Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! In den vergangenen Wochen wurde die Frage gestellt, warum die Bundesregierung nicht durch unmittelbare Anfrage in Moskau Inhalt und Sinn dieser Erklärung erkundet habe. Die Bundesregierung hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Sie hat aber aus guten Gründen von einer solchen Anfrage abgesehen.
— Lassen Sie mich doch sprechen, Herr Kollege! Sie haben doch morgen Gelegenheit, einen ganzen Tag zu diskutieren!
Die beiden französischen Regierungsmitglieder haben diese Erklärung des sowjetrussischen Staatsmannes wiedergegeben. Ich glaube, daß niemand ernsthaft bestreiten wird, daß diese beiden hervorragenden Staatsmänner, mit denen uns freundschaftliche Beziehungen verbinden, im wahrsten Sinne des Wortes unverdächtige Zeugen sind, denen man nicht unterstellen konnte und auch nicht unterstellen dürfte, daß sie uns falsch unterrichten.
Hätte nicht schon die Frage in Moskau einen Zweifel in die Glaubwürdigkeit der Information bedeutet?
Angesprochen war durch diese Erklärung die Regierung der Sowjetunion, und ihre Aufgabe war es, unzweideutig zu erklären, ob diese im Munde eines verantwortlichen Staatsmannes wirklich ungeheuerliche Erklärung tatsächlich gefallen war oder nicht.
Die Sowjetregierung hat Wochen verstreichen lassen, bevor sie sich dazu äußerte. Dann erfolgte eine TASS-Erklärung, die in sich ebenso widerspruchsvoll wie unglaubwürdig ist. Die Sowjetregierung greift darin die Erklärung des deutschen Bundeskanzlers an, der ja nur wiedergegeben hat, was ihm gesagt und zwischenzeitlich mehrfach bestätigt wurde, und sie bekräftigt, vielleicht sogar ungewollt, den verhängnisvollen Inhalt der behaupteten Äußerung. Ich las vor kurzem einen Kommentar dazu, der etwa besagte, daß durch das Dementi etwas wieder auf die allgemeinen und verschachtelten Formen der diplomatischen Noten und Konferenzen reduziert wird, was im Laufe der französisch-russischen Gespräche von Herrn Chruschtschow mit zynischer Offenheit ausgesprochen worden ist. Der Tenor der Äußerung wird ja nicht mehr bestritten: daß nämlich nach der Auf-
fassung des Herrn Chruschtschow eine Änderung des Status quo — und die Wiedervereinigung würde eine solche Änderung bedeuten — für die Sowjetunion nur in Frage kommt, wenn damit eine Machtverschiebung zugunsten der Sowjetunion eintritt und sichergestellt wird.
Ich glaube, daß ernstliche Zweifel an Sinn und Bedeutung dieser Erklärung gerade angesichts des eigenartigen Dementis der sowjetrussischen Nachrichtenagentur nicht mehr zulässig sein dürften.
Darüber, welche Gründe zu dieser Versteifung in der Haltung der Sowjetunion geführt haben mögen, gibt es unzählige Thesen. Sie im einzelnen zu wiederholen und auf ihren politischen Gehalt zu analysieren, scheint mir in diesem Rahmen nicht möglich. Im letzten wären wir ohnehin auf Vermutungen angewiesen. Aber es liegt nahe, uns zu fragen, ob diese Verhärtung vielleicht auch auf spekulative Erwägungen zurückzuführen ist, die in der Grundhaltung weiter Teile der westlichen Welt eine gewisse, wenn auch vielleicht ungewollte Rechtfertigung finden. Ist die Härte in der russischen Politik nicht vielleicht die Reaktion darauf, daß man in der Sowjetunion vermutet, die Solidarität und Entschlossenheit der freien Welt beginne nachzulassen?
In einer Regierungserklärung, die am 11. Mai 1955 bekanntgegeben wurde, wird die Warnung ausgesprochen, die Wachsamkeit der Völker dürfe nicht einschlafen und ein falsches Sicherheitsgefühl dürfe nicht aufkommen, solange nicht eine Atmosphäre des Vertrauens in den zwischenstaatlichen Beziehungen hergestellt ist. Ich glaube, wir sollten diese Warnung nicht überhören, zum wenigsten dann, wenn wir uns erinnern, daß sie in dem Vorschlag der Sowjetregierung an die Abrüstungskonferenz in London zu finden ist.
Die Enttäuschung im deutschen Volke darüber, daß in der Lebensfrage des Volkes keine Fortschritte erzielt wurden, ist im Wachsen. Die Fortdauer der Spaltung Deutschlands und die Ergebnislosigkeit aller bisherigen Versuche, sie zu überwinden, stellen für alle Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenze eine Nervenprobe dar, der wir vielleicht nicht alle gewachsen sind. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß sich im deutschen Volke Stimmen erheben, die nach einer Revision der bisherigen Außenpolitik rufen, die die bisherigen Anstrengungen und Bemühungen kritisieren und eine Initiative fordern, von der sie hoffen, daß der augenblicklich erreichte tote Punkt in der Frage der Wiedervereinigung überwunden wird.
Die Bundesregierung hat, ich darf es Ihnen versichern, diese Stimmen nicht überhört, und sie hat auch jede kritische Äußerung sorgfältig geprüft, jede Äußerung, die sich sachlicher Argumente bedient. Indessen scheint es leichter, eine Initiative zu fordern, als klare Vorschläge über den Inhalt einer aussichtsreichen Initiative zu machen.
Die Bundesregierung weiß sich mit dem Bundestag einig in der Feststellung, daß der Kernpunkt einer jeden Initiative die Forderung nach Freiheit sein muß. Sie hat diese Forderung unablässig erhoben, und sie wird auch in Zukunft von der Sowjetunion fordern, den von ihr oder ihren Handlangern beherrschten Deutschen Freiheit zu geben und es ihnen zu überlassen, diese Freiheit mit den institutionellen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates zu sichern.
Aber niemand wird von der Bundesregierung erwarten dürfen, daß sie Initiativen ergreifen könnte, die die Forderungen nach Freiheit mißachten oder ihre Erfüllung gefährden.
Die Bundesregierung hat sich bisher von den folgenden Gesichtspunkten leiten lassen, die auch ihr Handeln in der Zukunft bestimmen werden: Sie glaubt es nicht verantworten zu können, irgendeine Initiative zu entfalten, die nicht der ruhigen Überlegung, sondern nur der vielleicht menschlich begreiflichen Ungeduld entspringt. Sie würde gegen ihre Pflicht verstoßen, wenn sie sich Inhalt und Zeitpunkt für die notwendigen Schritte von denen aufzwingen ließe, die die angebliche Passivität der Außenpolitik der Bundesregierung kritisieren, ohne diese Kritik mit Vorschlägen zu verbinden und zu begründen, die die Bundesregierung vor dem ganzen deutschen Volk verantworten könnte. Sie wird sich daher auch nicht zu irgendwelchen Schritten verleiten lassen, die von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt sind und die die bestehende tiefe Enttäuschung nur zu erhöhen vermöchten.
Die Bundesregierung weigert sich aber auch, aus der unleugbaren Verhärtung der sowjetrussischen Haltung die Konsequenz zu ziehen, daß sie nun ihre eigene Haltung revidieren und den sowjetischen Vorstellungen entgegenkommen müßte.
Die Erfahrung lehrt, daß diese Konsequenz zur Selbstvernichtung führen müßte.
Die sowjetische Politik hat in der Vergangenheit ihren Kurs immer dann, aber auch nur dann geändert, wenn sie spürte, daß sie auf unüberwindlichen Widerstand stieß, und wenn die Änderung ihrer Politik ihr Vorteile einzubringen schien. Diese Erkenntnis wird auch durch Vorgänge in der jüngsten Vergangenheit bestätigt, in der es die Sowjetunion vermochte, solche als Freunde zu preisen, die sie vorher wegen ihres unbeugsamen Widerstandes als Verräter und Verbrecher gebrandmarkt hatte.
Die Bundesregierung läßt auch darum keinen Zweifel daran, daß sie keine Schritte unternehmen wird, die etwa von der Regierung der Sowjetunion als der Ausdruck innerer Unsicherheit oder als der Beginn der Unterwerfung ausgelegt werden könnten. Darum wird die Bundesregierung auch keine Vorschläge machen und auf keine Vorschläge eingehen, die sie mit ihren Verbündeten entzweien würden. Die Probleme sind zu ernst und die Gefahren zu groß, als daß ein leichtfertiges Spiel mit der Zukunft des deutschen Volkes zulässig wäre. Darum darf die Bundesregierung auch keinen Weg beschreiten, der vielleicht die Einheit bringen, aber gleichzeitig die Freiheit kosten würde.
Wenn die Bundesregierung an diesen Grundsätzen festhält, so liegt darin gewiß keine dogmatische Starrheit und keine Unbeweglichkeit. Diese
Haltung entspringt vielmehr der unerschütterlichen Überzeugung, daß Aufrichtigkeit und Stetigkeit sicherer zum gewünschten Ziel führen als Wankelmut und Resignation.
Meine Damen und Herren! Diese Forderungen der Bundesregierung stehen fest. Sie sind und bleiben wohl auch für das ganze deutsche Volk unabdingbar. Aber darüber hinaus gibt es in der Wiedervereinigungspolitik der Bundesregierung keine unechten Prinzipien und keine starren Methoden, die nicht im Lichte jeder neuen Entwicklung überprüft werden könnten.
Die Bundesregierung wird es jedoch bei diesen Feststellungen nicht bewenden lassen. Sie wird sich nicht damit abfinden, daß das Gespräch über die Wiedervereinigung dadurch, daß unerfüllbare Bedingungen gestellt werden, blockiert wird und damit am Ende einschläft. Sie wird sich in der nächsten Zeit an die Vier Mächte, also auch an die Sowjetunion, wenden und sie an ihre Verpflichtung erinnern, den unerträglichen Zustand der Spaltung Deutschlands zu beseitigen. Sie weiß, daß drei dieser Mächte dazu bereit sind; sie haben ihre Bereitschaft wiederholt bewiesen und immer von neuem bekräftigt. Das drängende Fordern gilt darum in erster Linie der Sowjetunion, die bisher ihre Mitwirkung an einer für das deutsche Volk tragbaren Losung verweigert hat.
Ich halte es nicht für möglich und auch nicht für zweckmäßig, auf den Inhalt dieser Note einzugehen, die sich in Vorbereitung befindet. Ich bin überzeugt, daß das Hohe Haus dafür Verständnis hat. In großen Linien ergibt sich der Inhalt dieser Note aus der deutschen Vorstellung, die wir in der Frage der Wiedervereinigung haben.
Tatsächlich gibt es ja auch nur ein einziges Argument, das die Sowjetunion der Forderung nach Wiedervereinigung entgegenhalten dürfte: die Sorge, daß eine Machtverschiebung eintreten könnte, die geeignet wäre, die eigene Sicherheit zu gefährden. Ich sage, daß es nur dieses eine Argument gibt; denn alle anderen dürfen wir nicht gelten lassen, gleichgültig, in welcher Form sie vorgetragen werden.
Diesem einzigen echten Argument der Sowjet-. union Rechnung zu tragen, war und ist die Bundesregierung zu jeder Zeit bereit. Niemand sollte zweifeln, daß diese Bereitschaft mindestens im gleichen Maße auch bei einer künftigen gesamtdeutschen Regierung zu finden wäre. In den beiden letzten Genfer Konferenzen haben sich die Regierungschefs und Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten gemeinsam bemüht, diese Sorge auszuräumen. Wenn sie wirklich echt ist, dann wird und muß es gelingen, eine Lösung zu finden. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß der Schlüssel zu der Lösung in dem Problem der Abrüstung liegt. Eine wirksame, umfassende, kontrollierte Abrüstung, die alle Phasen und alle Bestände ,der Waffenproduktion einschließlich der atomaren Waffen umfassen sollte, wird die Völker der Welt von dem Gefühl der Angst befreien. Diese Angst ist ja die tiefste Wurzel des gegenseitigen Mißtrauens und damit im Sinne eines grauenvollen und widersinnigen Circulus vitiosus der Ansporn, die Aufrüstung voranzutreiben und damit der potentiellen Gefahr von morgen zu begegnen. Eine solche Abrüstung könnte in letzter Konsequenz sogar jedes Sicherheitssystem überflüssig machen, denn der Ruf nach einem Sicherheitssystem ist im Letzten ja auch geboren aus dem Gefühl der Sorge und der Angst vor der Bedrohung. Die Bundesregierung wird daher ihre Anstrengungen ganz besonders auf die Frage der Abrüstung konzentrieren, und ich glaube, sie darf sich darin der Zustimmung des ganzen deutschen Volkes sicherlich bewußt sein.
— Meine Damen und Herren, wenn ich von Abrüstung spreche, dann bedeutet das ja nicht, daß wir zunächst den Kopf auf die Guillotine legen und warten, ob darauf die anderen, nachdem sie uns geköpft haben, freiwillig abrüsten werden.
— Zwingen Sie mich nicht, auf eine solche Bemerkung eine ebenso unhöfliche Antwort zu geben!
Das schließt naturgemäß nicht aus, meine Damen und Herren, daß sich die Bundesregierung in gleicher Weise bemühen wird, an der Schaffung eines zuverlässigen, wirksamen gegenseitigen Sicherheitssystems mitzuwirken. Namens der Bundesregierung erkläre ich auch heute wieder, daß die Gewährung echter Sicherheitsgarantien an die Sowjetunion niemals an dem Widerspruch einer deutschen Regierung scheitern wird.
In dieser Fragegibt es auch keine falschen Prestigebedürfnisse, die die Bundesregierung zu vertreten hätte. Die einzige und letzte Grenze, die allerdings niemals überschritten werden darf, ist die eigene Sicherheit des deutschen Volkes, die gerade derjenige anerkennen sollte, der sich selbst auf die mögliche Gefährdung seiner Sicherheit beruft.
Die starre Haltung der Sowjetunion ist schwer zu erklären. Vielleicht spielen auch spekulative Erwägungen auf gewisse Zeitentwicklungen eine Rolle. Soweit sich diese Spekulationen mit Deutschland beschäftigen, liegt es in unserer Hand, sie zu entkräften.
Die Sowjetunion muß wissen, ,daß die Bundestagswahlen des Jahres 1957 vielleicht zu innenpolitischen Umgruppierungen, aber niemals zu grundlegenden Änderungen der deutschen Außenpolitik führen werden.
Ich bin überzeugt, daß keine frei gewählte Regierung der Bundesrepublik Deutschland in der Frage der Wiedervereinigung von den obersten Grundsätzen abgehen wird, die auch heute die Politik der Bundesregierung bestimmen: keine Anerkennung der illegitimen Gewaltherrschaft in der sowjetisch besetzten Zone, keine Wiedervereinigung ohne Sicherung der freiheitlichen Grundordnung des deutschen Volkes nach innen und nach außen, keine Preisgabe unserer Zugehörigkeit zur freien Welt.
— Meine Damen und Herren, ich glaube, daß eine solche Frage nicht gestellt werden sollte.
— Nein! Erlauben Sie mir zu sagen: weil sie in diesem Zeitpunkt auch töricht ist.
Die Bundesregierung kann heute so wenig wie je zuvor Versprechungen über den Zeitpunkt abgeben, an dem ihre auf die Wiedervereinigung des deutschen Volkes gerichtete Politik zum Erfolge führen wird; und es wäre auch absurd, so etwas zu fordern. Gewisse Vorgänge, die sich in jüngster Zeit in der Sowjetunion und wohl auch in einigen Staaten ihres Herrschaftsbereiches abgespielt haben, erfüllen uns mit einer gewissen Zuversicht. Sie haben gezeigt, daß die bisherigen Methoden nicht mehr voll wirksam sind. Dieser unausweichlichen Entwicklung werden sich dann vielleicht auch die gegenwärtigen Machthaber von Pankow nicht entziehen können, und jeder Schritt auf dem Wege dieser Entwicklung kann auch ein Schritt sein, der uns der Wiedervereinigung näher-bringt.
Diese Erklärungen mögen vielleicht den einen oder anderen enttäuschen, der mit heißem Herzen den Tag der Wiedervereinigung herbeisehnt. Es ist begreiflich, wenn bei dem einen oder anderen Wunschvorstellungen die nüchterne Betrachtung der Dinge und die realpolitische Würdigung der Möglichkeiten überschatten. Die Bundesregierung ist sich durchaus bewußt, daß dies vor allem für die deutschen Menschen in der sowjetisch besetzten Zone gilt, deren seelische Not von Tag zu Tag, ja, vielleicht von Stunde zu Stunde steigt. Der Strom derer, die Heimat, Existenz und zuweilen auch Familie aufgeben, um die Luft der Freiheit wieder atmen zu können, ist ein erschütternder Ausdruck dieser Not. Darum sollte es uns auch nicht genügen, ,dem Gefühl der unlöslichen inneren Verbundenheit und der nationalen Einheit nur durch Worte Ausdruck zu geben.
Wir alle haben die Möglichkeit, diese Verbundenheit auch durch die Pflege der menschlichen Beziehungen und durch eine unverdrossene Hilfsbereitschaft zu bestätigen.
Wir alle, die wir uns gemeinsam um die Wiedervereinigung bemühen, sprechen von den Opfern, die wir zu bringen bereit sind. Ich glaube, wir alle haben Gelegenheit, diesen Opfersinn heute schon zu betätigen und damit in den deutschen Menschen jenseits der Zonengrenze das Gefühl zu stärken, daß wir sie nicht vergessen, daß wir sie nicht abgeschrieben haben.
Das gilt in gleicher Weise auch für die Stadt Berlin, deren überzeugendes Bekenntnis zur Freiheit mehr als feierliche Erklärungen dazu beigetragen hat, den Menschen jenseits unserer Landesgrenzen die ganze Tragik der Trennung, aber auch die Gefahr der Spaltung immer von neuem in das Bewußtsein zu rufen.
Wenn wir die Hoffnung haben, daß die Entwicklung in der Sowjetzunion vielleicht zu einer Änderung der politischen Ziele in diesem Lande führen könnte, dann ist es unsere Aufgabe, eine solche Entwicklung zu fördern. Wir können das auf zweierlei Weise tun. Wir müssen einmal, so meine ich, der Sowjetunion durch unser Verhalten die letzte Hoffnung nehmen, daß ihre bisherige Deutschlandpolitik sich verwirklichen lasse. Wir müssen aber außerdem versuchen, der Sowjetunion und ihrer Regierung klarzumachen, daß ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung des deutschen Volkes in Frieden und Freiheit in ihrem eigenen nationalen Interesse liegt. Die Sowjetunion muß davon überzeugt werden, ,daß den Lebensinteressendes sowjetrussischen Volkes besser gedient ist durch die Herstellung normaler und aufrichtiger Beziehungen zu einem in Freiheit wiedervereinigten Deutschland als durch eine sowjetische Politik, die sich durch willkürliche Vorenthaltung von Einheit und Freiheit die Gegnerschaft eines ganzen großen Volkes zuzieht.
Die Sowjetunion sollte auch wissen, daß das deutsche Volk zu echten Opfern bereit ist, um sein Ziel der Wiedervereinigung zu verwirklichen, zu Opfern allerdings, die die freie Gestaltung der inneren Ordnung und die Sicherheit der Zukunft des deutschen Volkes nicht gefährden dürfen.
Und die ganze Welt sollte wissen, daß ein neues Deutschland um Vertrauen wirbt, ein Deutschland, das bereit und entschlossen ist, mit unseligen und verhängnisvollen Vorstellungen und Gedankengängen der Vergangenheit aufzuräumen. Zur Zeit können wir diese Absicht nicht besser ausdrücken als dadurch, daß wir über die Zuverlässigkeit der deutschen Politik und die Klarheit unserer politischen Ziele keine Zweifel aufkommen lassen, nicht im Westen und auch nicht im Osten.
Es ist nicht der Ausdruck der Unbelehrbarkeit oder gar der Halsstarrigkeit, meine Damen und Herren, wenn ich im Namen der Bundesregierung der Überzeugung Ausdruck gebe, daß die Außenpolitik der vergangenen Jahre, über die ich hier summarisch Rechenschaft ablege, sich bewährt hat. Die Bestätigung, die diese Politik durch die aufgeschlossene Freundschaft und das Verständnis der ganzen freien Welt erfahren hat, kann diese Überzeugung nur stärken.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß der tragische Widerstreit zwischen Macht und Recht, dessen Opfer das deutsche Volk ist, der Ausdruck einer tiefgehenden Unordnung in der Welt ist. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dazu beizutragen, daß die Macht sich des Rechts bedient, um eine neue beständige Ordnung zu gestalten, daß aber auch das Recht sich der Macht bedient, wenn es in der Gefahr steht, geschändet zu werden.