Rede von
Dr.
Johannes-Helmut
Strosche
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mir vorstellen — ich will keine Stellung dazu beziehen —, daß die Meinungen darüber geteilt sein können, ob die Anfrage der SPD in dieser Form und die sich daran anschließende eingehende Debatte über einen zweifellos diffizilen politischen Komplex wirklich sehr dienlich ist. Diese Frage kann im Raume stehen angesichts eines Komplexes, der fraglos recht schwierig ist, nicht zuletzt auch dadurch schwierig erscheint, weil uns ein gewisser zeitlicher Abstand zu all diesen Dingen noch nicht gegeben ist und weil die meisten von uns von den Leiden und Nöten stärkstens beeindruckt sind, die nun einmal mit unserem totalen Zusammenbruch verbunden sind.
— Vergessen nicht; ich habe nur gesagt: es ist möglich, daß die Frage auftaucht, ob in dieser Form die Dinge heute und hier für das Gesamte dienlich diskutiert werden.
Aber ich glaube, da die Dinge nun einmal angesprochen worden sind, hat der Politiker Stellung zu beziehen. Wenn hier gesagt wurde, daß der soldatische Typ ein Typ sein soll und immerdar ist, der sich auch einsetzt, d. h. im guten Sinne auffallen will und muß, und nicht zu denjenigen Typen, die nicht auffallen wollen, gehören sollte, dann ist auch erst recht der Politiker gezwungen, „heiße Eisen" anzufassen und Farbe zu bekennen, wie Herr Kollege Schmid mit Recht sagte. In dieser Hinsicht muß wohl der Politiker dem Soldaten verwandt sein, wobei er in seinem Auffallenwollen, wenn ich es so nennen darf, allerdings nicht so töricht und so unrühmlich handeln sollte wie Herr Zenker, — wenngleich mich die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Mende beeindruckt haben, daß man von diesen Ausführungen offensichtlich im Ministerium wußte und daß Herr Zenker offensichtlich mit Billigung, zumindest mit Wissen maßgeblicher politisch verantwortlicher Stellen gesprochen hat.
In dieser Hinsicht ist also die politische Verantwortlichkeit des Herrn Bundesministers klar festgelegt! Ich möchte ferner sagen: wir waren nicht nur etwas erstaunt über die zweifellos unzureichende Beantwortung der SPD-Anfrage, sondern wir möchten auch gerne hören, wie die Feststellungen des Herrn Kollegen Dr. Mende seitens des verantwortlichen Ministers beantwortet werden.
Wir sind dem Herrn Kollegen Schmid wohl alle für seine einleitenden Worte dankbar gewesen, in denen er deutlich herausgestellt hat, daß er kein Neuaufleben eines Entnazifizierungsverfahrens beabsichtige, daß er auch keine Analyse der Nürnberger Gerichtsbarkeit und eben dieses Komplexes im großen beabsichtige und daß er vor allem keinen Generalangriff auf die guten Traditionen des deutschen Soldaten schlechthin plane, Traditionen, die er mit Recht auch Traditionen der Menschlichkeit und des Anstands genannt hat. Ich möchte dem Herrn Kollegen Professor Schmid in seiner Auffassung beipflichten, daß der militärisch-soldatische Charakter, also auch nach der technischorganisatorischen und fachmännisch-wissensmäßigen Richtung hin, nicht zu trennen sei von dem menschlich-öffentlichen, wenn Sie so wollen, Charakter eines Soldaten und Offiziers. Das Ganze muß eine Einheit sein! Der Landser schlechthin — seien wir doch offen — hat in der Vergangenheit beim sogenannten Barras sehr oft darunter gelitten, daß diese Einheitlichkeit nicht vorhanden war, ja, daß man sich sogar auf diesen Zwiespalt berief und dem Landser dadurch das Leben oftmals schwer gemacht wurde. Millionen von Menschen haben im übrigen den totalen Zusammenbruch durch Vertreibung und Kriegsschäden vollauf bezahlen müssen und haben so leiden und opfern müssen: auch hier gab es keine Differenzierung, auch hier hat es sich um eine Ganzheit gehandelt! Ähnlich liegt es beim Wesen und bei der charakteristischen Struktur eines Offiziers oder Heerführers. Im übrigen ist auf Clausewitz und andere hingewiesen und mit Recht gesagt worden, daß es zur guten Tradition des deutschen und auch des preußischen Offiziers und Feldherrn gehöre, diese Ganzheit vorzustellen. Im 20. Jahrhundert hat dieser Ganzheitscharakter leider zu zerflattern begonnen. Hier ist auch der Ansatz für ungute Traditionen in unserem militärischen Bereiche gegeben. Jetzt, nach dem Zusammenbruch, anläßlich eines Neuaufbaues, wo wir die guten Traditionen aufnehmen und uns hüten wollen, die schlechten auch nur im Ansatz zu pflegen, ist eine solche Trennung durchaus unerwünscht. Nach den Erfahrungen, die wir alle gemacht haben, ist es notwendig, daß der Bürger in Uniform, der Soldat, als eine Ganzheit, als demokratischer Bürger und als Verteidiger unserer Freiheit und unserer Ideale dasteht. In dieser Hinsicht teilen wir die Auffassung, die der Herr Kollege Schmid vorgetragen hat.
Das unheilvolle System der Massenideologien und ihrer Technik, das im 20. Jahrhundert groß geworden ist, hat zweifellos auch den Soldaten überwältigt, wie man ja überhaupt manchmal die Frage aufwerfen könnte, ob nicht die Technik auch der Politik davonläuft. Der Soldat ist offensichtlich in der Vergangenheit zuerst von diesen techniserten, massenideologischen Kräften der Zeit überwältigt worden. Dieser Überwältigungscharakter, wenn ich so sagen darf, ist natürlich in gewis-
ser Hinsicht ein Entschuldigungsgrund und auch eine Chance, eine gewisse Entsühnung zu erblikken. Aber es gibt meines Erachtens eine Grenze, oberhalb deren Persönlichkeiten nicht schlechtweg einfach durch das Gegeneinander-Abwägen oder Trennen oder Ausspielen von rein militärischen Funktionen und gesamtmenschlichen und politischen Funktionen entschuldigt und sofort freigesprochen werden können. Die Kleinen, die Irrenden, die in jeder Hinsicht Mitlaufenden, — wer wollte heute einen Stein auf sie werfen? Aber Männer und Repräsentanten, die über diese Mittelschicht hinausragen, die Großen sozusagen, sie unterliegen natürlich einem Risiko im Felde des Handelns und Wirkens, einem Zwang; vielleicht ist dieser zeitbedingt, ein Zwang ist es auf jeden Fall. Dieser Zwang zieht folgendes nach sich: sie müssen erstens zahlen und büßen, sie müssen zweitens, so glaube ich, heute schweigen, und daraus ergibt sich drittens für uns noch manche Folgerung im Hinblick auf den Fall Zenker. Das ZahlenMüssen ist eben ein Ding, das als Risiko in Kauf genommen werden mußte, wobei bei der einen oder anderen Persönlichkeit die eigene Schuld oder die tragische Schuld mehr im Vordergrund stehen kann.
Ich möchte einmal folgendes sagen: beim Fall Dönitz sind meiner Meinung nach auch zweifellos positive Züge nicht zu vergessen, und sie sollten nicht vergessen werden. Das sind jene Dinge, die hier bereits zum Teil angeführt wurden, nämlich, daß man sich bemüht habe, Auswüchse zu verhindern und die Marine soweit wie möglich sauber und intakt zu halten; das ist wohl auch die Tatsache, daß Herr Dönitz sich in der letzten Stunde des Zusammenbruchs 'nicht in die Büsche geschlagen hat wie so manche andere Größen, die einfach getarnt verschwunden sind und die das Schicksal ereilte oder nicht ereilte.
— Ja, ich kann nicht alle Anforderungen hier aufzählen, die im politischen Feld notwendig sind. Ich meine, das sind nur ein paar Beispiele.
— Darf ich noch eines sagen, und das ist vielleicht noch etwas mehr. Zweifellos verdankt seiner Initiative eine Vielzahl von deutschen Menschen aus den Ostgebieten, die sich auf der Flucht befunden haben, ihr Leben. Es ist bekannt, daß viele Frauen, Mütter und Kinder durch ihn gerettet wurden. Ich wollte also sagen, im Felde seiner zweifellos eigenen Schuld gibt es auch positive Züge.
— Klar, das wird niemand bestreiten.
Auf der anderen Seite der tragischen Schuld gilt das alte lateinische Sprichwort: Fata volentem ducunt, nolentem trahunt.
— Ich lasse mich gern belehren. Ich habe das geflügelte Wort unter: „ducunt volentem fata, nolentem trahunt" in Erinnerung; sollte das vielleicht an verschiedenen Schulgattungen liegen?
Auf jeden Fall sind die politischen „Weisheiten",
die von diesen Herren verzapft wurden und die
Sie, Herr Kollege Schmid, hier herausgestellt ha-. ben, und das Mitmachen trotz besserer Kenntnis natürlich negative Züge im Felde der tragischen Schuld.
Wir sind aber der Auffassung, daß trotz eingetretener innerer Läuterung und Wandlung die Menschen aus jenem Bereich im politischen Feld schweigen sollten. Dabei mag bitteres Zahlenmüssen vielleicht mit der Zeit einen gewissen Entschuldungscharakter nach sich ziehen. Das Schweigenmüssen auf längere Zeit, vielleicht auf Lebenszeit, ist aber ein politisches Gebot der Stunde!
Was man aber keinesfalls tun sollte — und damit komme ich zum Schluß —, ist, solche zwielichtigen, vielleicht durch die geschichtlich-politische Prozeßführung noch nicht eindeutig umrissenen und beurteilten Personen ausgerechnet bei Neubeginn unserer Bundeswehr voranzustellen und durch die Art dieser Vorstellung die Möglichkeit zu geben, hinter ihren Worten eine Idolsetzung zu vermuten.
Das ist unklug und dumm, das ist gefährlich; es ist sogar sehr gefährlich.
Wenn der ehrenwerte Kapitän zur See Zenker so etwas sagt, besser: sagen kann, so ist mit dem Finger auf die politisch verantwortliche Stelle zu zeigen. Es ist zu sagen, daß wir uns Derartiges beim Aufbau unserer neuen Bundeswehr auf keinen Fall leisten können und dürfen, und zwar sowohl im Hinblick auf die klare und gute Tradition des deutschen Soldatentums, wie auch im Hinblick auf die Forderungen und Probleme, die durch die neue Bundeswehr allerorts auftreten. Hier liegt also das Grundproblem! Wir sollten diese politische Verantwortlichkeit festhalten und damit verhindern, daß es gerade beim Start unserer Bundeswehr in Zukunft zu derartigen unliebsamen Pannen kommen kann.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.