Rede von
Erwin
Feller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Aber Herr Kollege Kiesinger, das ist doch eine ausgesprochene Sophisterei, was Sie hier zu treiben versuchen. Die mögen Ihnen Ihre Freunde abnehmen. Wir nehmen sie Ihnen nicht ab; denn wir wissen, was damit gemeint und was damit bezweckt war.
Ich will auf die Sache selber, auf den Inhalt unserer Entschließung später noch zurückkommen. Wir brauchen uns durch derartige Angriffe nicht berührt zu fühlen und brauchen uns vor allen Dingen nicht ängstlich zu fühlen, daß sie auf unsere Anhänger irgendeine Wirkung auszuüben in der Lage wären.
Meine Damen und Herren, ich sagte vorhin, daß wir durchaus bereit seien, uns auch zu Irrtümern zu bekennen, wenn wir glaubten, daß wir damit der Aufgabe der Wiedervereinigung Deutschlands einen Dienst erweisen können. Denn wer bereit ist, für die Wiedervereinigung Deutschlands jedes Opfer, ausgenommen das der Freiheit, zu bringen, der muß auch das Opfer zu bringen bereit sein, begangene Irrtümer oder Unterlassungen zuzugeben. Aber die Bundesregierung scheint es jedenfalls nicht zu sein. Denn an keiner einzigen Stelle in ihrer Erklärung ist die Bereitschaft zu spüren, anzuerkennen, daß ihre Politik uns dem Ziele der Wiedervereinigung eben nicht nähergebracht hat und daß doch eine Überlegung am Platze ist, ob dies nicht Anlaß zu irgendwelchen Veränderungen geben kann. Die Frage danach wird, das Ergebnis der verlangten Prüfung vorweggenommen, in der Regierungserklärung einfach verneint.
Wir wollen es uns mit der Kritik nicht zu leicht machen. Wir haben auch nicht etwa die Absicht, von der von uns gegebenen Zustimmung zum Eintritt der Bundesrepublik in die vertragliche Gemeinschaft der freien Völker abzurücken, nachdem wir inzwischen aus der Koalition in die Opposition übergegangen sind. Wir stehen auch unverändert zu der Auffassung, daß wir geistig und politisch zur abendländischen Völkergemeinschaft gehören und daß wir die Freiheit und die Sicherheit der Bundesrepublik heute nur durch diese gewährleistet sehen. Wir haben auch keineswegs die Absicht, der Bundesregierung Vorschläge zu machen oder Ansinnen an sie zu stellen, die zur Folge haben müßten, daß die Bundesrepublik ihre vertraglich übernommenen Verpflichtungen gegenüber ihren Partnern nicht mehr nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten und ohne Hintergedanken erfüllen könnte. Denn niemand hat es eindringlicher erfahren als die Opfer des Krieges und der Vertreibung, wohin ein Volk durch eine Politik der leichtfertigen Vertragsbrüche und der arglistigen Täuschung von Vertragspartnern gebracht werden kann. Darüber bedarf es bei uns keinerlei Belehrung. Die Bundesregierung wird auch stets mit unserer Unterstützung rechnen können, wenn sie ihrer zu Maßnahmen bedarf, die zur Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen auch nach unserer Überzeugung unerläßlich sind.
Die Kritik an der Bundesregierung, zu der wir uns als Oppositionspartei nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sehen, entspringt unserer Befürchtung, daß in den vergangenen Monaten doch nicht alles, was möglich war, geschehen ist, um auf dem Wege zur Wiedervereinigung vorwärtszukommen, und der Überlegung, was noch geschehen kann, um darauf nicht stehenzubleiben.
Wir erkennen durchaus an, was die Bundesregierung, insbesondere was der Herr Bundesaußenminister in den vergangenen Monaten unternommen haben, um unsere Beziehungen zu uns befreundeten Staaten im Westen zu verbessern. Wir haben den Bericht des Herrn Bundesaußenministers über seinen Besuch in den Niederlanden, Dänemark und Norwegen und die mit den Regierungen dieser Länder erzielten Übereinstimmungen mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Wir bedauern es außerordentlich, daß der Erfolg seines Londoner Besuches für uns überschattet ist von den schon an anderer Stelle kritisierten Äußerungen, die der Herr Bundesaußenminister in London bei dieser Gelegenheit zur Frage der Gebiete jenseits Oder und Neiße gemacht hat. Ich will an dieser Stelle nicht mehr darauf eingehen.
Wir begrüßen es, daß es in den Luxemburger Verhandlungen gelungen ist, die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Saar zur Bundesrepublik zum 1. Januar 1957 zu schaffen.
Die wirtschaftlichen und finanziellen Opfer, die damit verbunden sind, werden wir zwar prüfen, aber in einer grundsätzlichen Bereitschaft, sie auf uns zu nehmen, weil uns die Freiheit deutscher Menschen und deutschen Landes solche Opfer zu rechtfertigen scheint. Wir wollen aber an dieser Stelle gleich betonen, daß es uns notwendig erscheint, daß die Bundesregierung dafür Vorsorge trifft, daß die Bevölkerung an der Saarselbst durch ihre Rückgliederung zur Bundesrepublik keine wirtschaftlichen oder sozialen Belastungen zu erleiden hat.
Denn wir sind der Auffassung, daß diese Rückkehr zu 90, zu 95, ja meinetwegen zu 99 % das Verdienst dieser Bevölkerung an der Saar allein ist und daß sie für dieses Bekenntnis zu Deutschland nicht noch bestraft werden darf.
— Trotz der Bochumer Rede, Herr Kollege Wehner, oder gerade wegen der Bochumer Rede sind wir der festen Überzeugung, daß es so ist.
Wir stimmen dem negativen Urteil, das auch von Herrn Kollegen Ollenhauer über die Reise des Bundeskanzlers in die Vereinigten Staaten gefällt wurde, zu. Es geht doch nicht an, einfach auf deklamatorische Erklärungen und Kommuniqués zu verweisen
und die sich allmählich zu einem unüberhörbaren Chor vereinigenden Stimmen der öffentlichen Meinung auch in den Vereinigten Staaten einfach zu überhören.
— Denn was ist das für eine Politik, Herr Kollege Kiesinger, die der öffentlichen Meinung hier in der Bundesrepublik dauernd Sand in die Augen zu streuen versucht und sie über die wahren Entwicklungen in den westlichen Ländern hinwegtäuscht? Sie haben vorhin den Zwischenruf „Einzelgänger" gemacht. Es handelt sich doch nicht um Einzelvorgänge. Herr Kollege Ollenhauer hat den Namen Lippmann genannt. Es ließen sich noch Dutzende anderer nennen, es ließe sich Kennan, es ließe sich Flanders nennen. Es stehen jeden Tag Dinge in der Zeitung, die uns davon überzeugen, daß allmählich ein Wandel auch in der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten vorgeht.
— Bitte sehr.