Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der nach § 96 der Geschäftsordnung erstattete und gedruckt vorliegende Bericht hat den Haushaltsausschuß und die in ihm
s) Siehe Anlage 3.
vertretenen Fraktionen wiederholt beschäftigt und zu lebhaften Auseinandersetzungen geführt. Ich will an die einzelnen Stationen heute nicht mehr erinnern, sondern nur erklären, daß die Unterlagen, die der Herr Bundesfinanzminister vorlegte und die innerhalb weniger Monate die fortlaufende Entwicklung in der Gestaltung des Bundeshaushalts 1955 aufzeigten, Veranlassung dazu boten, festzustellen, daß nach Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion im Gegensatz zu der Mehrheitsmeinung — die im Haushaltsausschuß dazu führte, anzunehmen, daß eine Deckung für die Vorlage, die der Kriegsopferausschuß erarbeitet hat, und ihre Mittelanforderung nur ab 1. Juli 1956 möglich sei — eine Deckungsmöglichkeit auch rückwirkend zum 1. Januar 1956 gegeben sei, also mit der Wirkung, daß auch das letzte Vierteljahr des Rechnungsjahrs 1955 noch für eine Erhöhung der Kriegsopferrenten heranzuziehen sei. Ich glaube, es gibt kein Mitglied des Haushaltsausschusses, das sich der Erkenntnis zu entziehen vermöchte, daß auch die Unterlagen des Herrn Bundesfinanzministers, so gewissenhaft sie im einzelnen dargelegt wurden, zur Prüfung der Frage, inwieweit eine Deckung möglich ist, kein wirklich schlüssiges Urteil in Einzelheiten erlauben. Die einzelnen Mitglieder des Haushaltsausschusses sind schon darauf angewiesen, noch weiter zu forschen, um Feststellungen in Richtung auf die Ermittlung der wirklichen Haushaltslage zu treffen, da eine Reihe von Gesichtspunkten, wenigstens bis zur Stunde, nicht genügend klargestellt werden konnten. Ich befürchte auch, daß der Haushaltsausschuß und das Hohe Haus auf die Dauer dazu kommen werden, festzustellen, daß der Haushaltsausschuß in bezug auf die ihm auferlegte Verpflichtung, die Deckungsmöglichkeiten einer Finanzvorlage — nicht einer Haushaltsvorlage — an Hand der Überprüfung der Haushaltslage zu ermitteln, wirklich überfordert ist.
Es ist auch nützlich, getreu dem Wortlaut der Geschäftsordnung und ihrer einzelnen Bestimmungen einer gewissen Unklarheit, um nicht zu sagen: Verwirrung, die in einzelnen Teilen des Hauses um sich gegriffen hat, entgegenzutreten. Sie betrifft zunächst einmal die Unterscheidung der Funktionen, die der Haushaltsausschuß hat gegenüber der Lage eines Haushalts, der im Laufe ist oder, wie jetzt der Haushalt 1955, seinen vorläufigen Abschluß erfahren hat, und der Wirkung einer Finanzvorlage auf künftige Haushaltsjahre. Bei kritischer Würdigung der Situation dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß eine Prüfung der Haushaltslage in all den Fällen möglich ist und in Frage kommt, in denen es sich um einen Haushalt handelt, der im Laufe ist, der da ist. Wenn dagegen ein Haushaltsplan nur im Entwurf oder für künftige Rechnungsjahre überhaupt noch nicht vorliegt und eine Vorsehung von Mehrausgaben in Betracht kommt, dann ist die Angelegenheit Gegenstand des Etatrechts des Hohen Hauses. Ich darf Sie daran erinnern, daß diese Praxis auch bei den verschiedensten Gelegenheiten vom Deutschen Bundestag geübt wird. Ich brauche nur das Stichwort „Grüner Bericht" zu nennen, dann wissen alle Damen und Herren, daß hier nicht der Standpunkt vertreten wurde, es handele sich um eine Finanzvorlage, deren Auswirkungen im einzelnen zunächst einmal in bezug auf die Dekkungsmöglichkeit im Haushaltsausschuß geprüft werden müssen. Es ist vielmehr so, daß die Anforderungen, die sich aus einer derart angebahnten Beschlußfassung ergeben, bei der Unterbringung der erforderlichen Ausgabenansätze in dem Haushaltsplan für 1956, der sich zur Zeit noch in der Beratung befindet, unterzubringen sind. Für alle künftigen Jahre, 1957 und folgende, ist ebenfalls einfach in den kommenden Haushalten Dekkung zu suchen und zu schaffen.
Eine ähnliche Verwirrung der Begriffe dürfte nach gewissen Besprechungen, die bisher im Geschäftsordnungsausschuß stattgefunden haben, auch in bezug auf die Behandlung von Änderungsanträgen zu einer Finanzvorlage vorliegen. Ich will hier keine grundsätzlichen Diskussionen heraufbeschwören, sondern mich auf die Feststellung beschränken, daß der Begriff von Änderungsanträgen zur zweiten und dritten Beratung nach dem Geist und dem Wortlaut des neuen § 96 der Geschäftsordnung in keiner Weise mit dem dort fest umrissenen Begriff einer Finanzvorlage gleichzusetzen ist.
Nun hatte sich der Haushaltsausschuß verschiedentlich an Hand der Anträge, die von den einzelnen Fraktionen gestellt wurden und die bis zum Oktober des Vorjahres zurückreichen, zuletzt auf Grund des Antrags des Kriegsopferausschusses, mit der Frage zu befassen, ob und in welchem Ausmaß eine Deckungsmöglichkeit vorhanden sei. Es ist vielleicht nützlich, zunächst einmal einige Zahlen in die Erinnerung des Hohen Hauses zu rufen, die auf einem anderen Gebiet wegleitend sein können, um die Anforderungen zu verstehen, die sich aus der Vorlage auch des Kriegsopferausschusses und aus der Haltung des Bundesfinanzministers ergeben. Ich meine jene statistischen Unterlagen in bezug auf die Zahl der in der Bundesrepublik und in West-Berlin lebenden versorgungsberechtigten Kriegsopfer, die von Wiesbaden veröffentlicht worden sind. Ich möchte diese Zahlen, weil sie eine gewisse Größenordnung bestimmen und bestimmen müssen, in die Erinnerung rufen. Nach der letzten Statistik, die meines Wissens vom 1. Januar dieses Jahres datiert, sind 4 165 014 versorgungsberechtigte Kriegsopfer in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlin vorhanden, davon rund 1,5 Millionen Kriegsbeschädigte, etwa 1,2 Millionen Kriegerwitwen, 1,1 Millionen Halbwaisen, rund 49 000 Vollwaisen und etwa 340 000 Eltern. Die Zahl der Kriegsopfer ist im letzten Jahr um über 180 000 zurückgegangen. Über 146 000 Versorgungsanträge sind bis heute noch immer unerledigt. Von den rund 1,5 Millionen Kriegsopfern sind 7179 Blinde, 46 733 Hirnverletzte, 76 926 TbcKranke und 1619 Querschnittgelähmte.
Das, meine Damen und Herren, ist die Bilanz des Unglücks, das im Rahmen der materiellen Linderungsmöglichkeiten durch den Beschluß des Haushaltsausschusses und den des Plenums hier und heute, soweit menschenmöglich, gelindert werden sollte. Wenn Sie den Entwurf des Haushaltsplans 1956 aufschlagen, dann finden Sie darin einen Ansatz von 2678 Millionen DM zugunsten der Kriegsopfer. Der Herr Bundesfinanzminister hat in einem besonderen Titel einen Betrag von 140 Millionen als Verstärkungsmittel eingesetzt. In den Beratungen, die sich besonders auf Grund der Fraktionsbesprechungen — ich nenne hier das Stichwort Kuchenausschuß — ergeben haben, und auf Grund der Anforderungen, die von den verschiedenen anderen Fraktionen des Hauses, so der SPD, des BHE und der FDP, eingebracht worden sind, hat der Herr Bundesfinanzminister sich ver-
anlaßt gesehen, eine weitere Belastung des Haushalts 1956 mit weiteren 360 Millionen DM in Rechnung zu stellen. Danach würde die Gesamtbelastung des Haushalts 2678 Millionen plus die von dem Herrn Bundesfinanzminister mit 140 Millionen und 360 Millionen bereitgestellten weiteren rund 500 Millionen DM betragen.
Der Kriegsopferausschuß hat seinerseits eine Vorlage ausgearbeitet, die nach Abzug der abziehbaren und abrechenbaren Beträge eine Gesamtjahresbelastung von 772 Millionen DM erfordert.
Wenn wir die Rechnung des Herrn Bundesfinanzministers und den Beschluß des Haushaltsausschusses zugrunde legen, der ebenso wie der Kriegsopferausschuß mit Mehrheit beschloß, die Neuregelung ab 1. Juli 1956 in Kraft treten zu lassen, dann stellen wir fest, daß für das Rechnungsjahr 1956 192 Millionen DM dann fehlen würden, wenn die Erhöhung der Kriegsopferrenten bereits zum 1. April 1956 in Kraft träte. Wir stellen weiter fest, daß für den Zeitraum, der uns von der SPD vorschwebt — rückwirkende Genehmigung zum 1. Januar 1956 —, ein weiterer Betrag von 193 Millionen DM aufgebracht werden müßte.
Die Frage lautet mithin — und diese Frage mußte der Haushaltsausschuß sich auf Grund von § 96 der Geschäftsordnung stellen —: Ist es möglich, für das Rechnungsjahr 1955 noch 193 Millionen DM etwa zu Lasten der Reste bereitzustellen, die aus dem Rechnungsjahr 1955 in das Rechnungsjahr 1956 übergehen, und ist es möglich, das Rechnungsjahr 1956 mit weiteren 192 Millionen DM zu belasten?
Nun darf der Korrektheit wegen nicht vergessen werden, daß die 140 Millionen DM Verstärkungsmittel, die der Herr Bundesfinanzminister zur Erhöhung der Versorgungsbezüge eingesetzt hat, nicht nur dem Tit. 300 zugute kommen sollen — eben den Versorgungsbezügen —, sondern auch dem Tit. 303 des Einzelplans 4009 für Kosten der Heilbehandlung, dem Tit. 305 für Unterhaltsbeihilfen an Angehörige von Kriegsgefangenen und dem Tit. 306 zur Verstärkung des Ansatzes für Leistungen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik und Berlins in Gewahrsam genommen worden sind.
Ich will auf diese Dinge, die keine entscheidende Bedeutung haben, hier nicht eingehen, sondern die Frage erörtern, wieso überhaupt die Möglichkeit entstanden ist, daß ein derart erheblicher Mehrbetrag — nach den Zahlen des Kriegsopferausschusses zunächst einmal ein Jahresmehraufwand von 772 Millionen DM — nachgefordert werden mußte. Diesen Betrag von 772 Millionen DM möchte ich ausdrücklich als eine Mindestleistung zur Erhöhung der Kriegsopferrenten bezeichnen. Die Antwort auf die so gestellte Frage kann nur lauten, daß eine Mehraufwendung in diesem Ausmaß erforderlich geworden ist durch eine bisherige Nichterfüllung selbstverständlicher sozialer Verpflichtungen des Bundes zugunsten seiner Kriegsopfer!
In den Beratungen des Haushaltsausschusses, in den Erörterungen der Öffentlichkeit sowie in den Nachprüfungen und Feststellungen des Bundes der Steuerzahler und der verschiedenen Finanzinstitute hat der sogenannte Juliusturm, also die Frage der Kassenreserven, eine besonders große Rolle gespielt. Die Mehrheit des Ausschusses hat den Versuch gemacht, eine Lösung dahin zu finden, daß den von dem Herrn Bundesfinanzminister bereitgestellten 140 Millionen und 360 Millionen DM ein weiterer Betrag von 80 Millionen DM zugeschlagen werden soll, um auf diesem Wege die Mittel für eine Rentenerhöhung ab 1. Juli 1956 sicherzustellen. Sowohl der Herr Bundesfinanzminister und seine Räte als auch die Mehrheit des Haushaltsausschusses haben die Behauptung aufgestellt, daß eine weitere Deckung, besonders eine Deckung zum 1. Januar rückwirkend nicht vorhanden sei. Eine nüchterne Nachprüfung der materiellen Situation ergibt, daß diese Behauptung nicht haltbar ist.
Ich möchte, ehe ich einzelne Zahlen zum Vergleich und zum Beweis für diese Behauptung, die ich hier aufstelle, nenne, meinerseits eine grundsätzliche Meinung zum Ausdruck bringen, die dahin geht, daß man, ehe die nächste Aufrüstung finanziert wird, seitens des Deutschen Bundestages moralisch verpflichtet ist, den Opfern der beiden letzten Weltkriege die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auf die sie einen Anspruch haben.
Meine Damen und Herren, es ist eigentlich zu beklagen, daß die Regierungsparteien bei der Behandlung der Rentenerhöhung für die Kriegsopfer eine wesentlich geringere Großzügigkeit offenbar werden ließen, als sie das bei anderer Gelegenheit getan haben. Noch im Verlaufe dieser Tagesordnung wird sich Gelegenheit bieten, das festzustellen.
Ich brauche Sie ja nur daran zu erinnern, mit welcher eisernen Konsequenz die Regierungsparteien daran festhalten, daß der Ansatz für das Bundesverteidigungsministerium im Haushaltsplan 1955 für den Aufbau einer deutschen Wehrmacht mit einem Gesamtbetrag von 5208 Millionen DM — von Stationierungs- und Besatzungslasten nicht zu reden — verteidigt wird, obwohl nachgewiesen ist, daß bis zum 31. März, also bis zum letzten Tag des angesprochenen Rechnungsjahrs, nur rund 100 Millionen DM von den 5208 Millionen DM ausgegeben werden konnten.
Ich darf das Haus auch daran erinnern, daß der Bundesfinanzminister auf Grund seiner Politik, die er nicht zum ersten Male hier praktisch angewandt hat — nach dem Prinzip, wie es einmal im Haushaltsausschuß gesagt wurde, „sich selbst zu leihen, bei sich selbst" —, den Gesamtaufwand des außerordentlichen Haushalts in Höhe von 1,6 Milliarden DM zu Lasten des ordentlichen Haushalts verbuchen konnte.
Meine Damen und Herren, vor mir liegt eine grün umrandete Schrift des Instituts „Finanzen und Steuern", Nr. 14 vom April 1956. Ich darf mit Zustimmung des Herrn Präsidenten einen kurzen Absatz aus dieser Schrift Nr. 14 des Instituts „Finanzen und Steuern" zu dem Thema der Verrechnung außerordentlicher Ausgaben verlesen. Es heißt darin:
Wenn wir dagegen sagen, daß das Rechnungsjahr 1955 mit einem Überschuß abschließt,
— der Herr Bundesfinanzminister hatte erklärt: 1955 schließt mit einem rechnerischen Defizit ab — so ist das
— sagt das Institut weiter —
kein Streit um Worte, sondern die Klarstellung einer finanzpolitischen Situation. Wenn ein
Haushalt mit einem steuerlichen Mehraufkommen abschließt, das dem Finanzminister gestattet, sein ganzes Extraordinarium statt durch Anleiheaufnahme durch einen Zuschuß des ordentlichen Haushalts zu decken und darüber hinaus über 400 Millionen DM Schuldtitel zurückzukaufen, so ist das ein Überschußhaushalt. Nur dadurch, daß der Bundesminister der Finanzen in einem Verfahren, das uns den Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung nicht ganz zu entsprechen scheint, Zuschuß und Rückkauf in Form einer außerplanmäßigen Ausgabe tätigt, vermeidet er, einen Überschuß auszuweisen, der dann zur Schuldentilgung verwandt werden könnte und müßte.
Ich habe dem, was dieses Institut, dessen fachmännische Qualifikation wohl nicht bestritten werden kann, hier zum Ausdruck bringt, nichts hinzuzusetzen.
Im Verlaufe der Beratungen und gerade im Hinblick auf den § 96 und die damit verbundenen Deckungsmöglichkeiten spielte die Terminfrage eine große Rolle. Genannt wurden Termine: 1. Januar, 1. April, 1. Juli, 1. August, 1. Oktober. Nach der Vorlage Bundestagsdrucksache 2029 war die Wirkung der Rentenerhöhung zum 1. Januar in Aussicht gestellt. Wenn nun in der Zwischenzeit eine Wendung eingetreten ist, die eine Hinauszögerung der Wirksamkeit der Rentenerhöhung um volle 6 Monate bezweckt, dann bedeutet das eine sehr empfindliche Einbuße für die Kriegsopfer. Aus diesem Grund, aus Erwägungen sozialer Gerechtigkeit haben wir uns dafür ausgesprochen — und sind insofern in der Minderheit geblieben —, die Vorlage des Kriegsopferausschusses als Mindestforderung zum 1. Januar 1956 in Kraft zu setzen.
In der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 20. April 1956 wurde diese Forderung mit aller Energie vertreten. Die Regierungsparteien haben erklärt: Nicht heute, nicht heute wollen wir entscheiden. Vielmehr wurde die Sache zunächst noch einmal zurückgestellt. Ich habe damals schon mit meinen Freunden darauf hingewiesen, daß in Fragen der Rentenerhöhung zugunsten der Kriegsopfer eine erhebliche Differenz gegenüber der Haltung der Mehrheit zu anderen Ausgabenbewilligungen zu beobachten ist. Bei den Ausgaben sowohl im Rahmen der Vorwegbewilligungen als auch der Nachtragshaushalte für das Bundesverteidigungsministerium ist die Mehrheit dieses Hohen Hauses stets mit Sturmschritten vorangeeilt, und es konnte ihr gar nicht rasch genug gehen, um Milliardenbeträge zu bewilligen. Hier handelt es sich um den bei einer Etatsumme für 1956 von 32,5 Milliarden DM wahrhaftig nicht erschütternden Betrag von 192 bzw. 193 Millionen DM zur Erhöhung der Kriegsopferrenten pro Vierteljahr zurück.
Nun lesen wir heute in der Zeitung, daß ein Konjunkturrat zusammengetreten ist, der dazu bestimmt ist, den anhaltenden Steigerungstendenzen der Konjunktur wirksam zu begegnen. Es heißt da in einem Kommuniqué:
Es bestand Übereinstimmung, daß die gegenwärtige Situation weitere, auch einschneidende Maßnahmen erfordert, um den anhaltenden Steigerungstendenzen der Konjunktur, die bei Verwirklichung der weitgehenden Anforderungen an den Bundeshaushalt noch verstärkt werden würden, wirksam zu begegnen.
Und in Punkt 1 der Begründung wird gesagt, daß die Ausgaben des Bundeshaushalts gebremst werden müssen, damit nicht von ihnen aus die Wirtschaftslage zusätzlich erhitzt wird. — Ich glaube nicht, daß die Befürchtung begründet erscheint, anzunehmen, daß eine Erhöhung der Kriegsopferrenten um vierteljährlich 193 Millionen DM zu einer Überhitzung des Marktes, des Konsums, der Konjunktur führen würde. Der Konjunkturrat redet einer Einstellung der öffentlichen Bauten das Wort. Ich freue mich über diese Weggenossenschaft. Ich darf daran erinnern, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereits vor vielen Monaten den Antrag auf Einstellung der Bundesbauten im Raume Bonn gestellt hat. Vielleicht erleben wir das Wunder, daß auch das geplante Pentagon des Herrn Bundesverteidigungsministers, das mit unerhörten Aufwendungen erstellt werden soll, unter diese weise Erkenntnis der Einschränkung der Bundesbauten fällt, die der Konjunkturrat der Bundesregierung empfiehlt.
In einer Sitzung anläßlich der Beratung des Haushaltsplanes 1956 des Herrn Bundeswirtschaftsministers hat Herr Bundeswirtschaftsminister Professor Dr. Erhard erklärt, es wäre unsinnig, den produktiven Zuwachs in den Verbrauch zu führen, wie er sich ausdrückte: zu verfrühstücken. Es solle aber auch nicht, sagte er weiter, alles für Rationalisierung ausgegeben werden; vielmehr solle eine Politik des „Sowohl—Als-auch" betrieben werden. Herr Professor Erhard meinte, daß wir nach der Währungsumstellung 1948 a 11 e gewonnen hätten. Ich befürchte, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister irrt. Dieses „Wir haben alle gewonnen" trifft zweifellos auf einen Großteil des deutschen Volkes zu. Auf die Kriegsopfer trifft es bis zu dieser Stunde bestimmt nicht zu. Verloren haben die Kreise, die bei den seit 1948 gestiegenen Lebenshaltungskosten im wesentlichen dort stehengeblieben sind, wo sie damals gestanden haben.
Ein abschließendes Wort zu diesem Thema! Ich glaube, daß die Erhöhung der Kriegsopferrenten sich wohltätig in Gestalt einer Stärkung der Massenkaufkraft auswirken wird, die die deutsche Wirtschaft in keiner Weise zu gefährden vermag.
Wir haben, wie erwähnt, im Haushaltsausschuß die Rückwirkung der Erhöhung zum 1. Januar 1956 verlangt. Wir sind verpflichtet, dem Hohen Hause nachzuweisen, daß die Deckungsmöglichkeit für den Betrag von 193 Millionen DM — soviel kostet dieses Vierteljahr — vorhanden ist. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seinen letzten Übersichten das Mehraufkommen an Steuereinnahmen des Bundes aus allen in Frage kommenden Quellen im Jahre 1955 auf 1283 Millionen DM beziffert. Er hat gleichzeitig ein Verzeichnis über die überplanmäßigen und außerplanmäßigen Mehrausgaben 1955 mit einer Endsumme von 1390 Millionen DM überreicht. Von außen gesehen -weisen also die Mehrausgaben höhere Zahlen auf als die Steuermehreinnahmen. Aber der Herr Bundesfinanzminister gibt selbst zu, daß die Beträge im Einzelfall bis zu einer Million DM durch Minderausgaben des gleichen Haushaltsplanes gedeckt seien. Er hält aber das Parlament und auch den Deckung suchenden Haushaltsausschuß sehr im unklaren, wenn er in einer amtlichen Darstellung wörtlich sagt, daß die Höhe der Minderausgaben auch nicht annähernd angegeben werden könne. „Sie bilden die
üblichen Reste", heißt es wörtlich in der betreffenden Darstellung. Gerade hier wollen wir im Interesse der Etat- und Rechnungsklarheit Gewißheit über den Umfang dieser Reste haben.
Aber es sind seitens des Herrn Bundesfinanzministers weitere Darlegungen gemacht worden, die zu einer Verwirrung der Begriffe führen können. Ich darf zwei Beispiele herausgreifen. In dem Verzeichnis der außer- und überplanmäßigen Ausgaben sind die Kosten des Personalgutachterausschusses enthalten. Das Verzeichnis datiert vom 20. April 1956 und nennt für diesen Zweck die Summe von 864 200 DM. Dieser Betrag ist in dem Nachtragshaushalt etatisiert, der Ihnen zur heutigen und morgigen Sitzung ebenfalls vorliegt. In der Übersicht über die außerplanmäßigen und überplanmäßigen Ausgaben ist die Beschaffung von Seefahrzeugen mit 700 000 DM angeführt. Auch dieser Betrag ist etatisiert. Für vermögenswirksame Zwecke, die normalerweise den außerordentlichen Haushalt belasten, sind in der gleichen Übersicht des Herrn Bundesfinanzministers 580 195 000 DM enthalten. Dazu kommen 226 908 000 DM zur Deckung der Fehlbeträge aus früheren Jahren, die ebenfalls bereits abgerechnet sind. Wenn Sie diese Zahlen untereinandersetzen, kommen Sie zu dem Ergebnis, daß echte über- und außerplanmäßige Ausgaben des ordentlichen Haushalts mit 582 Millionen DM übrigbleiben, von denen bis zur Stunde nicht bekannt ist, wieviel von dieser Summe durch Einsparungen in den gleichen Haushalten, in denen die Mehrausgaben veranschlagt wurden, wieder gedeckt werden konnte.
Einiges zum Thema der Ausgabenreste! Mit der Ansetzung der Ausgabenreste — also der nicht ausgegebenen Ansätze eines Rechnungsjahres — in die Ausgabenseite kommt der Herr Bundesfinanzminister zu einem rechnerischen Defizit. Dazu ist festzustellen, daß Ausgabenreste durchaus nicht ohne weiteres als echte Ausgaben eines Rechnungsjahres gebucht werden dürfen. Wir sollten uns vor der Methode der Entwicklung eines fiktiven Defizits durch die Ansammlung solcher Fonds, wie wir sie heute vor uns haben, im Interesse einer gesunden Finanzgebarung hüten. Weithin unbekannt sind auch — dank der Tatsache, daß hier meines Wissens das Bruttoprinzip keine Anwendung findet — die Zinseinnahmen des Einzelplans 60. Vielleicht kann der Herr Finanzminister oder der Herr Staatssekretär einmal den Deckel etwas lüften und sagen, wieviel Zinseinnahmen der Bund im Rechnungsjahr 1955 verbucht hat. Hinsichtlich der Deckung des außerordentlichen Haushalts 1955 habe ich bereits darauf hingewiesen, daß die Summe von 1,6 Milliarden DM auch nach der Auffassung erstklassiger Fachleute wie der des Instituts Finanzen und Steuern nicht in dem Sinne und in der Weise behandelt werden sollte, wie es seitens der Bundesregierung geschieht.
Nun die Endzahlen der Steuereinnahmen . im Vergleich zum Soll im Rechnungsjahr 1955! Nach dem Haushalt 1955 erwartete der Bund ein Gesamtsteueraufkommen von 25 274 Millionen DM. Eingegangen sind 27 094 Millionen DM, mithin nach den Angaben des Herrn Bundesfinanzministers in 1955 ein Mehraufkommen an Steuern von 1820 Millionen DM.
Soviel zum Haushalt 1955, um den Nachweis anzutreten, daß bei dieser Rechnungsgestaltung die Möglichkeit einer rückwirkenden Erhöhung der Kriegsopferrenten mit einem Aufwand von 193 Millionen DM für das letzte Vierteljahr 1955 absolut möglich und vertretbar ist.
Meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zu der Deckungsmöglichkeit 1956. Der Haushaltsansatz sieht ein Umsatzsteueraufkommen von 11,7 Milliarden DM vor. Das Institut für Finanzen und Steuern errechnet ein Aufkommen von 12,5 Milliarden DM, also 800 Millionen DM mehr aus Umsatzsteuer. Das gleiche Institut errechnet aus den übrigen Steueraufkommen gegenüber den Ansätzen des Herrn Bundesfinanzministers im Haushaltsplanentwurf ein Mehr von 1220 Millionen DM, mithin ein Gesamtmehraufkommen an Bundessteuern von 2020 Millionen DM. Diese Berechnungen des Instituts für Finanzen und Steuern decken sich weitgehend mit denen, die wir im Arbeitskreis Haushalt und Finanzen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion angestellt haben.
Aber damit nicht genug. Vielleicht kann uns der Herr Bundesfinanzminister einmal über die Summe Aufschluß geben, die an gestundeten Steuern noch draußen hängt und ebenfalls echte Reserven bildet.
— Herr Kollege Niederalt, ich schätze Sie viel zu hoch und Ihre Intelligenz noch höher ein, als daß ich nicht annehmen müßte, daß Sie mit mir der Auffassung sind, daß es dem Herrn Bundesfinanzminister als Partner an dem Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer auch in bezug auf Umsatzsteuer möglich ist, draußen bei den Ländern, den Finanzämtern und den Oberfinanzdirektionen einmal Rückfrage zu halten, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, wie hoch der Betrag der gestundeten Steuern ist. Ich glaube, wir werden etwa zwischen 1 und 11/2 Milliarden DM an rückständigen Steuern rechnen dürfen.
Unbekannt in ihrer letzten Größenordnung sind auch die Reste aus dem Jahre 1955. Und nicht gewürdigt wurden die Vorschläge der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in bezug auf Einsparungsmöglichkeiten im Verteidigungshaushalt. Wenn wir selbst bis zum 1. Januar zurückgehen, werden wir im ganzen nur wenig mehr als ein Drittel dessen an Leistungen für die Kriegsopfer zu verzeichnen haben, was im Haushaltsplan an Leistungen für das Bundesverteidigungsministerium vorgesehen ist. Selbstverständlich — um auch das noch zu sagen und keinen Zweifel aufkommen zu lassen — sind die Möglichkeiten des ordentlichen Haushalts zur Deckung der außerordentlichen Ausgaben im Rahmen des Möglichen und, praktisch gesprochen, im Rahmen der Verfügbarkeit heranzuziehen, nachdem der Bund seine sozialen Verpflichtungen auch gegenüber den Kriegsopfern erfüllt hat.
Die Summe, die der Fachausschuß mit 772 Millionen DM für Kriegsbeschädigte errechnet hat, wird nach allen Feststellungen eine wesentliche Senkung schon im Jahre 1956, wo etwa 130 Millionen DM bereits abgesetzt sind, und erst recht in den folgenden Rechnungsjahren durch das
Ausscheiden von Waisenkindern aus der Versorgung und durch die Wirkung der Einkommenserhöhung auf die Ausgleichsrente nach § 33 des Gesetzes und durch die Wirkung der Bestimmung in § 52 a in bezug auf die Waisenrente und das Kindergeld erfahren. Wir kamen so in den Berechnungen des Kriegsopferausschusses von einem Bruttobetrag von 902 Millionen DM auf einen Nettobetrag, berechnet auf ein Jahr, von 772 Millionen DM.
Im Verlauf der Unterhaltungen ist uns immer wieder der Einwand begegnet, eine weitere Dekkung sei nicht möglich; es sei ausgeschlossen, der Bundeshaushalt könne keine derartige Bewegung mehr ertragen. Ich habe vor kurzem von einem der hervorragendsten deutschen Journalisten, von Herrn Erich Dombrowski, in der „Frankfurter Allgemeinen" eine kritische Betrachtung gefunden, von der ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur einen Satz vorlesen darf: Es heißt darin:
Wir sind auf dem besten Wege, wieder, wenn auch in anderer Form, zu einem totalitären Haushalt zu kommen, allerdings nicht dadurch, daß der Volksvertretung das Bewilligungsrecht durch eine Gewaltherrschaft entrissen werden soll, wohl aber dadurch, daß das Parlament vor vollendete Tatsachen gestellt, daß seinem Verfügungsrecht praktisch der Boden unter den Füßen entzogen wird.
Das ist haarscharf die Situation, der wir im Haushaltsausschuß bei der Beratung der Deckungsmöglichkeit gegenüberstanden auf Grund der Behauptung der Vertreter des Herrn Bundesfinanzministers, es sei keine Bewegungsmöglichkeit, keine Deckungsmöglichkeit gegeben.
Ich darf zum Schluß folgendes sagen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sieht in einer Erhöhung der Kriegsbeschädigtenrenten nicht — um das Wort des Herrn Bundeswirtschaftsministers noch einmal zu zitieren — ein „Verfrühstükken" des Mehrertrags des Sozialprodukts, sondern sie sieht darin einen Akt staatspolitischer Notwendigkeit, einen Akt sozialer Gerechtigkeit. Und damit eine volkswirtschaftliche Verwendung eines Teils des Segens der Kaufkraft auch in Richtung der Kriegsopfer gegeben ist, appellieren wir an den Bundestag, das, was er im Prinzip zugesagt hat, nämlich die Erhöhung der Kriegsopferrenten zum 1. Januar 1956 zu vollziehen. Wir wollen als eine verantwortungsbewußte Opposition die Einnahmefülle der Bundeskasse nicht durch eine sinnlose Ausgabesteigerung irgendwie beeinträchtigen. Wir verlangen vielmehr die Gerechtigkeit für die Kriegsversehrten, für die Witwen, für die Waisenkinder. Die Erfüllung der Forderung, um die es sich hier und heute handelt, ist schon längst überfällig. Der Herr Bundesfinanzminister hat einmal im Haushaltsausschuß gesagt, man müsse die konjunkturbedingten Leistungsmöglichkeiten mit den Haushaltsmöglichkeiten in Einklang bringen. Einverstanden, ich habe nichts dagegen. Aber dann soll man die Leistungsmöglichkeiten des Bundeshaushalts mit anderen Ausgabefaktoren in Beziehung bringen als ausgerechnet mit moralischen und tatsächlichen Leistungsnotwendigkeiten der Sozialpolitik hier zugunsten der Kriegsopfer. Das sicherste Mittel für eine vertretbare, volkswirtschaftlich durchaus akzeptable Hebung der Kaufkraft ist die Stärkung der Kaufkraft derer, in deren Hand sich eine Mark mindestens zehnmal in
einem Jahr umschlägt. Der Bund hat selber ein steuerpolitisches Interesse daran, so vorzugehen. Wir stehen, wie erwähnt, auf dem Standpunkt, daß die Erhöhung der Sozialrenten rückwirkend zum 1. Januar 1956 wichtiger ist als die Milliardenausgaben für die Rüstung. Und mit einem Blick auf die Alliierten darf ich sagen: auch die Alliierten werden in ihrem Kampf gegen den Kommunismus erkennen, daß die Beachtung der Gebote sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit wichtiger ist als die Milliardenaufwendungen für Rüstungen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beharrt auf ihrem Antrag, die Erhöhung der Kriegsopferrenten, vorbehaltlich der noch zu behandelnden Änderungsanträge, rückwirkend zum 1. Januar 1956 zu beschließen. Sie beantragt zur Feststellung des Willens des Bundestages namentliche Abstimmung.