Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bekenne, der Abgeordnete zu sein, der auf seine Wortmeldung nicht verzichtet hat. Es scheint mir gegen das parlamentarische Stilgefühl zu gehen, wenn man dem Herrn Bundesfinanzminister, der das Parlament zum Maßhalten auffordert, nicht widerspricht, wenn er selbst nicht Maß hält; oder, um mit dem Herrn Bundesverteidigungsminister zu sprechen: „Die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers können nicht so im Raume stehen."
Der Herr Bundesfinanzminister sagte, es sei Sache der Antragsteller, Deckungsvorschläge einzureichen. Wir brauchen hier keine Deckungsvorschläge zu machen. Denn die Deckung ist längst durch überhöhte Steuern und durch die Hortungspolitik des Herrn Bundesfinanzministers erfolgt; die Deckung ist vorhanden. Der Herr Bundesfinanzminister hat hier einen Standpunkt vertreten, den das Bundesverfassungsgericht längst als verfassungswidrig zu den Akten gelegt hat. Nach dem neuen ,§ 96 der Geschäftsordnung hat der Haushaltsausschuß darüber zu beraten; er wird es tun.
Zu seinen Darlegungen über die Kassenbestände möchte ich folgendes sagen. Es interessiert hier nicht der Besatzungskostenüberhang und der Stationierungskostenüberhang. Beide werden abgerufen; das ist klar. Es interessiert jedoch der Überhang aus den Verteidigungskosten, die für das Jahr 1955 mit 5208 Millionen DM angesetzt waren. Nun hat der Herr Bundesfinanzminister Anfang März in seiner Hamburger Rede ausdrücklich gesagt, daß der Herr Bundesverteidigungsminister von diesen 5208 Millionen DM im laufenden Jahr, also bis zum 31. März 1956, nur 200 Millionen ausgeben könne, daß also runde 5000 Millionen DM noch da seien. Er hat heute aber so getan, als ob die Mittel aus den Vorwegbewilligungen bereits ausgegeben seien. Worüber verfügt ist, aber als Kassenbestand noch da ist, steht aber hier durchaus noch zur Debatte. Wir wollen einmal sehen, wann und in welchem Zeitraum die 5000 Millionen ausgegeben werden können. Denn für das Jahr 1956 stehen ja im Einzelplan 14 als Verteidigungsausgaben schon wieder 8767 Millionen, die im Jahre 1956 beim besten Willen auch nicht ausgegeben werden können, so daß am 31. März 1957 der „Juliusturm" — um bei diesem netten Ausdruck zu bleiben — weiterhin prall angefüllt sein wird.
Zu den weiteren Bemerkungen. Die Steuermehreinnahmen von mindestens 1300 Millionen sind ja da, und man muß außerdem, wenn man sagt, man habe das Steueraufkommen immer richtig eingeschätzt, ein paar Anmerkungen dazu machen, z. B. die folgende. Wenn ich in den Bundeshaushalt einen Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer von 40 % einsetze, aber genau weiß, daß ich keine 40 bekomme, oder wenn ich früher 42 % eingesetzt habe, aber genau gewußt habe, daß sie nicht realisierbar sind, dann müßte man bei der 1 Gesamtrechnung zunächst einmal diese irrealen Steuerschätzungen wie auch die Beförderungsteuer absetzen und sich auf die anderen Steuern konzentrieren. Dann zeigt sich ja, daß dieses Steueraufkommen ganz erheblich größer ist, als es geschätzt worden war.
Nun ein paar kurze Bemerkungen zu Dingen, die der Herr Bundesfinanzminister nicht gesagt hat, aber in diesem Zusammenhang hätte sagen müssen. Der Herr Bundesfinanzminister verwendet auf Grund seiner Politik der vollen Kassen seit einigen Jahren nach meiner Überzeugung gegen die klaren Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung, die dem Sinne nach nur die Verwendung für kleinere Reste durch den Bundesfinanzminister vorsieht, gewaltige überschießende Beträge zur Deckung des außerordentlichen Haushalts, — gegenüber aller Sitte in aller Welt. Wozu machen wir eigentlich noch eine Unterscheidung zwischen ordentlichem und außerordentlichem Haushalt, wenn der Herr Bundesfinanzminister den außerordentlichen Haushalt nicht durch Anleihen bedient, sondern aus ordentlichen Steuermitteln deckt?
— Es handelt sich hier nicht um Sparsamkeit oder Nichtsparsamkeit; hier handelt es sich zunächst einmal um eine richtige Betrachtung der Fakten, und es gehört zur richtigen Betrachtung, daß man das Aufkommen, welches zur Bedienung des ordentlichen Haushalts da ist, nicht zum außerordentlichen Haushalt verwendet. Im Haushaltsplanentwurf für 1956 stehen ja auch wieder vermögenswirksame Ausgaben in Höhe von rund 1600 Millionen, die man
sonst im ordentlichen Haushalt unterzubringen hätte.
— Die Unterscheidung ist problematisch, und die Wohnungsbaumittel haben deswegen eine besondere Rolle im Haushalt, weil wir einen überhöhten Wohnungsbedarf dadurch haben, daß die Wohnungen im Kriege kaputtgeschmissen worden sind. Das verändert in bezug auf die Wohnungsbaumittel die Situation, aber nicht in bezug auf alle übrigen vermögenswirksamen Bauten. Sie können es ja überall nachsehen; Sie wissen es ja, Herr Niederalt, genau so gut wie ich.
Und nun ein Weiteres: die Politik der Haushaltsreste. Die werden in den Vorbemerkungen, die wir seit wenigen Jahren erfreulicherweise haben, ja auch immer ausgewiesen. Aber bei den Beratungen im Haushaltsausschuß haben wir bei den einmaligen Ausgaben, die ja haushaltsmäßig übertragbar sind, und bei den allgemeinen Ausgaben, die durch besonderen Vermerk übertragbar sind, niemals neben den Ist-Ausgaben des Vorvorjahrs die noch vorhandenen Haushaltsreste. Die müßte man aber immer haben, um die Beratung richtig durchführen zu können. Nun, es ist ziemlich einfach, sich eine Reihe von Haushaltsresten zu errechnen, die unter keinen Umständen mehr in Anspruch genommen werden; sie sind aber da. Man kann hier mit einer runden Summe von 1300 Millionen DM rechnen, die aus Haushaltsresten herangezogen werden können.
Weiter: Die Ausgabenerhöhungen für 1956 von 4300 Millionen DM — eine wahrhaft erschreckende Zahl! — sind ja noch nicht beschlossen, und es wird sich in Wirklichkeit zeigen, daß diese Summe für das Jahr 1956 gar nicht so hoch sein kann, wie sie hier angegeben wird.
Interessanterweise hat der Bundesfinanzminister nichts vom Notopfer und meiner Kritik am Notopfer gesagt. Aber, Herr Kollege Wellhausen, der Unwillen über das, was wir in all den Jahren, insbesondere wieder vor wenigen Wochen bei der Behandlung des Dritten Überleitungsgesetzes erfahren haben, könnte uns niemals veranlassen, einen so weitgehenden Antrag einzubringen. Ich habe auch vom Unwillen, der mich im übrigen durchaus — ich will das nicht verhehlen — in bezug auf das Notopfer Berlin auch beseelt, kein Wort geäußert und nichts merken lassen. Der Unwille hat allenfalls meine persönliche Bereitschaft, mich für die Abschaffung des Notopfers Berlin einzusetzen, noch etwas unterstrichen, aber keineswegs begründet. Die Mahnung von Herrn Wellhausen, rasch an die Arbeit zu gehen, würde ich ebenfalls begrüßen, aber nach dem heute mitgeteilten Plan des Ältestenrats stünden für Finanzausschußsitzungen — ich muß das einmal ganz offen sagen — im Mai nur drei Tage zur Verfügung, nämlich Sonnabend, der 5. Mai, Montag, der 7. Mai, und Freitag, der 11. Mai. Das ist ein Tag nach Himmelfahrt. Ich muß schon sagen: für die Behandlung so wichtiger Anträge ist das äußerst mager.
Der Herr Bundesfinanzminister droht immer mit großen Zahlen, und es würde auch, glaube ich, auf uns Eindruck machen, wenn wir nicht diese großen Zahlen nun seit Jahren immer hätten anhören müssen und wenn wir nicht erfahren hätten, daß Schäffers große Zahlen gar nicht so realistisch sind,
wie hier behauptet wird. Sicher müssen Parlamente manchmal gemahnt werden, Maß zu halten, aber ich habe den Eindruck, daß das Parlament diese Mahnung an den Herrn Bundesfinanzminister zurückgeben sollte. Er hat seinen Aufsatz im Bulletin vom 5. April 1956 „Maßhalten! — Maßhalten!" überschrieben. Er hat heute mit dem wiederholten Appell „Maßhalten! -- Maßhalten!" geschlossen. Ich gestatte mir deshalb zu erwidern: Maßhalten, Herr Kollege Schäffer! — Maßhalten, Herr Bundesfinanzminister!