarische Opposition, die sich in der öffentlichen Meinung und über die Presse ausspricht. Das ist nicht nur in den Vereinigten Staaten so — und wir wissen, daß Lippmann einer von denjenigen ist, die seit Jahren die offizielle amerikanische Politik bekämpfen, ohne mit seinen Auffassungen bisher einen weitertragenden Erfolg erzielt zu haben —, sondern es ist auch in Frankreich so, es ist in England so.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, freuen wir uns, daß es so ist. Denn wir Deutsche haben das stärkste Interesse daran, daß sich der bisherige Zustand nicht ändert. Wir haben das stärkste Interesse daran, daß diese Gruppen in der Publizistik der westlichen Länder auf die offizielle Außenpolitik auch in Zukunft so wenig einflußreich bleiben, wie sie es in der Vergangenheit gewesen sind. Das gilt nicht nur in dem Verhältnis der Publizistik zur amtlichen Außenpolitik, sondern wir haben auch erfreulicherweise die Erscheinung, daß in den angelsächsischen Ländern und auch in Frankreich die Europapolitik und die Verteidigungspolitik der gesamten westlichen Welt von starken Parlamentsmehrheiten getragen wird. Das ist auch im Bundestag so gewesen, und wir wollen hoffen, daß das in Zukunft so bleibt. Von Realitäten kann man also bei Gott nicht sprechen, wenn man die publizistischen Außenseiter in den westlichen Ländern oder aber die Minoritäten meint, die einen anderen politischen Kurs empfehlen, als er bisher von den Regierungen der westlichen Welt gesteuert worden ist.
Wir hörten eine Bemerkung, die Ausweitung der NATO auf politische Zwecke deute auch an, daß sie in ihrer bisherigen, militärischen Form nicht mehr den Bedürfnissen genüge. Nun, es sind schon seit langer Zeit aus den Regierungen und den hinter ihnen stehenden politischen Kräften Bestrebungen im Gange, um der NATO einen weiteren Wirkungskreis zu geben, sie also aus der rein militärischen Zusammenarbeit auf eine politische Zusammenarbeit hin zu entfalten. Das würde dann nur um so besser jene politischen Zwecke erreichbar machen, die uns Deutschen in besonderem Maße am Herzen liegen.
Wir hörten, die Offensive der Sowjets zur Durchsetzung ihrer Auffassungen über Koexistenz habe Erfolge gehabt. Gewiß hat sie Erfolge gehabt, und dahinter steht die mächtigste Wirklichkeit, die es heute für die gesamte Welt gibt— das sagte Herr Kollege Ollenhauer sehr richtig —: die überaus schnelle Entwicklung der modernen Waffen. Aber das ist eine Entwicklung, von der man nicht zu befürchten braucht, daß sie auf Kosten der westlichen Welt geht, sondern die dazu führt, allen beteiligten Völkern, sowohl den westlichen als auch den unter kommunistischer Herrschaft stehenden, klarzumachen, daß sie sich auf dem Wege der Abrüstung und der kollektiven Sicherheit zusammenfinden müssen, wenn Katastrophen riesenhaften Aus-
maßes, wie sie ein moderner Krieg mit sich bringen würde, vermieden werden sollen. Wir sind allerdings der Meinung, daß wir, wenn wir Fortschritte in der Frage der deutschen Wiedervereinigung erzielen wollen, mit unseren Hoffnungen darauf angewiesen sind — und daraus auch alle Konsequenzen hinsichtlich unserer Mitarbeit ziehen sollten —, daß das Abrüstungsproblem einer zufriedenstellenden Regelung zugeführt wird. Allerdings können wir darunter nicht ein Abrüstungsabkommen verstehen, das der erforderlichen Kontrolle entbehrt mit dem Ergebnis, daß von einem der Vertragspartner eines Tages der Vertrag überraschend als ein Fetzen Papier erklärt wird, oder aber noch schlimmer, daß, während die Tinte noch trocknet, mit der der Vertrag unterschrieben wurde, bereits von Partnern den übernommenen Verpflichtungen zuwider gehandelt wird. Wir müssen also Wert darauf legen, daß von den Sowjets außer den Bodenkontrollen auch die Luftinspektionen anerkannt werden. Daß die Sowjets bisher die Zustimmung zu den Luftinspektionen verweigert haben, ist eine wesentliche Ursache dafür, daß in dem Abschluß eines Abrüstungsabkommens bisher keine wesentlichen Fortschritte gemacht wurden. Die Verhandlungen in London im Unterausschuß der UN mußten inzwischen abgebrochen werden; sie werden demnächst im Hauptausschuß der UN fortgesetzt. Unsere Regierung sollte ebenso wie alle anderen Regierungen der westlichen Welt ihr wichtigstes Bemühen darin sehen, daß die Abrüstungsanstrengungen aller beteiligten Länder erfolgreich fortschreiten. Denn je früher es zu einer weltumspannenden Regelung der Abrüstung kommt, desto früher tritt die Zeit ein, von der wir erwarten können, daß sie einen grundlegenden Wandel der Probleme und damit wahrscheinlich auch der sowjetischen Einstellung zu diesen Problemen bringt.
Herr Kollege von Merkatz hat soeben sehr richtig darauf hingewiesen, daß es einen grundlegenden Wandel bedeuten wird, wenn zu der Abrüstungsvereinbarung der sowjetische Wille hinzutritt, die Wiedervereinigung auf der Basis der Freiheit auf dem Wege einer freien Willensentscheidung des gesamten deutschen Volkes anzuerkennen. Dann bieten sich nämlich Möglichkeiten für die Entfaltung eines kollektiven Sicherheitssystems. Dann besteht nicht mehr das Bedürfnis, an Schutzbündnissen festzuhalten, die allerdings bis zu diesem Zeitpunkt unerläßlich sind und gerade von uns Deutschen in der gefährlichsten geographischen Lage im Herzen Europas nicht preisgegeben werden können, ohne daß wir uns selber den allerempfindlichsten Schaden zufügen. Es muß das Ziel der westlichen Regierungen sein, das gegenwärtige Schutzbedürfnis durch Erreichung einer durch Abrüstungsabkommen und durch die sowjetische Bejahung der deutschen Wiedervereinigung gründlich gewandelten Situation wegfallen zu lassen.
Man kann keineswegs sagen, daß die Bundesregierung in dieser wichtigen Situation, in der wir uns noch bewegen, nicht alles tue, um die deutsche Wiedervereinigung zu fördern. Das ist deshalb falsch, weil es sehr wesentlich ist, die westlichen Völker über die Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung so aufzuklären, daß sie an dem von ihnen bisher eingenommenen Standpunkt weiterhin festhalten. Wichtig ist, daß sich die westlichen Regierungen nicht von der Erklärung abbringen lassen, die sie den Sowjets bisher immer entgegengesetzt haben: kein Abrüstungsabkommen, ohne
daß mit der deutschen Wiedervereinigung auf der Grundlage der freien Willensentscheidung des deutschen Volkes begonnen wird.
Das Ringen um die Erhaltung der Bundesgenossen und um die Gewinnung neuer Freunde kann nicht mit irgendwie in Erscheinung tretenden Propagandaaktionen geschehen, sondern nur durch ein Unmaß diplomatischer Kleinarbeit. Wir haben gestern aus dem Bericht des Bundesaußenministers gehört, wie intensiv gerade die diplomatische Kleinarbeit in den letzten Monaten nicht nur bei den Völkern der westlichen Welt, also den Völkern der westlichen Verteidigungsbündnisse, sondern auch bei den Neutralen Asiens und Afrikas gewesen ist. Da werden viele kleine Elemente zusammengetragen, um den Enderfolg unseres Bemühens zu sichern, daß die gesamte Welt der freien Völker nicht müde wird, uns in dem Wiedervereinigungsverlangen zu unterstützen. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, daß es uns im Laufe der Zeit gelingt, die sowjetische Einstellung, die heute allerdings betrüblicherweise noch völlig negativ ist, zu wandeln. Nur wenn wir Deutschen in starker Gemeinschaft stehen, wird es uns gelingen, dieses Ringen, das ein friedliches, aber erbittertes und zähes ist, siegreich zu beenden.
Wir glauben, daß es zur Erreichung dieses Ziels keinen anderen Kurs als den gibt, den die Koalitionsparteien und die von ihnen getragene Bundesregierung seit einigen Jahren eingeschlagen haben.