Rede von
Erwin
Feller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Kollege Kiesinger, ich stimme Ihnen keineswegs darin zu, daß er einen ausgesprochenen Ausnahmefall darstellt.
So etwas behauptet man immer dann, wenn einem die Meinung, die eine bestimmte Persönlichkeit äußert, nicht angenehm ist.
Herr Kollege Kiesinger, Sie haben gefragt, wieso man eigentlich dazu kommen könne, dem Herrn Bundeskanzler zu unterstellen, daß er in Amerika bemüht war, ein Festhalten an der Politik der Stärke zu veranlassen. Ich muß Sie fragen, was Sie eigentlich über die Reden und Äußerungen des Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten gelesen oder was Sie nicht gelesen haben. Das, was ich gelesen habe, spricht jedenfalls dafür. Ich habe nur zufällig einen einzigen Artikel bei mir; er stammt aus der „Welt". Ich brauche daraus nur ein paar Stichworte zu entnehmen; sie lauten etwa so:
„Seien Sie sich völlig klar", rief er — der Bundeskanzler —
aus, „Sowjetrußland betrachtet die Vereinigten Staaten als seinen eigentlichen Gegner. Sie sind genauso gut gefährdet, meine Freunde aus Amerika."
Dann heißt es weiter, er ziehe es vor, von Befreiung statt von Wiedervereinigung zu sprechen, was natürlich die Amerikaner als „Liberation" ohne weiteres in einem ganz bestimmten Sinne auslegen müssen. Er sagt dann weiter, daß er mit aller Entschiedenheit an dem Standpunkt General Gruenthers festhalte, daß das militärische Fundament der NATO ohne die deutsche Mitgliedschaft zerstört würde, was mit dem Ende Europas gleichbedeutend wäre. Meine Damen und Herren, haben Sie das nicht gelesen? Lesen bloß wir solche Dinge? Oder werden uns andere Nachrichten serviert als Ihnen? Das verstehe ich nicht.
— Meine Herren, ich nahm an, daß Sie es auch gelesen haben. Deswegen wollte ich bloß stichwortartig darauf aufmerksam machen.
— Na, Herr Feister, ich habe weniger Bart als Sie.
— Ich kann Ihnen nachher in einem Privatkolleg,
wenn ich alle meine Presseausschnitte beisammen
habe, das alles noch einmal langsam und deutlich
vorlesen, damit Sie sich damit beschäftigen können.
So sehr wir auch die Fortschritte einer europäischen Integration und die Bemühungen um die Schaffung eines gemeinsamen Marktes begrüßen und mit Ihnen darin übereinstimmen, daß auch mit den übrigen freien Völkern der Welt eine engere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit herbeigeführt werden muß, bleibt für uns doch die erschreckende Feststellung, daß aus dem Bericht über die Außenpolitik der Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts von dem zu erkennen ist, was auf einen Fortschritt in der Lösung der deutschen Frage hindeutet, daß uns auch die Bundesregierung nichts darüber zu sagen weiß, wie diese Frage aus der Sackgasse, in die sie nach dem ergebnislosen Ausgang der zweiten Genfer Konferenz geraten ist, 'herausgebracht werden soll.
Wir können nicht umhin, zu konstatieren, daß sich in demselben Tempo — ja vielleicht noch in einem schnelleren Tempo —, in dem die Integrationsbemühungen im Westen voranschreiten, die Teilung des deutschen Volkes vertieft und die Spaltung Deutschlands immer unüberwindbarer zu werden droht. Was hilft es, wenn die Regierungserklärung in dieser Lage zur Geduld mahnt, aber nicht zu sagen weiß, wann und womit diese Geduldbelohnt werden soll? Allzugroße Geduld kann gewiß schädlich für die Entwicklung sein; aber allzuviel Geduld kann uns dazu führen, auch die letzten Chancen für die Wiedervereinigung Deutschlands zu verpassen.
Meine Damen und Herren, das besagt nichts gegenüber den westlichen Integrationsbemühungen und dem Anteil der Bundesregierung daran, aber es zwingt uns erneut zu der Mahnung, daß die deutsche Frage nicht hinter die europäische treten und vernachlässigt werden darf. Denn die Vorstellung, daß die letztere im Gefolge der ersten gelöst werden könne, dürfte sich doch als falsch erwiesen haben. Es gibt nach unserer Auffassung keine europäische Lösung ohne eine Lösung der -deutschen Frage; aber es gibt — und dafür mehren sich die Zeichen; allerdings nicht in der Regierungserklärung, wohl aber am Horizont der Weltpolitik — die Gefahr, daß man an eine weltpolitische Entspannungsmöglichkeit ohne eine Lösung der deutschen Frage denkt. Es wäre falsch, hier so zu tun, als ob „nicht sein kann, was nicht sein darf".
Das enthält keinerlei Vorwürfe gegen den Westen. Wir wissen genau, daß es auch keine Lösung der deutschen Frage ohne die Hilfe des Westens geben kann und schon gar nicht gegen den Westen geben darf.
Aber wie steht es denn eigentlich zur Zeit im Westen? Die Regierungserklärung geht mit keinemWort auf die Schwierigkeiten ein, die wir doch alle kennen, auf die Schwierigkeiten infolge der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten mit ihrem durch die bedauerliche Erkrankung des Präsidenten bedingten Unsicherheitsfaktor, die Schwierigkeiten Frankreichs in Nord-
afrika und die Englands in Zypern und ananderen Stellen des Empire. Und diese Schwierigkeiten haben doch einen entscheidenden Anteil daran, daß die russische Offensive des Lächelns gewisse Erfolge aufzuweisen hat, zunächst nicht bei den Regierungen, aber — und darauf bezogen sich meine vorherigen Hinweise — in der öffentlichen Meinung. Ich frage: Wie lange werden die Regierungen — auch im Westen — unter den gegebenen Umständen dieser öffentlichen Meinung noch widerstehen können? Wir haben doch alle auch von Regierungsstellen im Westen schon die ersten Äußerungen vernommen, die auf eine Umkehrung der Reihenfolge von Wiedervereinigung, Abrüstung und Entspannung hinzielen.
Meine Damen und Herren, hier muß einmal mit allem Ernst die Frage gestellt werden, ob wir es unseren Partnern im Westen noch länger zumuten können, daß sie sich ihre mit anderen Sorgen wahrlich angefüllten Köpfe über unser Anliegen mehr zerbrechen, als wir zu tun bei ihnen den Eindruck hervorrufen, und das muß ihr Eindruck sein, wenn die Regierungserklärung es unterläßt oder die Debatte darüber es unterlassen würde, etwas darüber zu sagen, wie das Gespräch über die ,deutsche Frage wieder in Gang gebracht werden soll.
Es genügt doch nicht, wie das hier heute geschehen ist, darauf hinzuweisen, daß sich die Haltung der Sowjetunion gegenüber einer Lösung der deutschen Frage in den letzten Jahren zusehends versteift habe, ohne gleichzeitig in eine Untersuchung der Ursachen einzutreten, noch dazu, wenn man sich dabei einfach auf sowjetische Äußerungen bezieht, deren Widersprüchlichkeit doch nicht ohne weiteres erlaubt, sie als endgültig und eindeutig anzusehen.
Mir schien es richtiger zu sein, daß die Regierung uns hier einmal darlegt, ob und warum es nicht möglich war, unsere westlichen Partner nachdrücklich an ihre, uns gegenüber übernommenen Verpflichtungen hinsichtlich der Einheit Deutschlands zu erinnern und sie zu neuen Schritten zu ihrer Herbeiführung zu bewegen. Diese Frage kann man nicht mit dem Hinweis auf immer wiederkehrende Erklärungen beantworten, die so lange nur Deklamationen enthalten, wie nichts darüber gesagt wird, was denn nun weiter geschehen soll. Kann es uns denn von unseren Partnern im Westen verübelt werden, wenn wir sie immer wieder in einer Sache bedrängen, die nach ihren eigenen Erklärungen und nach Lage der Dinge auch die ihre ist?
Welche Veranlassung haben wir eigentlich, den Westmächten immer nur unsere Vertragstreue zu versichern und damit den Eindruck hervorzurufen, als ob es in Deutschland politisch bedeutsame Kräfte gäbe, die nicht bereit seien, sich an die vertraglichen Verpflichtungen zu halten? Muß nicht so geradezu der Eindruck hervorgerufen werden, daß wir uns damit zufriedengäben, im Rahmen der NATO gesichert zu sein, und daß wir uns im Zuge einer fortschreitenden Entspannung auch mit der Spaltung Deutschlands abfänden?
Nach der Genfer Konferenz ist in diesem Hause von allen Seiten gefordert worden, es müsse jetzt schleunigst in einer gründlichen Analyse erforscht werden, welche Bemühungen dazu führen könnten, das in Genf zum Stillstand gekommene Deutschlandgespräch wieder in Fluß zu bringen. Das war, wie Sie sich erinnern werden, am 2. Dezember 1955. Ich meine, es ist heute, ein halbes Jahr danach, durchaus gerechtfertigt, nach den Ergebnissen dieser Analyse zu fragen. Die Regierungserklärung jedenfalls wußte darüber sehr wenig auszusagen. Sie enthält nicht einmal Andeutungen darüber, welche Bemühungen zu einer Neuorientierung in der Deutschlandfrage im Gange sind. Es wird darin zwar wiederholt — was für uns alle hier eine Selbstverständlichkeit bedeutet —, daß wir nichts tun dürfen und nichts tun wollen, was uns in einen Gegensatz zu den freien Völkern des Westens bringen könnte. Aber wir fragen demgegenüber, ob die Bundesregierung das Notwendige und Richtige getan hat, um im Westen das nötige Verständnis für unser Anliegen und für die Dringlichkeit unseres Anliegens zu verstärken und dafür Sorge zu tragen, daß sich die Entspannung nicht so vollzieht, daß nicht in jeder ihrer Phasen auch die deutsche Frage wieder zur Sprache kommt.
Wir verkennen keineswegs das Risiko, das in einer solchen Forderung steckt. Es könnte sein, daß eine Stimmung eintritt, welche die deutsche Frage als lästig empfindet, weil sie dem Fortschreiten der Entspannung im Wege steht. Aber eine solche Entwicklung läßt sich nicht dadurch verhindern, daß wir schweigen oder die Welt am laufenden Band unserer Vertragstreue versichern oder auf die ihr ja zur Genüge bekannte antibolschewistische Einstellung des deutschen Volkes hinweisen. Eine solche Entwicklung kann nur verhindert werden, wenn die Bundesregierung sich ihrerseits zu einer neuen Initiative entschließt.
Wir sind sehr bescheiden, meine Damen und Herren. Wir verlangen nur ganz einfach und schlicht eine Initiative. Wir sind nicht so anspruchsvoll wie Bundesminister, die heute schon von der Regierung eine „rollende Initiative" verlangen. Vielleicht entspringt das der taktischen Überlegung, daß ein mit möglichst vielen Beiwörtern geschmücktes Verlangen dann entsprechend bessere Rückzugsmöglichkeiten bietet.
Meine Damen und Herren! Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß die Regierung nicht alle Pläne und Vorschläge vorbehaltslos zu akzeptieren bereit ist, zumal viele, das wissen wir alle, von Unberufenen und zum Teil aus Motiven reiner Geltungssucht gemacht werden. Wir anerkennen es sogar als großen Fortschritt, daß die Regierungserklärung sich einmal mit einer Reihe von Vorschlägen seriöser Politiker, auch wenn sie nicht den Koalitionsparteien angehören, auseinandersetzt. So etwas ist ja bisher in außenpolitischen Erklärungen der Regierung nie der Fall gewesen, wenigstens nicht soweit meine Erinnerung reicht. Aber wenn die Regierung ihren Kritikern vorwirft, ihre Kritik nicht mit Vorschlägen zu verbinden und zu begründen, die die Bundesregierung vor dem ganzen Volke verantworten zu können glaubt — so heißt es in der Regierungserklärung —, dann müssen wir fragen, wie die Bundesregierung ihre Inaktivität und ihren bisher gezeigten Mangel an Vorstellungen vor dem ganzen deutschen Volke verantworten zu können glaubt.
Ich frage: Wo findet sich in der Regierungserklärung ein einziger Satz, der darüber Auskunft gibt, wie die Bundesregierung nun eigentlich politisch weiterzukommen glaubt, d. h. das Gespräch über die deutsche Frage nun auf weltpolitischer Ebene wieder in Gang zu bringen vermeint?
Natürlich ist es leichter, eine Initiative zu fordern, als klare Vorschläge einer inhaltsreichen Ini-
tiative zu machen. Aber die Bundesregierung darf sich doch nicht darauf beschränken, derartige Feststellungen zu treffen und damit zuzugeben, daß sie entweder keine aussichtsreiche Initiative mehr sieht oder unter den ihr vorgeschlagenen keine solche sehen will. Dann wäre es allerdings besser — wie Herr Kollege Dehler gefordert hat —, sie gäbe zu, daß sie die Sache für aussichtslos hält.
— Ich habe sie gehört, Herr Kollege Rinke. Wenn Sie sie nicht verstanden haben, kann ich nichts dafür.
Wir haben keinen Zweifel daran, daß es unsere Partner im Westen ehrlich meinen, wenn sie uns immer wieder einmal versichern, daß die Lösung der deutschen Frage auch ein Ziel ihrer Politik sei, und es enthält keinen Vorwurf gegen sie, wenn wir die für uns schmerzliche Feststellung treffen, daß diese Erklärungen bisher nicht zu sichtbaren Erfolgen geführt haben. Aber können wir von den Regierungen des Westens noch erwarten, daß sie initiativ werden, wenn wir sie nicht dazu drängen, daß sie sich um erneute Verhandlungen bemühen, wenn wir ihnen keine Vorschläge machen?
Selbstverständlich ist dabei nicht an Vorschläge gedacht, die geeignet wären, unsere oder ihre Verhandlungsposition von vornherein zu schwächen. Aber es ist doch wirklich einiges in der Welt vorgegangen — das läßt sich doch nicht bestreiten und mit irgendwelchen Methoden wegeskamotieren —, das Anlaß zu neuen Gesprächen bieten könnte. Wir finden es an der Zeit, daß sich unsere amtliche Außenpolitik von den Hemmungen frei macht, daß jeder deutsche Schritt, der darauf ausgeht, die Möglichkeiten für eine Lösung der deutschen Frage zu
erkunden, uns unbedingt die Sympathien des Westens verscherzen könne und uns in eine hoffnungslose Isolierung führen müsse. Herr Dr. Dehler hat mit Recht gesagt, das Vertrauen in der westlichen Welt müßte eine sehr schwache Grundlage haben, wenn solche Befürchtungen berechtigt wären; und es gibt doch auch wirklich keine handgreiflichen Beweise dafür, daß es so ist.
Hier wäre eine großartige Aufgabe für den Herrn Bundesaußenminister, sich diplomatischen Ruhm für alle Zeiten zu erwerben, indem er den Westmächten unter Hinweis auf die Unruhe im deutschen Volk und das Drängen der Opposition deutlich macht, daß erneute Schritte zur Lösung der deutschen Frage unternommen werden müssen,
und wir richten die dringende Bitte an den Herrn Bundeskanzler, daß er seinem Außenminister für diese Aufgabe endlich freie Hand gibt.
Wenn sich allerdings bei diesen Bemühungen herausstellen sollte, daß die Westmächte ihrerseits in der augenblicklichen Situation nichts zu unternehmen bereit oder in der Lage sind, dann müßte es doch gelingen, ihr Einverständnis damit herbeizuführen, daß die Bundesregierung endlich dazu übergeht, die diplomatischen Beziehungen, die wir im vergangenen Jahre mit der Sowjetunion hergestellt haben, dazu zu benutzen, in direktem Gespräch mit ihr die Auffassung der Sowjetunion in der deutschen Frage zu erkunden. Die Regierungserklärung enthält kein Wort darüber, warum dies bisher nicht geschehen ist. Sie beruft sich lediglich auf sowjetische Äußerungen, die von dritter Seite berichtet
wurden und als Beweis für die Unzugänglichkeit der Sowjetunion dienen sollen; aber sie sagt nicht, warum sich die Regierung nicht bemüht, die Einstellung der Sowjetunion selbst festzustellen.
Es ist für uns wirklich nicht ersichtlich, welche Gefahren auch im Hinblick auf den Westen in einem solchen Vorgehen enthalten sein sollten, wenn dabei das Einvernehmen mit unseren westlichen Partnern gewahrt bleibt. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Sowjetunion ja dann zum wiederholten Male die Bundesrepublik auf direkte Verhandlungen zwischen Pankow und Bonn verweisen könne, und der Herr Bundesaußenminister hat nicht weniger als vier Seiten seiner Regierungserklärung dazu benutzt, zu begründen, warum eine solche Verweisung und die damit verbundene Anerkennung der sogenannten DDR für uns unannehmbar sind. Das hätte er wesentlich kürzer machen können; denn ich glaube, niemand in diesem Hause und nur wenige in unserer Bevölkerung denken an eine solche Anerkennung. Wir stimmen dabei — und auch in der Begründung — dem Herrn Bundesaußenminister vollkommen zu.
Ich sehe mich aber bei dieser Gelegenheit veranlaßt, noch einmal auf unsere in Fulda gefaßten Beschlüsse zurückzukommen. Ich konzediere Herrn Kollegen Kiesinger, daß er, wenn er nur die Dienstagausgabe der „Frankfurter Allgemeinen" gelesen hat, sich vielleicht eine falsche Meinung darüber hätte bilden können, obwohl ich das nicht als sehr verantwortungsbewußt ansehe. Aber es heißt in der „Frankfurter Allgemeinen", man sehe in diesem Beschluß die Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Ostberliner Regierung nach dem Rücktritt Ulbrichts. In Wirklichkeit ist nichts anderes beschlossen worden, als daß der Gesamtdeutsche Block bereit ist, seine Amtsträger zu Versammlungen in die Zone zu entsenden, wenn Ulbricht und Hilde Benjamin als Zeichen der Abkehr vom Stalinismus ihrer Funktionen enthoben sind. Darin ist doch überhaupt nichts von einer Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Pankower Regierung enthalten, und wir sind nach wie vor selbstverständlich der Auffassung, daß 'solche Verhandlungen und eine damit verbundene Anerkennung der DDR nicht in Frage kommen. Aber das hat doch nichts damit zu tun, daß wir bereit sind, mit der Bevölkerung in der Zone zu sprechen, auch in politischen Diskussionen und, wenn es sich dabei ergeben sollte, auch mit Funktionären des dortigen Systems. Wir wären dankbar, wenn sie uns die Gelegenheit dazu gäben; denn um diese geistige Auseinandersetzung, meine Damen und Herren, kommen wir doch nicht herum, auch nach der Wiedervereinigung nicht.
Wir müssen sie doch aufnehmen und können nicht länger so tun, als ob der Kommunismus als geistigpolitischer Faktor auf deutschem Boden nicht existiere, wenn er auch in der Bundesrepublik glücklicherweise keine Rolle spielt.
Wir haben aber manchmal den Eindruck, meine Damen und Herren, daß es Leute gibt, die dann, wenn sie auch nur von einer Reise, von einem Besuch in der Zone sprechen hören, schon das Gefühl von Ansteckung und Ansteckungsgefahren haben. Das sind Leute, die innerlich sehr unsicher sein müssen in ihrer Widerstandskraft. Für uns gilt das nicht, auch wenn Herr Kiesinger gesagt hat: „Wer dem Teufel den kleinen Finger gibt!"
— Dem Teufel, ja, das haben Sie gesagt. Aber, meine Damen und Herren, wie stellen Sie sich denn eine Wiedervereinigung vor, was wollen Sie denn mit den inzwischen dort drüben herangewachsenen, heranerzogenen vielen kleinen Teufeln tun, wenn Sie sich nicht mit ihnen auseinandersetzen?
— Das hat er doch gemeint!
— Herr Kunze, wir haben beschlossen, daß wir hinübergehen wollen, um dort Versammlungen abzuhalten und zu diskutieren, und darauf sagt er: Wer dem Teufel den kleinen Finger gibt ...,
also meint er damit die Möglichkeit einer Berührung mit irgendeinem kleinen SED-Funktionär, den man in einer solchen Versammlung treffen könnte. Wenn Sie etwas anderes gemeint haben, dann wäre allerdings Ihr Angriff noch sehr viel boshafter gewesen.
— Ihres Irrtums? Ja, Herr Kollege Kiesinger, so soll man es nicht machen. Man soll nicht so schwerwiegende Vorwürfe wie den der vorhandenen Osttendenzen gegen eine politische Partei erheben, wenn man nur einen einzigen Zeitungsartikel darüber gelesen und sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, die Beschlüsse, die diesem Artikel zugrunde
lagen, zur Kenntnis zu nehmen.
— Ja, die Zeitung ist gut, das will ich nicht bestreiten; aber in dem Fall hat sie doch nicht ausgereicht, um Sie vor einer Haltung zu bewahren, die ich jedenfalls nicht unter den Begriff der politischen Fairneß zu rechnen bereit bin.
— Jawohl, meine Damen und Herren, ich denke gar nicht daran, auch wenn Sie damit nicht einverstanden sind, Herr Pelster.
Ich habe manchmal den Eindruck und das Gefühl, daß sich wirklich viele bei .uns vor einer solchen Auseinandersetzung scheuen, weil sie ihrer selbst nicht sicher sind. Das ist nämlich etwas grob umschrieben der Menschenkreis, für den der Begriff der Freiheit erst als eine Parole zur Abwehr des Bolschewismus erfunden werden mußte. Wir brauchen keinen Ostwind, um an die Aufgabe der Erhaltung der Freiheit erinnert zu werden. Wir fühlen uns selbst sicher genug, um in solchen Auseinandersetzungen auch für die Freiheit zu kämpfen. Und darum allein ging es uns bei unseren Fuldaer Beschlüssen.
Wir haben übrigens noch einen anderen Gedanken zur Herbeiführung einer gesamtdeutschen Diskussionsmöglichkeit erneut aufgenommen, auf den ich hier noch einmal hinweisen möchte. Wir haben ihn schon einmal im Vorjahr in die Diskussion geworfen. Es handelt sich dabei um den Gedanken eines, wenn Sie so wollen, „Gesamtdeutschen Rates". Es stört uns in diesem Fall gar nicht, daß der Name auch von östlicher Seite verwendet worden ist. Wir haben nämlich damals gesagt: er könne aus freien, aber getrennten Wahlen hervorgehen, die in beiden Teilen Deutschlands durchzuführen wären. Der Vorschlag ist damals von den verschiedensten politischen Seiten als unrealistisch oder gar als gefährlich abgetan worden. Man hat gesagt, er würde den Grundsatz der gesamtdeutschen freien Wahlen erschüttern. Wenn man das befürchtet, müßte man sich überlegen, ob es eine andere Möglichkeit des Zustandekommens gibt. Aber inzwischen haben immerhin so viele Politiker der Opposition und Koalition ähnliche Gedanken laut werden lassen, daß es doch angebracht wäre, sich einmal vorurteilslos zusammenzusetzen und sich über die Modalitäten und das Zustandekommen eines solchen Gremiums zu unterhalten. Es kommt uns dabei wirklich nicht darauf an, unsere Urheberschaft zu behaupten; wir wollen gern darauf verzichten.
— Ach, Herr Haasler,
wenn Ihr Einwurf auch nur die Spur einer Richtigkeit haben wollte, dann hätten Sie sagen müssen: Moskau! Denn es trifft zu — das will ich gar nicht bestreiten —, daß im Laufe der zweiten Genfer Konferenz von Molotow die Forderung nach einem gesamtdeutschen Rat erhoben worden ist; nebenbei: lange nachdem wir sie hier schon im Plenum des Bundestags erhoben hatten; wir könnten also höchstens annehmen, daß Moskau etwas von uns übernommen hat. Ich brauche ja wohl nicht darauf hinzuweisen, daß die Voraussetzungen und die Formen des Zustandekommens — ich will mich jetzt hier darüber nicht näher auslassen — bei unserem Plan und bei dem, was seinerzeit von Molotow in Genf vorgetragen worden ist, grundsätzliche Unterschiede enthielten, und die sind ja entscheidend. Denn da hat es sich um ein Gremium gehandelt, das aus beiden Regierungen gebildet werden sollte, während es sich bei uns um ein Gremium handelt, das aus freien Wahlen gebildet werden soll.
— Ja, Herr Rinke, vielleicht zerbrechen Sie sich mal etwas Ihren Kopf! Wir wären Ihnen durchaus dankbar, wenn wir wirklich einmal die Freude hätten, das Ergebnis eines Kopfzerbrechens bei Ihnen feststellen zu können, wenn Sie uns da einen neuen Namen bescheren!