Herr Präsident, ich bin Frau Kalinke sehr dankbar für die gute Meinung, die sie von mir hat.
Ich habe nicht von Gewissenlosigkeit gesprochen. Ich bin auch nicht der Meinung, daß der Herr Kollege Schneider ein moralisch bequemer Mensch ist. Aber ich habe zuviel von Vergeben und Vergessen gehört, ohne dabei zu spüren, daß in der Brust der Betreffenden etwas vor sich gegangen wäre!
Deswegen habe ich mir erlaubt, diese sehr allgemeine und moralische Bemerkung zu machen. Ich glaube nämlich, daß sich das Moralische zwar von selbst versteht, daß man aber gelegentlich auch davon sprechen sollte, vor allen Dingen in diesem Hause.
Herr Schneider hat weiter gesagt, das Militär könnte durch Reden wie die von mir gehaltene von der Politik getrennt werden. Habe ich Sie wohl recht verstanden?
— Schön, so lassen Sie mich generell antworten.
Sehen Sie, das Militär hat den Organen der Republik zu gehorchen; es hat sich nicht mit Politik zu befassen.
Ich meine das so: es hat weder politische Ziele aufzustellen noch politische Wertungen auszusprechen.
Das schließt nicht aus, sondern im Gegenteil: es schließt ein, daß sich die Angehörigen der Bundeswehr sehr ernsthaft mit dem Politischen als solchem beschäftigen, damit sie wissen, wo die Grenzlinie zwischen ihrer Funktion und der politischen Funktion liegt.
Aber es ist doch sehr häufig in der Weimarer Republik so gewesen, daß man sich auf die angeblich unpolitische Funktion des Militärs berief, um die Demokratie um so wirkungsvoller angreifen zu können!
Sie meinten dann, Herr Kollege Schneider — wie der Herr Bundesverteidigungsminister —, daß man bei dem Großadmiral Dönitz und bei dem Großadmiral Raeder den Soldaten von dem Politiker trennen müsse; man könne einem Soldaten nicht zumuten, politisch richtig zu denken und politisch immer richtig zu urteilen, man müsse ihm zugute halten, auch einmal falsch zu handeln. Hier unterscheiden wir uns ganz wesentlich, Herr Kollege. Was ich bei Dönitz an Verurteilenswertem sehe, ist nicht etwa nur mangelnder politischer Verstand, sondern ist der Umstand, daß er in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der Marine moralisch versagt hat.
Das ist es, was ich ihm vorwerfe!
Wenn ein Offizier auf dem Kasernenhof eine Dummheit macht, bekommt er den „blauen Brief"; mit anderen Worten, man beurteilt ihn dann als die Gesamtpersönlichkeit, die er ist. Ich kann mich an einen Fall erinnern, der einmal meine Heimatstadt Tübingen sehr aufgeregt hat. Es war zur Zeit der Reichswehr. Da gab es einen jungen, sehr begabten Hauptmann, der eine junge Frau hatte, die gern Tennis spielte. Die Tennisplätze in Tübingen liegen an der Hauptstraße, und die Frau Hauptmann spielte in Shorts. Die Gattin des Regimentskommandeurs war der Meinung, daß das gegen die Gepflogenheiten und vielleicht auch gegen die Ehrbegriffe von Offiziersdamen verstoße, und der Oberst stellte den Hauptmann zur Rede. Als der Hauptmann sagte: „Das geht nur meine Frau etwas an", bekam der Hauptmann den „blauen Brief". Sie sehen, hier wurde die Gesamtpersönlichkeit gewertet und nicht geflagt: War dieser Hauptmann nicht etwa ein sehr tüchtiger Hauptmann? Man sagte vielmehr: Er paßt eben als Mensch nicht herein. Da möchte ich nur sagen: auch wir müssen uns fragen — allerdings als Republikaner und als Demokraten —, ob ein Offizier seiner Gesamtpersönlichkeit nach „hineinpaßt" oder nicht, mag er noch soviel vom Richtkreis und von den anderen militärischen Instrumenten verstehen.
Sie haben meinen Parteifreund Steinhoff zitiert, der gesagt habe, es komme nicht darauf an, was einer politisch gedacht habe, sondern darauf, was er heute denke. Ich stehe voll zu diesem Wort. Sehen Sie, Herr Kollege Schneider, zu einem Zeitpunkt, wo mancher, vielleicht auch mancher Ihrer Parteifreunde, sich noch nicht so ganz getraut hat, mit einem abgestempelten Nazi Hand in Hand über die Straße zu gehen, habe ich als Kultminister in Württemberg-Hohenzollern angeordnet, daß es keinem aktiven Offizier verwehrt werden dürfe, an der Universität Tübingen zu studieren,
obwohl die bekannten entgegenstehenden militärischen Anordnungen bestanden haben. Ich habe das durchgesetzt, und ich habe für den Fall, daß die französische Militärregierung darauf bestehen würde, mit meinem Rücktritt gedroht. Ich sage
Ihnen das nur, damit Sie wissen, daß Sie nicht jemanden vor sich haben, der glaubt, bei jeder Uniform bellen zu müssen.
— Nein, ich habe auch bei meinen Freunden noch keinen getroffen, der mich deswegen getadelt hätte.
Und nun noch einige Worte zum Herrn Kollegen Heye, der von mir — er weiß es — in ganz besonderem Maße als Kollege und als Mensch geschätzt wird. Es tut mir leid, daß wir hier die Klingen kreuzen müssen. Unsere Rapiere sind zwar, wie ich glaube, nicht sehr scharf geschliffen, und an der Spitze trugen sie den kleinen Pfropf, den man in der Fechtschule aufzusetzen pflegt. Daß Sie für Ihre Kameraden gesprochen haben, ehrt Sie, und niemand wird Sie deswegen tadeln.
Sie wissen, daß ich mit meinen Worten nicht den geringsten Zweifel an den Qualitäten der deutschen Seeoffiziere geäußert habe und habe äußern wollen. Darum hat es sich gar nicht gehandelt. Aber Sie haben sich selbst vorhin auf einen Zwischenruf hin als Humanist bezeichnet. Vielleicht darf ich Ihnen in Erinnerung an einen alten Humanistenspruch zurufen: amicus Zenker, magis amica veritas!
Sosehr man mit jemand befreundet sein mag, — wenn es um die Wahrheit geht, dann ist die Wahrheit die Freundin, der man zu dienen hat, und nicht der Freund!
Bei aller Kameradschaft und aller Ritterlichkeit, die darin liegen, wenn einer sich vor den angegriffenen Kameraden stellt — auch wenn er selbst das Gefühl hat, daß vielleicht nicht alles ganz in Ordnung mit ihm war; aber immerhin: man hat einmal den gleichen Waffenrock getragen —, sollten wir es uns abgewöhnen — und hierin stimme ich Ihnen bei, Herr Kollege Böhm —, immer ins Trarahorn der Kameraderie zu stoßen, wenn es sich um die Frage der Wahrheit handelt.
Dabei hat nämlich Kameradschaft nichts zu suchen.
Sie meinten, daß Weimar die Soldaten verprellt habe, daß die Republik von Weimar den Soldaten das Vertrauen verweigert habe und daß das zur Schaffung des Staates im Staate geführt hätte. Ich habe Ihnen einen Zwischenruf gemacht, den ich hier wiederholen möchte: Mit eines der entscheidenden Worte, die in der Weimarer Republik gefallen sind, eine der Landmarken, die alle hätten aufmerken lassen müssen, war doch die Antwort des Generals von Seeckt auf die Frage, wo die Reichswehr stehe: Die Reichswehr steht hinter mir! Das war nicht gesprochen, weil man der Reichswehr das Vertrauen verweigert hätte, sondern das war gesprochen, weil die Reichswehr sich mehr als der demokratische Staat dünkte.
Das wollen wir nicht wieder haben. Die Bundeswehr soll wissen, daß dieser Staat nicht nur älter als sie ist, sondern daß sie nichts anderes als eine Funktion dieses Staates ist
und daß deswegen alles, was sie tut, alles, was ihr zu tun aufgegeben ist, getan werden muß, weil die
verfassungsmäßigen Organe dieses Staates ihr die Befehle dazu geben. Und wenn es wieder einmal vorkommen sollte, daß ein General meint, die Bundeswehr habe hinter ihm zu stehen, dann hoffe ich, daß sich in diesem Hause genügend Leute finden werden, diesen Mann am gleichen Tag zum Teufel zujagen!
Sie meinten, ich hätte durch Unterstellungen, die aus meiner Rede herauszuhören gewesen seien, eine schwere Kränkung gegen Ihren alten Kameraden Zenker ausgesprochen. Ich glaube, Sie tun mir da Unrecht. Ich wollte diesen Mann nicht kränken. Ich habe ausdrücklich gesagt: Er ist sicher ein braver Soldat. Ich glaube auch nicht einmal, daß er aus bewußter Absicht — um nationalsozialistische Propaganda zu machen — so verkehrt gesprochen hat. Er hat wahrscheinlich aus Gedankenlosigkeit so gesprochen,
und das ist das Schlimme. Denn mit der Gedankenlosigkeit fängt es an; das Verbrechen kommt dann hinterher!
Ich bin sicher der letzte, der vom Soldaten den stummen Gehorsam fordert, velut ac cadaver, wie es in den Statuten des Heiligen Ignatius heißt. Ganz gewiß nicht! Auch der Soldat soll Zivilcourage und Mannesmut beweisen. Auch er soll sagen, was er denkt. Er soll aber wissen, daß er als Soldat ein Soldat der Bundesrepublik ist und nicht etwa Angehöriger eines bestimmten Standes, der nun einmal von früher her glaubt, bestimmte Vorurteile hegen zu müssen. Nein, keinen stummen Gehorsam wollen wir vom Soldaten, aber auch keine Arroganz.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben, daß es Mannesmut gibt, der bescheiden einherzugehen vermag. Im letzten Krieg gab es in meinem Frontbereich ein Landesschützenregiment, das von einem Oberst Buchholz kommandiert wurde, von einem direkten Abkömmling jenes Buchholz, der den Geldbeutel Friedrichs des Großen verschnürt zu halten pflegte. Man machte sich im Kasino über diesen Mann manchmal lustig, weil er ein wenig zu sehr altpreußisch war und bestimmte geläufige Dinge nicht mitmachte: er war eben so sparsam wie sein Vorfahr. Als nun der Befehl kam, daß Ortschaften, aus denen geschossen wurde, angezündet werden sollten, hat er seine Offiziere versammelt und gesagt: „Ich kommandiere keine Brandstifter, dieser Befehl wird nicht ausgeführt." Er ist daraufhin weggeschickt worden. Ich kenne zwei noch lebende Zeugen dieses Vorgangs: der eine ist der Baron von Knigge-Paddensen, der andere ein Herr von Kessel. Das hat es auch gegeben! Man konnte, wenn man wollte, sein Gewissen — seine Ehre, das, was man früher das Portepee nannte — über einen Befehl stellen, von dem man wußte oder von dem man wissen mußte, daß er gegen die Ehre ging und daß er aus dem Soldaten nichts anderes machte als einen Totschläger und einen Brandstifter.
Sicher soll man nicht bei jeder Dummheit aufschreien und gleich eine große Staatsaktion anrichten. Aber sehen Sie, dieser Kapitän zur See Zenker war doch nicht der nächste beste; er war doch der Mann, der von dem Herrn Verteidigungsminister damit beauftragt worden ist, die neue Marine der Bundeswehr aufzustellen. Er war also der Mann, dem es aufgegeben war, den Stil dieses Teils der Bundeswehr zu bestimmen. Ein solcher Mann muß, wenn er Worte spricht wie die, von denen wir hier geredet haben, sich gefallen lassen, zur Verantwortung gezogen zu werden, und der Minister muß es sich gefallen lassen, daß man ihn fragt, was er denn daraufhin getan hat.
Dabei muß ich doch noch auf etwas eingehen, Herr Minister, was Sie angeht. Sie haben die Rede nicht gekannt; wenn Sie das sagen, stimmt das. Aber nachdem Sie von dieser Rede gehört haben, wäre es meines Erachtens Ihre Pflicht gewesen, bis hinunter zu den nächsten Vorgesetzten von Kapitän Zenker zu fragen, ob diese die Rede gekannt haben,
und dann die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Ich glaube, das gehörte mit zu Ihren Dienstobliegenheiten.
Daß Sie das nicht getan haben, erlaubt, daß dieses Haus Sie tadelt.
Sie sagten, Herr Kollege Heye, daß weitgehend die Meinung verbreitet sei, die Soldaten seien die ersten Helfer des Nazisystems gewesen. Nach dem Krieg ist diese Meinung in der Tat sehr weit verbreitet gewesen. Wer die Dinge aus eigenem Erleben kennt, weiß, daß auch hier zu differenzieren ist, daß auch hier keine Kollektivschuld und keine Kollektivunschuld besteht. Es gab eine Reihe von Offizieren, die vom ersten Tage an Widerstand geleistet haben. Ich nenne nur General Beck, und Sie kennen viele andere, die ich hier nicht zu nennen brauche. Andere haben die Dinge gehenlassen, weil sie eben so gingen. Aber auch das darf nicht verschwiegen werden: viele Offiziere — und nicht erst die Reserveoffiziere — empfanden doch, was nach 1934 geschah, weitgehend als die Erfüllung ihrer Träume. Das ist doch auch wahr! Das hat es doch auch gegeben! Wir sollten also, wenn wir von diesen Dingen sprechen, differenzieren und sollten den einzelnen nach dem bewerten und beurteilen, was er getan hat und wohin er sich gestellt hat.
Sie haben recht, es gibt bei diesen Dingen nicht nur eine Verantwortlichkeit des Militärs. Es gab in der Weimarer Republik für diese Dinge auch eine Verantwortlichkeit der Politiker, der politischen Organe, auch des Reichstags. Aber wer hat denn die schwerere Verantwortung auf sich geladen: jene, die auf diese Dinge hingewiesen haben, jene, die wie Kurt Schumacher im Reichstag den Nationalsozialismus als den moralischen Schweinehund im Menschen bezeichnet haben, oder jene, die das Ermächtigungsgesetz beschlossen haben?
Auch daran muß man doch gelegentlich erinnern.
Nun noch ein letztes Wort. Wer mich kennt, weiß, daß ich nicht zu denen gehöre, die meinen, man müsse etwa um des Auslands willen in Sack und Asche gehen. Ich bin der Meinung, daß auch ein geschlagenes und besiegtes Volk, auch ein Volk, auf dessen Schultern schwere Verantwortung geladen worden ist, ein Recht auf Selbstachtung hat und daß es diese Selbstachtung nach außen und
nach innen zeigen muß. Aber — und das soll das letzte Wort sein, das ich hier spreche — das ist nur dann erlaubt, wenn man den Mut hat, die Wahrheit auszusprechen, auch wenn diese Wahrheit bitter ist wie Galle!