Das Wort zur Begründung des Antrags unter Litera b der Tagesordnung betreffend Rechtsanspruch auf die deutschen Vertreibungsgebiete — Drucksache 2406 — hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Dr. kather , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den ich begründe, bittet den Bundestag, die Bundesregierung zu ersuchen, sicherzustellen, daß der Rechtsanspruch auf die deutschen Vertreibungsgebiete von Mitgliedern der Bundesregierung und ihr nachgeordneter Stellen nicht in Zweifel gezogen wird. Er bittet weiter, alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und notwendig sind, um die Durchführung dieses Anspruches voranzutreiben und sicherzustellen. Als Sofortmaßnahme wird verlangt, beim Auswärtigen Amt eine Abteilung für deutsche Ostfragen einzurichten. Schließlich soll der Bundestag die Bundesregierung ersuchen, bis zum 31. Oktober über die getroffenen Maßnahmen Bericht zu erstatten.
Der Deutsche Bundestag vollendet mit der nächsten Arbeitswoche das siebente Jahr seiner Tätigkeit. In dieser langen Zeit hat er sich niemals in einer besonderen Debatte mit dem Schicksal der deutschen Vertreibungsgebiete befaßt und hat auch niemals darüber diskutiert, auf welchem Wege und auf welche Weise die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat vorangetrieben und durchgeführt werden könnte. Das ist doch wohl ein sehr bemerkenswerter Tatbestand. Ich erwähne diesen Sachverhalt, um darzutun, welch große Zurückhaltung seitens der Vertriebenen-Abgeordneten in diesem und im vorigen Bundestag hinsichtlich dieses Problems geübt worden ist.
Auch im vorpolitischen Raum haben die überparteilichen Organisationen keine besonders aktivistische Tätigkeit in dieser Frage entfaltet. Sie haben wohl am „Tag der Heimat" und bei landsmannschaftlichen Treffen ihr Recht auf die Heimat herausgestellt, aber wenn sie sich in der Frage der Eingliederung und des Lastenausgleichs zu gewaltigen Protestkundgebungen entschlossen haben, so sind Demonstrationen gleicher Art für das Recht auf die Heimat und die Heimatgebiete bisher nicht durchgeführt worden.
— Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gehört, daß ich den „Tag der Heimat" ausdrücklich erwähnt habe!
— Ich kann den Sinn der Fragestellung nicht einsehen; ich möchte darauf nicht eingehen. — Sie
haben in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen schon im Jahre 1950 auf Haß, Rache und Vergeltung verzichtet. Ihre Sprecher haben innerhalb und außerhalb des Parlaments immer wieder erklärt, daß sie die Rückgabe der Heimat nicht um den Preis eines neuen Krieges erstreben wollen. Man hat dem deutschen Volke in der Vergangenheit vielfach nationalistische Einstellung vorgeworfen. Ich möchte dazu im einzelnen keine Stellung nehmen, aber ich weiß nicht, ob ein derart maßvolles und zurückhaltendes Auftreten der Millionen von diesem schweren Schicksal Betroffenen in vielen ,anderen Völkern möglich gewesen wäre.
Diese Haltung der Vertriebenen hat nicht die Anerkennung gefunden, die sie verdient hätte. In einem großen Teil der Presse wird das Problem totgeschwiegen oder in abträglicher Weise behandelt. Mir ist keine einzige Zeitung zu Gesicht gekommen, in der unser heute gestellter Antrag auch nur besprochen worden wäre. Wir haben also mit dieser Zurückhaltung einen schlechten Lohn geerntet. Jetzt ist es so weit gekommen, daß der Außenminister der Bundesrepublik zunächst das Recht auf die deutschen Vertreibungsgebiete selbst als problematisch bezeichnet und sich dann darauf zurückgezogen hat, daß er nur die Durchführung des Rechts als problematisch habe kennzeichnen wollen. Und als darauf ein einziger Schrei der Entrüstung durch alle Vertriebenenorganisationen aufklang, da mußten sich die Sprecher dieser Menschen sagen lassen, sie versuchten, auf dem Schicksal der Vertriebenen mit politischen Geschäften so etwas wie eine Lebensstellung aufzubauen. So schreibt die „Stuttgarter Zeitung" vom 21. Juni 1956. Um ihre massiven Vorwürfe rechtfertigen zu können, verfälscht sie bewußt und laufend den Sachverhalt. Es wird in diesem Artikel immer wieder so getan, als ob die Proteste gegen die Äußerungen des Herrn von Brentano und des Herrn Kollegen Greve erfolgt seien, weil sie zum Ausdruck gebracht hätten — ich zitiere wörtlich —:
daß vorerst nur eine Wiedervereinigung zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetzone möglich sei.
Ich stelle hier den Versuch einer grotesken Geschichtsfälschung fest. Niemand hätte gegen eine solche Auffassung protestiert, und niemand hat gegen eine solche Auffasung protestiert.
Ich selbst habe von dieser Stelle aus am 25. Februar 1955 folgendes erklärt — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
Ich habe schon im 1. Bundestag wiederholt Gelegenheit gehabt, zu erklären, daß wir Vertriebenen durchaus bereit und damit einverstanden sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands sich in Etappen vollzieht. Wir sind uns immer darüber klar gewesen, daß zuerst die Sowjetzone mit ihren 18 Millionen Menschen kommen muß. Wir haben aber auch nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir nicht unsere Zustimmung dazu geben könnten, daß die Wiedervereinigung sich auf Kosten der deutschen Vertreibungsgebiete vollzieht.
Ich habe mit diesen Äußerungen damals bei keiner Vertriebenenorganisation Widerspruch gefunden. Sie entspricht der gemeinsamen Auffassung der großen Verbände; und damit ist klargestellt, daß die Vertriebenen sich niemals auf den Standpunkt
des „alles oder nichts" gestellt haben und daß ein Teil der Presse mit ihrer oben von mir gekennzeichneten Argumentation falsche Tatbestände errichtet, um gegen sie anrennen zu können.
Der Herr Bundesaußenminister hat am vergangenen Donnerstag und auch gestern von Mißverständnissen gesprochen. Ich glaube nicht, daß er die Möglichkeit hat, sich auf diese Weise aus der Affäre zu ziehen. Herr von Brentano hat am 1. Mai vor der Auslandspresse in London auf die Frage eines spanischen Journalisten, ob die Bundesregierung auch an die ostdeutschen Gebiete denke, wenn sie von der Wiedervereinigung spreche, erklärt:
Keine deutsche Regierung hat das Recht, auf diesen Heimatanspruch freiwillig zu verzichten. Ich persönlich glaube aber, daß das deutsche Volk eines Tages vor eine sehr ernste Frage gestellt werden könnte, ob es nämlich auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße verzichten soll, wenn damit die 17 Millionen Deutschen der Sowjetzone die Freiheit wiederbekommen, oder ob man das nicht tun soll, um unseren problematischen Rechtsanspruch auf diese Gebiete aufrechtzuerhalten.
So wurde die Meldung gegeben. Am gleichen Tage hat der Botschafter von Herwarth gegenüber dem polnischen Journalisten Stephan Litauer laut Warschauer Rundfunk erklärt:
Es ist Ihnen bekannt, daß es in diesen Gebieten keine Deutschen mehr gibt, daß dort Polen wohnen. Sind unter diesen Bedingungen, wenn man die Dinge real sieht, unsere Ansprüche nicht problematisch?
Am 2. Mai, also am Tage darauf, telegraphierte der Herr Bundesaußenminister an das Auswärtige Amt, er habe in London sinngemäß gesagt, daß die Vertriebenen ein Recht auf ihre Heimat besäßen und daß eine deutsche Regierung die Oder-Neiße-Linie niemals anerkennen könne. Aber es könne der Tag kommen, an dem das deutsche Volk prüfen müsse, ob es auf die Freiheit der 18 Millionen verzichten wolle, um einen Rechtsanspruch aufrechtzuerhalten, dessen friedliche Regelung problematisch erscheinen müsse.
Am 3. Mai, wieder einen Tag später, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amts, hinsichtlich vielfacher Mißdeutungen sehe er sich veranlaßt, zu präzisieren und zu ergänzen:
Die Bundesregierung hat nicht das Recht und auch nicht die Absicht, den Rechtsanspruch auf diese Gebiete fallen zu lassen. Die volle Durchsetzung unseres Rechtsanspruchs auf die Ostgebiete kann problematisch werden, wenn wir nicht zunächst unsere Kraft und Opferbereitschaft auf die Wiedervereinigung mit den 18 Millionen in der sowjetisch besetzten Zone richten.
Es ist auch von einem falschen Zungenschlag gesprochen worden. Inzwischen haben sich aber doch einige Dinge zugetragen, die beweisen, daß kein falscher Zungenschlag vorgelegen hat, sondern die Bekanntgabe einer bestehenden Auffassung.
Am 23. Mai erschien im Auftrag des Außenpolitischen Rates in Nordamerika das Buch „Rußland und Amerika, Gedanken und Aussichten", geschrieben von Professor Henry L. Roberts, Direktor des Russischen Instituts der Columbia-Universität. Dieses Buch hat ein Vorwort von Herrn McCloy, in dem gesagt wird, das deutsche Volk müsse gewisse
Sicherheiten geben. Die Furcht der Polen und Tschechen, ihre gegenwärtigen Westgrenzen einzubüßen, unterstütze die Aufrechterhaltung der sowjetischen Kontrolle über Osteuropa. Das freie Volk der Bundesrepublik Deutschland müsse unter Umständen erwägen, ob es nicht wünschenswert sei, die Ansprüche auf einige früher in deutschem Besitz befindliche Gebiete aufzugeben als Schritt zur Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland. — Text übersetzt durch Presse- und Informationsamt der Bundesregierung schon am 24. Mai!
Bevor der Herr Bundeskanzler nach Amerika fuhr, war in der Presse zu lesen, daß er vor diesem Außenpolitischen Rat, dessen Vorsitzender Herr McCloy ist, sprechen werde. Ich habe daraufhin den Herrn Bundeskanzler schriftlich gebeten, diese Gelegenheit zu benutzen, um der Auffassung des Herrn McCloy entgegenzutreten. Der Herr Bundeskanzler erwiderte mir in einem Brief, in dem er mir den amtlichen Text übersandte, mit dem Bemerken, die Äußerung von Herrn McCloy sei in der Presse falsch wiedergegeben. Ich habe einen Unterschied zwischen dem amtlichen und dem in der Presse veröffentlichten Text nicht feststellen können. Aber der Herr Bundeskanzler schrieb mir weiter, er werde bei Gelegenheit mit Herrn McCloy sprechen. Ich stelle fest, daß er in Amerika auch eine Äußerung getan hat, die dort allgemein als eine Distanzierung von der Äußerung McCloys aufgefaßt worden ist.
Meine Damen und Herren, die prompte Übersetzung und Veröffentlichung dieses soeben erschienenen Vorworts von Herrn McCloy hat in weitesten Kreisen den Eindruck erweckt, es habe sich um eine bestellte Entlastungsoffensive zugunsten des Herrn Bundesaußenministers gehandelt.
Am 23. Mai gab der Herr Bundesaußenminister der englischen „Yorkshire Post" ein Interview. Auf die Frage, ob Deutschland an der Wiedervereinigung des Sudetenlandes interessiert sei, entgegnete der Minister unzweideutig mit Nein. Er glaube aber, daß den Sudetendeutschen das Recht, zurückzukehren, zuerkannt werden müsse. Herr von Brentano drückte deutlich aus, daß er die Frage der Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie durch ein Abkommen zwischen Polen und einer gesamtdeutschen Regierung zu regeln wünsche. Ein solches Abkommen, das vermutlich keine große Bevölkerungsverschiebung zur Folge haben werde und noch vor dem Abschluß eines Friedensvertrages geschlossen werden könne, möchte er auf dem Wege zweiseitiger freundschaftlicher Verhandlungen erreichen. Die sowjetische Regierung werde „möglicherweise" mitwirken. Der Herr Bundesaußenminister nahm die Gelegenheit wahr, den Rückkehrwillen eines Teils der Vertriebenen in Zweifel zu ziehen und zum Ausdruck zu bringen, daß es manchen von ihnen besser gehe als manchen Einheimischen.
Nach alledem, glaube ich, ist es nicht möglich, daß der Herr Bundesminister von Mißverständnissen oder auch nur von einem falschen Zungenschlag spricht. Bei unseren Gegenspielern hat es jedenfalls weder Mißverständnisse noch falsche Zungenschläge gegeben.
Im Sommer vergangenen Jahres feierten sie die fünfte Wiederkehr des Tages, an dem der Schandvertrag geschlossen wurde, durch den die OderNeiße-Linie zur „Friedensgrenze" ernannt wurde.
Man feierte diesen Tag und schickte sich gegenseitig Delegationen. Nach der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 8. Juli 1955 hat Herr Walter Ulbricht, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der DDR, in einem Zeitungsartikel aus diesem Anlaß erklärt:
Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß mit der Festigung der Oder-Neiße-Friedensgrenze die Grenzen zwischen Deutschland und Polen endgültig bestimmt sind. Niemand wird es gelingen, diese Grenzen in irgendeiner Form zu verändern.
Dieser Einstellung der beteiligten Regierungen wurde in besonderer Form Nachdruck verliehen dadurch, daß die Regierungen in Polen den Neusiedlern in den deutschen Vertreibungsgebieten das Eigentum an 500 000 Bauernhöfen übertrug, die auch heute noch deutschen Bauern gehören.
Diese Vorgänge haben natürlich bei den Vertriebenen, ganz besonders aber bei den Bauern, Beunruhigung und Entrüstung hervorgerufen. Vergeblich waren aber alle Bemühungen, die Bundesregierung zu einem Protestschritt gegen diesen eklatanten Rechtsbruch zu bewegen.
Damals schrieb mir Herr von Brentano wie folgt:
Die mit dem Dekret des polnischen Staatsrates vom 12. Juli 1955 verfügte Verleihung von Eigentumsrechten an polnische Neusiedler stellt einen Teil der Durchführung der bereits 1945 von der polnischen Regierung rechtswidrig dekretierten Enteignung des deutschen Besitzes dar. Sie gehört somit zu den zahlreichen polnischen Maßnahmen, die seit 1945 entgegen dem völkerrechtlichen Status der deutschen Ostgebiete vorgenommen wurden. Die Bundesregierung wird nach wie vor keine Gelegenheit vorübergehen lassen, ihren grundsätzlichen Standpunkt bezüglich der deutschen Ostgebiete zum Ausdruck zu bringen.
Meine Damen und Herren, die Enteignung von 500 000 Bauernhöfen in unserer Heimat im Jahre 1955 war in den Augen des Herrn Bundesaußenministers eine Maßnahme im Zuge der 1945 begonnenen Vertreibungshandlungen, und es bestand deshalb für ihn kein Anlaß, dagegen zu protestieren!
In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, daß der Herr Bundeskanzler schon im Herbst 1953, wie Sie sich erinnern werden, von einem Kondominium mit Polen gesprochen hat; ein Begriff, der auf der gleichen Linie liegt, auf der sich der Herr Bundesaußenminister jetzt bewegt.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Verleihung des Karlspreises an einen Mann, der nach seiner eigenen Darstellung für die Vertreibung von 15 Millionen Menschen weit mehr schuldhaft verantwortlich ist, als dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit offenbar bewußt ist. Auch dieser Tatbestand ist symptomatisch dafür, wie wenig deutsche Stellen sich bei ihren Maßnahmen Gedanken oder Vorstellungen machen von dem Schicksal der Vertriebenen und der Gebiete, aus denen sie vertrieben wurden.
Die Demonstration in Aachen richtete sich weniger gegen Herrn Churchill als gegen die Männer, die für diese Taktlosigkeit verantwortlich zeichneten.
Es ist beliebt, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß wir den Krieg verloren haben und daß wir uns vor allem mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, daß Millionen Menschen unter der Verantwortung einer deutschen Regierung unendliches Leid zugefügt worden ist.
Diesen Vorwurf hat die schon erwähnte „Stuttgarter Zeitung" gerade in den letzten Tagen wieder meinem Parteifreund Seiboth gemacht, als er die heimatpolitischen Ziele des Gesamtdeutschen Blocks auf dem Parteitag entwickelt hat. Ich weiche dieser Frage nicht aus. Es ist nicht möglich, neues Unrecht durch altes Unrecht zu rechtfertigen.
Der Heilige Vater schrieb im April 1948 an die deutschen Bischöfe wie folgt:
Wir glauben zu wissen, was sich während der Kriegsjahre in den weiten Räumen von der Weichsel bis zur Wolga abgespielt hat. War es jedoch erlaubt, im Gegenschlag 12 Millionen Menschen von Haus und Hof zu vertreiben und der Verelendung preiszugeben? Sind die Opfer dieses Gegenschlags nicht in der ganz überwiegenden Mehrzahl Menschen, die an den angedeuteten Ereignissen unbeteiligt, die ohne Einfluß auf sie gewesen waren, und war jene Maßnahme politisch vernünftig und wirtschaftlich verantwortbar, wenn man an die Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes und darüber hinaus an den gesicherten Wohlstand von ganz Europa denkt? Ist es wirklichkeitsfremd, wenn Wir wünschen und hoffen, daß alle Beteiligten zur ruhigen Einsicht kommen und das geschehene Unrecht rückgängig machen, soweit es sich rückgängig machen läßt?
Damit ist von der höchsten moralischen Autorität der Welt klargestellt, daß die Vertreibung nicht durch Berufung auf das nationalsozialistische Unrecht, das wir gar nicht leugnen, gerechtfertigt werden kann.
Eine gewisse deutsche Presse liebt es, den Sprechern der Vertriebenen, die an dem Rechtsanspruch festhalten, mangelnden Realismus vorzuwerfen. Auch das ist heute schon mit aufgeklungen. Dieser Vorwurf ist unbegründet. Auch die Vertriebenen und wir alle verkennen die Verteilung der Kräfte in der Welt nicht, und wir wissen, daß man aus Verhandlungen häufig mit einem Kompromiß herauskommt und vielleicht sogar herauskommen muß, insbesondere, wenn man einen verlorenen Krieg hinter sich hat. Wir können aber nicht einsehen, daß es mit Realismus etwas zu tun hat oder gar der Weisheit letzter Schluß ist, wenn man in einem Zeitpunkt, wo von Verhandlungen noch gar keine Rede ist,
schon anfängt, den eigenen unbestreitbaren Rechtsanspruch in Zweifel zu ziehen und faule Kompromißvorschläge zu machen.
Damit erreicht man nichts anderes, als daß man sich für die einmal wirklich beginnenden Verhandlungen in eine völlig aussichtslose Ausgangsposition bringt.
Welchen Schaden der Herr Bundesaußenminister angerichtet hat, werde ich Ihnen aus der Auslands-
presse noch nachweisen. Dieser Schaden ist um so größer, als sich eine gewisse deutsche Presse beeilt hat, dem Herrn Bundesaußenminister zu assistieren. Hier hat sich insbesondere wieder einmal der „Rheinische Merkur" ausgezeichnet. Er schreibt:
Bieten wir endlich in Richtung Prag und Warschau etwas Glaubwürdigeres an als das Münchener Abkommen und die im Grunde genau so unzulängliche Berufung auf die Grenzen von 1937.
Ist es wirklich erlaubt und möglich, daß Deutsche so schreiben?
Das offizielle SED-Organ „Neues Deutschland" erklärt dazu:
Bravo, Bravissimo! Einen Haken hat die Geschichte allerdings. Die Oberschlaumeier vom „Rheinischen Merkur" sind zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und der Grenze der Tschechoslowakei bereit, weil sie glauben, damit zwischen beiden Ländern einerseits und der Deutschen Demokratischen Republik andererseits einen Keil treiben zu können.
Das gleiche Blatt belobigt in hohen Tönen den Chefredakteur der Hamburger „Welt", Herrn Hans Zehrer, der zur Ostpolitik dem deutschen Volk ein Umdenken und eine Revision der Methoden empfohlen hatte. Das „Neue Deutschland" anerkennt diese Haltung mit den Worten:
In allgemein verständliches Deutsch übersetzt: das Verrücken von Grenzpfählen ist keine ungefährliche Sache.
„Und damit kann man nur einverstanden sein", fährt das Blatt fort.
Besonders aufschlußreich sind natürlich die Äußerungen der polnischen Presse. Die führende kommunistische Zeitung in Warschau, die „Trybuna Ludu" schreibt:
Jetzt gerade ist der Außenminister der Bundesrepublik genötigt — freilich noch auf inkonsequente Weise und voller Schwankungen —, den Revisionismus der Bonner Regierung zu revidieren.
„Dzienik Polski", eine exilpolnische Zeitung, triumphiert:
Es scheint, daß die öffentliche Meinung Deutschlands langsam heranreift zur Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, wenn dies der Preis der Wiedervereinigung wäre."
Die Zeitung „Glos Pracy“ aus Warschau sagt:
Wenn dieses Problem heute konkreter ist als vor ein oder zwei Jahren, wenn in Westdeutschland heute mehr sachliche Stimmen über Polen und seine Grenzen zu hören sind, so ist der Hauptgrund in der festen Haltung der DDR zur Oder-Neiße-Grenze und in der Freundschaft zwischen Polen und der DDR zu suchen.
An dieser festen Haltung hat es bei uns gefehlt. Wenn ich mir überlege, was der Herr Bundesaußenminister in der gestrigen Regierungserklärung zu diesen erschütternden Entwicklungen und zu dem Porzellan, das er in reichem Maße zerschlagen hat, zu erklären hatte, so muß ich seine Stellungnahme nicht nur als äußerst dürftig bezeichnen, sondern
auch feststellen, daß er an dem richtigen und wahren Problem vorbeigeredet hat.
Der Herr Bundesaußenminister hat den Anschein zu erwecken versucht, er habe in London lediglich zum Ausdruck bringen wollen, daß niemand bei uns daran denke, die besetzten Gebiete des Deutschen Reiches mit Gewalt wiederzuholen. Der vom Herrn Bundesaußenminister selbst gegebene Hinweis auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen und den dort schon im Jahre 1950 ausgesprochenen Verzicht auf Rache, Vergeltung und Gewaltanwendung
— ein Verzicht, den wir Vertriebene auch gerade von dieser Stelle aus immer wieder erneuert haben
— beweist einmal, daß kein besonderer Anlaß zu dieser Erklärung bestand, und zeigt zum anderen, daß niemand den Herrn Bundesaußenminister wegen dieser Äußerung angreifen konnte und angegriffen hat.
Man zitiert aus der Charta immer nur den Verzicht auf Rache und Vergeltung.
Aber in der Charta heißt es auch: „Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen bedeutet ihn im Geiste töten." Und es geht aus dem ganzen Inhalt auch hervor, daß die Vertriebenen entschlossen sind, niemals ihr Recht auf die deutschen Vertreibungsgebiete preiszugeben. Diese Erklärungen werden nicht zitiert, und ich, der ich als erster die Charta unterzeichnen durfte, sehe mich genötigt, eine solche Anrufung der Charta als Mißbrauch zu kennzeichnen.
Der Herr Bundesaußenminister hat gestern erklärt, die Bundesregierung halte ihre „klare Einstellung zur Frage der Grenzziehung im Osten unverändert aufrecht". Ich muß sagen, daß diese Formulierung mir langsam geradezu unheimlich wird Es 'geht hier nicht um eine Grenzregulierung, es geht um rund 25 % des deutschen Landes und Bodens, und dafür sollte man andere Worte wählen. Herr von Brentano hat gestern selbst den Satz ausgesprochen:„ Die staatsrechtliche Einheit Deutschlands ist nicht untergegangen." Ich vermag leider nicht zu erkennen und anzuerkennen, daß der Herr Bundesaußenminister sich bei seinen von mir zitierten Erklärungen von diesem Bewußtsein und dieser Vorstellung hat leiten lassen.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben gestern den Standpunkt vertreten, daß die Bundesregierung diplomatische Beziehungen zu den Satellitenstaaten des Sowjetblocks nicht aufzunehmen vermag, weil diese Staaten davon ausgehen, daß die Teilung Deutschlands und die Existenz zweier Staaten eine Realität sei, die man im internationalen Verkehr anerkennen müsse. Ich will nicht zu dieser Frage selbst Stellung nehmen; das hat Herr Feller schon getan. Aber ich muß diese Haltung in Vergleich setzen zu Ihren Vorschlägen in Ihrem Interview mit der „Yorkshire Post". Was hat Sie bewogen und wie war es möglich, ,daß Sie bei einer solchen Einstellung gegenüber diesen Staaten sich schon jetzt den Kopf darüber zerbrechen und im Ausland öffentlich diskutieren, auf welche Weise zwischen einem dieser Staaten, nämlich Polen, und der künftigen gesamtdeutschen Regierung die Frage der Oder-Neiße-Gebiete vor Abschluß eines Friedensvertrages freundschaftlich geregelt werden könnte,
wobei Sie noch das Rezept gaben, von größeren Bevölkerungsverschiebungen abzusehen? Bestand auch nur der geringste Anlaß zu einer solchen Stellungnahme? Hatten Sie wirklich keine aktuellere Frage oder keine größere Sorge? Wie ist dieses Ihr Verhalten wiederum in Einklang zu bringen mit Ihrer gestrigen Feststellung, daß die Regelung der territorialen Fragen im Osten Deutschlands dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben müsse?
Diese Divergenz nötigt doch zu der Vermutung und zu dem Schluß, daß mit Ihren Äußerungen auf näherliegende Dinge hingewiesen werden sollte. Man hat die Vermutung ausgesprochen, daß Sie gewissen Bedürfnissen im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen in Nordamerika Rechnung tragen wollten. Ich möchte dazu keine Stellung nehmen.
In der Bonner Korrespondenz „Deutsche Information" wurde unter dem 26. Juni eine Meldung verbreitet, wonach ein deutsch-polnisches Kondominium in Sicht sei. Danach soll auf dem Gründungstag der FVP in Bochum das Gerücht verbreitet worden sein, daß zwischen dem State Department und der Bundesregierung ein gemeinsamer Initiativvorschlag besprochen worden sei, wonach den Polen die Möglichkeit gegeben werden würde, an einer Europäisierung mitzuwirken, die ihre nach 1945 erworbenen Rechte ungeschmälert lasse. Dieser Vorschlag sieht die Repatriierung rückkehrwilliger Vertriebener unabhängig von der Wiedervereinigung vor, denen nach ihrer Wiederansiedlung ein verwaltungsmäßiges Mitspracherecht zugestanden werden sollte. Auch dabei findet sich der Hinweis, daß amerikanische Regierungskreise sich davon noch vor der Präsidentschaftswahl eine Besänftigung der Amerikapolen erhoffen.
In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben — und deshalb erwähne ich das hier —, daß Polen tatsächlich derartige Repatriierungsbestrebungen realisieren will. Ich halte es im Interesse der Klarheit unseres politischen Lebens für unbedingt erforderlich, daß die Bundesregierung zu diesen Meldungen eine klare Stellung bezieht.
Ich möchte noch hervorheben, daß die wiederholten Auslassungen des Herrn Bundesaußenministers bis in die Reihen seiner politischen Freunde Beunruhigung ausgelöst und auch Widerspruch gefunden haben. Ich erinnere an die Stellungnahme der Herren Kollegen Kiesinger und Dr. Jaeger und an die Erklärung der CDU-Vertriebenen in Niedersachsen. Sogar der doch völlig unverdächtige „Volksbote" hat Herrn von Brentano bescheinigt, daß er bei dieser Gelegenheit demonstriert habe, wie man auf dem politischen Parkett ausrutschen könne. Es war, wie wir gesehen haben, mehr als das, und es ist immerhin sehr bemerkenswert, daß der Katholische Flüchtlingsrat Mitte Juni auf seiner Arbeitstagung in Würzburg eine Entschließung angenommen hat, in welcher die Proteste der deutschen Heimatvertriebenen gegen „die verwirrenden Auslassungen einiger Politiker des In- und Auslandes über Ostdeutschland" gutgeheißen wurden. Für eine gewisse Presse des In- und Auslandes dürfte es heilsam sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Katholische Flüchtlingsrat den dabei den Vertriebenen gemachten Vorwurf nationalistischer Tendenzen — den man ja immer sehr schnell bei der Hand hat —mit Entschiedenheit zurückgewiesen hat. In Wahr-
heit seien diese Proteste, so heißt es in der Entschließung, der „Schrei vergewaltigter Volksmassen".
Die Bundesregierung und vor allem der Herr von Brentano sollten sich ein Beispiel an der Haltung des Vatikans nehmen. Der Heilige Stuhl ist in dieser Frage schon seit Jahren von der polnischen Regierung angegriffen und bedrängt worden. Er hat trotzdem unentwegt und bis auf den heutigen Tag an seiner Auffassung festgehalten, daß diese Gebiete ein Teil des Deutschen Reiches sind und bleiben bis zum Abschluß eines Friedensvertrages unter Zustimmung aller Beteiligten.
Es ist doch wirklich nicht zuviel verlangt, wenn man von der deutschen Bundesregierung fordert, daß sie eine gleiche klare und entschiedene Haltung einnehme. Sie hat eine viel weitergehende Verpflichtung als der Vatikan. Denn ihr ist im Grundgesetz auferlegt, die Rechte Gesamtdeutschlands zu wahren. Herr Bundesaußenminister, dieser Verpflichtung haben Sie zuwidergehandelt. Ich lehne es ab, mit Ihnen über das eine oder das andere Wort zu diskutieren. Die Gesamttendenz dieser ganzen Vorgänge und Ihrer Haltung ist klar und der angerichtete Schaden fast irreparabel. Wir können trotz aller persönlichen Wertschätzung nicht mehr das Vertrauen zu Ihnen haben, das der Mann besitzen muß, der für die deutschen Vertreibungsgebiete sprechen und verhandeln muß. Dieses Vertrauen ist zerstört. Deshalb haben wir in der zweiten Lesung des Haushalts die Streichung Ihres Gehalts beantragt.
Meine Ausführungen haben deutlich ergeben, daß wir es nicht verstanden haben, in der Welt Verständnis und Sympathie für unser Schicksal und vor allem für unser Recht auf Rückgabe der geraubten Gebiete zu erwecken. Die bedauerlichen Vorgänge der letzten Zeit haben einer langjährigen bedauerlichen Entwicklung nur die Krone aufgesetzt.
Wie oft habe ich von dieser Stelle darauf hingewiesen, daß wir der sehr rührigen und geschickten Propaganda der Polen und Tschechen im Ausland nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben. Die Bundesregierung hat diese Seite des Problems völlig vernachlässigt. Wenn wir auch damit einverstanden sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands sich in Etappen vollzieht, so ändert das doch nichts daran, daß auch die zweite Etappe psychologisch, propagandistisch und politisch vorbereitet werden muß. Als die grauenhafte Tatsache der Vertreibung und ihres Umfanges in der westlichen Welt bekannt wurden, ging ein Schrei der Entrüstung und des Entsetzens durch die freiheitliebenden Völker. Unser Anspruch auf die Vertreibungsgebiete und auf das Selbstbestimmungsrecht kann nach völkerrechtlichen und naturrechtlichen Grundsätzen doch gar nicht in Zweifel gezogen werden. Obwohl also alle Voraussetzungen vorlagen, uns das Mitgefühl und die Anerkennung in der ganzen Welt zu sichern, sind wir in der Meinung der Weltöffentlichkeit völlig ins Hintertreffen geraten. Auch dafür trifft die Bundesregierung die Verantwortung. Wir haben einen Mammutbau für das Ministerium des Auswärtigen errichtet, von dem wir ja neulich noch gehört haben, daß er verkorkst sei, aber es hat sich darin noch immer kein Platz für eine deutsche Ostabteilung gefunden. Es fehlt aber nicht nur die Politische Abteilung, für die als Ersatz ein Referat da ist; es fehlt vor allem auch die Informationsabteilung Ost.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
— Ich weiß, daß ich dafür Beifall bekomme.
Sicherlich werde ich wie jeder, der Kritik übt, gefragt werden, wie ich es besser machen würde. Ich könnte ja auch, wie es vorher getan wurde, sagen: In politischen Fragen gibt es keine Rezepte, oder: Es werden andere dafür bezahlt. Aber ich möchte der Frage nicht ausweichen. Wir sind uns darüber einig, daß die Wiedervereinigung in Etappen erfolgen muß, und ich stelle die Frage, ob wir die Etappe I so weit gefördert haben, daß es wirklich notwendig erscheint, schon detaillierte Rezepte für die Etappe II auf den Tisch zu legen. Ich halte das nicht nur für nicht notwendig; ich halte es für unmöglich.
Ich habe heute schon einmal gesagt, daß die Notwendigkeit von Kompromissen auch uns bekannt ist, und ich möchte darüber hinaus sagen, daß nach meiner Überzeugung auch die Vertriebenen vernünftigen Lösungen durchaus zugänglich sein werden. Aber solange an Verhandlungen nicht zu denken ist, kann man doch Kompromißvorschläge gar nicht öffentlich diskutieren, weil die Gegenleistung ausbleibt und ausbleiben muß und der Standpunkt der anderen dadurch immer nur härter wird.
Die beste Vorbereitung der Etappe II der Wiedervereinigung ist die Vorbereitung und die Verwirklichung der Etappe I. Die einzige Waffe des Besiegten ist das Recht, und es ist die Aufgabe der Bundesregierung, diese Waffe scharf zu halten. Vergleichsvorschläge können erst erörtert werden, wenn man am Verhandlungstisch sitzt. Der Herr Bundesminister hat gestern in seinen beiden letzten Sätzen zutreffende Ausführungen über das Recht und das Verhältnis zwischen Macht und Recht vorgetragen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich verlange nur, daß das auch auf unseren Anspruch angewendet wird.
Die Vertriebenen müssen aus der Entwicklung, die ich wahrheitsgemäß aufzeigen mußte, die Konsequenzen ziehen. Sie haben gesehen, daß sich gegen sie die Wahrheit des alten Wortes richtet: Qui tacet, consentire videtur; wer schweigt, erweckt den Anschein, daß er zustimmt.
Meine Damen und Herren, die Behandlung unserer Anträge zu Beginn der heutigen Sitzung kennzeichnet die Situation.
Es ist in diesem Hause meines Wissens noch nie in sieben Jahren vorgekommen, daß der Wunsch des Antragstellers, einen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen, nicht berücksichtigt worden ist.
Es ist bezeichnend, daß gerade bei unserem Antrag mit dieser Übung erstmals gebrochen wurde, — doch nicht deshalb, mein sehr verehrter Herr Ehren, weil Sie diese Diskussion für unaufschiebbar hielten, sondern weil Sie die Gelegenheit benutzen wollten, sie möglichst unauffällig über die Bahn zu bringen.
Wir werden den Vertriebenen darin beistehen, laß ihre Stimme in Zukunft unüberhörbar ins Ohr
der Welt und des deutschen Volkes klingt, damit das Recht keinen Schaden nimmt.
Ich beantrage Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß — federführend — und an den Vertriebenenausschuß und den Gesamtdeutschen Ausschuß zur Mitberatung.