Rede von
Dr.
Franz
Böhm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zum Wort gemeldet, weil ich mich zu meinem Bedauern mit den Ausführungen meines Fraktionsfreundes Heye nicht im Einklang befinde und, wie ich nicht nur glaube, sondern weiß, diese meine Meinung auch von einem großen Teil meiner Fraktionsfreunde geteilt werden wird.
Es handelt sich ja um einen relativ einfachen Tatbestand. Es handelt sich darum, daß der Kapitän zur See Zenker anläßlich einer feierlichen Gelegenheit die schweren Vorwürfe und Bedenken, die sich seitens unseres Volkes gegen die Admirale Raeder und Dönitz richten, sozusagen vor den angetretenen Einheiten als für die Marinestreitkräfte der Bundesrepublik nicht verbindlich beiseite geschoben hat.
Das ist eine Art von kollektivem, standeskollegialem Denken, das eine ganz klare Demonstration enthält.
Die Tatsache, daß bei uns im allgemeinen Militärs die Reden halten, auch in der Vergangenheit gehalten haben, und zwar Reden mit zweifellos politisch demonstrativem Inhalt,
und das nie haben wahrhaben wollen und ihre Auffassungen für nicht politisch erklärt haben, gerade das ist ja das Beängstigende an diesem Vorgang.
Das ist der Grund, warum wir hier darüber sprechen müssen. Wenn man es ganz milde ausdrücken wollte, so könnte man sagen: Das, was wir hier dem Kapitän zur See Zenker vorzuwerfen haben, ist zuviel Verständnis für die Admirale Raeder und Dönitz. Aber wir haben, auch auf seiten des Herrn Bundesverteidigungsministers, zuviel Verständnis für den Kapitän zur See Zenker herausgehört.
Im Grunde handelt es sich hier um die Begründung einer forschen Legendenbildung aus — ich möchte das harte Wort „Beschränktheit" vermeiden; denn jeder von uns, und dem schließe ich mich ebenfalls an, unterstellt dem Kapitän zur See Zenker persönlich durchaus ehrenhafte Motive —, einem „beschränkten Gesichtswinkel".
Es handelt sich um die Bekundung einer Standessolidarität, die sich von den ernsthaften, seriösen politischen Einsichten der Nation absetzt. Hier wird eine Kollektivgeschichtsfälschung, eine Kollektivgeschichtsbeschönigung kultiviert
und eine legendäre Kontinuität der militärischen Tradition künstlich unterzementiert.
Die Ergebnisse dieser forcierten Legendenbildung aber — das ist unausbleiblich, meine Damen und Herren — werden dann unweigerlich mit Hilfe standespolitischen Milieuzwangs zu maßgeblichen Musteransichten des ehrbewußten Soldaten hinaufgezüchtet.
Dann heißt es: So und nicht anders hat der standesbewußte Angehörige der bundesdeutschen Seestreitkräfte zu denken, oder er ist nicht ganz gesellschaftsfähig oder der weichlichen Hinneigung zu zivilistischem Denken verdächtig,
was dann so viel bedeutet, daß der Betreffende kein rechtes soldatisches Ehrgefühl besitzt.
Dies ist aber gerade das Denken, das wir in unseren neuen Streitkräften nicht haben wollen!
Es ist typisch für das leider traditionelle schiefe Verhältnis zwischen Militär und Zivil, wie es in einem freien, selbstbewußten Volk nicht sein sollte, sondern das im Grunde ein seltsamer Rückstand feudaler Rangvorstellungen ist.
Wir müssen dafür sorgen, daß sich keine exklusive Sprachregelung dieser Art über die deutsche Geschichte, und sei es auch über die deutsche Militär- und Marinegeschichte, unter unseren Offizieren und Soldaten bildet.
Ich habe eben davon gesprochen, daß ein traditionelles schiefes Verhältnis zwischen Zivil und Militär bei uns besteht. Wir müssen, weil Traditionen
ungeheuer mächtig sind, befürchten, daß diese Tradition sich auch in unsere Zeit und auch in unsere
neue Wehrmacht hinüberretten. Wenn wir also
damit rechnen müssen, daß eine solche Sprachverschiedenheit, eine solche Kluft vielleicht im einen
oder anderen Falle auch künftig bestehen wird,
so müssen wir das tun, was das Parlament eines
freien Volkes tut, wenn es sich darum handelt,
eine Kluft zwischen Bürgern ein und desselben
Landes zu überbrücken: wir müssen sprechen. Wir
müssen mit unseren Soldaten sprechen. Das ist eines
der Hauptanliegen einer Großen Anfrage. Man
muß in diesem Fall unter Umständen auch mit
Mann, der sich exponiert hat,
einem einzelnen Mann, der sich, exponiert hat,
sprechen und ihm begreiflich machen, was er hier eigentlich getan hat und was unser Anliegen ist. Unsere Offiziere und Soldaten werden sich darauf gefaßt machen müssen, daß der Deutsche Bundestag noch auf Jahre hinaus keine einzige Entgleisung — selbst niedrigerer Offiziere — solcher Art auf sich beruhen lassen wird.
Ich bin also auch insofern nicht mit meinem verehrten Freund Heye einverstanden. Ich bin nicht der Meinung, man müsse es bedauern, daß die Entgleisung eines Offiziers zum Gegenstand einer Großen Anfrage gemacht wird. Im Gegenteil: Ich begrüße es; denn ich bin der Meinung: Die Wahrheit wird uns frei machen!