Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kather hat am Ende seiner Ausführungen erklärt, er beabsichtige nicht, mit mir in eine Diskussion darüber einzutreten, welche Formulierungen von mir gebraucht worden seien. Herr Kollege Kather, aber ich beabsichtige, mit Ihnen darüber in eine Diskussion einzutreten.
Sie haben sich viel Mühe gegeben, Herr Kollege Kather, Erklärungen von mir in einem Sinne zu interpretieren, wie er für die von Ihnen doch vorzugsweise vertretenen Menschen nachteilig ist. Ich weiß nicht, ob es sehr sinnvoll war, wenn Sie sich die Mühe gaben, entgegen dem, was gesagt wurde und gemeint war, in der öffentlichen Meinung Deutschlands und der Welt den Eindruck zu erwecken, die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage sei zweifelhaft. Ich wage immerhin zu fragen, ob dieser Versuch dem von Ihnen vertretenen Ziele dient.
Aber lassen Sie mich auf das eingehen, was ich gesagt habe. Ich habe am 1. Mai auf einer Pressekonferenz in London erklärt, daß die Millionen der aus den deutschen Ostgebieten Vertriebenen ein Recht auf ihre Heimat besitzen. Ich habe hinzugefügt, dieses Menschenrecht auf Heimat sei nach jahrhundertelanger Geschichte legitimen Ursprungs, und ich habe weiter hinzugefügt, keine deutsche Regierung könne jemals die Oder-NeißeLinie als Grenze anerkennen. Ich glaube, daß diese Feststellung doch sehr unmißverständlich war.
Ich wurde dann gefragt: Wie ist es, wenn es sich um das konkrete Problem der Wiedervereinigung handelt? Wird Deutschland, wird das deutsche Volk, wird die Bundesregierung, wird der Deutsche Bundestag verlangen, daß sich die deutsche Wiedervereinigung auch auf diese Gebiete erstreckt? Wird Deutschland die Wiedervereinigung mit der sowjetisch besetzten Zone von der Erfüllung dieses weitergehenden Anspruchs abhängig machen? Darauf habe ich allerdings erklärt: nein. Diese Erklärung gebe ich auch heute noch einmal ab; ich glaube, wir sind uns darin einig, daß es zunächst um Leben oder Sterben von 17 Millionen Menschen geht.
Ich glaube nicht, daß diese Äußerung Kritik verdient, sondern ich glaube, daß wir alle sie uns zu eigen machen sollten.
Ich habe das auch in meinem Interview mit der „Yorkshire Post" nur in dem Sinne gesagt und keine Erklärungen in dem Sinne abgegeben, wie Sie sie hier wiedergegeben haben, Herr Kollege.
— Ich habe das Bulletin hier vor mir liegen. — Ich habe auf die Frage nach den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie sehr eindeutig gesagt, daß es Aufgabe einer gesamtdeutschen Regierung sein müsse, hier eine Verständigung zu erreichen, und daß die Verhandlungen darüber auch schon vor einem Friedensvertrag beginnen könnten. Meine Damen und Herren, habe ich damit etwas anderes gesagt als das, was hier von allen Sprechern dieses Hauses immer wieder gesagt worden ist?
Ist es nicht richtig, auf die klare Frage, wie wir uns die Entwicklung denken, auch eine klare und anständige Antwort zu geben, um den letzten Zweifel zu beseitigen, daß irgend jemand in Deutschland auch nur mit dem Gedanken spiele, die Lösung dieser Frage mit Gewalt durchzuführen?
Vergessen wir doch nicht, daß solche Sorgen in der Welt sind und daß es unser gemeinsames Anliegen sein muß, diese Sorgen zu zerstreuen. Nur wenn man in der Welt weiß, daß ein wiedervereinigtes Deutschland sein neugewonnenes Potential nicht mißbrauchen wird, nur dann wird man uns in der Wiedervereinigungspolitik die Unterstützung geben, die wir brauchen um der 17 Millionen Menschen willen.
Ich habe gestern auch nicht, Herr Kollege Kather, etwa von Grenzregulierungen — wie Sie es zitieren — oder ähnlichem gesprochen,
sondern ich habe gesagt: das Problem der Ostgrenzen ist ein Problem, das im Friedensvertrag geregelt werden muß. Ich glaube, daß auch hier kein Widerspruch ist zwischen dem, was Sie meinen, Herr Kollege Kather, was Ihre Freunde meinen, und dem, was ich meine.
Wenn ich in dem Interview mit der „Yorkshire Post" sagte, daß hier keine großen Menschenverschiebungen zu erwarten seien, — meine Damen und Herren, verstehen Sie nicht, was ich damit sagte? Daß wir eben nicht androhen, nicht sagen wollen, wir könnten uns eine Verständigung nur in der Form denken, daß man wieder Menschen vertreibt. Wollen wir das ankündigen? Sie wollen es doch selbst auch nicht tun, meine Damen und Herren!
Und wenn ich sagte, daß vielleicht nicht alle in die alte Heimat zurückkehren, — ich habe auf eine Frage geantwortet, ob ich der Überzeugung sei, daß sich nun wieder eine Völkerwanderung von Millionen in Bewegung setzen werde. Darauf habe ich geantwortet — und ich sage es auch hier —, ich sei glücklich, daß es Tausenden und Hunderttausenden von Menschen gelungen sei, in der neuen Heimat eine Existenz zu finden. Ist das eine Feststellung, die wir nicht hätten treffen dürfen?
Ich glaube, es ist eine Feststellung, auf die wir stolz sein können, daß es gelungen ist, wirklich unzählige Hunderttausende von Menschen in den Stand zu setzen, sich in dieser neuen Heimat zu Hause zu fühlen.
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort. Die Unterstellung, ich selbst oder irgend jemand von der Bundesregierung hätte, wie Sie sagten, solche Äußerungen getan mit Rücksicht auf die bevorstehenden Wahlen in den Vereinigten Staaten, diese Unterstellung empfinde ich als peinlich, und ich halte es für unter meiner Würde, darauf zu antworten.
Aber Ihre Frage, Herr Kollege Kather, ob zwischen der Bundesregierung und dem State Department eine solche Vereinbarung vorbereitet würde, wie Sie sie inhaltlich zitiert haben, kann ich getrost mit Nein beantworten. Es ist ein Ausdruck blühender Phantasie, was hier von irgend jemandem entwickelt worden ist, und auch Sie sollten es wirklich nicht einmal für möglich halten, daß die Bundesregierung sich mit solchen Dingen beschäftigt!