Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Gelegenheit, dem Bundestag einen umfassenden Bericht über die außenpolitische Lage zu geben und die Stellungnahme des Parlaments kennenzulernen. Ich möchte diesen Bericht als eine Art Zwischenbilanz bezeichnen, die von Zeit zu Zeit gezogen werden sollte. Ergibt eine sachliche und unvoreingenommene Prüfung, daß die bisherige Politik nicht erfolgreich war, so ist der Wunsch nach einer Änderung berechtigt. Ich muß wohl kaum hinzufügen, daß ein solches Urteil nur zu finden ist unter Berücksichtigung der gegebenen Tatsachen, auch soweit wir auf diese keinen unmittelbaren Einfluß haben, und der vorhandenen Möglichkeiten. Gibt die Prüfung keinen berechtigten Anlaß zu solcher Feststellung, dann wäre ein Abgehen von der bisherigen politischen Linie sicherlich nicht zu verantworten.
Man gewinnt zuweilen den Eindruck, als machten es sich einzelne Kritiker doch zu leicht. Sie behaupten einerseits, die bisherige Politik der Bundesregierung sei falsch gewesen oder sie sei gescheitert, aber im gleichen Atemzug sagen sie, es seien heute echte Chancen vorhanden, die sich aus Veränderungen der weltpolitischen Lage der letzten Monate ergeben hätten; die Bundesregierung verstehe es nur nicht, diese wahrzunehmen. Hierin liegt ein offener
Widerspruch. Nehmen wir auf einen Augenblick an, die Wandlungen der sowjetischen Politik böten ernsthafte Chancen für eine Entspannung oder Verständigung jetzt oder später. Dann kann man doch nicht sagen, daß diese Chancen unabhängig von den Bedingungen eingetreten sind, die durch die Politik der freien Welt gesetzt wurden. Man muß dann vielmehr anerkennen, daß die Sowjetunion sich zu ihrer neuen Taktik durch die politische Gesamtentwicklung veranlaßt gesehen hat, von der die Politik des Westens zumindest ein entscheidender Teil ist. Wenn aber die klare und feste Haltung der freien Welt, für die auch wir zu unserem Teile mit verantwortlich sind, zu einer Minderung der akuten Kriegsgefahr und zu gewissen ersten Anzeichen der Bereitschaft zu Gesprächen geführt hat, dann kann sie gar so falsch doch gar nicht gewesen sein. Wer sie dennoch als falsch bezeichnet, macht es sich wirklich zu leicht mit der Kritik.
Ein Überblick über die heutige Lage zeigt in der Tat Fortschritte und beweist, daß die klare und zielbewußte Außenpolitik der Bundesregierung seit 1949 richtig war. Ich darf diesen Überblick mit einigen Worten über die Stellung der Bundesrepublik in der freien Welt beginnen, dann übergehen zu dem Problem der neuen sowjetischen Taktik und schließlich zur Frage der deutschen Wiedervereinigung.
Auch im letzten halben Jahre hat sich die Bundesregierung die Pflege und Vertiefung der Beziehungen zu allen Staaten angelegen sein lassen. Die Entwicklung war — wenn man von vereinzelten Ausnahmen absieht — erfreulich nicht nur in unserem Verhältnis zu unseren NATO-Partnern, sondern auch für unsere Beziehungen zu den Ländern außerhalb der nordatlantischen Gemeinschaft. insbesondere auch des lateinamerikanischen, des afrikanischen und des asiatischen Raumes.
Tch selbst habe kürzlich die Niederlande, Großbritannien. Dänemark und Norwegen und in Begleitung des Herrn Bundespräsidenten Griechenland besucht.
Die Reise nach London, die ich Ende April in Begleitung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts durchführte, gab Gelegenheit zu sehr eingehenden Besprechungen mit dem Premierminister, dem Außenminister, dem Schatzkanzler und anderen Mitgliedern des britischen Kabinetts. Diese Besprechungen haben nicht nur eine sehr weitgehende Übereinstimmung in der Beurteilung aller politischen Fragen von gemeinsamem Interesse ergeben, sondern auch deutlicher als jemals zuvor beiden Seiten zum Bewußtsein gebracht daß eine enge und freundschaftliche deutsch-englische Zusammenarbeit auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet möglich und im beiderseitigen Interesse erwünscht ist.
Ohne auf die Einzelheiten dieser Besprechungen einzugehen, über die ich im Auswärtigen Ausschuß seinerzeit berichtet habe, begnüge ich mich, aus dem gemeinsamen Kommuniqué kurz folgendes zu zitieren:
Die beiden Regierungen stimmten darin überein, daß sie keine Schwächung bestehender Organisationen in Erwägung ziehen könnten, die den Frieden so wirksam gesichert haben und die niemand bedrohen.
Es bestand ferner Einvernehmen über die Notwendigkeit, die europäische Solidarität aufrechtzuerhalten und zu stärken.
Die Fragen der europäischen Sicherheit und der deutschen Wiedervereinigung wurden geprüft. Die beiden Regierungen sind wie bisher davon überzeugt, daß keine echte Sicherheit in Europa bestehen kann, solange die Spaltung Deutschlands andauert. Der britische Außenminister bestätigte erneut den Standpunkt der britischen Regierung, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit eines ihrer Hauptziele bleibt.
Die beiden Minister brachten ihren aufrichtigen Wunsch nach einem umfassenden Abrüstungsabkommen zum Ausdruck. Sie erkannten jedoch an, daß die praktische Verwirklichung der Abrüstung weitgehend von der Lösung der politischen Probleme in Deutschland und anderwärts abhängen wird.
So weit dieses Kommuniqué von London.
Die Reisen nach den Niederlanden, nach Dänemark und Norwegen waren die ersten offiziellen Besuche eines deutschen Außenministers nach dem Kriege. Sie galten Ländern, mit denen wir durch gemeinsame Zugehörigkeit zum Nordatlantikpakt verbündet sind, obwohl sie während des letzten Krieges unter der deutschen Besetzung schwer gelitten haben. Ich kann mit dankbarer Genugtuung feststellen, daß mir in allen drei Ländern ein herzlicher Empfang bereitet worden ist und daß ich überall die gleiche Bereitschaft gefunden habe, den Blick nicht mehr in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft zu richten und unser beiderseitiges Verhältnis im Geiste der atlantischen Gemeinschaft, der wir uns eingegliedert haben, neu zu gestalten.
In diesem Sinne soll auch an die Lösung der noch offenen Einzelfragen, die besonders im Verhältnis zu den Niederlanden recht bedeutend sind, herangegangen werden. Aus dem gemeinsamen Kommuniqué, das zum Abschluß meines Aufenthalts im Haag veröffentlicht wurde, darf ich folgenden Satz zitieren:
Die Minister erörterten die in der Welt bestehenden Spannungen und stimmten darin überein, daß beide Länder ihrer Wohlfahrt am besten dienen, indem sie die weitere Entwicklung der Einigung Europas und der atlantischen Gemeinschaft nach Kräften fördern.
Auch die Besprechungen, die ich in Kopenhagen und in Oslo führen konnte, führten zu einer völligen Übereinstimmung in der Beurteilung der politischen Lage und der sich daraus ergebenden Notwendigkeiten, insbesondere einer Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb der bestehenden gemeinsamen Organisationen.
Die traditionelle deutsch-griechische Freundschaft ist durch den Besuch des Herrn Bundespräsidenten bestätigt und weiter gefestigt worden. Die Bundesregierung hat bei diesem Anlaß auch ihre Neutralität in der Zypern-Frage erneut zum Ausdruck gebracht. Sie hat den lebhaften Wunsch, daß diese Streitfrage, die die Beziehungen zwischen drei Staaten. welche unsere Freunde und Verbündeten sind, gefährdet, bald eine allseits befriedigende Lösung finden möge.
In Erkenntnis der Notwendigkeit, die Beziehungen zu den Ländern Asiens und Afrikas noch enger zu gestalten, hat die Bundesregierung in den letzten Monaten ihr Interesse in vermehrtem Maße diesen Ländern zugewandt und sich darum bemüht, die
) Zusammenarbeit mit ihnen auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet zu erweitern. Besonders befruchtend für die Arbeit des Auswärtigen Amts war die Nahost-Botschafterkonferenz, die Anfang April unter dem Vorsitz von Staatssekretär Hallstein in Istanbul stattgefunden hat. Sie gab einen umfassenden Überblick über die problemreiche Situation dieses Raumes, dem sich die sowjetische Koexistenzoffensive mit besonderer Intensität widmet, und trug zur Klärung der Möglichkeiten und Ziele unserer künftigen Nahost-Politik wesentlich bei. Im übrigen haben Besuche aus dem asiatischen und afrikanischen Raum und Gegenbesuche von Regierungsmitgliedern und anderen maßgeblichen Persönlichkeiten stattgefunden. Ich darf daran erinnern, daß Vizekanzler Blücher im Januar auf Einladung der indischen Regierung eine sehr erfolgreiche Reise nach Indien unternahm. Der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Arnold, hat die Bundesrepublik bei den Feierlichkeiten anläßlich der Ausrufung der islamischen Republik Pakistan in Karatschi am 23. März als Sonderbotschafter vertreten.
Im Januar dieses Jahres nahm Reichsminister a. D. Schlange-Schöningen mit einer Delegation als Vertreter der Bundesrepublik an den Feierlichkeiten aus Anlaß der Amtseinführung des Präsidenten von Liberia teil. — Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob diese Feststellungen Anlaß zum Lachen geben.
— Ich glaube, wir werden gut daran tun, Anlässe, wie ich sie genannt habe, die für andere, uns befreundete Völker von erheblicher Bedeutung sind, so ernst zu nehmen, wie wir das dem Ansehen dieser Länder schulden.
— Ich bin gern bereit, darüber außerhalb dieser Rede zu sprechen. Ich glaube, daß wir uns darüber dann auch verständigen werden.
Wie Sie wissen, war vor wenigen Tagen der indonesische Staatspräsident Sukarno zu Besuch in der Bundesrepublik. Wir hatten Gelegenheit, ihm die Bundesrepublik zu zeigen, unsere politischen Ansichten darzulegen und auch die Leistungen unserer Wirtschaft vorzuführen. Inzwischen sind wenige Stunden vergangen, seitdem der Staatspräsident der Republik von Indonesien und der Außenminister dieser Regierung die Bundesrepublik verlassen haben. Ich möchte namens der Bundesregierung meine tiefe Befriedigung Ober das große Verständnis ausdrücken, das diese Staatsmänner gerade auch dem deutschen Problem entgegengebracht haben.
Erlauben Sie mir auch hier ein kurzes Zitat aus dem Schlußkommuniqué, das vorgestern abend veröffentlicht wurde:
In herzlicher und freundschaftlicher Atmosphäre fanden Besprechungen statt, die erneut bestätigten, daß das politische Ziel beider Länder die Erhaltung des Weltfriedens und die Verminderung der zur Zeit bestehenden Spannungen ist.
Ebenso bestand Einverständnis über die Rede des indonesischen Staatspräsidenten vor den Studenten der Universität Heidelberg am 22. Juni, worin unter anderem betont wird, daß künstlich geteilte Staaten eine der wesentlichsten Ursachen dieser Spannungen sind, die Wiedervereinigung Deutschlands einen entscheidenden Beitrag zu ihrer Beseitigung darstellen würde und daß die Zusammenführung der beiden getrennten Teile Deutschlands ein moralisches und ein Problem der Humanität sei, dessen Lösung nicht von der Entwicklung der zwischen den beiden großen Machtblöcken herrschenden Spannungen abhängig gemacht werden dürfe.
Eine der großen Nationen Asiens, ein Mitglied der sogenannten non-committed world, hat durch diese Erklärung die deutsche These nachhaltig unterstrichen, daß die Teilung Deutschlands gegen die Lebensrechte eines freien Volkes verstößt, und darüber hinaus, daß der auf der Teilung Deutschlands beruhende Spannungszustand eine Gefahr für den Weltfrieden bedeutet, daß also alle, die den Weltfrieden sichern wollen, das Recht und vielleicht sogar die Pflicht haben, an der Beseitigung dieses Zustandes mitzuwirken, ein Beweis dafür, daß eine Stellungnahme zugunsten der deutschen Wiedervereinigung von allen unabhängigen Nationen erwartet werden kann, auch denen, die in dem großen Ost-West-Konflikt nicht Partei zu nehmen wünschen.
In etwa zwei Wochen werden wir den indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru hier begrüßen dürfen, und im Oktober werden uns der pakistanische Ministerpräsident Mohammed Ali und der Präsident von Liberia ihre Besuche abstatten. Ebenso erwartet die Bundesregierung den Besuch des Regierungschefs Australiens im Anschluß an die Commonwealth-Konferenz.
Am 14. Juni 1956 hat die Bundesregierung in vollem Einverständnis mit der französischen Regierung Marokko und Tunesien als unabhängige Staaten anerkannt. Auch die spanische Regierung wurde von der Anerkennung Marokkos unterrichtet. Wir hoffen in allernächster Zeit diplomatische Beziehungen zu beiden Ländern aufnehmen zu können.
Die traditionellen guten Beziehungen zu den lateinamerikanischen Staaten konnten weiter ausgebaut werden und insbesondere auf dem uns interessierenden handelspolitischen Gebiet im Sinne einer größeren Freizügigkeit erweitert werden. Ich darf daran erinnern, daß auch zahlreiche lateinamerikanische Staatsmänner, darunter der neugewählte Präsident von Brasilien, Herr Dr. Kubitschek, die Bundesrepublik besucht haben.
Ich möchte zum Schluß über die Reise des Herrn Bundeskanzlers in die Vereinigten Staaten berichten, welche sehr deutlich zum Ausdruck brachte, wie befriedigend sich unsere Beziehungen zu diesem unserem mächtigsten Verbündeten weiterhin entwikkelt haben. Der Aufenthalt in den Vereinigten Staaten vom 9. bis 16. Juni ermöglichte dem Herrn Bundeskanzler einen eingehenden Meinungsaustausch mit führenden Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten und bei den Vereinten Nationen.
In sehr ausführlichen Besprechungen mit Außenminister Dulles und hohen Beamten des State Department konnte eine bis ins einzelne gehende Übereinstimmung der Beurteilung der hauptsäch-
9 Deutscher Bundestag — 155. Sitzuni. Bonn. Donnerstag. den 28. Juni 1956 8415
lichen Weltprobleme festgestellt und eine erneute nachhaltige Unterstützung seitens der amerikanischen Regierung gerade in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands erreicht werden.
— Herr Kollege, wir haben, wie ich weiß, morgen eine außenpolitische Aussprache. Ich bin bereit, auch diese Frage zu beantworten.
— Ach, ich bin nicht so anspruchsvoll, meine Damen und Herren.
Ich glaube, wir können mit dem Ergebnis dieser Besprechungen wie auch der ganzen Amerika-Reise des Herrn Bundeskanzlers sehr zufrieden sein. Von manchen Seiten ist behauptet worden, daß die Reise enttäuschend und unfruchtbar gewesen sei, da sie lediglich dazu gedient habe, die alten Positionen der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung in der deutschen Frage zu bekräftigen. Gerade wer das sagt, gibt aber, wie ich meine, zu, daß die Reise erfolgreich war. Ich darf Ihnen den Passus aus dem gemeinsamen Schlußkommuniqué vorlesen.
Staatssekretär Dulles und Bundeskanzler Adenauer unterstrichen die Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung als ein Hauptziel der westlichen Politik und betonten ihre Überzeugung, daß die Haltung des Westens gegenüber der Sowjetunion durch das Bestreben, die deutsche Wiedervereinigung in Freiheit zu fördern, bestimmt sein müsse.
Ferner wird in dem Kommuniqué mit Nachdruck gefordert — eine Forderung, die wir immer wieder erheben —, daß die Sowjetunion sich zu der von ihr in Genf feierlich bekräftigten Verpflichtung zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands bekennen und — ich darf wörtlich zitieren — „die brutale und widernatürliche Teilung, die sie Deutschland auferlegt hat, beenden" müsse.
Die Erfüllung dieser Verpflichtung wird von amerikanischer Seite weiterhin als Prüfstein für die Ehrlichkeit der sowjetischen Friedensbeteuerungen angesehen. Meine Damen und Herren, ich glaube, eine stärkere Erklärung kann man von einer befreundeten Regierung nicht verlangen.
In der Erkenntnis, daß eine dauerhafte Aussöhnung und Partnerschaft mit Frankreich das Fundament einer jeden europäischen Zusammenarbeit ist, hat sich die Bundesregierung seit Jahren um die Lösung der Saarfrage bemüht. Niemand weiß dies besser als die Mitglieder des Bundestages, die sich oft genug mit dieser Frage befassen mußten. Auf dem Weg zur Lösung der Saarfrage haben uns die Besprechungen des Bundeskanzlers mit dem Ministerpräsidenten Mollet in Luxemburg vom 4. Juni einen entscheidenden Schritt vorangebracht. Nachdem in vorangegangenen Besprechungen der Staatssekretäre der beiden Außenministerien die Richtlinien für einen neuen deutsch-französischen Saarvertrag zu einem großen Teil festgelegt worden waren, hat die Besprechung der Regierungschefs namentlich die grundsätzliche Lösung der besonders schwierigen Warndt-Frage gebracht.
Indem man einerseits der Saar die Errichtung eigener Schächte, andererseits aber auch Lothringen den Abbau während einer weiteren Frist ermöglicht und die sich aus den Konzessionen an Frankreich ergebenden Nachteile in einem angemessenen Verhältnis zwischen dem Saarland und dem Bund aufgeteilt hat, glaube ich sagen zu dürfen, daß hier eine wirklich gute Lösung gefunden worden ist. Auch einige weitere noch offene Fragen sind entschieden worden, und das Gesamtergebnis von Luxemburg hat auch die Zustimmung der Regierung des Saarlandes gefunden.
Wir sehen nunmehr ein neues Saarabkommen in seinen wesentlichen Elementen vor uns und dürfen die Erwartung ausdrücken, daß mit dem 1. Januar 1957 die Saar wieder zu uns zurückgekehrt sein wird.
In Luxemburg hat ferner die Frage des Rheinseitenkanals die von uns gewünschte und vorgeschlagene Lösung gefunden, die verhindert, daß der Landwirtschaft auf der deutschen Seite des Rheintals schwere Schäden erwachsen und daß die gewerbliche Wirtschaft am deutschen Ufer von den Vorteilen der Lage am Rhein ausgeschlossen wird.
Schließlich ist in Luxemburg eine grundsätzliche Einigung über den Bau des Moselkanals erfolgt, so daß beide Regierungen nunmehr an die luxemburgische Regierung mit der Einladung zu Verhandlungen über den Abschluß eines Vertrages herangetreten sind. Die Bundesregierung ist sich klar darüber, daß sie auf diesem Gebiete ein erhebliches Opfer gebracht hat. Die Gründe, die ein solches Opfer notwendig erscheinen ließen, habe ich bereits in meiner Erklärung vor diesem Hause am 8. Mai auseinandergesetzt. Ich glaube, meine Damen und Herren, sowohl bei Ihnen als auch in der deutschen Öffentlichkeit Verständnis für die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage gefunden zu haben.
Mit Hilfe der Opfer, die beide Seiten gebracht haben, wird es gelingen, die Saarfrage zu regeln, und da das Vertragswerk auch die übrigen noch offenen deutsch-französischen Probleme bereinigen wird, werden wir, so glaube ich, nach seinem Abschluß sagen können, daß es keine wesentlichen deutsch-französischen Meinungsverschiedenheiten bilateraler Art mehr gibt. Das ist eine Feststellung, meine Damen und Herren, die man in der langen Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen wahrscheinlich noch niemals mit dieser Klarheit hat treffen können.
Darüber hinaus gab die Konferenz von Luxemburg aber auch eine willkommene Gelegenheit zu einem umfassenden Meinungsaustausch über alle anderen beide Staaten berührenden Fragen. Ich bitte mir zu erlauben, auch hier einige wenige Sätze aus dem gemeinsamen Kommuniqué vom 5. Juni zu zitieren:
Die Erörterungen ergaben,
— so heißt es in dem Kommuniqué —
daß beide Regierungschefs in der Beurteilung der außenpolitischen Lage übereinstimmen. Sie haben bei dieser Gelegenheit erneut ihre Bindung an die atlantische Allianz bekräftigt und ihre Absicht bekundet, dieses Bündnis so auszubauen, daß es den gemeinsamen Interessen insbesondere in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht zum größten Vorteil gereicht.
Die beiden Regierungen sind sich völlig darin einig, daß alle Bemühungen um eine allgemeine, einer internationalen Kontrolle unterworfene Abrüstung gefördert werden müssen. Sie sind der Ansicht, daß die Durchführung eines Abrüstungsprogramms von der Lösung der den Weltfrieden bedrohenden politischen Probleme abhängig ist.
In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, daß das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands an erster Stelle steht.
Soweit dieses Kommuniqué.
Ich glaube wohl für die Bundesregierung feststellen zu dürfen, daß alle Besprechungen, die sie in den letzten Monaten mit den Regierungen der verbündeten und befreundeten Nationen geführt hat, zu einer völligen Übereinstimmung in der Beurteilung der weltpolitischen Lage geführt haben.
In den Bereich der Beziehungen mit den uns durch gemeinsame Ziele und Verträge verbundenen Nationen gehört auch das in letzter Zeit so häufig diskutierte Problem der Stationierungskosten. Erlauben Sie mir dazu folgende Bemerkungen, mit denen ich der Diskussion vielleicht vorgreifen darf.
Es ist in der öffentlichen Diskussion besonders hervorgehoben worden, daß ein Rechtsanspruch auf einen solchen Kostenbeitrag nicht bestehe. Die Bundesregierung legt Wert auf die Feststellung, daß ein Rechtsanspruch niemals behauptet worden ist. Die Bundesregierung hätte einen solchen Rechtsanspruch nicht anerkannt, ja, sie hätte sogar Verhandlungen auf der Grundlage eines auch nur behaupteten Rechtsanspruches ablehnen müssen. Es sind weiter Bedenken laut geworden, daß hier überholtes Besatzungsrecht in Anspruch genommen werde. In den Verhandlungen sind, wie ich nachdrücklich erkläre, niemals Vorstellungen oder gar Vorschriften besatzungsrechtlicher Art auch nur angesprochen worden.
Einige Regierungen, die in Erfüllung vertraglicher Vereinbarungen Truppenkontingenteauf deutschem Boden unterhalten, haben den Wunsch geäußert, die Bundesrepublik möge einen Beitrag zu den erhöhten Stationierungskosten leisten, die notwendig aus dem Aufenthalt und Unterhalt von Truppen auf fremdem Boden erwachsen. Die Bundesregierung glaubte sich diesem Wunsch nicht verschließen zu können. Diese Truppenkontingente stehen auf deutschem Boden, um die Freiheit des deutschen Staatsbürgers und die Sicherheit der Bundesrepublik zu gewährleisten. Nach der Überzeugung der Bundesregierung entspringen einem derartigen Vertragsverhältnis wechselseitige Rechte und Pflichten, die von keinem Vertragspartner geleugnet werden sollten.
Auch der Hinweis in der öffentlichen Diskussion, daß von anderen Mitgliedstaaten der nordatlantischen Gemeinschaft ein solcher Kostenbeitrag nicht verlangt werde und daher die Forderung einen diskriminierenden Charakter trage, ist nach Überzeugung der Bundesregierung unzutreffend. Ein Vergleich ist nur zulässig, wenn es sich tatsächlich um vergleichbare Tatbestände handelt. Die Bundesrepublik ist im Begriff, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Aber es kann ernsthaft ja wohl nicht bestritten werden, daß zunächst noch Schutz und Verteidigung ausschließlich den Kontingenten obliegen, die von anderen Staaten nach der Bundesrepublik gelegt sind. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß wir auf diese Sicherheit nicht verzichten können, und sie ist darum auch bereit, die Konsequenzen daraus zu ziehen.
Auch die Sorge, daß in Zukunft gleiche Forderungen erhoben werden könnten, ist nach Überzeugung der Bundesregierung unbegründet. Die Bundesregierung hat keinen Zweifel daran gelassen, daß Vereinbarungen, wie sie jetzt abgeschlossen werden, keinen Berufungsfall für spätere Verhandlungen darstellen dürften. Allerdings hat die Bundesregierung bewußt davon abgesehen, einen ausdrücklichen Verzicht auf alle Forderungen und Ansprüche zu verlangen, die auf das Vertragsverhältnis gestützt werden können. Sie hätte einen solchen Verzicht naturgemäß überhaupt nur verlangen können, wenn sie selbst bereit gewesen wäre, ihn ebenso verbindlich für die Zukunft für sich auszusprechen. Die Bundesregierung glaubt, daß ein solcher wechselseitiger Verzicht, sich auf ein gemeinsames Bündnissystem zu berufen, die Grundlagen dieses Bündnisses zerstört hätte. Denn ein Vertrag muß, wenn er mehr sein will als ein papierenes Instrument, auf Treu und Glauben beruhen. Darüber hinaus aber hätte sich die Bundesregierung durch einen solchen gegenseitigen Verzicht selbst für alle Zukunft der Möglichkeit beraubt, über den geschriebenen Wortlaut des Vertrages hinaus um materielle oder finanzielle Hilfe zu bitten.
Die Vereinbarungen, die die Bundesregierung getroffen hat oder noch treffen wird, unterliegen im übrigen selbstverständlich der ordnungsgemäßen Prüfung und Entscheidung durch das Parlament. Ich stelle dabei ausdrücklich im Namen der Bundesregierung fest, daß für die Erfüllung solcher vertraglich vereinbarter Zahlungen die Bewilligung zusätzlicher Haushaltsmittel nicht beantragt werden wird.
Im nächsten Jahr wird sich weder aus dem Finanzvertrag ein Anspruch auf Verhandlungen geltend machen lassen noch aus der materiellen Lage eine Grundlage für solche Verhandlungen ergeben. Der Aufbau der deutschen Kontingente wird zu diesem Zeitpunkt so weit fortgeschritten sein, daß die Bundesrepublik im Sinne des Art. 3 des Nordatlantikpakts selbst ihren angemessenen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung leisten wird. Die Bundesregierung hat übrigens auch bei den hinter uns liegenden Verhandlungen keinen Zweifel daran gelassen, daß sie die jetzt zugesagten Zahlungen als eine letzte Leistung dieser Art ansieht.
Erlauben Sie mir nun einige Ausführungen zum Stand der Verhandlungen über die europäische Integration und Zusammenarbeit. Nachdem infolge des Scheiterns der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die Bemühungen um eine europäische Integration einen Tiefpunkt erreicht hatten, entwikkelte sich in den sechs Staaten, die auf diesem Gebiete gemeinsame Vorstellungen und gemeinsame Ziele haben, immer stärker das Bedürfnis nach einem neuen Auftrieb. Dieses Bedürfnis konzentrierte sich schließlich auf den Plan, an die Seite der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der bisher einzigen Verwirklichung des Integrationsgedankens, weitere Gebiete einer vergleichbaren Integration zu stellen. Dieses Bestreben fand verbindlichen Ausdruck in den Beschlüssen der Konferenz
von Messina, die konkreten Arbeiten auf den Gebieten des gemeinsamen Marktes, der Atomenergie, der sogenannten klassischen Energie und des Verkehrswesens in Angriff zu nehmen.
Zwei Phasen wurden vorgesehen. In einer ersten sollten Regierungssachverständige zusammentreten, die unter die Leitung einer im wahrsten Sinne des Wortes dynamischen europäischen Persönlichkeit, nämlich unter die Leitung des belgischen Außenministers Paul Henri Spaak, gestellt wurden und ein gemeinsames Sachverständigenurteil über die • Problematik und die Lösungsmöglichkeiten erarbeiten sollten. In einer zweiten Phase sollten dann die Regierungen Verhandlungen über die erforderlichen Verträge führen.
Die erste dieser beiden Phasen ist vor wenigen Wochen abgeschlossen worden, und zwar durch den Brüsseler Sachverständigenbericht, dem niemand, der ihn kennt, das Lob versagen wird, daß er nicht nur eine große geistige Leistung, sondern auch einen eindrucksvollen Beweis europäischen Gemeinschaftsbewußtseins, das über die nationalen Sondervorstellungen hinausgeht, darstellt.
Vor einem Monat hat die Außenministerkonferenz in Venedig festgestellt, daß die sechs Regierungen bereit sind, die Vorschläge des Brüsseler Berichts als Grundlage für Verhandlungen anzunehmen. Diese Verhandlungen haben nunmehr in Brüssel begonnen.
Damit sind die Umrisse der gegenwärtigen zweiten Periode der europäischen Integration abgezeichnet. Es handelt sich, abgesehen von den Vorschlägen auf dem Gebiete der herkömmlichen Energie und des Verkehrs- und Postwesens, um die beiden großen Projekte eines europäischen gemeinsamen Markts und einer Europäischen Atomgemeinschaft.
Es ist nicht meine Absicht, hier ins einzelne zu gehen, und es genügt darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem gemeinsamen Markt darum handelt, eine Zollunion in vorher festgelegten Etappen zu errichten und innerhalb ihres Geltungsbereichs den Regeln des Wettbewerbs zu voller Geltung zu verhelfen sowie einer gemeinsamen Wirtschafts- und Handelspolitik den Weg zu bereiten. Ferner soll eine Europäische Atomgemeinschaft gebildet werden.
Bei allen diesen Arbeiten, meine Damen und Herren, denken die sechs Regierungen nicht an eine Politik der Exklusivität. Nicht nur soll — wie schon bei der Montanunion — die Tür für weitere Mitglieder stets offen bleiben, sondern wir sind überzeugt, daß sich Formen der Kooperation und Assoziierung finden lassen, die den Ländern, die sich zum vollen Beitritt nicht entschließen können, eine enge Zusammenarbeit mit den neuen Organismen ermöglichen. Das gilt insbesondere für das Verhältnis zu Großbritannien, aber ebenso auch für das Verhältnis zu den skandinavischen Staaten, auf deren Beteiligung in irgendeiner diesen Ländern angenehmen Form wir entscheidenden Wert legen.
Die Bemühungen der Bundesregierung um eine fortschreitende enge Zusammenarbeit auf diesen Gebieten erschöpfen sich aber nicht in diesen Verhandlungen. Ich verweise insbesondere auf die erfolgreichen Besprechungen und Verhandlungen im Rahmen des GATT, auf die hervorragende Entwicklung innerhalb der OEEC, zu der die Bundesrepublik durch weitgehende Liberalisierungsmaßnahmen entscheidend beigetragen hat, und auf die ständig wachsende Bedeutung der Europäischen Zahlungsunion. Ich betone weiter die Entschlossenheit der Bundesregierung, durch intensive Mitarbeit die Arbeiten der Montanunion, des Europarats und der Westeuropäischen Union zu fördern.
Nun sind in der letzten Zeit — und das hat zu Verhandlungen in der NATO und in anderen Bereichen geführt — Änderungen der Methoden der sowjetrussischen Außenpolitik sichtbar geworden, von denen die Welt mit Überraschung Kenntnis genommen hat.
Da wir Wert darauf legen, keine Chancen zu verpassen und keine Möglichkeit zu versäumen, die sich für unsere Politik etwa aus diesen aufsehenerregenden Ereignissen ergeben könnten, da wir uns aber auf der anderen Seite auch davor hüten müssen, in einer Art begreiflichen Wunschdenkens — und wer unter uns sehnte sich nicht nach Entspannung und dauerhaftem Frieden! — vorschnelle und gefährliche Folgerungen zu ziehen, hat die Bundesregierung versucht, die Entwicklung sorgfältig zu verfolgen und zu analysieren. Wir haben auch keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, unsere Ansichten zu dieser Frage mit führenden Politikern befreundeter Staaten zu besprechen.
Diese außenpolitische Aktivität der Sowjetunion hat sich neuerdings besonders intensiv den sogenannten Entwicklungsländern zugewandt, Ländern, die man früher einmal in einem, wie ich glaube, sehr unangebrachten Hochmut als „unterentwikkelt" bezeichnet hat. Diese in rascher Umwandlung von Kolonialgebieten zu Nationalstaaten begriffenen Länder wollen die Sowjets als Einflußsphäre gewinnen. Gleichzeitig beschränkten sie sich gegenüber den Ländern des Westens, insbesondere den Ländern der atlantischen Gemeinschaft, auf eine Politik der Aufspaltung und der politischen Infiltration.
Der posthume Sturz Stalins mag wichtige innenpolitische Gründe haben. Wir dürfen aber darüber nicht außer acht lassen, daß er der Sowjetunion und dem Weltkommunismus in den Augen vieler gutgläubiger Optimisten, sei es der asiatisch-afrikanischen Welt, sei es in anderen Gebieten der Welt, ein neues Gesicht, den Anschein einer politischen Ehrbarkeit geben soll. An der endgültigen außenpolitischen Zielsetzung hat sich jedoch auch durch den 20. Parteitag nach Überzeugung der Bundesregierung noch nichts geändert.
Geändert haben sich die Methoden. Die Drohung mit bewaffneter Gewalt, die der Ära Stalins ihr Gepräge gab, ist zurückgetreten.
Im Vordergrund steht der Versuch der Sowjetführung, mit subtileren Mitteln der politischen und wirtschaftlichen Einflußnahme ihr Ziel zu fördern. Dabei dürfen wir jedoch ein entscheidendes Faktum nicht übersehen, nämlich die noch verbleibende militärische Macht der Sowjetunion, die mit höchstem Nachdruck weiter ausgebaut wird und als eine Bedrohung der freien Welt unverändert weiter besteht.
Da die Handelsoffensive das Kernstück neuer sowjetrussischer Außenpolitik ist, möchte ich einige Worte dazu sagen. An vielen Stellen des Nahen Ostens, Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sind in letzter Zeit sowjetrussische Werbemaßnahmen, aber auch Exporterfolge zu spüren gewesen, ohne
daß bisher etwa den Industrieländern der freien Welt eine ernste Konkurrenz erwachsen wäre. Dafür waren die Handelsumsätze der Ostblockländer noch zu gering. Aber es besteht kein Zweifel, daß es sich bei den bisherigen Bestrebungen nur um einen Anfang handelt. Die Werbe- und Handelsmethoden bleiben nicht ohne Wirkung, zumal mit ihnen Menschen angesprochen werden, die oft nicht erkennen, daß sich hinter den friedlichen und scheinbar selbstlosen Angeboten weitreichende politische Absichten verbergen.
Die sich anbahnenden Exporterfolge des Ostblocks sind nicht zuletzt auf günstige Zahlungsbedingungen zurückzuführen, die politischen Charakter tragen, Bedingungen, die keine westliche Wirtschaft und auch kein Konsortium anbieten kann, da in diesen Bereichen politische Preise gottlob nicht bekannt sind.
Zu den handfesten Angeboten auf finanziellem Gebiet tritt eine rege Tätigkeit auf dem Gebiet der sogenannten technischen Hilfeleistung. Es werden technische Experten oder Lehrer ins Ausland gesandt. Man gewährt den jungen Menschen in diesen Gebieten großzügige Stipendien, die ihnen das sorgenfreie Studium an sowjetischen Hochschulen ermöglichen.
Ich möchte aber wiederholen, daß diese wirtschaftlich-technisch-finanzielle Hilfe, die man unter den Begriff der Handelsoffensive zusammenfassen könnte, nur den gegenwärtig am meisten ins Auge springenden Teil einer geplanten und koordinierten Aktion des Sowjetblocks gegenüber der sogenannten non-committed world bildet. Sorgfältig aufeinander abgestimmte und auf den angesprochenen Kreis zugeschnittene Mittel allgemein politischer, psychologischer und propagandistischer Art treten hinzu. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, diese Dinge mit größter Sorgfalt und Wachsamkeit zu beobachten.
Daß diese Taktik nicht ganz ohne Erfolg war, zeigt sich auch daran, daß man seit einiger Zeit immer wieder von der sogenannten Krise redet, in der sich die NATO infolge des Nachlassens der weltpolitischen Spannungen befinde. Mit der Verringerung der unmittelbaren Gefahr eines militärischen Konflikts, so argumentiert man, verliere mehr und mehr das Motiv an Gewicht, das die freien Völker des nordatlantischen Raumes zum Zusammenschluß auf der Grundlage gemeinsamer Verteidigungsanstrengungen veranlaßt habe. Hieraus müsse sich zwangsläufig nicht nur ein Erlahmen der Bereitschaft ergeben, im bisherigen Maße Opfer für die eigene Sicherheit zu bringen, sondern auch ein Zustand des Stagnierens, eine Lockerung, wenn nicht sogar eine Auflösung des Gefüges der atlantischen Gemeinschaft eintreten.
Ich glaube, daß eine solche Auffassung das Wesen der gemeinschaftlichen Ideale verkennt, welche die Völker der freien Welt im Zeichen des Kalten Krieges zusammengeführt haben, und die Klarheit auch der Erkenntnis unterschätzt, daß es nicht die militärische Bedrohung allein ist, wogegen jene gemeinsamen sittlichen Werte zu schützen sind. Der Nordatlantikpakt ist mehr als ein militärischer Beistandspakt. Er ist ein Bündnis gegen jede Bedrohung unserer Freiheit.
Solange im übrigen eindeutige Beweise nicht vorliegen, daß die Politik der Koexistenz mehr bedeutet als vorübergehende Taktik, ergibt sich die Notwendigkeit, Wachsamkeit und ständige Verteidigungsbereitschaft gegenüber möglicher Aggression in vollem Umfange aufrechtzuerhalten.
Erfreulicherweise sind sich sämtliche verbündeten Regierungen in dieser Beurteilung der politischen Situation und in der Überzeugung einig, daß eine über den militärischen Bereich hinausgreifende Aktivität des NATO-Pakts notwendig ist.
Die Bundesregierung ist entschlossen, nicht nur ihren Beitrag zur Verteidigung der freien Welt im Rahmen der NATO zu leisten, sondern auch mit allem Nachdruck die Zusammenarbeit der Vertragspartner auf nichtmilitärischen Gebieten zu fördern.
Sie hat darum die italienische und kanadische Initiative auf der Ministertagung des Atlantikrates im Dezember vorigen Jahres besonders begrüßt, deren Ziel es war, den Anstoß für eine stärkere Aktivierung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiete zu geben.
Eine solche Zusammenarbeit hatten die Bündnispartner in Art. 2 des Atlantikpaktes von Anfang an vorgesehen. Ihre Realisierung war zunächst nur zögernd vorangekommen, da damals andere Fragen im Vordergrund standen.
Sie wissen, daß diese Erörterung Anfang Mai dieses Jahres zur Einsetzung eines Ausschusses führten, dem die Außenminister Kanadas, Italiens und Norwegens angehören und der die Aufgabe hat, dem Atlantikrat alsbald über solche Möglichkeiten engerer Zusammenarbeit zu berichten.
Das Schwergewicht bei der Intensivierung der Zusammenarbeit in diesem Rahmen auf politischem Gebiet sollte nach Meinung der Bundesregierung auf einer Verstärkung der gegenseitigen Information und Konsultation in allen wesentlichen Fragen liegen, welche die gemeinsamen Interessen der Mitgliedstaaten berühren. Diese Konsultationen sollen ein abgestimmtes Handeln auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen sichern und auch die Bereinigung solcher Streitfragen zwischen den Verbündeten zum Ziele haben, welche die Festigkeit und innere Geschlossenheit der Allianz gefährden könnten.
Der Atlantikrat beschloß aber auch, wirtschaftliche Probleme unter politischen Gesichtspunkten zu prüfen und Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten zu behandeln. Auch dafür wurde ein besonderer Ausschuß eingesetzt. Die Bundesregierung arbeitet gegenwärtig ihrerseits Vorschläge aus, die sie in Kürze mit den beauftragten Außenministern diskutieren wird.
Bei allem, was wir auf diesem Gebiete tun, sollte nach unserer Ansicht der Grundsatz, daß Aktion besser ist als Reaktion, befolgt werden. Unmittelbare Reaktionen auf Einzelmaßnahmen des Sowjetblocks sollten nur in besonderen, politisch begründeten Ausnahmefällen erfolgen, und die Mittel dazu werden andere sein müssen.
Was uns von diesen Methoden unterscheidet, ist das unbedingte Festhalten am Prinzip der Freiheit. Mag auch die Befehlswirtschaft des Ostens dank ihrer straffen Leitung vorübergehende Erfolge buchen können, — wir sollten doch das Vertrauen haben, daß eine in ihren Grundzügen freie Wirt-
schafts- und Handelspolitik zu einer besseren, cl. h. für beide Teile fruchtbareren Partnerschaft mit den angesprochenen Ländern führen wird.
Indessen wird es dazu einiger staatlicher Hilfe bedürfen, die nach meiner Auffassung sowohl von nationaler Seite als auch von internationalen Organisationen kommen sollte.
Wir Deutsche bringen — ich darf es wohl sagen
— eine Reihe günstiger Voraussetzungen für den Erfolg solcher Bemühungen mit. Man wird uns im allgemeinen machtpolitische Motive nicht unterschieben. Der schnelle Wiederaufbau unserer Wirtschaft hat zudem das Vertrauen in unsere wirtschaftlichen und technischen Fähigkeiten gestärkt. Auch auf dem Gebiete der technischen Hilfe und Erziehung erwartet man von uns einen wesentlichen Beitrag.
Leider, meine Damen und Herren, beginnt sich hier der empfindliche Kräftemangel bei uns bemerkbar zu machen, dem bald abgeholfen werden muß.
Andere Länder — ich darf etwa an Holland oder Dänemark erinnern — sind auf diesem Gebiet außerordentlich aktiv, und ich glaube, daß wir diese neuartige Form der Kontaktpflege zu diesen in einer stürmischen Entwicklung begriffenen Ländern, die neben dem handelspolitischen auch ein bedeutsames kulturpolitisches Moment enthält, stärker als bisher aktivieren sollten. Wir sollten in größerem Maße als bisher ausländischen Stipendiaten und Praktikanten Gelegenheit geben, an deutschen Hoch- und Fachschulen sowie durch praktische Arbeit in deutschen Betrieben ihre Fachkenntnisse zu erweitern.
Ich bin sicher, daß solche Maßnahmen auf längere Sicht wirtschaftliche und nicht zuletzt auch politische Früchte tragen werden.
— Meine Damen und Herren, ich wollte gerade unterstreichen, wie dankbar ich für das Verständnis des Parlaments in dieser Frage bin.
— Ich glaube, daß sich auch meine Fraktion dieser Hilfe nicht entziehen wird.
Aber machen Sie mir die Sache nicht zu schwer! Ich habe neulich von der Verpflichtung gesprochen, die mir auferlegt ist.
Dieses Interesse an den Entwicklungsländern ist in erster Linie ein gemeinsames, und die zahlreichen internationalen Organisationen bieten Möglichkeiten, die Zusammenarbeit zu verbessern. Man sollte dabei die Initiative so dynamischer und aufstrebender Staaten wie etwa Indiens, Ägyptens, Indonesiens mit ernsthaftem Verständnis für die speziellen Probleme dieser Volkswirtschaften und Länder betrachten.
Der politischen Gleichschaltung, die aus dem Osten kommt, sollte die freie Welt eine auf Achtung und Verständnis füreinander und gegenüber diesen Entwicklungsländern und auf den gemeinsamen Grundauffassungen beruhende Geschlossenheit des Auftretens und Handelns entgegensetzen. Die Bundesregierung wird sich an allen Bemühungen auf diesem Gebiete sehr ernsthaft beteiligen.
Ich erwähnte soeben im Zusammenhang mit der augenblicklichen sowjetrussischen Taktik das Problem der Abrüstung. Ich möchte auf diese Frage hier noch einmal eingehen. Wie Sie wissen, sind die Verhandlungen des Abrüstungsunterausschusses der Vereinten Nationen, die kürzlich in London stattgefunden haben, wiederum ohne greifbaren Erfolg beendet worden. Im Gegensatz zu der Auffassung Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, daß eine Abrüstung nur stattfinden kann, wenn vorher oder spätetsens zugleich mit ihr die bestehenden politischen Streitfragen, insbesondere die deutsche Frage, gelöst werden, vertrat die Sowjetunion die Auffassung, daß das Abrüstungsproblem für sich allein gelöst werden soll. Noch im Mai 1955 hat die Sowjetregierung selber in ihrem damaligen aufsehenerregenden Vorschlag eine Abrüstungsvereinbarung von der vorherigen Lösung politischer Fragen abhängig gemacht, und noch nach dem Scheitern der letzten Londoner Verhandlungen, nämlich am 6. Mai dieses Jahres, hat der Leiter der sowjetrussischen Delegation, Herr Gromyko, in einem TASS-Interview diesen Vorschlag vom vorigen Jahr ausdrücklich aufrechterhalten. Wenn nun neuerdings seitens der sowjetischen Regierung erklärt wird — ich darf auf die Erklärung vom 14. Mai verweisen, die auch den Briefen des sowjetrussischen Ministerpräsidenten Bulganin vom 6. Juni beilag —, man müsse die Abrüstung doch für sich und isoliert von den anderen Problemen durchführen, so kann eine so widerspruchsvolle Argumentation nur mit Bedauern, wenn nicht mit Mißtrauen hinsichtlich der Aufrichtigkeit der Bereitschaft zur Abrüstung hingenommen werden.
Der Ablauf der Verhandlungen in London gibt uns, was die Verknüpfung der Abrüstungsfragen mit den zu regelnden politischen Fragen angeht, keinen Anlaß, irgendwelche Bedenken anzumelden. Sie werden sich erinnern, daß das Thema „Abrüstung" noch während der letzten Genfer Konferenz nicht unmittelbar mit dem ersten Konferenzthema „Europäische Sicherheit und Deutschland" verknüpft war, daß aber im Verlauf dieser letzten Verhandlungen in London von den dort vertretenen Westmächten nunmehr eindeutig und formell ein Junktim zwischen der Durchführung einer Abrüstungsvereinbarung und der gleichzeitigen Einleitung von Maßnahmen für die deutsche Wiedervereinigung hergestellt worden ist. Diese Haltung unserer westlichen Verbündeten hat die Bundesregierung begrüßt. Es zeigen sich hier die praktischen Auswirkungen des uns gegebenen Versprechens, für die Wiedervereinigung unseres Volkes einzutreten.
Es handelt sich dabei, wie ich wohl kaum noch einmal betonen muß, nicht darum, daß nach Auffassung der Bundesregierung keinerlei Abrüstungsvereinbarung getroffen werden dürfte, bevor nicht die Wiedervereinigung herbeigeführt ist. Eine
solche Forderung würde weit über das Ziel hinausgehen. Was von uns und von unseren Alliierten vielmehr angestrebt wird, ist dieses: wenn es zu einer Vereinbarung über eine weltweite Abrüstung kommt, so sollen in dieser Vereinbarung, und zwar eingebaut zwischen die einzelnen Phasen der Einleitung und Durchführung, Maßnahmen für eine gleichzeitige Einleitung der Wiedervereinigung vorgesehen werden, von deren Durchführung die Ausführung der Abrüstungsvereinbarung allerdings abhängen wird. Denn eine wirksame, von allen Beteiligten anerkannte und durchgeführte Abrüstung ist auf der Grundlage einer fortdauernden Teilung Deutschlands schlechthin undenkbar.
Kurz nach Beendigung der Londoner Verhandlungen hat nun die sowjetrussische Regierung mit einer Erklärung vom 14. Mai einseitige Abrüstungsmaßnahmen angekündigt. Diese Erklärung ist, wie ich schon sagte, auch den Briefen beigefügt, die der Ministerpräsident Bulganin am 6. Juni an die Regierungschefs von sieben NATO-Staaten gerichtet hat. Wie Sie aus dem Abschlußkommuniqué über den Besuch des Herrn Bundeskanzlers in Amerika ersehen, war man sich auch dort darüber einig, daß die sieben Regierungen die Beantwortung dieses Briefes miteinander und mit ihren NATO-Partnern beraten sollten. Diese Beratungen sind seit einer Woche in Paris im Gange.
Schon durch die Tatsache dieser gemeinsamen Beratung wird manifestiert, daß die sieben Adressaten nicht daran denken, auch nur den Versuch einer Aufsplitterung auf sich wirken zu lassen, sondern daß sie es vielmehr als eine selbstverständliche Pflicht betrachten, die Grundzüge der Antwort im Rahmen des atlantischen Bündnisses zu besprechen. Die Formulierung im einzelnen wird dann der jeweiligen Regierung überlassen bleiben. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich dem Ergebnis dieser Beratungen heute nicht vorgreifen möchte.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu der Deutschlandpolitik der Sowjetunion und möchte ausdrücklich feststellen, gerade auch gegenüber einer, wie ich glaube, nicht immer objektiven Kritik, daß die Bundesregierung an einer Verbesserung ihres Verhältnisses zur Sowjetregierung um des Friedens, um der Sicherheit und um der Wiedervereinigung willen aufrichtig interessiert ist.
Sie weiß, daß die Wiedervereinigung Deutschlands
nicht gegen die Sowjetunion ertrotzt werden kann.
Die Bundesregierung ist auch weit davon entfernt, jede Änderung der sowjetrussischen Politik oder Wandlungen in den inneren Verhältnissen in der Sowjetunion zu ignorieren. Sie kann aber für die deutsche Beurteilung der sowjetischen Politik kein anderes Kriterium annehmen als die sowjetische Deutschlandpolitik schlechthin.
Diese Politik fand leider zuletzt ihren Ausdruck in der TASS-Erklärung vom 21. Juni 1956, die eine klare Absage an die Verpflichtung der Sowjetunion enthält, die Wiedervereinigung Deutschlands zusammen mit den drei Westmächten herbeizuführen.
Erlauben Sie mir, Ihnen in kurzen Zügen die Entwicklung innerhalb dieses letzten halben Jahres aufzuzeigen, des letzten halben Jahres seit der letzten Regierungserklärung in dieser Frage.
Ausgangspunkt der neueren sowjetischen Politik ist die erste Genfer Konferenz der vier Großmächte im Juli 1955. Im Schlußkommuniqué dieser Konferenz haben die Regierungschefs hinsichtlich Deutschlands festgestellt:
In Anerkennung ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Regelung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands haben sich die Regierungschefs darüber geeinigt, daß die Regelung der Deutschlandfrage und die Wiedervereinigung Deutschlands im Wege freier Wahlen im Einklang mit dem nationalen Interesse des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit erfolgen muß.
Dieses Schlußkommuniqué lag der zweiten Genfer Konferenz zugrunde. Dieses erneute Bekenntnis auch des sowjetischen Regierungschefs, die Wiedervereinigung durch freie Wahlen herbeiführen zu wollen, war ein ermutigendes Zeichen.
Marschall Bulganin hat, als der Herr Bundeskanzler ihn während der Moskauer Verhandlungen auf die völkerrechtliche Verpflichtung der Sowjetregierung ansprach, die Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen, am 10. September selbst erklärt:
Hier war von den Verpflichtungen die Rede, die die vier Mächte in bezug auf die Lösung des Deutschlandproblems übernommen haben. Man kann nicht umhin, dem zuzustimmen.
— Ich überlasse es Ihnen, das vorzutragen, Herr Kollege.
Die sowjetische Regierung hat damit ein weiteres Mal ihre völkerrechtliche Verpflichtung zur Wiedervereinigung Deutschlands anerkannt.
Am 8. November 1955 aber hat der damalige sowjetische Außenminister Molotow diese feierlich anerkannte Verpflichtung der Sowjetregierung mit einer Handbewegung vom Tische gefegt, indem er erklärte, daß die mechanische Verschmelzung der beiden Teile Deutschlands durch sogenannte freie Wahlen zur Verletzung der ureigensten Interessen der Werktätigen der „DDR" führen würde, „was nicht akzeptiert werden kann" — ich zitiere wörtlich.
Molotow hat in der gleichen Rede die weitreichenden und als Diskussionsgrundlage gedachten Sicherheitsvorschläge des Westens nicht einmal der näheren Erörterung für wert befunden. Diese starre Haltung der Sowjetregierung war für das Scheitern der zweiten Genfer Konferenz verantwortlich. Das Kriterium für die Sinnesänderung in der Sowjetunion muß für die deutsche Politik — ich wiederhole es — die sowjetische Haltung zur Wiedervereinigung sein.
Bei ihrem Besuch in London und gegenüber ihren französischen Gästen in Moskau haben die sowjetrussischen Staatsmänner erneut ihre unnachgiebige Haltung in der Wiedervereinigungsfrage betont. Sie gingen so weit, sich für unzuständig zu
erklären, ohne Ermächtigung durch die sogenannte Regierung der DDR über die Wiedervereinigung auch nur zu sprechen. Die Bundesregierung kann in der sowjetischen Verweisung auf Regierungsverhandlungen zwischen Bonn und Pankow nichts anderes sehen als den Versuch, sich der klaren moralischen Verantwortung und rechtlichen Verpflichtung zur Wiedervereinigung zu entziehen und Bedingungen aufzustellen, die für das freie Deutschland unannehmbar sind.
Es wird hier klar oder doch sichtbar, daß in der außenpolitischen Konzeption der Sowjetunion der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik" nicht nur strategisch, sondern auch politisch und ideologisch eine entscheidende Schlüsselfunktion für die Ausbreitung des Kommunismus in Europa zugewiesen bleibt. Für die sowjetische Politik gegenüber der sogenannten „DDR" ist vor allem die Erhaltung des dortigen Systems bestimmend, das durch freie Wahlen beseitigt werden würde.
Die Abkehr vom Stalinismus hat sich bisher zumindest im Verhältnis zu Deutschland leider nur als die Ersetzung einer diktatorialen Alleinherrschaft durch die Diktatur einer Führungsgruppe erwiesen. Der von der Sowjetunion besetzten Zone Deutschlands hat sie keine Befreiung von ihren illegitimen Machthabern und deren Terrormethoden gebracht.
Das Programm einer friedlichen Koexistenz muß — ich bedauere, es sagen zu müssen — für uns so lange unglaubwürdig bleiben, als die sowjetrussischen Staatsmänner an der Unterdrükkungspolitik aus der Herrschaftszeit Stalins in Deutschland festhalten.
Die Sowjetunion versucht seit geraumer Zeit, die internationale Anerkennung der sogenannten „DDR" durchzusetzen. Sie will auf diese Weise die völkerrechtliche Sanktionierung der Spaltung Deutschlands erreichen. Aber die Bundesregierung hat seit der Konstituierung eines mit dem Anspruch auf Eigenstaatlichkeit auftretenden Machtapparats in der sowjetisch besetzten Zone konsequent die Auffassung vertreten, daß dieses Gebilde keine völkerrechtliche Anerkennung finden darf. Sie stützt ihren Anspruch, in internationalen Angelegenheiten das ganze deutsche Volk zu vertreten, auf die Tatsache, daß sie die einzige frei gewählte Regierung Deutschlands ist, während sich das Regime von Pankow nur durch Gewaltmethoden an der Macht zu halten und seine faktische Herrschaftsgewalt nur unter dem Schutz und mit der Unterstützung eines fremden Staates auszuüben vermag.
Diesem Regime fehlt daher das für jede stabile und dauerhafte staatliche Herrschaft unerläßliche Mindestmaß an Zustimmung und Rückhalt in der Bevölkerung.
Es fehlt ihm das für einen souveränen Staat unerläßliche Mindestmaß von Unabhängigkeit gegenüber jeder auswärtigen Macht. Es fehlt ihm endlich die für jedes Mitglied der Völkerrechtsgemeinschaft unerläßliche Vertrauenswürdigkeit in bezug auf seine Bereitschaft, die Regeln des internationalen Rechts zu respektieren.
Eine Anerkennung dieser „DDR" ist unter keinem Gesichtspunkt zu verantworten. Sie wäre für die deutsche Einheit ebenso verhängnisvoll wie für das Schicksal der Zonenbevölkerung und darüber hinaus für eine gesunde Entwicklung der europäischen Staatenordnung und der internationalen Beziehungen.
Es ist leider ein weit verbreiteter Irrtum, dem ich hier entgegentreten will, anzunehmen, daß es sich für die Bundesregierung dabei lediglich um eine Prestigefrage oder um einen juristischen Formalismus handle. Es geht in Wahrheit um eine emiment politische Frage.
Die Anerkennung der „DDR" bedeutet die völkerrechtliche Anerkennung der Teilung Deutschlands in zwei Staaten. Die Wiedervereinigung ist dann nicht mehr die Beseitigung einer vorübergehenden Störung im Organismus unseres gesamtdeutschen Staates. Sie verwandelt sich dann vielmehr in die unendlich viel schwierigere Aufgabe, zwei verschiedene deutsche Staaten zu vereinigen. Würde die Bundesrepublik mit dieser Anerkennung vorangehen, so würde sie selbst dazu beitragen, daß Europa und die Welt das Bewußtsein für die Anomalie des gegenwärtigen Zustandes verlieren und sich mit ihm abfinden würde.
Sie würde die vier Mächte aus ihrer Verantwortung für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands entlassen, die bisher stets auch die Sowjetunion anerkannt hat. Statt dessen würde sie Herrn Ulbricht und Herrn Grotewohl ein Vetorecht gegen die Wiedervereinigung Deutschlands einräumen. Darüber hinaus würde die Anerkennung der „DDR" den Verzicht der Bundesrepublik auf ihren Anspruch bedeuten, Sprecher des ganzen deutschen Volkes zu sein, eines Anspruchs, der in unserer Verfassung erhoben wird und dem sich, wie ich glaube, keine Bundesregierung entziehen darf. Der politische Nutzen, den das derzeitige Regime aus diesem Verzicht der Bundesrepublik und aus einer internationalen Anerkennung ziehen würde, könnte die Sowjetunion nur darin bestärken, dieses Regime zu stützen und die Teilung Deutschlands aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus bedarf es wohl kaum einer Erläuterung, was die Anerkennung für die Bevölkerung in der Zone bedeuten würde. Der Geist des Widerstandes würde einen ebenso vernichtenden Schlag erhalten wie die Hoffnung auf baldige Befreiung von dem Joch eines verhaßten Systems.
Alle diese Erwägungen zwingen uns, in dieser Frage eine feste und unbeirrbare Haltung einzunehmen. Die Anerkennung der „DDR" durch dritte Staaten müßte von der Bundesregierung als Zustimmung zu der unrechtmäßigen Abspaltung eines Teiles des deutschen Hoheitsgebietes und als Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten angesehen werden.
Die staatliche Einheit Deutschlands ist rechtlich nicht untergegangen. Das gesamte deutsche Volk will nur einen deutschen Staat, und auch in ,der
„DDR" lehnt die Bevölkerung die staatliche Verselbständigung Mitteldeutschlands ab und bekennt sich zur Einheit der staatlichen Gemeinschaft des ganzen deutschen Volkes.
Die Bundesregierung kann mit Befriedigung feststellen, daß dieser Standpunkt in der Welt ganz überwiegend respektiert worden ist. Von allen Staaten der Welt — ich glaube, es sind etwa 90 — haben bisher nur die Sowjetunion, die osteuropäischen Satellitenstaaten sowie Rotchina die „DDR" anerkannt. In allen großen internationalen Organisationen ist es die Bundesrepublik, welche allein die Rechte Deutschlands wahrnimmt. Die Bundesregierung weiß es dankbar zu schätzen, daß sich alle in ihren Entschließungen freien Nationen an diese Rechtslage gehalten haben. Sie kann aber auch nicht umhin, erneut klarzustellen, daß sie auch in Zukunft die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der sogenannten „DDR" durch dritte Staaten, mit denen die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen unterhält, als einen unfreundlichen Akt ansehen müßte, der die Spaltung Deutschlands vertiefen und verhärten würde. Die Bundesregierung müßte in einem solchen Falle ihre Beziehungen zu dem betreffenden Staat einer Überprüfung unterziehen.
Diese Auffassung bestimmt unsere Haltung zu den Fragen der europäischen Sicherheit und des Weltfriedens. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß Deutschland einem europäischen Sicherheitssystem angehören sollte. Ein wirksames europäisches Sicherheitssystem setzt aber ein handlungsfähiges und freies Gesamtdeutschland voraus. Auf dem Boden der These der Realität zweier deutscher Staaten kann ein europäisches Sicherheitssystem schlechthin nicht errichtet werden.
Der Beitritt Gesamtdeutschlands zu einem solchen System würde andererseits deutlich machen, daß Deutschland keine Konflikte sucht und keinem seiner Nachbarn gegenüber feindlich gesinnt ist. Man wird vom deutschen Volk allerdings nicht ernstlich verlangen können, daß es seinen politischen Standort wechselt. Das deutsche Volk bekennt sich zur freien Welt und zu den Grundbegriffen der staatlichen Ordnung, wie sie dort allgemein Geltung haben.
Das Bekenntnis zur Freiheit bringt uns naturgemäß in einen gewissen ideologischen Gegensatz zu denjenigen, die Freiheit und demokratische Ordnung ablehnen oder bekämpfen. Aber daraus können doch wohl nur Böswillige auf eine feindselige Haltung gegenüber anderen Völkern schließen.
Das deutsche Volk will in einer nach innen und außen gesicherten demokratischen Freiheit und als unlösbarer Bestandteil der freien Welt seine Zukunft gestalten. Es wird aber auch jede europäische oder Weltorganisation unterstützen, die den Frieden sichert und die zu einer aufrichtigen und dauerhaften Koexistenz führt auch mit solchen Staaten und Völkern, die andere Lebensformen in ihrer staatlichen Ordnung für sich wünschen.
Daraus ergibt sich auch das Verhältnis zu den sogenannten Satellitenstaaten und zu dem Problem der Ostgrenzen. In der letzten Zeit ist verschiedentlich die Frage erörtert worden, ob es zweckmäßig und möglich sei, Beziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten Deutschlands aufzunehmen. Die Bundesregierung hat dieses Problem wiederholt eingehend geprüft, und sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß diplomatische Beziehungen zu diesen Staaten unter den augenblicklichen Umständen nicht aufgenommen werden können. Das bedeutet nicht, daß die Bundesregierung an der Herstellung normaler Beziehungen zu diesen Staaten uninteressiert wäre. Diese Staaten gehen ja doch davon aus, daß die Teilung Deutschlands und die Existenz zweier deutscher Staaten eine Realität sei, die man im internationalen Verkehr anerkennen müsse.
— Ich glaube, Herr Kollege Schmid, Sie waren selber in Moskau zugegen und haben ja an den Gesprächen teilgenommen. Sie werden wohl nicht bestreiten, Herr Kollege Schmid, daß es ein legitimes und ehrliches Bedürfnis war, mit der Sowjetunion als dem vierten Staat in Berührung zu kommen, der die Teilung Deutschlands beseitigen kann. Das Verhältnis zu anderen Staaten ergibt sich, glaube ich, auf einer anderen Grundlage.
Und ich darf daran erinnern, Herr Kollege Schmid, daß in der Berichterstattung, die der Herr Bundeskanzler hier im Parlament gegeben hat, und auch in meiner Regierungserklärung vom 2. Dezember sehr wohl — und, ich glaube, auch ohne Widerspruch von Ihnen zu finden — darauf hingewiesen worden ist, welche Gründe es waren, die uns veranlaßt haben, diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufzunehmen, und daß diese Gründe andere waren als solche, die uns bestimmen könnten, das gleiche mit den Satellitenstaaten zu tun. Ich meine sogar, Herr Kollege Schmid, daß Sie damals der gleichen Auffassung waren. Aber wie gesagt, wir können darüber diskutieren.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Reaktion verweisen, die ein Interview gefunden hat, das ein Mitglied dieses Hauses vor kurzem einer polnischen Zeitung gegeben hat. Der Befragte hat in diesem Interview ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen die Anerkennung des Anspruchs Deutschlands auf seine staatliche Einheit vorangehen müsse. Die Reaktion unmißverständlich. Die Antwort lautete, das Bestehen zweier deutscher Staaten sei schließlich eine Tatsache.
Diese Haltung der Staaten des Sowjetblocks zwingt die Bundesregierung zu der klaren Feststellung, daß sie diplomatische Beziehungen zu diesen Ländern nicht aufzunehmen vermag, ohne ihren Anspruch auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands aufzugeben.
Die Bundesregierung hält aber auch ihre klare Einstellung zu der Frage der Grenzziehung im Osten unverändert aufrecht. Ich lege auf diese Feststellung besonderen Wert, da eine Äußerung, die ich auf einer Pressekonferenz in London machte, zu falschen Interpretationen Anlaß gab. Die Bundesregierung hat sich niemals mit der Teilung Deutschlands abgefunden. In voller Übereinstimmung mit dem erklärten Willen des ganzen deutschen Volkes hat sie immer wieder darauf hingewiesen, daß das Deutsche Reich in seinen Grenzen von 1937 fortbesteht und daß einseitige Entscheidungen, die in den Jahren nach dem völligen Zusammenbruch getroffen wurden, vom deutschen Volke nicht anerkannt werden.
Das Recht auf die Heimat und das Selbstbestimmungsrecht sind unabdingbare Voraussetzungen für die Lösung des Schicksals der in der Vertreibung oder in der Unfreiheit lebenden Menschen und Völker. Darum hat die Bundesregierung auch immer wieder feierlich erklärt, daß die Lösung des Problems der deutschen Ostgrenzen einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben muß, zu dessen Abschluß nur eine vom ganzen deutschen Volk demokratisch legitimierte gesamtdeutsche Regierung berechtigt sein kann.
Diese Erklärung steht keineswegs im Gegensatz zu der wiederholt bekräftigten Feststellung, daß weder die Bundesregierung noch das deutsche Volk jemals ihren Rechtsanspruch mit Hilfe von Gewalt verwirklichen werden. Diesem Gedanken habe ich am 1. Mai dieses Jahres in London Ausdruck gegeben. In der Herstellung eines dauerhaften Friedenszustandes auf der Grundlage des Rechts und der Gerechtigkeit zwischen Deutschland und seinen Nachbarn sieht die Bundesregierung eine wahrhaft europäische Aufgabe, und von diesem Geiste nachbarschaftlicher Verständigung ist auch die Charta der deutschen Heimatvertriebenen beseelt, die am 5. August 1950 in Stuttgart beschlossen wurde. Die berufenen Vertreter von Millionen deutscher Heimatvertriebenen haben damals nicht nur das Recht auf Selbstbestimmung und Heimat bekräftigt, sie haben auch — ich zitiere wörtlich — „den ernsten und heiligen Beschluß bekundet, auf jede Rache und Vergeltung zu verzichten im Gedanken an das unendliche Leid, welches das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat." Darum glaubt auch die Bundesregierung den Beschlüssen einer zukünftigen gesamtdeutschen Regierung nicht vorzugreifen, wenn sie stellvertretend für das ganze deutsche Volk die Versicherung des aufrichtigen Willens zur Verständigung auch mit den osteuropäischen Nachbarvölkern abgibt.
— Dann werden wir morgen darüber sprechen können, Herr Kollege. — Die Bundesregierung unterstreicht damit den entscheidenden Leitsatz ihrer gesamten Außenpolitik, die Lösung aller streitigen Fragen durch friedliche Vereinbarungen zwischen freien Völkern zu suchen, deren Zusammenleben nicht von Gefühlen des Hasses, des Mißtrauens und der Vergeltung, sondern von dem aufrichtigen Wunsch nach Frieden und gemeinsamer Wohlfahrt gestaltet werden soll.
Damit komme ich zu dem besonderen deutschen Anliegen. Die Spaltung bedeutet die willkürliche Zerreißung eines durch Geschichte, Kultur, Lebensart, Familienbande und gemeinsame Ideale geeinten Volkskörpers. Darum bedeutet die Wiedervereinigung für uns alle auch zunächst ein menschliches Problem, das uns bewegt. Darüber hinaus aber stellt uns die Tatsache der Trennung auch eine politische Aufgabe; denn es ist unerträglich und durch kein Argument zu rechtfertigen, daß einem großen europäischen Volk ein gemeinsames Leben und Wirken in Freiheit verweigert wird.
Darum ist es auch nicht nur ein deutsches Anliegen, das wir vertreten. Alle Nationen der Welt, die sich dem Ethos der Freiheit und des Rechts verpflichtet fühlen, müssen dieses Anliegen verstehen und seine Lösung mit allen Kräften fördern. Die Vernunft muß hier die Aktion bestimmen; denn das gespaltene Deutschland ist ein gefährlicher Unruheherd im Herzen Europas und im Schnittpunkt weltpolitischer Interessengegensätze, ohne dessen Beseitigung es weder Sicherheit noch Frieden geben wird. Aber nicht minder sollte auch das Gefühl der sittlichen Verpflichtung in allen Völkern leben und sie bestimmen, das Ihrige dazu beizutragen, daß ein Unrechtstatbestand beseitigt wird, der nicht nur das deutsche Volk seelisch belastet, sondern der jeden in Unruhe versetzen muß, der sich zu den immanenten Wertbegriffen bekennt, die in den Worten „Freiheit" und „Recht" nur einen ungenügenden Ausdruck finden.
Es ist begreiflich, meine Damen und Herren, daß Politiker aller Richtungen und in allen Ländern nach Lösungsmöglichkeiten suchen und Pläne und Projekte zur öffentlichen Diskussion stellen. Aber die Bundesregierung glaubt auch heute mit Ernst 'und Nachdruck davor warnen zu müssen, eine Aktivität um ihrer selbst willen zu entfalten.
Den irrealistischen Plänemachern gesellen sich allzuleicht ungebetene Helfershelfer bei, denen es nicht darum geht, Ruhe und Ordnung zu schaffen, sondern darum, Unruhe und Unordnung zu steigern.
Pläne, die nicht hinreichend durchdacht sind, die der Emotion des Augenblicks oder der leidenschaftlichen und darum vielleicht nicht immer sachlichen Diskussion von politischen oder sachlichen Gegensätzen ihre Entstehung verdanken, können zu gefährlichen Ergebnissen führen. Wer die Einheit des deutschen Volkes fordert — und wir tun es alle —, aber darüber vergißt oder verschweigt, daß er damit die Freiheit des ganzen deutschen Volkes gefährdet, wagt ein gefährliches Spiel.
Die Bundesregierung hat darum auch alle Pläne und Vorstellungen, die in letzter Zeit vorgebracht wurden, sorgfältig geprüft, und ich möchte zu den Fragen Stellung nehmen, die dabei aufgeworfen wurden. Die Bundesregierung und alle Parteien dieses Hohen Hauses haben es in der Vergangenheit übereinstimmend abgelehnt, politische Verhandlungen über die Wiederherstellung der deutschen Einheit mit der Regierung von Pankow zu
führen. Die Gründe für diese Haltung ergeben sich im wesentlichen aus dem, was ich bereits ausgeführt habe; und die Bundesregierung ist überzeugt, daß in dieser gemeinsamen Haltung eine Änderung nicht eingetreten ist. Darum hat aber die Bundesregierung auch ernste Bedenken gegen Vorschläge, die solche unmittelbaren Verhandlungen mit der Regierung von Pankow zum Ziel haben, und ist darum auch nicht bereit, diesen Vorschlägen näherzutreten. Das gilt auch für einige gewissermaßen modifizierte Vorschläge, die etwa solche Verhandlungen davon abhängig machen wollen, daß die Bundesrepublik von den Westmächten und die sogenannte Regierung in Pankow von der Sowjetunion zu solchen Verhandlungen ermächtigt werden sollen.
Die Bundesregierung legt Wert darauf, gegen solche Pläne eindeutig Stellung zu nehmen. Sie laufen in letzter Konsequenz nach Überzeugung der Bundesregierung darauf hinaus, sowohl die Westmächte als auch insbesondere die Sowjetunion aus der gemeinsamen politischen, rechtlichen und moralischen Verantwortung für die Wiedervereinigung zu entlassen,
einer Verantwortung, die von den Westmächten niemals bestritten und sogar von der Sowjetunion — ich sagte es schon — wiederholt anerkannt wurde. Solche unmittelbaren Verhandlungen würden weiter eine ausdrückliche Anerkennung der Zone als ein im Sinne des Völkerrechts handlungsfähiges Staatswesen in sich schließen, und auch Vorbehalte, die sich gegen eine derartige Auslegung wenden würden, würden an dieser Tatsache wohl wenig ändern.
Aber, meine Damen und Herren, gehen solche Vorschläge nicht von der utopischen Vorstellung aus, daß ein Bestandteil des sowjetrussischen Machtbereichs jemals eine echte politische Handlungsfreiheit besitze oder erlangen werde?
Ich kann mir im Ernst nicht vorstellen, daß jemand der Meinung sein könnte, eine sogenannte Vollmacht der Regierung der Sowjetunion ändere an diesem Zustand etwas. Darüber hinaus hieße es wohl auch die Regierung von Pankow überfordern, wenn man ihr eine solche Aufgabe zuweisen wollte.
Die Wiedervereinigung des deutschen Volkes wird, wenn sie wirklich in Freiheit erfolgen soll, durch die Entscheidung des deutschen Volkes vollzogen werden. Wie diese Entscheidung lauten wird, ist nicht zweifelhaft.
Bundestag und Bundesregierung als Organe und Institutionen einer freiheitlichen Demokratie haben eine solche Entscheidung nicht zu befürchten. Wie immer sie für einzelne Parteien, Gruppen oder Personen ausfallen würde, wir wissen alle, daß das deutsche Volk sich mit einer überwältigenden Mehrheit zu den Grundsätzen eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates bekennen würde.
Dieses Bekenntnis wäre in jedem Fall gleichbedeutend mit einer Absage an die Menschen und die
Methoden, die heute das Gesicht der sowjetisch besetzten Zone bestimmen.
Sollte jemand ernstlich glauben, meine Damen und Herren, daß die Regierung von Pankow bereit wäre, einer Vereinbarung zuzustimmen, die diese unausweichlichen Konsequenzen für sie selbst herbeiführen würde?
Noch ein letzter Einwand. Noch auf der ersten Genfer Konferenz haben — ich sagte es schon — sich die Vier Mächte zur Wiedervereinigung im Wege freier Wahlen bekannt. Sollen wir ernstlich diejenigen über das Schicksal des deutschen Volkes entscheiden lassen, die in der sowjetisch besetzten Zone den demokratischen Grundsatz freier Wahlen zu einer unwürdigen Farce herabgewürdigt haben? Mir scheint dieser offensichtlich aus der Emotion des Augenblicks geborene Vorschlag tatsächlich ein Beispiel dafür zu sein, wie die so häufig beschworene Initiative in der Frage der Wiedervereinigung nicht verwirklicht werden darf.
Ich habe schon auf die einmütige Haltung des Bundestages in der Frage des Verhältnisses zur Regierung in der Sowjetzone hingewiesen. Lassen Sie mich zur Bekräftigung dieser Feststellung an eine Rede erinnern, die in diesem Hause und an dieser Stelle von dem verstorbenen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, Herrn Dr. Kurt Schumacher, gehalten wurde. Ich tue es nicht, um eine bequeme und billige Argumentation zu finden. Ich tue es, um diese Gemeinsamkeit der Überzeugung und des Wollens in die Erinnerung zu rufen, die in diesem Hause damals vorhanden war und die, davon bin ich überzeugt, auch heute noch vorhanden ist. Am 9. März 1951 erklärte Herr Dr. Kurt Schumacher:
Die Ostzonenverwaltung ist nur der Bestandteil eines Satellitensystems, in dem es nur einen Willen gibt, nämlich den Willen des zentralen Auftraggebers und Herrschers, der Sowjetunion. Das System von Pankow ist die völlige Entdeutschung und die völlige Sowjetisierung der Politik. Die angebliche deutsche Initiative aus dem Osten für die Einheit ist ein Bestandteil der nationalrussischen Außenpolitik.
Er sprach dann über die subversive Rolle der Satellitenparteien in der sowjetischen Besatzungszone, die die Aufgabe hätten, in gewissen Schichten des deutschen Volkes in der Bundesrepublik ein Geraune und Gewisper zu erzeugen, daß Sowjetrußland ganz besondere, für die Deutschen außerordentlich positive Maßnahmen plane.
Er fügte dann beschwörend hinzu:
Es ist das alte Unglück in unserem Lande, daß unser extremster Nationalismus in den Stunden der großen Gefahr nicht national genug im einfachen, anständigen Sinne des Wortes gewesen ist.
Wir haben oft in diesem Hause hart und leidenschaftlich um die richtige politische Entscheidung gerungen. Aber gerade die Erinnerung an dieses
gemeinsame Bemühen scheint mir die Rechtfertigung zu sein,
uns einer solchen Äußerung zu erinnern. — Herr Kollege, ich glaube, daß unsere Verträge nichts geändert haben an der Beurteilung des Systems der Sowjetzone.
— Das ist Auffassungssache.
Hier kann auch niemand antworten, daß sich die Verhältnisse in der Sowjetzone etwa seit damals geändert hätten. Ob sich in der Sowjetunion eine Änderung der politischen Auffassung abzeichnet oder nicht, — wir wissen es noch nicht. Was wir aber wohl wissen, ist, daß sich eine Änderung in der sowjetisch besetzten Zone in den vergangenen sechs Jahren nur zum Schlechteren vollzogen hat.
Das Ausmaß des Terrors und die Formen der Unterdrückung jeder freiheitlichen Regung sind grausamer und unerbittlicher geworden, als wir alle es uns im Jahre 1951 hätten vorstellen können.
Andere meinen, daß der Abzug der Besatzungstruppen aus der Bundesrepublik und aus der sowjetisch besetzten Zone die Wiedervereinigung erleichtern könne; es öffne den Weg zu freien Wahlen, wenn die Bundesrepublik aus der NATO und die Sowjetzone aus dem Warschauer Pakt ausscheiden würden. Das wiedervereinigte Deutschland könne dann in ein europäisches Sicherheitssystem eingeordnet werden. Die Bundesregierung glaubt auch vor solchen Vorstellungen warnen zu sollen. Diesen Weg gehen heißt nach Überzeugung der Bundesregierung, praktisch die wesentliche Entscheidung auszuklammern oder ihre Beantwortung auf unbestimmte Zeit zu verschieben, nämlich die Entscheidung über die Frage, wie und unter welchen Voraussetzungen sich die Wiedervereinigung vollziehen soll. Dieser Vorschlag bedeutet in letzter Konsequenz, der sogenannten Regierung in der Sowjetzone die Entscheidung über das Ob, über das Wann und das Wie der Wiedervereinigung zu überlassen. Die Verwirklichung eines solchen Vorschlages bedeutet darüber hinaus, im Herzen des europäischen Kontinents und gerade an der Stelle, wo machtpolitische, aber auch ideologische Gegensätzlichkeiten auftreten, ein Vakuum zu schaffen. Es bedarf keiner ausschweifenden Phantasie, um sich vorzustellen, wer dieses Vakuum ausfüllen würde.
Schließlich mehren sich in letzter Zeit auch wieder die Stimmen, die für Gesamtdeutschland eine vor der Wiedervereinigung vereinbarte Bündnislosigkeit vorschlagen und die glauben, daß man den Weg für eine Revision der bestehenden Verträge oder den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO bereiten müsse.
Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß die Bundesregierung nicht gewillt ist, sich solche Vorschläge zu eigen zu machen. In der letzten Regierungserklärung habe ich die Haltung der Bundesregierung eingehend begründet, und es genügt, wenn ich wiederhole, daß die Bundesregierung entschlossen ist, Verträge, die sie unterzeichnet und die das Parlament ratifiziert hat, auch zu halten. Eine Regierung, die auch nur mit dem Gedanken des Vertragsbruchs spielen würde, würde das Vertrauen in der Welt verlieren, dieses Vertrauen, das vielleicht die wertvollste Frucht einer beharrlichen und zähen Arbeit war.
Was es bedeuten würde, wenn das deutsche Volk noch einmal seine Glaubwürdigkeit verlöre, brauche ich wohl nicht auszuführen. Darüber hinaus hat die Bundesregierung aber nach ihrer festen Überzeugung nicht das Recht, Gesamtdeutschland mit politischen Hypotheken zu belasten, die die Entscheidungsfreiheit des deutschen Volkes in einer Weise einschränken würden, daß von einer echten Freiheit nicht mehr die Rede sein könnte. Von den Gefahren, die ein bündnisloses und damit ungesichertes Deutschland für sich selbst und damit für die ganze Welt heraufbeschwören würde, möchte ich heute nicht noch einmal reden.
Andere Vorschläge gehen dahin, die politische und rechtliche Grundlage für die Wiedervereinigung solle durch eine Volksbefragung oder einen Volksentscheid geschaffen werden. Dabei wird in einem der Vorschläge zusätzlich angeregt, dem Mißtrauen der Sowjetunion gegenüber einem wiedervereinigten Deutschland durch die gleichzeitig gestellte Frage zu begegnen: „Sind Sie für den Eintritt des wiedervereinigten Deutschlands in ein Sicherheitsbündnis, dem neben Deutschland zumindest die Vier Mächte angehören?" Erlauben Sie mir zu sagen, daß nach Auffassung der Bundesregierung ein solcher Vorschlag wirklich unrealistisch ist. Bedarf es denn ernstlich einer Volksabstimmung in der Frage der Wiedervereinigung? Müssen wir denn über das — —
— Aber, Herr Kollege, wie können Sie eine solche, ich möchte beinahe sagen, peinliche Behauptung aufstellen, von der Sie selbst wissen, daß sie unrichtig ist!
— Herr Kollege, wir werden morgen diskutieren. Aber das sage ich: es hat noch kein Vertreter der Bundesregierung hier gestanden, der sich nicht zu einem Sicherheitssystem bekannt hat
und der nicht glücklich wäre, wenn wir es lieber heute als morgen abschließen könnten.
Darum frage ich auch: Bedarf es denn ernstlich irgendeiner Befragung des Volkes, ob das wiedervereinigte Deutschland in ein wirksames Sicherheitssystem eingeordnet werden soll? Ich glaube
schon heute und hier sagen zu können, daß die
Antwort auf diese Frage ein einmütiges Ja wäre.
— Ich weiß, daß der Herr Bundeskanzler in dieser Frage weiß Gott mit mir einig ist. Wenn Sie es hören wollen, wird er es Ihnen morgen gern bestätigen.
Meine Damen und Herren, dasselbe gilt von der Anregung, das deutsche Volk solle befragt werden, ob es eine Wiedervereinigung nach dem Eden-Plan oder nach dem Molotow-Plan wünsche. Auch diese Entscheidung ist längst gefallen. Der sogenannte Molotow-Plan ist keine Grundlage für die Existenz eines freien Volkes.
Dieser Plan engt die Freiheitsrechte des Bürgers und der Nation nicht ein, er schließt sie aus. Darüber sollte es gerade in Deutschland keine ernsthafte Diskussion geben. Denn wir haben ja selber die schmerzhafte und in ihren Folgen so unendlich tragische Erfahrung machen müssen, daß ein System, das die Freiheit zu beschränken beginnt, zwangsläufig und erbarmungslos in die Unfreiheit führt.
Die Bundesregierung stellt darum mit tiefer Enttäuschung fest, daß die Haltung der Regierung der Sowjetunion in der Frage der Wiedervereinigung härter und unversöhnlicher geworden ist, als sie jemals zu sein schien. Ich sage mit bewußter Betonung: zu sein schien. Denn auch in den vergangenen Jahren haben sich alle Erklärungen der Sowjetunion, die dem deutschen Verlangen Rechnung zu tragen schienen, als unzuverlässig erwiesen.
Ich erinnere an die Erklärung des sowjetrussischen Ministerpräsidenten Bulganin in Moskau und an die Direktive vom 23. Juli vorigen Jahres. Beide Erklärungen wurden kurze Zeit darauf durch eindeutigen Widerruf entwertet.
Über die gegenwärtige Einstellung der Sowjetunion zum deutschen Problem hat uns die Äußerung des sowjetrussischen Parteisekretärs Chruschtschow neue enttäuschende Erkenntnisse übermittelt. Ich meine die Äußerung, die er dem französischen Regierungschef und dem französischen Außenminister in Moskau gemacht hat. Herr Außenminister Pineau hat diese Erklärung in Washington noch einmal verbatim wiederholt. Herr Chruschtschow hat ihm erklärt:
Ich ziehe vor, 20 Millionen hier auf meiner Seite zu sehen, als 70 Millionen gegen uns. Selbst wenn Deutschland militärisch neutral wäre, genügt uns das nicht. Wir wollen auch, daß die sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften Ostdeutschlands beibehalten werden. Ostdeutschland auf unserer Seite zu halten ist darüber hinaus auch eine Prestigefrage für uns.
— Ich komme gerade auf diese Frage zurück, Herr Kollege Wehner.