Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß die Regierungserklärung, die gestern der Herr Außenminister abgegeben hat, dem Parlament die Möglichkeit zu einer außenpolitischen Debatte gibt. Wir begrüßen es auch, daß der Herr Außenminister zum erstenmal den Versuch unternommen hat, dem Parlament eine Ubersicht über die außenpolitische Aktivität der Bundesregierung zu geben. Wir finden allerdings, daß sich eine solche Übersicht nicht in der Aufzählung der verschiedenen Ereignisse und Reisen erschöpfen darf, wenn sie die Grundlage zu einer fruchtbaren Diskussion im Parlament bieten soll.
Ich möchte mich in meiner heutigen Rede im wesentlichen mit dem zentralen Problem der Wiedervereinigung Deutschlands im Zusammenhang mit der gegenwärtigen internationalen Situation beschäftigen. Ich möchte mich deshalb jetzt darauf beschränken, einleitend zu einigen Punkten kurz Stellung zu nehmen, die der Herr Außenminister in dem ersten Teil seines Berichts behandelt hat. Ich kann mich auch deshalb kurz fassen, weil die in Frage kommenden Probleme das Parlament zu späterer Zeit noch beschäftigen werden.
Lassen Sie mich zunächst ein Wort über die Saarfrage sagen. Wir hoffen mit dem Herrn Bundesaußenminister, daß uns in absehbarer Zeit die in den Grundlinien vereinbarte Abmachung über die Zukunft des Saargebietes zur Beratung und Beschlußfassung vorgelegt werden kann und daß dann der endgültigen Regelung der Saarfrage nichts mehr im Wege steht. Wir begrüßen es, daß das Saargebiet am 1. Januar 1957 als ein Teil der
Bundesrepublik in den deutschen Staatsverband zurückkehrt und daß auch hinsichtlich der ökonomischen und finanziellen Fragen eine Regelung in Aussicht steht, die von allen Beteiligten akzeptiert werden kann und die die Grundlage für eine dauernde Befriedung des Saarproblems bilden kann.
Wir möchten für die Erreichung dieses Zieles in allererster Linie den deutschen Parteien an der Saar danken,
die durch ihren Erfolg im Volksentscheid erst die Voraussetzung für diese Regelung geschaffen haben.
Wir verstehen es, wenn sich jetzt die Bundesregierung befriedigt über das in Luxemburg erzielte Einvernehmen äußert. Aber um der historischen Wahrheit willen muß festgestellt werden, daß dieses Ziel erreicht wurde entgegen der Saarpolitik, die die Bundesregierung bis zum Tage der Volksabstimmung betrieben hat.
Schließlich war es der Herr Bundeskanzler selbst, der in dem Wahlkampf um den Volksentscheid die Bevölkerung des Saargebietes öffentlich aufgefordert hat, das Saarstatut, das die Rückgliederung des Saargebietes nach Deutschland auf lange Zeit verhindert hätte, anzunehmen,
und er hat ausdrücklich vor einer Ablehnung des Statuts gewarnt. Meine Damen und Herren, es hieße die historische Leistung der deutschen Parteier an der Saar für die Sache der Wiedervereinigung dieses Teils Deutschlands mit dem Mutterland verkleinern, wollte man jetzt den historischen Ablauf der Dinge einfach ignorieren.
Der Herr Bundesaußenminister hat gestern mit Recht festgestellt, daß die Lösung des Saarproblems nur möglich gewesen ist durch erhebliche materielle Opfer der Bundesrepublik. Ich möchte deshalb in diesem Zusammenhang auf eine andere Tatsache hinweisen, nämlich auf die, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereits im Februar 1950 in diesem Hause durch Dr. Kurt Schumacher der Bundesregierung den Vorschlag unterbreitet hat, das Saarproblem durch ein Angebot der Bundesregierung an die französische Regierung über ein weitgehendes wirtschaftliches Abkommen mit Frankreich zu lösen. Wir waren damals schon davon überzeugt, daß ohne eine solche wirtschaftliche Regelung das politische Problem Saar nicht zu lösen sein würde. Die Regierung hat diesen Vorschlag beiseite geschoben.
Es ist wohl heute die Frage erlaubt, ob damals eine großzügige Regelung der wirtschaftlichen Probleme, angeboten durch die Bundesregierung, nicht billiger gewesen wäre als die jetzige Vereinbarung.
Ich mache diese Bemerkung nicht aus Rechthaberei, sondern weil die Bundesregierung vielleicht doch aus der Erfahrung in den Saarverhandlungen den Schluß ziehen sollte, daß die Verzögerung der
Lösung unserer Wiedervereinigungsprobleme immer die große Gefahr in sich birgt, daß wir jede Lösung am Ende teurer bezahlen müssen, als wenn wir rechtzeitig initiativ die mit der Wiedervereinigung verbundenen Aufgaben anpacken.
Was sich hier im Westen gezeigt hat, gilt im Prinzip auch für den Osten.
Abschließend möchte ich sagen, daß wir die Saarvereinbarungen, wenn sie uns vorliegen, vor allem auch aus dem Grunde akzeptieren werden, weil sie tatsächlich eines der schwersten Hindernisse für ein Freundschaftsverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland ausräumen.
Ein französisch-deutsches Freundschaftsverhältnis
ist aber eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der europäischen Völker.
Meine Damen und Herren! Eine zweite Bemerkung möchte ich machen im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers in bezug auf weitere Schritte in der Richtung der europäischen Zusammenarbeit. Ich denke dabei in erster Linie an die jetzt in Angriff genommene Ausarbeitung der Verträge über den Gemeinsamen Markt und über Euratom. Ich möchte hier nur mit Nachdruck die Auffassung des Herrn Außenministers unterstreichen, daß bei der Schaffung weiterer europäischer Gemeinschaften in erster Linie Vorsorge getroffen werden muß, daß diese Gemeinschaften so gestaltet werden, daß sie jederzeit dritten Ländern offenstehen oder daß mindestens die Zusammenarbeit der Gemeinschaften mit dritten Ländern so leicht wie nur möglich gestaltet wird.
Das gilt nicht nur für dritte Länder in Europa, sondern auch für Länder außerhalb Europas. Wir müssen uns darüber klar sein, daß viele der Länder, die gestern der Herr Außenminister als Entwicklungsländer bezeichnet hat, jedem Versuch eines autarkischen Zusammenschlusses von Gruppen europäischer Länder mit einem gewissen Mißtrauen gegenüberstehen, weil sie fürchten, daß solche Gemeinschaften auch eine gegen ihre Interessen gerichtete Tendenz entwickeln könnten.
Der Herr Außenminister hat gestern die Notwendigkeit der Ausdehnung unserer Beziehungen gerade zu diesen Ländern stark unterstrichen. und er hat sich für eine verstärkte Hilfe, sei es in Sachlieferungen oder sei es durch Ausbildungsbeihilfen für Techniker und Wissenschaftler, eingesetzt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat gerade während der Haushaltsberatung durch entsprechende Anträge die Notwendigkeit einer solchen verstärkten Aktivität unterstrichen, und ich kann hier nur den Wunsch äußern. daß es dem Herrn Außenminister gelingt, seinen Kollegen im Kabinett, den Herrn Finanzminister, und seine Fraktion von der Notwendigkeit solcher Bewilligungen zu überzeugen, damit seine gestrigen Worte nicht nur leere Erklärungen bleiben.
Wir Sozialdemokraten sehen in dem engeren Verhältnis zu den Völkern, die jetzt ihre nationale Selbständigkeit errungen haben und die dabei sind, ihre eigene wirtschaftliche und soziale Ordnung aufzubauen, eine entscheidende Aufgabe der Außenpolitik der Bundesrepublik in der kommenden Zeit. Ich möchte allerdings hinzufügen, daß wir dieser Aufgabe nicht gerecht werden, wenn wir ihre Erfüllung nur unter dem Gesichtspunkt des unmittelbaren Nutzens für uns sehen,
sondern nur, wenn wir unseren Beitrag sehen als einen Beitrag praktischer Solidarität mit diesen Völkern, damit wir es ihnen erleichtern, ihre innere Ordnung nach ihren Vorstellungen und gemäß ihren Interessen zu gestalten.
Die Entwicklung eines dauerhaften und fundierten Freundschaftsverhältnisses zwischen diesen Völkern und den Demokratien in Europa hängt davon ab, daß wir ihnen durch die Tat beweisen, daß wir bereit sind, großzügig und uneigennützig mit allem Respekt vor' ihrem eigenen Wesen und ihren eigenen Interessen an ihrer Seite zu stehen.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister — es ist die letzte Bemerkung, die ich in diesem Zusammenhang machen möchte — hat seine Besuche in Kopenhagen und in Oslo in seinem Bericht nur sehr kurz behandelt. Auch wir glauben, daß diese Besuche für eine weitere Annäherung zwischen diesen beiden Völkern und dem deutschen Volke nützlich gewesen sind. Das gilt sicher auch für den Besuch in Holland. Ich bedaure aber, daß der Herr Bundesaußenminister in diesem Zusammenhang nicht die Frage erwähnt hat, mit der er sich in allen drei Ländern auseinandersetzen mußte, nämlich mit der Frage der Wiedergutmachung für die Staatsangehörigen dieser Länder, die durch die deutsche Besetzung infolge Haft, Verfolgung oder Enteignung persönliche und sachliche Schäden erlitten haben.
Ich glaube, daß der Herr Außenminister mit mir darin einig ist, daß diese Wiedergutmachung schnell und in fairer Weise erfolgen muß,
und ich hoffe, daß die Regierung ohne Verzögerung die notwendigen Schritte einleitet, um die sicher von uns allen anerkannte Verpflichtung befriedigend zu regeln.
Eine solche Regelung wäre auch ein weiterer sehr bedeutsamer, aber auch notwendiger Beitrag zur Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zu diesen Völkern.
Meine Damen und Herren, um Ihre Zeit nicht übermäßig in Anspruch zu nehmen, verzichte ich darauf, auf weitere Detailfragen des Berichts des Herrn Außenministers einzugehen, und möchte mich nun dem Hauptthema des Berichts und der Debatte zuwenden, nämlich den Vorstellungen der Regierung über die gegenwärtige internationale Situation und ihre Schlußfolgerungen für die Außenpolitik der Bundesrepublik, vor allem im Zusammenhang mit der Frage der deutschen Wiedervereinigung. Wenn wir das tun, so können wir allerdings nicht nur die Erklärung in Betracht ziehen, die der Herr Außenminister gestern hier als
der verantwortliche Ressortminister vorgetragen hat, sondern wir müssen wohl auch das Interview einbeziehen, das der Herr Bundeskanzler unmittelbar vor der Kabinettssitzung, in der die Grundzüge der Erklärung des Herrn Außenministers besprochen wurden, am Dienstag der amerikanischen Nachrichtenagentur INS gegeben hat,
wenigstens soweit der Wortlaut dieses Interviews tatsächlich veröffentlicht worden ist.
Es ist wohl nicht nur unser Eindruck, daß Zeitpunkt und Inhalt dieses Interviews vom Herrn Bundeskanzler in der Absicht gewählt wurden, auf jeden Fall vor der außenpolitischen Debatte im Bundestag selbst zu Wort zu kommen
und wieder einmal deutlich zu machen, wer in der Außenpolitik der Bundesrepublik Koch ist und wer Kellner ist.
Es ist zunächst Angelegenheit der Regierung, besonders des Herrn Außenministers, sich mit diesem neuen Beispiel der Ein-Mann-Politik des Herrn Bundeskanzlers auseinanderzusetzen.
Aber der Herr Bundesaußenminister wird ja für eine solche Auseinandersetzung unter seinen Kollegen im Kabinett einige Bundesgenossen finden können.
Für die heutige Debatte bringt das Interview des Herrn Bundeskanzlers auf jeden Fall sehr bedeutsame Klarstellungen, und es gibt eigentlich der Regierungserklärung erst die richtige Farbe. Nach der Entgegennahme des Berichts des Herrn Außenministers kann man nur feststellen: In diesem Fall war das Vorprogramm aufschlußreicher als der Hauptfilm, der uns gestern hier vorgeführt wurde.
Nun zur Sache. Der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung sind bei der Darstellung der außenpolitischen Situation und der sich daraus für die Bundesrepublik ergebenden Aufgaben wiederum von der Auffassung ausgegangen, daß sich in der internationalen Situation in den letzten Monaten nichts Entscheidendes geändert habe. Sie sind der Meinung, daß es darum auch nicht nötig ist, die bisherige Außenpolitik der Bundesrepublik zu überprüfen und nach neuen Ansatzpunkten und Aufgaben für die Außenpolitik der Bundesregierung zu suchen. Wir Sozialdemokraten halten diese Taktik und diese Politik für falsch und für außerordentlich gefährlich; denn sie bedeuten den Verzicht auf die Möglichkeiten, die Bundesrepublik in die gegenwärtigen Besprechungen und Verhandlungen über eine internationale Entspannung einzuschalten und dabei auch neue Ansatzpunkte für eine positive Förderung unseres vordringlichsten Anliegens, nämlich der Wiederherstellung der deutschen Einheit, zu finden.
Unsere Auffassung gründet sich auf zwei Tatsachen. Die erste ist die, daß die Einbeziehung der Bundesrepublik in NATO die Aussichten für die Wiederherstellung der deutschen Einheit wesentlich verschlechtert und die Verwirklichung dieses Zieles außerordentlich erschwert hat.
Der Herr Bundeskanzler hat kürzlich an dieser Stelle erklärt, in der Frage der Wiedervereinigung seien in den letzten Monaten Fortschritte erzielt worden. Aber weder der Herr Bundeskanzler noch der Herr Außenminister haben gestern diese Behauptung durch irgendeinen konkreten Beweis belegen können.
Der Herr Bundeskanzler hat vielmehr in seinem Interview vom Dienstag mit aller Eindeutigkeit und Schärfe die uneingeschränkte Fortsetzung seiner bisherigen Außenpolitik für notwendig erklärt und jede Diskussion über eine Revision des Verhältnisses der Bundesrepublik zu NATO im Interesse einer Lösung der Deutschlandfrage mit Entschiedenheit abgelehnt. Meine Damen und Herren, in der heutigen Situation bedeutet das Festhalten an einer solchen Politik praktisch den Verzicht auf die Wiedervereinigung,
und über diesen Tatbestand können alle Erklärungen über angebliche Fortschritte in der Frage der Wiedervereinigung nicht hinwegtäuschen. Sie sind reine Deklamationen, die die öffentliche Meinung unseres Volkes irreführen müssen.
Der zweite Tatbestand, auf den sich unser Urteil über die falsche Außenpolitik der Bundesregierung und ihre Gefährlichkeit für die deutschen Interessen gründet, liegt darin, daß der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung mit Starrheit an einer außenpolitischen Konzeption festhalten, die immer mehr in Widerspruch mit den Realitäten in der internationalen Politik gerät. Der Herr Bundeskanzler müßte diese Überzeugung selbst am stärksten gewonnen haben auf Grund seiner Erfahrungen während seines letzten Aufenhalts in den Vereinigten Staaten. Wir teilen das positive Urteil des Herrn Außenministers über die USA-Reise des Herrn Bundeskanzlers nicht. Das politische Resultat dieser Reise ist doch, daß der Versuch des Bundeskanzlers gescheitert ist, von der amerikanischen Regierung bindende Zusagen zu erhalten, die bisherige Außenpolitik der amerikanischen Regierung, vor allem auch in bezug auf die Haltung gegenüber der Sowjetunion. unverändert und uneingeschränkt fortzusetzen. Im Gegenteil, gerade in der Zeit um die Amerikareise des Herrn Bundeskanzlers sind in Amerika offizielle und offiziöse Stimmen laut geworden, die eine Neuorientierung der amerikanischen auswärtigen Politik für notwendig halten. Man glaubt, daß es an der Zeit ist. auf die neuen Methoden der russischen Außenpolitik eine entsprechende Antwort der westlichen Welt zu finden, da die vorwiegend militärische Betrachtung der Dinge der Lage nicht mehr gerecht wird und da auch die Fortsetzung des Kalten Krieges den Kern der Auseinandersetzungen zwischen West und Ost nicht mehr trifft.
Diese Überlegungen haben ein außerordentlich starkes Echo in der amerikanischen Öffentlichkeit gefunden, und angesehene Blätter und Publizisten suchen in freimütiger und offener Weise nach
neuen Aspekten der amerikanischen Außenpolitik, vor allem auch in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands. Ich verzichte hier auf Zitate; aber ich denke an Blätter wie die „Washington Post" und an Publizisten vom Range eines Walter Lippmann. Die Folge ist, daß die verschiedenen Stellungnahmen des Herrn Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten, die alle in der Forderung gipfelten, nichts an der bisherigen Haltung zu ändern und die Außenpolitik mit den bisherigen Mitteln der Politik der Stärke und des Kalten Krieges fortzuführen, ein überwiegend negatives Echo in der öffentlichen Meinung Amerikas gefunden haben.
Dabei handelt es sich nicht nur um eine Wandlung der Vorstellungen in der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern wir finden ähnliche Betrachtungen und Überlegungen in allen westeuropäischen Staaten. Ich verweise nur auf die Pläne der britischen und der französischen Regierung, für Anfang nächsten Jahres, nach den amerikanischen Präsidentenwahlen, eine neue Vierer-Konferenz abzuhalten, um eine Möglichkeit zu schaffen, sich gemeinsam über eine neue Situation auseinanderzusetzen.
Und schließlich — der Herr Bundesaußenminister hat gestern selbst auf diesen Umstand hingewiesen —: die wichtigste Tatsache in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung der Außenminister der NATO, des Kernstücks der bisherigen Konzeption der westlichen Außenpolitik. auf ihrer letzten Konferenz in Paris, angesichts der veränderten Situation in der Welt die Möglichkeiten der Ausweitung der Zusammenarbeit der NATO-Mächte auf das politische und wirtschaftliche Gebiet zu untersuchen. Die Beauftragung der Außenminister von Kanada, Italien und Norwegen mit der Ausarbeitung von Vorschlägen in dieser Richtung ist doch der sichtbarste und bedeutsamste Beweis, wie sehr die Dinge in Fluß gekommen sind.
Sicher, diese neue Entwicklung ist durch verschiedene Faktoren in der internationalen Politik ausgelöst worden, und wir wollen nicht vergessen
keinen Augenblick —: eine hervorragende Rolle spielt dabei die schnelle Entwicklung der modernen Massenvernichtungswaffen und dabei vor allem die Tatsache, daß die Sowjetunion zweifellos in der letzten Zeit so viel in ihrer wissenschaftlichen. technischen und produktionsmäßigen Leistung auf diesem Gebiet aufgeholt hat, daß sie sich in der Lage glaubt, über alle Probleme der internationalen Politik — auch mit den Vereinigten Staaten — auf der Basis von gleichwertigen Partnern verhandeln zu können.
Die Konsequenz, die die Sowjetregierung aus dieser Entwicklung gezogen hat und weiterhin zieht, ist der Versuch, mit den Mitteln einer großangelegten diplomatischen, politischen und psychologischen Offensive zu einer friedlichen Regelung der Beziehungen mit der westlichen Welt zu kommen. die ihr ein Höchstmaß von Sicherheit verschafft und die die Gefahr eines dritten Weltkrieges auf ein Minimum reduziert.
Die Preisgabe des Stalinkurses der russischen Kommunistischen Partei findet in dieser Weise ihren Ausdruck in der russischen Außenpolitik. Das bedeutet sicher nicht, daß die Sowjetunion das bolschewistische System aufgegeben hat. Es bedeutet auch nicht, daß die Sowjetunion darauf verzichtet, ihre eigenen Vorstellungen zu vertreten und ihr Einflußgebiet in der Welt zu behaupten und wenn möglich zu erweitern. Es bedeutet aber, daß die Möglichkeiten für Verhandlungen über eine Entspannung in der Welt und für eine Politik des friedlichen Nebeneinanderlebens der Völker ohne Rücksicht auf das innere System der Völker heute größer sind als vor einigen Jahren.
Das aber ist eine entscheidende Wandlung der Weltsituation gegenüber der Lage zur Zeit des Koreakrieges,
und wenn irgend jemand Konsequenzen aus diesem Tatbestand ziehen sollte, dann, glaube ich, sollte es das deutsche Volk sein, hier vertreten durch die Bundesrepublik.
Und schließlich: Die Veränderung der Lage, die Vergrößerung der Chancen für eine friedliche Entwicklung haben ja auch noch eine andere Ursache. Sie liegt nämlich in der beklemmenden Entwicklung der Kriegstechnik, die einen Zwang zu einer Politik der Entspannung in sich birgt, wenn nicht alle Völker untergehen wollen.
Alle verantwortlichen Regierungen in der Welt, vor allem auch die amerikanische, stehen vor der einfachen Erkenntnis, daß im Interesse der Verhinderung der Vernichtung der Zivilisation und der Menschheit ein neuer Krieg vermieden werden muß.
Ich finde, daß wir diese zentrale Überlegung in den Regierungen der anderen Länder bei der Beurteilung der Lage und unserer Möglichkeiten nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Ich bin sicher, daß diese Tatbestände in den nächsten Monaten die internationale Politik aller Großmächte entscheidend bestimmen werden.
Wir meinen, in dieser Lage ist es unmöglich, daß die Bundesregierung einfach an den Grundsätzen und Vorstellungen einer Politik festhält, die unter ganz anderen Voraussetzungen, zur Zeit des Koreakrieges, durch die amerikanische Regierung eingeleitet wurde und der sich damals die Bundesregierung vor allem hinsichtlich der Aufrüstung der Bundesrepublik entgegen unserer Warnung vorbehaltlos angeschlossen hat. Das Beharren auf dieser Haltung kann nur zur völligen Isolierung der Bundesrepublik in der internationalen Politik führen.
Außerdem wird dadurch die Gefahr vergrößert — ich möchte es offen sagen —, daß in den Bemühungen um eine internationale Entspannung die Lösung des deutschen Problems ausgeklammert wird und daß es für unabsehbare Zeit bei der Spaltung Deutschlands bleibt.
Unter diesen Umständen muß man sagen: Das Bedeutsamste in der gestrigen Regierungserklärung ist die Tatsache, daß sie nichts über neue Schritte der Bundesregierung enthält, um die Wiedervereinigungsfrage wieder ins Gespräch zu bringen. Der Herr Außenminister hat zwar eine Note an die Vier Mächte angekündigt, in der die Vier Mächte — soweit wir seine Andeutungen über den
Inhalt der Note verstanden haben — noch einmal auf ihre Verpflichtungen hinsichtlich der Einheit Deutschlands aufmerksam gemacht werden sollen. Aber Sie alle wissen, meine Damen und Herren, daß in dieser Lage ein solcher neuer moralischer Appell nicht die Möglichkeit schafft, über den toten Punkt in der Wiedervereinigungsfrage hinwegzukommen.
Die Beschränkung der Bundesregierung auf diesen mehr als mageren Vorschlag bedeutet, daß die Bundesregierung in einer der bedeutsamsten Perioden der Entwicklung in der internationalen Politik, die wir seit vielen Jahren erleben, ihre Aufgabe in der Wiedervereinigungsfrage darin sieht, daß sie nichts tun will.
Eine solche Haltung bedeutet in der Praxis, daß die Regierung sich mit dem Scheitern ihrer Außenpolitik, die in der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik das beste und einzige Mittel zur Wiederherstellung der deutschen Einheit sah, abfindet und damit auch abfindet mit der Fortdauer der Spaltung Deutschlands auf eine unabsehbare Zeit.
Meine Damen und Herren, das deutsche Volk in beiden Teilen Deutschlands — das ist meine feste Überzeugung — wird sich mit einer solchen Haltung nicht abfinden.
Wenn der Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung und die Restkoalition in diesem Hause
sich nicht in der Lage sehen, die Außenpolitik der Bundesrepublik den veränderten Umständen anzupassen, dann ist es Zeit, daß sie diese Aufgabe einem neuen Bundestag und einer neuen Bundesregierung überlassen.
Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls der Auffassung, daß der Augenblick gekommen ist, in dem eine neue Außenpolitik der Bundesrepublik eingeleitet werden muß. Sie muß von den jetzt gegebenen Tatbeständen ausgehen, und sie darf sich nicht in der einfachen Wiederholung früherer Formulierungen und Forderungen erschöpfen. Die Forderung nach freien Wahlen in allen vier Zonen und in Berlin als Grundlage für die Wiederherstellung der deutschen Einheit bleibt nach wie vor richtig und unantastbar.
Aber, meine Damen und Herren, eine Politik, die heute — nach der Genfer Konferenz — darauf besteht, daß die Sowjetunion von vornherein freie Wahlen in ganz Deutschland und die Zugehörigkeit eines wiedervereinigten Deutschlands zur NATO akzeptieren muß, ist unrealistisch, weil diese Politik zu keinem positiven Resultat führen kann.
Wir müssen den neuen Ausgangspunkt für eine Diskussion über die Wiedervereinigung mit allen vier beteiligten Mächten auf der Ebene der internationalen Verhandlungen über Entspannung und Sicherheit zu finden suchen.
Im Rahmen der Versuche, zwischen West und Ost eine Befriedung der Beziehungen zwischen den
Völkern der Welt und in Europa zu finden, ist die Frage des internationalen militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands von entscheidender und höchst aktueller Bedeutung. Wir können das primäre Verlangen aller Völker nach Sicherheit und Frieden nur dann mit unserem Interesse an der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Einklang bringen, wenn wir Deutschen selber den beteiligten Mächten konkrete Vorschläge für den zukünftigen internationalen militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands unterbreiten. Die Bundesrepublik muß die Initiative nehmen, um festzustellen, welche Vorstellungen alle Beteiligten von dem Status eines wiedervereinigten Deutschlands in einem europäischen Sicherheitssystem haben, das sowohl vom Westen wie vom Osten akzeptiert werden kann. Ein solcher Vorschlag schließt ein die Bereitschaft der Bundesrepublik, auch die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO zur Debatte zu stellen, wenn auf einer neuen und umfassenderen Ebene mit Zustimmung aller Beteiligten eine befriedigendere Regelung der Sicherheitsfrage für die europäischen Völker und für das deutsche Volk erreicht werden kann. Selbstverständlich ist in solchen Verhandlungen auch die Mitgliedschaft der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands im Warschauer Pakt in der gleichen Weise zur Diskussion zu stellen.
Dieser Vorschlag der Sozialdemokratie, der Einbau eines wiedervereinigten Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem, ist nicht neu. Aber Sie werden mir zugeben, daß seine Bedeutung heute darin liegt, daß er in den Bemühungen um internationale Entspannung ein ungleich größeres Gewicht bekommen hat, als er es vor zwei Jahren hatte, als er auch hier in diesem Hause noch als eine illusionäre Vorstellung abgetan wurde.
Was wir also verlangen, ist, daß die Bundesregierung einen solchen Vorschlag ausarbeitet — sie ihn ausarbeitet! — und ihn als ihren Vorschlag den beteiligten vier Mächten mit der Bitte um Verhandlungen über ihn unterbreitet. Eine solche Initiative bedeutet keine Verletzung unserer Verträge und Verpflichtungen gegenüber den westlichen Vertragspartnern; denn die Verträge selbst sehen Untersuchungen über Veränderungen der Verträge und Verpflichtungen vor für den Fall, daß wesentliche Veränderungen in der internationalen Situation eingetreten sind. Daß das aber heute der Fall ist, wird wohl außerhalb Bonns von niemandem mehr ernsthaft bestritten.
Eine derartige Verhandlung über die internationale Position eines wiedervereinigten Deutschlands setzt aber nicht nur Verhandlungen mit den westlichen Vertragspartnern voraus, sondern auch eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion. Hier stehen wir vor einem der trübsten Kapitel der Außenpolitik der Bundesrepublik in den letzten Monaten.
Die Lage ist geradezu phantastisch. Einstimmig hat der Bundestag im vorigen Herbst auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion beschlossen. Der Herr Bundeskanzler hat die Vereinbarungen über diesen Schritt in Moskau in voller Kenntnis der Verhältnisse in der Sowjetunion und
unter dem Eindruck persönlicher Beziehungen mit den maßgebenden Männern der Moskauer Regierung unterschrieben. Er hat damals sehr anerkennende Worte über die Qualität der Männer gefunden, die heute das bolschewistische Regime in der Sowjetunion repräsentieren, das allerdings der Herr Bundeskanzler in seiner Kölner Rede wieder einmal als den „Todfeind" bezeichnet hat.
Der Herr Bundeskanzler hat die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion nicht nur als notwendig, sondern auch als nützlich für unsere Wiedervereinigungspolitik bezeichnet.
Aber seit dem Austausch der Diplomaten auf Grund dieses Abkommens ist von der Bundesregierung nicht das geringste geschehen, um die hier gegebenen Möglichkeiten diplomatischer Kontakte in Bonn und Moskau auszunutzen zur Klärung der beiderseitigen Standpunkte und mindestens zu der vorbereitenden Feststellung, ob die Sowjetunion bereit wäre, über einen konkreten Vorschlag über den zukünftigen internationalen Status eines wiedervereinigten Deutschlands zu verhandeln. Im Gegenteil, als der Herr Außenminister kurz nach der Ankunft unseres Botschafters in Moskau zu seinem ersten Bonner Besuch nach der Übernahme seines Amtes in Moskau ankündigte, man werde dem deutschen Botschafter Vorschläge für Unterhaltungen mit der Sowjetregierung in der Wiedervereinigungsfrage mitgeben, blieb diese sehr begrüßenswerte Initiative sofort an dem entschiedenen Widerstand des Herrn Bundeskanzlers hängen, und Herr Haas ging mit leeren Händen nach Moskau zurück.
Offensichtlich hat der Herr Bundeskanzler zumindest die Vorstellung, man soll die Beziehungen zwischen Bonn und Moskau zunächst einmal auf Eis legen. Meine Damen und Herren, die Konsequenzen dieser Haltung für die großen Fragen der deutschen Politik werden sich noch zeigen. Aber im täglichen Ablauf der Dinge führt diese Politik zu geradezu tragikomischen Situationen. Ich meine hier die Kontroverse, die gestern der Herr Außenminister auch schon erwähnt hat und die entstanden ist im Zusammenhang mit der Wiedergabe von Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten durch den Herrn Bundeskanzler über Äußerungen des Herrn Chruschtschow im Zusammenhang mit der deutschen Frage. Da gab es Erklärungen und Gegenerklärungen in Bonn und Paris, da gab es offiziöse Stellungnahmen in Moskau und in Bonn, kurzum, man dementierte und deklarierte so lange, bis die letzte Klarheit restlos verschwunden war.
Man bot damit der Welt ein deprimierendes Schauspiel, statt den einfachsten Weg zu wählen und unseren Botschafter in Moskau zu beauftragen, an Ort und Stelle eine authentische Auskunft bei den Beteiligten einzuholen.
Hier wird doch die Starrheit in der Politik zur Lächerlichkeit.
Diesen Eindruck hat auch die gestrige Erklärung
des Herrn Außenministers nicht beseitigen können.
— Nun, meine Damen und Herren, wir sind ja in dieser Beziehung einiges gewöhnt.
Wenn man glaubt, auf diese Weise und auch durch das Verhalten gegenüber dem russischen Botschafter in Bonn der russischen Regierung das Nichtinteresse der Bundesregierung an Gesprächen mit Moskau deutlich zu machen, dann muß man sich darüber klar sein, daß sich ein solches Verhalten nur zum Nachteil der deutschen Sache, vor allem der Sache der Wiedervereinigung, auswirken kann. Das Problem der Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und einem Land wie der Sowjetunion ist an sich schon sehr belastet durch die unüberbrückbaren Gegensätze in bezug auf die innere Struktur und die politischen Grundvorstellungen der beiden Länder. Es ist deshalb töricht, sie noch weiter zu komplizieren und dabei einfach die Tatsache zu ignorieren, daß es ohne ein korrektes Verhältnis zur Sowjetunion keine Wiedervereinigung geben wird.
Wir Sozialdemokraten halten die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Moskau auch heute noch für richtig und notwendig, weil nur auf diesem Wege das unvermeidliche Gespräch über die deutsche Frage wieder in Gang gebracht werden kann. Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie unverzüglich die Normalisierung dieser Beziehungen durch Ausnutzung aller auf diplomatischem Gebiet liegenden Möglichkeiten vornimmt.
Wir halten es darüber hinaus für notwendig, daß die Bundesrepublik auch in Verhandlungen mit der Sowjetregierung eintritt, um die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern zu normalisieren und auszubauen. Es ist ein unhaltbarer Zustand und es ist auch eine unaufrichtige Politik, wenn man auf der einen Seite zuläßt, daß sich in wachsendem Maße wirtschaftliche Beziehungen deutscher Unternehmungen in der Bundesrepublik mit der Sowjetunion entwickeln, und auf der anderen Seite sich weigert, diese Beziehungen durch den Abschluß eines Handelsabkommens zu normalisieren.
Abgesehen davon, daß auf diese Weise die beiderseitigen Beziehungen der Völker auf der Grundlage eines besseren Verständnisses ausgebaut werden könnten, ist es auch die Aufgabe der Regierung, durch ein derartiges Handelsabkommen selber die Übersicht über die wirtschaftlichen Beziehungen im Lande zu behalten. In jedem Fall ist es notwendig, unser Verhältnis zur Sowjetunion so zu regeln, daß wir über gemeinsame Angelegenheiten der beiden Völker in der gleichen Weise auf diplomatischem Wege mit der Sowjetregierung sprechen und verhandeln können, wie wir es mit den anderen an der Deutschlandfrage beteiligten Mächten tun.
Ein anderer Punkt, meine Damen und Herren. Eine neue Außenpolitik der Bundesrepublik muß auch das Verhältnis der Bundesrepublik zu den osteuropäischen Staaten neu zu regeln suchen. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß diese Staaten
bemüht sind, in einen engeren Kontakt mit den westlichen Ländern und auch mit der Bundesrepublik zu kommen. Diese Auswirkung des neuen außenpolitischen Kurses der Sowjetunion und der kommunistischen Parteien in den osteuropäischen Ländern ist für die weitere europäische Entwicklung von besonderer Bedeutung. Es ist sicher verfrüht, heute schon ein abschließendes Urteil über die Auswirkungen dieses neuen Kurses auf die europäische und internationale Politik zu fällen; aber die Tatsache einer gewissen Auflockerung der Situation auch in diesem Teil Europas ist unbestreitbar.
Nach unserer Auffassung gibt es für die Bundesrepublik in einer Zeit, in der auf internationalem Feld jeder mit jedem redet und den Versuch macht, die Beziehungen zueinander besser zu gestalten, ein unmittelbares Interesse daran, möglichst mit allen Staaten normale Beziehungen zu unterhalten, um in die internationale Diskussion auch auf dieser Ebene mehr eingeschaltet zu sein, als es heute der Fall ist. Ein solcher Schritt der Bundesrepublik kann keinesfalls als eine unfreundliche Haltung ,der Bundesrepublik gegenüber unseren westlichen Partnern ausgelegt werden, denn sie selbst unterhalten seit langem solche diplomatischen Beziehungen zu allen diesen Staaten, und diese Beziehungen sind in der letzten Zeit im Zuge der neuen Entwicklung wesentlich intensiviert worden.
Natürlich gibt es für die deutsche Politik dabei besondere Probleme, die sich aus der Spaltung Deutschlands und aus dem Fehlen einer friedensvertraglichen Regelung der Grenzfragen ergeben. Die Normalisierung der Beziehungen zu den Ostblockstaaten kann und darf keine Anerkennung der Spaltung Deutschlands und keine Anerkennung der vorläufigen Grenzen im Osten Deutschlands bedeuten.
Aber, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik hat vor dem gleichen Problem bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion gestanden, und der Herr Bundeskanzler hat uns hier seinerzeit dargelegt, daß diese Schwierigkeiten nach seiner Überzeugung ausgeräumt worden sind durch den besonderen Brief, den er damals der russischen Regierung nach Abschluß der Vereinbarungen übermittelt hat und in dem die Vorbehalte ausdrücklich festgelegt worden sind. Eine solche Regelung wäre auch in den Fällen möglich, in denen wir diese Vorbehalte gegenüber anderen Staaten noch zu machen haben.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Außenministers der Meinung, daß die Normalisierung der Beziehungen zu osteuropäischen Ländern zunächst zu den Ländern in Angriff genommen werden sollte, die wie Polen und die Tschechoslowakei unmittelbar ,an Deutschland angrenzen. Es ist auch eine Frage von Verhandlungen, in welcher Weise die Normalisierung in Gang gebracht wird. Es gibt hier verschiedene praktisch erprobte Möglichkeiten der gegenseitigen Vertretung, deren Ausnutzung zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen führen könnte.
Es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, der vom deutschen Standpunkt aus für die Aufnahme solcher Beziehungen spricht. In fast allen Ländern
Osteuropas leben noch eine große Zahl von Deutschen, die in der Vergangenheit ihre Existenz unter sehr schweren Bedingungen fristen mußten. Viele von ihnen haben den Wunsch, mit ihren jetzt in der Bundesrepublik lebenden Angehörigen wieder in einen persönlichen Kontakt zu kommen. Die Schaffung deutscher Vertretungen in diesen Ländern würde daher nicht nur die Möglichkeit der Erweiterung der Beziehungen zu diesen Ländern im allgemeinen bieten, sondern sie könnte auch eine Hilfe für diese deutschen Menschen sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine andere Forderung an die Bundesregierung richten, nämlich das seit langem vorbereitete und praktisch fertiggestellte Handelsabkommen mit der chinesischen Regierung in Peking zu unterzeichnen und die Unterzeichnung nicht wegen Formalitäten und Meinungsverschiedenheiten über den zweckmäßigsten Ort der Unterzeichnung weiter zu verzögern. Das Interesse, das hier vom Standpunkt der deutschen Wirtschaft im Spiel ist, liegt auf der Hand. Im übrigen gelten für eine solche Entscheidung auch alle die anderen Gründe, die dafür sprechen, daß die Bundesrepublik in der Ausgestaltung ihrer Beziehungen zu allen Völkern der Welt aktiv wird.
Zu einer solchen neuen Außenpolitik gehört selbstverständlich auch das innerdeutsche Problem der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Wir haben kürzlich in diesem Hause eine ausführliche Debatte über die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bevölkerung in der Zone und in der Bundesrepublik gehabt. Ich denke, wir werden in den Ausschüssen des Parlaments die Einzelmaßnahmen noch sehr eingehend zu besprechen haben. Es ist unsere Auffassung — um das noch einmal zu sagen —, daß von der Bundesrepublik das Höchstmaß dessen getan werden sollte, was notwendig ist, um die wirtschaftlichen, die kulturellen und persönlichen Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands so eng wie nur möglich zu gestalten.
Dieses Bemühen um das möglichst enge Zusammenleben der beiden Teile Deutschlands ist ein wesentlicher Bestandteil jeder ernsthaften Anstrengung der deutschen Politik im Hinblick auf die Wiedervereinigung.
Zweifellos ist die Diskussion über diesen Fragenkomplex belastet mit der Forderung der sowjetischen Regierung und der Machthaber in Pankow, die Lösung der Deutschlandfrage auf der Ebene direkter Verhandlungen zwischen Bonn und Pankow zu betreiben. Der Herr Außenminister hat gestern ausführlich zu diesem Komplex Stellung genommen.
Die Sozialdemokratische Partei hält an ihrer Auffassung fest, daß Verhandlungen über das zentrale politische Problem der Wiedervereinigung zwischen Bonn und Pankow nicht möglich sind. Es geht nicht allein darum, daß wir die demokratische Legitimation des Pankower Regimes bestreiten. Wenn wir die Verlagerung der Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands auf die innerdeutsche Ebene, die Übertragung der Lösung dieser Aufgabe an die Deutschen selbst, vertreten durch die Regierungen in Bonn und in Pankow, zuließen, würde das bedeuten, daß wir die Vier Mächte aus der von ihnen selbst übernom-
menen und immer wieder feierlich anerkannten Verpflichtung entlassen, für die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu wirken.
Die Wiederherstellung der deutschen Einheit kann nicht ohne die Deutschen erfolgen; aber sie ist auch nur möglich, wenn die Vier Mächte unter Mitwirkung der Deutschen das entscheidende Wort für die Wiederherstellung der deutschen Einheit durch eine Vereinbarung zwischen ihnen selbst sprechen.
Meine Damen und Herren, ich habe in dieser Rede mit so großem Nachdruck die Notwendigkeit einer aktiven Wiedervereinigungspolitik der Bundesrepublik unterstrichen, damit niemand den Vorwurf erheben kann, wir wollten eine Politik, die anderen die Lösung unseres wichtigsten nationalen Problems überläßt oder ihnen allein die Verantwortung zuschiebt.
Wir haben unseren Teil zu leisten, und wir machen der Bundesregierung ja gerade den Vorwurf, daß sie nicht genug tue. Aber die Verlagerung der Wiedervereinigungsbemühungen auf die Ebene Bonn—Pankow birgt für das deutsche Volk die Gefahr in sich, daß die Kräfte in der internationalen Politik gestärkt werden, die die Fortführung der internationalen Entspannungspolitik unter Umständen auch unter Ausklammerung der deutschen Frage betreiben möchten.
Es ist unsere feste Überzeugung, daß Entspannung und Sicherheit in Europa nicht denkbar sind unter Beibehaltung der Spaltung Deutschlands, und es ist daher auch ein europäisches und internationales Interesse, die vier beteiligten Mächte aktiv an der Lösung dieses Problems in jedem Stadium der internationalen Entwicklung zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, es ist verständlich, daß die Herren von Pankow die Losung „Deutsche an einen Tisch" mit besonderer Lautstärke verkünden. Für sie wäre ja eine solche Politik die denkbar größte Stärkung ihrer Position.
Das hat bei dem gegenwärtigen Entwicklungsprozeß, der durch die Neuorientierung der kommunistischen Politik eingeleitet worden ist, gerade für die kommunistische SED in der Zone noch eine besondere Bedeutung. Die kommunistische SED in der Sowjetzone ist die Partei, die bisher die geringfügigsten Konsequenzen aus der Anti-StalinPolitik gezogen hat. Die hervorragendsten Repräsentanten der Stalin-Periode sind in der Sowjetzone noch immer im vollen Besitz ihrer Macht.
Ganz abgesehen von der Frage, welche Bedeutung die neue kommunistische Haltung für die zukünftige Politik der kommunistischen Parteien in der Welt haben wird, kann es den demokratischen Kräften in der Bundesrepublik nicht zugemutet werden, in diesem Stadium der Entwicklung durch direkte Verhandlungen zwischen Bonn und Pankow die hervorragendsten Exponenten einer auch nach kommunistischen Vorstellungen überholten Politik jetzt noch zu stützen.
Wir sind uns darüber klar, daß im Zuge aller zukünftigen Verhandlungen zwischen den Vier Mächten und zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion die Rolle von Pankow immer von neuem ins Spiel gebracht werden wird. Es ist auch kein Zweifel darüber, daß im Zuge einer Realisierung eines Wiedervereinigungsprogramms die praktische Durchführung zwischen Vertretern beider Teile Deutschlands ausgehandelt werden muß. Aber solche Verhandlungen sind nach unserer Auffassung nur denkbar, wenn sie im Rahmen einer prinzipiell vereinbarten und festgelegten Regelung durch die Vier Mächte und auf der Basis und im Rahmen dieser grundsätzlichen Vereinbarungen erfolgen.
Im übrigen wird die Rolle von Pankow in der deutschen Politik nicht zuletzt davon abhängen, welches Maß von Aktivität in der deutschen Frage die Bundesrepublik selbst entfaltet.
Jede Passivität, jedes Laufenlassen der Dinge, wie es jetzt die Politik der Bundesregierung ist, muß den sogenannten Verhandlungswert der Pankower Machthaber erhöhen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort sagen über einen auch denkbaren und nützlichen Beitrag — deutschen Beitrag — zur Förderung der Entspannung und zur Erhöhung der Aussichten für die Lösung des Deutschlandproblems. Es handelt sich ganz einfach um die Frage, ob und in welcher Weise die Bundesrepublik einen Beitrag zur Reduzierung der Rüstungen leisten kann. Auch der Herr Bundesaußenminister hat sich gestern mit der Note beschäftigt, die der russische Ministerpräsident Bulganin den Westmächten und der Bundesrepublik übermittelt hat und in der er die Reduzierung der russischen Streitkräfte in Rußland und in der Sowjetzone notifiziert und die Westmächte und die Bundesrepublik aufgefordert hat, mit entsprechenden Schritten auch bei den auf deutschem Boden stehenden Streitkräften zu folgen. In der Note an die Bundesregierung ist bemerkenswerterweise auch der Satz enthalten, daß ein solcher Schritt dazu beitragen könnte, die Wiedervereinigung Deutschlands zu erleichtern.
Meine Damen und Herren, ich will hier in keine Untersuchung darüber eintreten, welche militärische Bedeutung die Reduzierung der Truppenstärken in der Sowjetunion hat, um so weniger als eine Kontrolle dieser Maßnahme nicht möglich ist. Die Veränderungen in der Kriegstechnik haben in allen Ländern auch ihre Rückwirkungen auf die Stärken der sogenannten konventionellen Streitkräfte gehabt. Aber wie immer man unter diesem Gesichtspunkt diesen Schritt bewertet, in jedem Fall ist ein Schritt erfolgt, der eine Erleichterung der Lage bedeutet und den daher niemand achtlos ohne genaueste Prüfung beiseite schieben kann, der ein Interesse daran hat, daß wir jede Möglichkeit ausnutzen, zu einer Entspannung und zu einer Beschränkung der Rüstungen zu kommen.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, sofort nach Empfang dieser Note ein eindeutig negatives Urteil zu fällen. Ich glaube, er wäre besser beraten gewesen, wenn er mit seiner Stellungnahme etwas gewartet hätte; denn dann hätte er sich wenigstens in diesem Falle an der Stellungnahme des amerikanischen Außenministers Mr. Dulles ein Beispiel nehmen können. Herr Dulles war es, der wenige Tage später erklärte, die amerikanische Regierung
werde die russische Note sehr aufmerksam durch das State Departement, durch das Kriegsministerium und durch den Sonderbeauftragten des Präsidenten für Abrüstungsfragen, Mr. Stassen, prüfen lassen. Daß die amerikanische Regierung die Angelegenheit wesentlich ernster nimmt, geht ja auch daraus hervor, daß sie die vom Herrn Bundeskanzler vorgeschlagene gemeinsame negative Beantwortung der Note abgelehnt hat. Die Bemerkungen, die gestern der Außenminister zu diesem Punkt im Zusammenhang mit den Pariser Besprechungen gemacht hat, sind eine Bestätigung dieser Feststellung.
Die Folge dieser Art von Politik ist z. B., daß sich Herr Dr. Adenauer von einer großen amerikanischen Zeitung sagen lassen muß, er sei jetzt mehr Dulles als Mr. Dulles selbst.
— Sie hat es erklärt.
— Aber bestimmt! Ich habe jedenfalls solche Erklärungen gelesen. — Im Grunde genommen offenbart dieser Vorgang das Kernstück der gegenwärtigen außenpolitischen Konzeption des Herrn Bundeskanzlers. Er will unter keinen Umständen auch nur eine Diskussion über die Abrüstung, solange die deutschen Streitkräfte nicht voll aufgebaut sind.
Die Konsequenz dieser Haltung haben wir gerade heute bei der Debatte über die Tagesordnung des Plenums in der nächsten Woche erlebt. In geradezu grotesker Weise, ohne jeden stichhaltigen Grund aus der Sache oder aus der internationalen Situation heraus, besteht die CDU-Fraktion auf der Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes in der nächsten Woche. Meine Damen und Herren, Sie wissen genauso gut wie wir, daß von der Sache her auch für Ihre Vorstellungen in bezug auf die Aufstellung deutscher Streikräfte nichts Nachteiliges geschähe, wenn dieses Gesetz im Herbst, nach den Ferien in aller Ruhe beraten und beschlossen würde.
Aber Sie sind natürlich, Herr Dr. Krone, in einer Zwangslage wie im vorigen Jahr. Damals hat der Bundeskanzler gesagt: „Ich brauche das Freiwilligengesetz für die Genfer Konferenz der vier Staatsmänner." Darauf haben Sie es beschlossen. Es hat keinen Wert für die internationalen Verhandlungen gehabt, und es hat hier ein Vierteljahr, bis in den Herbst, im Schreibtisch gelegen, ehe irgend etwas geschehen ist.
Und diesmal, meine Damen und Herren, müssen Sie es tun, weil der Herr Bundeskanzler ja nach Amerika nicht nur die 650 Millionen DM Stationierungskosten, sondern auch die Zusage der Verabschiedung dieses Gesetzes mitnehmen wollte.
Das ist keine Politik, die sich aus der Situation entwickelt, vor der wir heute stehen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen eines sagen; ich weiß, daß es ohne Wirkung bleibt, ich sage es trotzdem, weil es sich in den vergangenen Jahren, auch wenn wir hier in der Minderheit bileben und Sie ohne Einsicht in unsere Argumente unsere Vorschläge ablehnten, als nützlich erwiesen hat, auch in einer solchen Situation die Konsequenzen aufzuzeigen, die wir befürchten. Es ist nicht gut, daß ausgerechnet die Bundesrepublik in diesem Stadium der internationalen Entwicklung ein Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht beschließt, wo jeder von Ihnen weiß, daß Länder, an deren Treue zur NATO, an deren Bereitschaft zur Verteidigung des Westens nicht der geringste Zweifel erlaubt ist, wie z. B. Großbritannien, ernsthaft die Frage erwägen, die Dienstpflicht durch eine Ordnung auf der Ebene des Berufsheeres abzulösen. Müssen wir da eine so schicksalsschwere Frage jetzt unter dem Vorzeichen all der Diskussionen um die Abrüstung entscheiden? Darauf gibt es keine befriedigende Antwort.
Das nächste, meine Damen und Herren! Sie werden erleben, daß, wenn Sie mit Ihrer Mehrheit dieses Gesetz jetzt annehmen sollten, auch in der Sowjetzone die allgemeine Wehrpflicht kommt.
— Entschuldigen Sie! Tut mir leid, — das ist objektiv nicht richtig.
Es ist ein großer Unterschied, meine Damen und Herren, ob Sie durch Gesetz festlegen, daß jeder junge Deutsche in beiden Teilen Deutschlands zur Armee eingezogen wird, oder ob Sie Formationen militärischer Art haben, wie sie jetzt in der Volkspolizei in der Zone bestehen.
— Meine Damen und Herren, ich rede ja nicht über die militärische Bedeutung;
ich mache Sie nur darauf aufmerksam, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in beiden Teilen Deutschlands unweigerlich die Vertiefung der Zonengrenze in der Richtung zur Staatsgrenze nach sich ziehen muß.
Und wenn Sie der Meinung sind, das sei alles
nicht richtig, weil es für absehbare Zeit keine realen Möglichkeiten in der Wiedervereinigung gebe,
— gut, dann sollen Sie es sagen, damit wir wissen, wo wir stehen, Sie und wir!
Es gibt auch eine andere Überlegung — die Sie sicher nicht akzeptieren werden — als die, jetzt um jeden Preis und unter allen Umständen die Pariser Verträge zu erfüllen. Zum Beispiel wäre auf der anderen Seite eine Bereitschaftserklärung der Bundesregierung, mit allen beteiligten Partnern im Westen und mit der Sowjetunion über eine Reduzierung der für die Bundesrepublik in Aussicht genommenen Streitkräfte unter Verzicht auf die allgemeine Wehrpflicht zu verhandeln, in der gegenwärtigen Lage mindestens ein sehr ein-
dringlicher Beweis des guten Willens der Bundesrepublik,
alles zu tun, was in ihren Kräften steht, um Entspannung und Abrüstung zu fördern und die Hindernisse für die Wiedervereinigung Deutschlands abzubauen.
Meine Damen und Herren, Sie werden vor diese Fragen gestellt werden, und wir werden uns darüber unter anderen Umständen sicher sehr bald wieder zu unterhalten haben, wenn Sie heute nicht bereit sind, darauf einzugehen. Aber ich hoffe, daß die Vorschläge, die ich hier unterbreitet habe, deutlich gemacht haben, welche Vorstellungen die Sozialdemokratie hinsichtlich der Außenpolitk der Bundesrepublik in diesem neuen Abschnitt der internationalen Entwicklung hat. Der Westen und wir — wir sind ein Teil des Westens — stehen nach unserer Überzeugung vor der großen Aufgabe, der neuen Methode der russischen Außenpolitik mit entsprechenden Mitteln zu begegnen.
Die bisherigen, rein auf das militärische Kräfteverhältnis abgestellten Methoden sind nicht mehr ausreichend. Auf die politische, wirtschaftliche und psychologische Offensive der Sowjetunion muß der Westen mit entsprechenden Mitteln antworten. Ich habe eingangs dargelegt, daß diese Erkenntnis in der westlichen Welt zunehmend an Boden gewinnt. Wir können nur im Interesse der Freiheit und der Demokratie die Hoffnung haben, daß diese Überlegung bald zu entsprechenden praktischen Schlußfolgerungen führt; denn ein solches Resultat wird von entscheidender Bedeutung sein für die Position der freien Welt, aber auch für das Vertrauen, das die freie Welt bei den Völkern gewinnen muß, die, vor allem in Asien und Afrika, heute außerhalb der beiden Machtblöcke stehen.
Das deutsche Volk und die Bundesrepublik als ein Teil dieses Volkes hat in dieser Auseinandersetzung im Interesse der freien Welt und in seinem eigenen Interesse zwar keine entscheidende, aber doch eine bedeutsame Rolle zu spielen, und wenn wir das wollen und wenn wir so auch die Lösung der deutschen Frage in den Gesamtkomplex der Politik der Entspannung und Befriedung rükken wollen, dann ist eine neue Außenpolitik in der von mir hier skizzierten Richtung unerläßlich und dringend erforderlich.
Die Sozialdemokratie hat in den vergangenen Jahren mit Nachdruck die bisherige Außenpolitik der Bundesregierung bekämpft, weil wir in ihrer einseitigen Orientierung auf eine Politik der Stärke, auf die Einbringung eines deutschen Beitrags in die Militärallianz des Westens keinen geeigneten Weg für die erfolgreiche Lösung des deutschen Problems gesehen haben. Die Entwicklung hat uns recht gegeben. Die Politik der Stärke als Mittel einer Politik der Wiedervereinigung ist gescheitert.
Das Resultat ist bedrückend für jeden, der eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit will.
Es gibt noch eine Chance, und das ist unsere Hoffnung. Heute haben Entwicklungen, von denen ich hier gesprochen habe und die sich außerhalb unserer Macht entfaltet haben, die Aussichten für
eine Lösung der internationalen Probleme oder doch mindestens für eine wesentliche Verringerung der internationalen Spannungen erhöht. Unsere Chance ist, daß wir in dieser Atmosphäre durch Verhandlungen die deutsche Frage ihrer Lösung näherzubringen suchen. Die Bundesrepublik muß dazu selbst initiativ werden, um auf einer breiteren und höheren Ebene als der Einzementierung der beiden Teile Deutschlands in die Machtblöcke von West und Ost das geeinte deutsche Volk in eine europäische Sicherheitsorganisation einzugliedern, die dem deutschen Volke und allen seinen Nachbarn in Europa ein Höchstmaß an Sicherheit und an Aussichten für eine friedliche und freiheitliche Entwicklung gibt.