Rede von
Hellmuth Guido Alexander
Heye
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen, die mit mir im Verteidigungsausschuß sitzen und von denen ich annehme, daß wir uns im Laufe unserer intensiven und, wie ich betonen möchte, immer sachlichen Zusammenarbeit in diesem Ausschuß einigermaßen kennengelernt haben, werden verstehen, daß ich das Einbringen der Großen Anfrage der SPD bedaure.
Sie werden auch verstehen, daß ich mich der Pflicht unterziehen muß, dazu Stellung zu nehmen.
Im Interesse der Sache, die zu vertreten ich als Pflicht betrachte, bedauere ich zunächst, daß ein so redegewaltiger und von mir persönlich hoch verehrter Herr Kollege wie Herr Professor Schmid die Anfrage vertritt. Ich hoffe, wenigstens in Ehren bestehen zu können, auch wenn ich mir darüber klar bin, daß bei mir das Wollen stärker ist als das Vermögen. Aber als altem Seemann werden Sie es mir vielleicht zugestehen, daß wir Seeleute gewohnt sind, auch stärkeren Naturgewalten zu trotzen.
— Herr Professor, geben Sie mir die Möglichkeit, einen mühsam erworbenen Gedanken zu Ende zu führen, ehe Sie mich darin unterbrechen.
Ich möchte gleich am Anfang sagen, daß wir uns in einem Punkte unterscheiden. Das ist vielleicht wesentlich, und ich werde noch im einzelnen darauf zurückkommen. Ich glaube sehr wohl, daß man in diesem Falle gerade beim Soldaten und aus der soldatischen Atmosphäre heraus unterscheiden soll zwischen dem, was einer als Soldat gewesen ist, und dem, was einer als Politiker gewesen ist.
— Herr Professor, ich komme auf diese Dinge noch zu sprechen.
Ich möchte dabei betonen, daß einzelne von den Erlassen, die Sie angeführt haben, auch mir unbekannt waren, obwohl ich in dieser Zeit auch Befehlshaber gewesen bin. Ich kann Ihnen versichern, daß sie auch dem Kapitän Zenker sicher unbekannt waren. Dem Kapitän Zenker waren im übrigen die beiden Zitate, die Sie von Raeder und Dönitz gebracht haben, unbekannt. Die erste Rede war auch mir aus dem Gedächtnis entfallen. Ich möchte also annehmen, daß man die Marine vielleicht gerade im Kriege überschätzt, wenn man annimmt, daß sie mit den politischen Dingen so in Kontakt gestanden habe, wie andere Leute die Möglichkeit dazu hatten.
Ich darf meine Ausführungen damit beginnen, daß ich es gerade nach den Ausführungen von Professor Schmid bedauere, daß durch solche Anfragen Diskussionen heraufbeschworen werden, die wegen der Kürze des historischen Ablaufs nur sehr selten sachliche und objektive Urteile zeitigen können. Ich bedauere es auch deshalb, weil durch die Anfrage einer großen Partei im Bundestag die Äußerungen eines Kapitäns zur See, also eines Offiziers, der in der Beamtenhierarchie den Rang eines Ministerialrats hat, eine Bedeutung gewinnen, die sie nach meiner Auffassung weder innen- noch außenpolitisch haben.
Ich bedauere die Anfrage auch im Interesse der SPD selbst, weil sie gerade in den Zeiten des Aufbaus dazu führen könnte, daß künftige Soldaten schon bei dem Beginn des sehr schwierigen Starts den Eindruck gewinnen, daß die SPD ihnen mit sehr großem Mißtrauen gegenübertritt; eine Auffassung, die ich persönlich nicht teile. Ich hoffe vielmehr, daß wir bei der Aufstellung der Bundeswehr im Gegensatz zu der Zeit von 1918 vom Beginn an ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis zwischen den demokratischen Parteien und der Bundeswehr erreichen können. Ein solches Vertrauensverhältnis ist zweifellos die beste Gewähr gegen eine Isolierung der Bundeswehr und gegen die Gefahr, daß eine militärische Organisation ein Staat im Staate wird. Ich darf dabei daran erinnern, daß die Reichswehr der Weimarer Republik nicht nur deshalb ein Eigenleben innerhalb des staatlichen Apparats geführt hat, weil die Masse der damaligen Soldaten und naturgemäß auch Millionen sonstiger Staatsbürger den jähen Übergang von der Monarchie zur Republik nicht überwunden hatten, sondern auch deshalb, weil sich die politische Führung der Weimarer Republik zwar der Reichswehr zur Aufrechterhaltung der Ordnung bedienen mußte, es dagegen zweifellos an dem Bemühen fehlen ließ, den Soldaten durch Vertrauen und Verständnis an die neue Staatsform zu binden.
Politisch — das möchte ich auch noch einmal betonen — halte ich Anfragen dieser Art im Augenblick des Starts der Bundeswehr für unzweckmäßig.
— Die kenne ich; ich bin auch Humanist. — In manchen Kreisen des Inlandes und vor allen Dingen auch des Auslandes könnte allzu leicht die Auffassung Raum gewinnen, daß die Sicherheit der Bundesrepublik, die politische Zuverlässigkeit der Bundeswehr und die Staatsgesinnung ihrer Mitglieder schon nach den Ausführungen eines einzelnen Stabsoffiziers irgendwie gefährdet erschienen —meine Damen und Herren, das ist nicht der Fall —,
noch dazu eines Stabsoffiziers, der nach meinem
Urteil und nach der Überzeugung aller, die ihn
kennen, eine ruhige, allem Radikalen abholde Natur, eine sachlich denkende und mehr erwägende als wagende Persönlichkeit
und ein demokratischer Staatsbürger aus Gesinnung, nicht aus Gründen der Zweckmäßigkeit ist.
Jedenfalls ist das meine Auffassung. Ich fühle mich zu einer solchen Äußerung verpflichtet, weil ein Punkt der Großen Anfrage so aufgefaßt werden könnte, als ob die Gesinnung und die politische Zuverlässigkeit des Kapitäns Zenker bezweifelt würden. Ein solcher Zweifel bedeutet nach meiner Ansicht eine schwere Kränkung für einen Mann, der sich von Anfang an aus ehrlicher Überzeugung für den Aufbau der Verteidigungsorganisation zur Verfügung gestellt hat.
— Das ist eine andere Frage.
— Ich komme auf diesen Punkt noch zurück.
Lassen Sie mich zu meinen geschilderten Bedenken noch in aller Offenheit darlegen, warum ich Anfragen dieser Art nicht nur für politisch unzweckmäßig, sondern auch für schädlich für den Aufbau und die Personenwahl der Bundeswehr halte. Wir bemühen uns im Bundestag und in vorbereitender Art im Verteidigungsausschuß, die neue deutsche Bundeswehr wirklich modern und in der inneren Führung zeitgemäß aufzubauen. Wir versuchen, den kommenden deutschen Soldaten die staatsbürgerlichen Rechte nur soweit zu mindern, als dies mit der nach wie vor wichtigsten Forderung zu vereinbaren ist, daß die Wehr der Bundesrepublik ein zuverlässiges Instrument von höchstem Kampfwert ist. Ich darf wohl behaupten, daß die ehemaligen Soldaten in diesem Hohen Hause einen solchen Kurs besonders unterstützt haben und weiter konsequent unterstützen werden. Wir sehen in der totalen Unterbrechung der Verteidigungsorganisation die große Chance, ohne Bindung an überlebte äußere Formen und unzeitgemäße Bestandteile früherer militärischer Organisationen vom Fundament angefangen neu aufzubauen. Wir gehen dabei alle zusammen bewußt ein Risiko ein, vielleicht auch einmal zu weit vorzugreifen.
Sie werden aber mit mir sicher darin übereinstimmen, daß der deutsche Mensch, nicht nur der deutsche Soldat, eher einer Steigerung seines Gefühls für Selbstverantwortung und für Zivilcourage bedarf als dessen, seiner Neigung Vorschub zu leisten, lediglich Befehlsempfänger zu sein und möglichst wenig Verantwortung zu tragen.
— Das soll er ja. — Während man vom Soldaten früher und heute den stummen Gehorsam erwartete — im Gegensatz zum blinden Gehorsam, der bei geistig entwickelten Völkern eine paradoxe Forderung ist —, wollen wir darüber hinaus den eigenen Willen des Soldaten und sein Verantwortungsgefühl, aber auch seine Entschlußfähigkeit soweit stärken, daß er notfalls auch ohne Befehl im Sinne der Führung handeln kann. Ich bin mir be-
wußt, daß das eine sehr weitgehende Forderung ist. Aber wir sind uns in diesem Hohen Hause fast einig darin, daß wir den ersten Schritt in dieser Hinsicht tun wollen.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Erziehung des kommenden Soldaten — und eine Erziehung ist notwendig — und die Entwicklung eines Typs, der dieser Forderung entspricht, längerer Zeit bedarf. Gerade bei Beginn eines Aufbaues werden wir auf diesem oder jenem Gebiet nicht nur mit den durchaus verständlichen Entwicklungskrankheiten zu tun haben, sondern wir werden auch mit diesem oder jenem Versager zu rechnen haben. Wir sollten uns aber alle in diesem Hause darüber klar sein, daß man den Typ des neuen Soldaten, also des Staatsbürgers in Uniform, nicht fördert, wenn man auf der einen Seite zwar möglichst viele Rechte des Staatsbürgers dem Soldaten beläßt und seine Rede- und Handlungsfreiheit möglichst wenig eingeschränkt wissen will, aber beim ersten Anlaß die Idee des Staatsbürgers sozusagen fallenläßt und vom Soldaten das fordert, was man selbst bei früherer Gelegenheit beanstandet hat, nämlich daß er den Mund hält, ohne daß er selbst die praktische Erfahrung seiner Grenzen erworben hat, innerhalb deren er seine eigene Auffassung mit Freimut bekennen oder nicht bekennen kann. Ich weiß nicht, ob alle Bürger und alle Politiker und alle Minister die Grenzen wissen, innerhalb deren sie sprechen können, ohne die Demokratie zu gefährden.
Meine Damen und Herren, ich habe wirklich die größte Sorge, eine solche kritische Beurteilung der Worte eines Stabsoffiziers, ganz gleich, ob in diesem Fall die Kritik berechtigt ist oder nicht, könnte dazu führen, daß gerade bei den Soldaten der Mut zum Vertreten der eigenen Ansicht erlischt. Ich sehe als erfahrener Soldat, der mit den Fragen der Menschenführung und der Psychologie einigermaßen vertraut zu sein glaubt, in einem solchen Verfahren die große Gefahr, daß wir dadurch das Gegenteil von dem erreichen, was wir alle wollen, daß wir also einen Soldaten und Offizier erhalten, der aus Sorge um seine Existenz, vielleicht auch aus Angst vor seinen militärischen und politischen Vorgesetzten, ängstlich vermeidet, nach irgendeiner Seite aufzufallen. Er wird dann zu dem lauwarmen und leider schon sehr verbreiteten Typ derer werden, die niemals auffallen wollen, also farblos sind, die nur wägen, aber nicht einmal in Gedanken wagen und die in kritischen Situationen ganz bestimmt nicht die Erwartung erfüllen werden, die wir alle gerade in sie als Soldaten setzen.
— Ich als alter Soldat kann es ja ruhig sagen. In der Masse verlangt jeder Beruf einen besonderen Typ. Der soldatische Typ ist anders als der Typ des Beamten, des Kaufmanns, des Geistlichen oder des Philosophen, auch wenn einige abweichende Typen sich günstig auf das Ganze auswirken werden.
Ich möchte dabei betonen, daß nicht alle, die das Parteibuch der NSDAP nicht besessen haben, aus diesem Grunde als Nichtnationalsozialisten anzusehen sind. Ich glaube, daß sehr viele von ihnen einfach zu den Menschen gehören, die überhaupt keine Stellung nehmen.
Wir wollen uns ganz nüchtern darüber klar sein, daß gerade der soldatische Beruf Männer verlangt, die auch bereit sind, ein Risiko einzugehen, und sei es das Risiko, daß sie auch einmal eine Dummheit sagen oder eine Dummheit machen. Schließlich hat jeder Staatsbürger das Recht, von seiner Redefreiheit Gebrauch zu machen, selbst auf die Gefahr hin, daß nicht alles, was er sagt, Weisheiten sind. Diese Freiheit genießen auch die Politiker, und ich habe mir sagen lassen: gelegentlich auch Minister.
Von einem verständnisvollen Gremium hätte ich in diesem Falle erwartet, daß man, sofern man diese Ansicht vertritt, den Freimut und die Zivilcourage des Kapitäns Zenker anerkennt — denn es gehört Zivilcourage dazu, ein solches heißes Eisen anzupacken —
und daß man ihn auf der andern Seite in ruhiger und persönlich nicht verletzender Form darauf hinweist, wie etwa die politische Führung im Sinne des Staatsbürgers in Uniform sich ausgedrückt hätte, um den ehrenhaften Motiven von Zenker gerecht zu werden.
Ich muß in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß Kapitän zur See Zenker wegen der besonderen Verhältnisse in der Marine und wegen des Zusammengehörigkeitsgefühls, das ohne Unterbrechung über die Kapitulation bis heute noch besteht, auf das Thema eingehen mußte und daß die Tatsache, daß er dieses schwere Problem überhaupt angesprochen hat, auch von denen anerkannt wird, die in dieser oder jener Frage mit der Auffassung Zenkers, sicher auch mit der Formulierung, nicht übereinstimmen.
Zum besseren Verständnis für das Verhalten des Kapitäns zur See Zenker darf ich hier kurz einschalten, warum gerade in der Marine ein sehr stark ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl besteht. Jeder, der mit der Führung von Menschen beauftragt ist, wird aus psychologischen Gründen auf dieses Gefühl Rücksicht nehmen, weil er dadurch die wechselseitige Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Untergebenen auf eine menschlichere und deshalb wirkungsvollere Basis stellen kann. Das enge Zusammenleben an Bord, auch außerhalb der besonderen Dienstverpflichtungen, bringt es mit sich, daß die wechselseitige Kenntnis sowohl der Vorzüge wie der Schwächen jedes Besatzungsmitgliedes sehr umfassend ist. Der Teamgedanke ist für die Besatzung eines Schiffs, ganz gleich ob Kriegs- oder Handelsschiff, nichts Neues. Seit die See befahren wird, stellt eine Schiffsbesatzung die Verwirklichung des Teamgedankens dar, auch schon, bevor dieser moderne Ausdruck geprägt wurde. Verantwortung und Aufgabe greifen ineinander; denn der Ausfall auch der einfachsten Funktion kann zu Störungen führen, die das ganze Schiff gefährden.
Von besonderem psychologischem Einfluß ist auch die Tatsache, daß der Admiral eines Verbandes und der Kommandant eines Schiffs, ganz gleich,
ob es ein kleines oder großes Schiff ist, im Frieden und im Kriege, bei gutem und bei schlechtem Wetter sichtbar die Hauptlast der Verantwortung tragen, aber auch für falsche Entschlüsse oder fehlende Sachkenntnis den gleichen Zoll an das Schicksal zu bezahlen haben wie der jüngste Matrose.
Schließlich darf ich noch hinzufügen: die deutsche Marine hat sowohl im ersten wie noch mehr im zweiten Kriege vom ersten Tage an unter der harten Notwendigkeit gestanden, ihre Aufgabe in einer zahlenmäßig hoffnungslosen Unterlegenheit gegenüber einem weit überlegenen Gegner durchzuführen, und das schweißt zusammen. Wahrscheinlich darf man auch als Elemente, die die Kameradschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl steigern, die Kenntnis des Auslandes und die gerade in der Marine bei den verschiedenen revolutionsartigen Erscheinungen seit 1917 gemachten Erfahrungen hinzurechnen.
Weiter: Seit jeher erstreckt sich der Begriff der soldatischen Kameradschaft nicht nur auf den engen Kreis der Stubengemeinschaft oder der Korporalschaft, sondern umfaßt alle Menschen, die überhaupt einmal einen Wehrpaß gehabt haben und die einmal unter dem gleichen Gesetz gelebt, gedient und gekämpft haben. Ich glaube nicht, daß in irgendeinem uns heute verbündeten Land ein solcher Hinweis kritisiert worden wäre, wenn dort unter ähnlichen Umständen wie bei uns eine neue Wehrmacht im Entstehen begriffen wäre.
Was ist denn eigentlich geschehen? Der kommissarische Leiter der Marine, Kapitän zur See Zenker, hat am ersten Tage der Aufstellung der Marine-Lehrkompanie in Wilhelmshaven anläßlich der in allen Marinen üblichen Flaggenparade eine Ansprache an die Freiwilligen gehalten. In dieser Ansprache unterstrich er die Bedeutung des Tages als den sichtbaren Anfang einer neuen Bundesmarine mit neuen Zielen auf der Grundlage der ehrenvollen Tradition seit den Tagen der ersten Bundesmarine von 1848, Gedanken, die Professor Schmid besser als ich ausgesprochen hat. Er versuchte bei dieser Gelegenheit, aus seiner Sicht heraus die Fragen zu beantworten, die seit der Kapitulation immer und immer wieder von früheren Soldaten und natürlich auch in allen Kreisen der Marine gestellt worden sind, vielfach ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit, der Religion oder der Landsmannschaft. Ich stehe noch heute mit zahlreichen ehemaligen Waffenträgern der alten Wehrmacht, insbesondere natürlich der Marine, in der ganzen Bundesrepublik in Verbindung. Ebenso wie wir im Kriege bei einem Frontverband nicht nach der politischen oder der konfessionellen Einstellung des Schicksalsgefährten gefragt haben, genauso wenig spielt für uns heute bei soldatischen Problemen die Frage der Parteizugehörigkeit, der Religion oder der Landsmannschaft eine Rolle. Es kommt einzig und allein darauf an, ob ein Mann in Erfüllung seiner staatsbürgerlichen oder soldatischen Aufgabe ein ganzer Kerl gewesen ist und heute noch ist. Ich bitte mir deshalb zu glauben, daß nach meiner Überzeugung der verantwortliche Offizier sich zu diesen Problemen äußern mußte, zu Problemen, die nach wie vor eine Beeinträchtigung der Souveränität der Bundesrepublik bedeuten und die leider bis zur Stunde noch nicht beseitigt worden sind, obwohl bereits deutsche Soldaten in täglich steigender Zahl Seite an Seite mit den westlichen Bundesgenossen sich auf ihre Aufgaben der Sicherung der Freiheit vorbereiten.
Diese meine Feststellung, meine Damen und Herren, bedeutet nicht, daß die noch auf deutschem Boden von fremden Gerichten verurteilten und in Haft befindlichen deutschen Menschen alle völlig
schuldlos dieses Schicksal zu tragen haben. Sie bedeutet aber, daß die souveräne Bundesrepublik ihrem Grundgesetz möglichst schnell Geltung verschaffen muß, nach dem ein Bürger der Bundesrepublik nur von deutschen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden kann und auch gezogen werden muß. Fremde Urteile, die wir als einseitig empfinden müssen, wie es auch Professor Schmid ausgedrückt hat, erkennen wir nicht an, auch wenn ein deutsches Gericht zu dem gleichen Spruch gekommen wäre. Die Bundesregierung hat sich ja im Überleitungsvertrag ausdrücklich zu diesem Standpunkt bekannt, und die Westmächte haben ihn anerkannt. Warum soll ein Offizier diese Ansicht nicht vertreten dürfen?
Die an sich schon überaus schwierige Aufgabe der Neuaufstellung der Bundeswehr würde zweifellos erleichtert, wenn wenigstens in den Fragen der Kriegsverurteilten und der in Spandau Festgehaltenen eine Klärung in dem Sinne erfolgte, daß die Autorität der Bundesrepublik in der Zuständigkeit, über Recht und Unrecht nach deutschem Recht und durch deutsche Gerichte zu entscheiden, wiederhergestellt wird.
Ich betone erneut, daß Zenker nach meiner Überzeugung auf dieses heiße Problem eingehen mußte — wenn er Zivilcourage hatte. Ich weiß, daß viele Staatsbürger — und nicht nur ehemalige Soldaten — dafür dankbar sind, daß er gerade in der Stunde des Aufbaus der Bundeswehr auf die Belastung zu sprechen kam, die jeder nachdenkliche und kameradschaftlich fühlende deutsche Mensch durch die noch ausstehende Lösung des Problems der Kriegsverurteilten spürt.
Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, und ich unterstreiche es durchaus, daß die Verpflichtung des einzelnen Staatsbürgers gegenüber der Gemeinschaft höher ist als selbst die Verpflichtung gegenüber einem in Not befindlichen Kameraden. Zenker hat wie viele andere Kameraden — und ich bin dankbar, daß Professor Schmid das auch erwähnt hat — sich zu dieser Auffassung bekannt, als er sich trotzdem schon vor Jahren vorbehaltlos zum Waffendienst verpflichtet hat.
Meine Damen und Herren, die Vermutung, daß Zenker mit seiner Rede — und da unterscheide ich mich von dem hochverehrten Kollegen Professor Schmid — politische Probleme behandeln und etwa Tendenzen des Nationalsozialismus verherrlichen wollte, muß ich allerdings aus Kenntnis seiner Person und der Sache zurückweisen. Der Kapitän zur See Zenker, der — das darf ich einflechten — kein Politiker und Zeit seines Lebens Soldat gewesen ist, hat in seiner Ansprache betont, daß die Marine sauber, anständig und ehrenhaft geführt worden ist und daß kein Makel an der Person der ehemaligen militärischen Oberbefehlshaber hafte. Er hat dabei für meine Begriffe zum Ausdruck bringen wollen, daß er für die Soldaten Raeder und Dönitz eintritt und nicht für die politischen Persönlichkeiten Raeder und vor allen Dingen Dönitz, deren Beurteilung gar nicht in seine Zuständigkeit fällt. Und lassen Sie mich ergänzen: Ich glaube, daß er gar nicht in der Lage ist, die politische Seite zu beurteilen.
Im übrigen darf darauf hingewiesen werden, daß die beiden von Professor Schmid und in der Anfrage der SPD zitierten Reden trotz sicher eifriger Nachforschung des damaligen Nürnberger Tribunals die einzigen Unterlagen in dem ungeheuer umfangreichen Anklagematerial von Nürnberg sind, in denen festgestellt werden konnte, daß Raeder und Dönitz Äußerungen gegen das Judentum getan haben. Ich glaube, daß man zur Entlastung, nicht zur Entschuldigung das Nürnberger Gericht selbst anführen kann, das diese Äußerungen ja gar nicht ernst genommen hat. Das ergibt sich daraus, daß weder Raeder noch Dönitz wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit verurteilt worden ist. Denn unter diese Bezeichnung fielen alle judenfeindlichen Maßnahmen.
Dabei ist festzustellen, daß in der Marine bei Einführung des Arierparagraphen mit jeder damals möglichen Toleranz vorgegangen wurde. Wir haben bis zuletzt Offiziere gehabt, die persönlich — oder deren Frauen — von Juden abstammten, die ihren Dienst auch in hohen Stellungen weiter versehen haben. Sie sind weder gesellschaftlich noch kameradschaftlich benachteiligt worden. Soweit mir bekannt, haben entsprechende eidesstattliche Affidavits dem Nürnberger Gericht vorgelegen.
Wie weit Zenker nach meiner Auffassung davon entfernt ist, irgendeiner Verherrlichung des Nationalsozialismus auch nur andeutungsweise durch das Eintreten für die beiden Großadmirale Vorschub zu leisten, geht auch daraus hervor — das hat Professor Schmid schon zum Ausdruck gebracht —, daß er in dieser gleichen Rede gesagt hat, daß die beiden Großadmirale ihr Schicksal für alle getragen, die damals in gutem Glauben einer verantwortungslosen politischen Führung gedient haben, die uns fast die ganze Welt zu Feinden gemacht hat.
— Auf diesen Punkt komme ich noch zu sprechen, Herr Professor.
Ich weiß, daß es manche Stimmen in diesem Hohen Hause — und nicht nur in der SPD — gibt, die überhaupt bemängeln, daß Zenker in seiner Ansprache nicht nur allgemein das Thema der noch in Haft befindlichen Kriegsverurteilten angeschnitten hat, sondern sich mit größter Ausführlichkeit mit dem Problem der beiden Großadmirale und vor allen Dingen dem noch in Spandau festgehaltenen Admiral Dönitz beschäftigt hat, dessen Haftzeit bei der in anderen Ländern, selbst in der Sowjetunion, üblichen Anrechnung der Untersuchungshaft bereits verbüßt gewesen wäre.
Ich bin der Auffassung, daß Zenker auf diese Frage eingegangen ist nicht wegen der politischen Rolle — ich glaube, jeder, der Zenker kennt, wird mir in der Sache beistimmen —, die Dönitz als Nachfolger Hitlers — wo er praktisch nur der Liquidator des Krieges war — erst ab 1. Mai 1945 cinc Woche lang gespielt hat, sondern um die Gründe darzustellen, die in diesem Fall von dem verantwortungsbewußten Staatsbürger verlangen, daß er die als soldatische Tugend anerkannten Begriffe von Kameradschaft und Treue um einer höheren Aufgabe willen zurückstellt. Genau das hat Zenker selbst getan. Wir haben im kürzlich verabschiedeten Soldatengesetz dem § 10 zugestimmt, der mit den Worten beginnt:
Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen.
Der Kapitän zur See Zenker hat nichts anderes getan, als vor den jungen Freiwilligen die Gründe dargelegt, warum in diesem Fall die Verpflichtung jedes Soldaten, seinem Kameraden in Not und Gefahr beizustehen, sich auf das Bestreben, dem früheren Kameraden durch persönliche Anteilnahme zu helfen, beschränken muß. Mit einem Hinweis auf die politische Tätigkeit der beiden Admirale oder gar mit der in der Anfrage angenommenen Absicht, die beiden ehemaligen Oberbefehlshaber als „Muster" hinzustellen, haben nach meiner Ansicht die Ausführungen Zenkers nichts zu tun. •
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die Zeit noch nicht reif ist für eine sachliche Beurteilung von Persönlichkeiten, die in der Zeit des Nationalsozialismus die militärische Verantwortung zu tragen hatten. Ich glaube auch, daß infolge der Anforderungen des Tages und der ständig wechselnden politischen Lage unserer Generation noch nicht die Zeit geschenkt war, um auf der Grundlage von Dokumenten, der historischen Forschung und einer richtigeren richterlichen Beurteilung eine kritische und gerechte Beurteilung der handelnden Persönlichkeiten dieser Zeit abzugeben. Bis dahin wird die öffentliche Meinung sich in vielen Fällen leider an die Beurteilung halten, die nach Beendigung des Krieges entstanden ist. Man wird dieser Beurteilung nicht immer den Wert einer sachlichen und durchaus objektiven Kritik beimessen können.
So schwankt auch das Bild der beiden Oberbefehlshaber der Marine in der Beurteilung durch die Öffentlichkeit, vor allen Dingen natürlich in den Kreisen außerhalb der Marine, in denen die Kenntnis der Zusammenhänge fehlt und die Auswirkung der beiden Persönlichkeiten mehr in der negativen als in der positiven Richtung bekanntgeworden ist. Ich wäre dankbar, wenn Sie meinen Ausführungen gerade in diesem Fall einen gewissen objektiven Wert beimessen würden, obwohl ich selbst viele Jahre der Kriegsmarine angehört habe und beide Persönlichkeiten mir durchaus bekannt sind. Ich bekenne, daß ich mich mehrmals auf militärischem Gebiet in scharfem Gegensatz zu den Auffassungen beider Oberbefehlshaber befunden habe. Das bezieht sich sowohl auf die Schiffbaupolitik vor und im Kriege wie auch auf die Zweckmäßigkeit dieser oder jener Operation. Ich war ursprünglich auch der Auffassung — ich betone das ausdrücklich —, daß der Oberbefehlshaber eines Wehrmachtteils in der Lage sein sollte, sich nicht nur eng auf seine militärische Aufgabe zu beschränken, sondern darüber hinaus auch Einfluß auf die politische Führung zu gewinnen, sobald das Versagen der politischen Führung und der zuständigen Instanzen klar erkennbar war, was nach meiner Ansicht spätestens 1934 der Fall war.
Ich gebe zu, daß es mir schon vor Beginn des letzten Weltkriegs klargeworden ist, daß in einer Diktatur, wie sie von Hitler aufgebaut wurde, noch stärker als in anderen politischen Systemen der Soldat — selbst in der Person eines Oberbefehlshabers — auf das rein militärische Gebiet beschränkt wurde und keinerlei Einfluß auf die poli-
tischen Maßnahmen der Führung hatte, es sei denn auf solche, die mittelbar oder unmittelbar die militärische Lage beeinflussen konnten. Auf diese wenigen Möglichkeiten haben sich die beiden Oberbefehlshaber beschränken müssen und auch beschränkt, wobei Großadmiral Raeder sich seiner Natur nach noch stärker auf die rein fachlichen Aufgaben der Marine zurückzog, als es später der Großadmiral Dönitz tat, der wie sehr viele andere eine höhere politische Verantwortung tragende Persönlichkeiten von der Dämonie des Diktators beeindruckt war. Das ist allenfalls eine tragische Schuld, aber kein mit menschlichem Maß meßbares Verbrechen. Wo sind denn die Millionen Menschen, die gleich Dönitz von dieser dämonischen Natur beeindruckt waren? Ich glaube, sie sind heute überall in der Bundesrepublik und sie sind längst wieder in das normale Staatsleben eingegliedert.
— Ich bin ja der Auffassung, daß sie nicht als Vorbild gepriesen worden sind.
— Ich glaube nicht; das ist eine persönliche Auffassung.
Politisch, das möchte ich betonen, trugen beide Admiräle keine Verantwortung, und die politische Tätigkeit von Dönitz, wo sie sich auswirkte, beginnt praktisch erst am 1. Mai 1945.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren beide Oberbefehlshaber nur Soldaten ohne jeden Einfluß auf die politischen Maßnahmen.
— Das hat nichts zu tun mit den Reden, die sie gehalten haben.
— Sie waren militärische Befehlshaber, sie trugen keine politische Verantwortung.
— Sie waren Soldaten unter der politischen Führung, genau wie andere es heute sind.
Ich halte es für wichtig, gerade auf diesen Punkt hinzuweisen, da auch heute noch in vielen Kreisen die Auffassung besteht, daß die höheren militärischen Stellen einen maßgebenden Einfluß auf die Führung der Politik und auf die Rolle, die die Partei innerhalb des Staates spielte, gehabt hätten.
- Das ist in einem anderen Zusammenhang gesprochen worden, Herr Professor. Es ist nicht so zu verstehen, wie es allgemein aufgefaßt worden ist.
Deshalb gebe ich Zenker recht, wenn er behauptet, daß den beiden Großadmirälen als militärischen Führern, ich betone das, kein Makel an- haftet. Das ist auch die Auffassung des Auslandes. Ich will mich gar nicht auf meine Ansicht beschränken, denn der Nürnberger Gerichtshof, der sicherlich zu jeder rechtlich vertretbaren Verurteilung bereit war, hat beide Admiräle in bezug auf ihr militärisches Verhalten, für das sie zuständig waren, freigesprochen. Es haftet also keinerlei Makel an ihnen als militärischen Führern, daß unter ihrer Führung die Gesetze der Menschlichkeit und Gerechtigkeit verletzt worden wären.
— Ich komme darauf zurück. — Dagegen sind beide Admiräle wegen ihres politischen Verhaltens, das nicht zu ihrem Zuständigkeitsbereich gehörte, verurteilt worden. Hiermit ist ihnen auch nach meiner persönlichen Überzeugung Unrecht geschehen. Gerade in diesem Punkte sehe ich eine Verwirrung der Begriffe, die in der Nachkriegspsychose entstanden ist, auch wenn bei der sachlichen Beurteilung dieses Verfahrens die Verschiedenheit der Auffassungen in den angelsächsischen Ländern und in einem Kontinentalstaat wie Deutschland, berücksichtigt werden muß. In Nürnberg jedenfalls entstand auf diese Weise die für uns Deutsche absurd erscheinende Situation, daß die Verurteilung der beiden Offiziere mit einem Verhalten begründet wurde, das auch nach unserer heutigen Anschauung außerhalb ihres Verantwortungsbereichs lag. Die zuständigen Soldaten aller Staaten haben die Pflicht, jede Möglichkeit kriegerischer Unternehmungen und Verwicklungen vorher zu untersuchen und die entsprechenden Planungen gemäß der ihnen übertragenen Aufgabe vorzubereiten. Ob es aber zu einer kriegerischen Verwicklung kommt und welchen Gebrauch die Führung von den Planungen macht, ist eine Entscheidung, die nicht bei der militärischen, sondern eindeutig bei der politischen Führung liegen muß und auch damals gelegen hat. Der Bundestag fordert genau wie alle Parlamente in demokratischen Staaten, daß der Soldat die politische Führung fachlich zu beraten hat, daß aber Entschlüsse und politische Entscheidungen ausschließlich der Zuständigkeit der politischen Führung unterliegen.
Abgesehen von meinem Versuch, darzulegen, daß auch die beiden Großadmiräle als Oberbefehlshaber eines Wehrmachtteils unter Hitler lediglich für die Durchführung der militärischen Aufgaben zuständig und verantwortlich waren — sofern Hitler nicht auch in diese Sphäre eingriff —, werden sie natürlich und leider in der Geschichte fortleben als militärische Repräsentanten der nationalsozialistischen Ära. Beide Admiräle haben sich ihr Staatsoberhaupt nicht ausgesucht, und sie haben nicht einmal bei der Reichstagswahl ihre Stimme in die Waagschale werfen können, da ihnen wie allen Soldaten die Stimmabgabe verboten war.
Damit wird ihre Verstrickung mit dem System, die ich nicht ableugne, zur Tragik. Deshalb werden die beiden Admiräle in der militärischen Geschichte als militärisch saubere Führer in einer vom Nationalsozialismus beherrschten Epoche fortleben,
einer Epoche, deren endgültige Überwindung auf politischem Gebiet auch das Ende der militärischen Verantwortung dieser beiden Offiziere — auch für die Zukunft — bedeutet. Wir ehren als Kameraden das persönliche Leid, das sie erduldet haben. Wir sind aber überzeugt, daß keine urteilsfähige Persönlichkeit von Einfluß, auch nicht in den Kreisen der ehemaligen und heutigen Marine — am wenigsten aber die beiden Admiräle selbst —, die Absicht hat, diese beiden Offiziere in der neuen Marine oder in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen zu lassen, und sei es auch nur einer Art von Hausgöttern, deren Ansicht bei schwierigen Fragen in die Waagschale geworfen wird.
Wir wollen sowohl in dem Fall der beiden Admiräle wie auch in anderen Fällen, in denen eine klare Rechtsauffassung noch nicht sichtbar ist — und in dieser Auffassung unterscheide ich mich etwas von Professor Schmid —, uns dafür einsetzen, daß die Auffassung des Rechtsstaates auch dort zur Geltung kommt, wo persönliche Ressentiments vielleicht noch geneigt sind, auf Vergeltung zu drängen.
Ich darf vielleicht — gerade weil Professor Schmid auf das Thema eingegangen ist — bei dieser Gelegenheit eine Zwischenbemerkung machen, die mittelbar auch mit dem Problem zu tun hat, das wir hier — nach meiner Auffassung leider — zu behandeln haben. Ich verstehe nicht recht, warum gerade der Soldat, und zwar der Berufssoldat, in der Vorstellung vieler Staatsbürger als der mächtigste Helfer des Systems des Dritten Reichs erscheint. Ich habe das Gefühl, daß eine solche Tendenz von vielen Stellen gefördert wird, auch von solchen, die schon von Berufs und Amts wegen ebenso wie der Soldat damals nach den Weisungen einer legal zur Macht gekommenen Führung handeln mußten, ganz gleich, ob sie das System billigten oder nicht. Es ist bekannt, daß die Reichswehr aus grundsätzlichen Erwägungen aus der Politik herausgehalten wurde. Sie war vom innerpolitischen Leben mehr oder weniger ausgeschaltet und erlebte das Wachsen des Nationalsozialismus in der ersten Zeit lediglich als unparteiischer und oft als zu keinem Urteil befähigter Zuschauer. Erst nach Umwandlung des Berufsheeres in ein Heer der allgemeinen Wehrpflicht und einer zahlenmäßigen Vergrößerung strömten der Wehrmacht in größerer Zahl die Menschen als aktive Soldaten und als Reservisten zu, die weitaus stärker als die geringe Zahl nationalsozialistisch gesinnter Berufssoldaten aus ihrem Zivilleben die politischen Ideen des Nationalsozialismus in die Wehrmacht trugen. Ich glaube, jeder gerecht denkende Kritiker wird mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß der Soldat in sehr viel geringerem Maße als manche anderen Berufe seine fachliche Denkungsart und seine fachliche Tätigkeit gleichschalten mußte. Es gibt keine nationalsozialistische, keine demokratische und keine kommunistische Kampfführung. Soweit es die fachliche Seite der Kampfführung betrifft, gibt es nur eine Kampfführung, nämlich diejenige, die Erfolg hat. Dagegen müssen die Angehörigen anderer Berufe ihre Auffassung, um nicht zu sagen: ihre ursprüngliche Überzeugung unter der Diktatur vielfach ändern, wenn sie im Amt bleiben wollen. Die Rechtsprechung hat z. B. in einem demokratischen Staat unbestritten eine andere Auffassung von Verantwortung und Freiheit des Handelns als in einem diktatorisch regierten Staat. Auch die politischen Persönlichkeiten tragen eine verschiedene Verantwortung je nach dem System, von dem ihr Land beherrscht wird.
Heute ist man jedoch geneigt — und das möchte ich bei dieser Gelegenheit aussprechen —, über das Versagen der politischen Führung und die falsche Beurteilung der Lage durch den Reichstag der Weimarer Republik eher hinwegzusehen als über die Tatsache, daß eine erhebliche Zahl junger deutscher Menschen, die nicht die politische Verantwortung zu tragen hatten, sich von der geschickten Demagogie des Nationalsozialismus und von einigen seiner damals durchaus sozial erscheinenden Ideen hinreißen ließen. Diese jungen Menschen zieht man zur Verantwortung. Gewiß, sehr viele der damaligen politischen Persönlichkeiten, z. B. Mitglieder der Regierung, des Reichstags und auch der Länderregierungen, waren sich als erfahrene Politiker klar über die Gefahren, die mit dem Nationalsozialismus erwachsen würden. Aber sehr viele unterlagen auch einem tragischen Irrtum, wenn sie die Auffassung vertraten, das nationalsozialistische System werde in kurzer Zeit abgewirtschaftet haben und seiner Giftzähne beraubt sein. In der Wirkung liegt vielleicht darin eine größere Tragik als in der tragischen Verwicklung mancher Soldaten mit dem System. Muß man immer wieder hervorheben, daß letzten Endes das diktatorische System nur Macht gewinnen konnte, weil die politische Führung versagt hat? Hören wir doch endlich damit auf, statt den verantwortlichen politischen Spitzen diesen oder jenen Funktionär, sei es den Beamten, sei es den Soldaten oder sonst wen, für die politischen Fehlleitungen jener Tage allein verantwortlich zu machen!
Ich hätte es aus innen- und außenpolitischen Gründen lieber gesehen, wenn heute bei der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD durch die Regierung mit Entschiedenheit, um hier nicht zu sagen: mit Entrüstung der Gedanke zurückgewiesen worden wäre, als ob in der neuen Bundeswehr eine Verherrlichung des Nationalsozialismus Platz greifen oder gar ein Neofaschismus wachsen könnte. Diese Gefahr sehe ich nicht. Ich traue mir zu, in der Frage der politischen Auffassung von ehemaligen Waffenträgern und auch von den heutigen Soldaten ein Wort mitreden zu können. Ich glaube, das Rad der Geschichte geht weiter und kann niemals zurückgedreht werden. Diejenigen, die heute aus innerster Überzeugung noch Anhänger des nazistischen Systems sind, sind es entweder deshalb, weil sie glauben zur inneren Rechtfertigung ihres eigenen Handelns in dieser Zeit an ihm festhalten zu müssen, oder weil ihr politischer Sinn in seiner Entwicklung 1945 stehengeblieben ist.
— Gewiß, dieser letzte Grund ist eine Frage der Intelligenz.
Die mißtrauischen Kreise des Inlandes und — was noch wichtiger ist — des Auslandes können die Gewißheit haben, daß nach meiner festen Überzeugung die Bundeswehr als Ganzes niemals in die Gefahr kommen wird, solchen überwundenen Anschauungen und Methoden zu huldigen. Man sollte das immer und immer wieder betonen, einmal im Interesse der Bundeswehr selbst, die sonst unter einem dauernden politischen Mißtrauen steht, zum andern aber auch im Interesse der führenden politischen Kräfte der Bundesrepublik, die, so möchte ich glauben, an Vertrauen gewinnen,
wenn sie solchen Kassandrarufen gegenüber eine souveräne Haltung einnehmen. Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein sollten nicht nur die vom ganzen Ausland anerkannten und gewürdigten Eigenschaften des Kanzlers sein, sondern auch die der politischen Parteien und der führenden Persönlichkeiten in der Bundesrepublik. Ich glaube, dadurch würde das Vertrauen des Auslandes in die Beständigkeit unserer Politik nur zunehmen.
Meine Damen und Herren, jetzt komme ich noch zu einem Punkt, den Professor Schmid angeschnitten hat. Ich sehe mich doch veranlaßt, dazu Stellung zu nehmen. Es handelt sich um die Vorwürfe gegen Raeder und Dönitz. Ich bin nicht in der Lage, diese Vorwürfe zu entkräften, zumal das Material, das Professor Schmid gebracht hat, mir zum großen Teil neu war.
— Ja, ich habe auch keine Zeit gehabt, alle Publikationen zu lesen. Sie können überzeugt sein, daß nicht einer von den Offizieren der Bundeswehr diese Publikationen gelesen hat.
— Sicher erfolgt das später auf den Kursen der Bundeswehr, die sich dann ja auch mit den Fragen der politischen Vergangenheit zu beschäftigen haben.
Ich habe in meinen bisherigen Ausführungen versucht, einige dieser Vorwürfe zu entkräften, z. B. den Vorwurf des Antisemitismus, wobei ich mich auf das Urteil des Auslands gestützt habe, und zwar auf das wohl als kompetent anzusehende Urteil des Nürnberger Tribunals. Ich möchte aber auch noch mit einer anderen Begründung dazu Stellung nehmen: Beide Beschuldigten sind im Augenblick nicht in der Lage, sich mit entsprechender Eindringlichkeit zu verteidigen. Der eine von ihnen, Großadmiral Raeder, ist ein alter Herr, der nach einer zehnjährigen Haft, die in mancher Beziehung schlimmer war als der Aufenthalt in einem Zuchthaus in der DDR, noch gar nicht in der Lage ist, den inneren Kontakt mit der innen- und außenpolitischen Situation der Bundesrepublik von heute aufzunehmen. Sein Verkehr beschränkt sich naturgemäß auf die Menschen, mit denen er seit Jahrzehnten vertraut war und für die er viele Jahre die Verantwortung getragen hat, also die ehemaligen Marineangehörigen.
Der zweite angegriffene Admiral befindet sich in Spandau und wartet auf die Stunde, die ihm endlich die Freiheit bringt, die ihm nach unserer Ansicht schon längst zusteht. Auch er kann sich nicht verteidigen.
Ich weiß, daß ich kein Jurist und insbesondere kein Völkerrechtler bin und daher der schwierigen Aufgabe, diese beiden Persönlichkeiten gegen die in diesem Hohen Hause vorgebrachten Vorwürfe zu verteidigen, nicht gerecht werden kann. Ich bin mir auch klar darüber, daß noch einige Zeit vergehen wird, ehe man sich ein unbefangenes und sachliches Urteil ohne Ressentiments bilden kann.
Ich sehe es aber als meine Pflicht an — und Sie werden das verstehen —, die weitverbreitete Auffassung über die Schuld der beiden Persönlichkeiten jedenfalls dadurch zu beeinflussen, daß ich zur Urteilsbildung die Kenntnis einiger gerade auf Grund der Nürnberger Gerichtsverhandlung erwiesener Tatsachen beisteuere. Ich darf mich dabei auf einige Punkte berufen, die doch wohl im Gegensatz zu der Auffassung von Herrn Professor Schmid stehen, und um die Erlaubnis des Herrn Präsidenten bitten, einiges zu zitieren.
Ich habe schon betont, daß beide Oberbefehlshaber in Nürnberg nicht wegen irgendeines Vergehens gegen die Menschlichkeit verurteilt worden sind. Ich möchte darauf hinweisen, daß beide Oberbefehlshaber, wie es auch sonst überall der Fall war, in letzter Instanz auch für die Rechtsprechung verantwortlich waren. Dem Nürnberger Tribunal lagen 2000 Urteile vor, die von Marinekriegsgerichten gefällt worden waren. Sowohl Raeder wie Dönitz haben eifersüchtig darüber gewacht, daß sich die deutschen Seeleute gerade in den besetzten Gebieten korrekt benahmen. Kennzeichnend sind folgende Zitate aus Marinekriegsgerichtsurteilen:
Alle Soldaten müssen wissen, daß auch in besetzten Gebieten Leben und Eigentum anderer Menschen voll gewährleistet werden.
Eine weitere Urteilsbegründung:
Daß sich die Taten gegen Juden richteten, kann die Angeklagten in keiner Weise entschuldigen.
Ein Marinefeldwebel, der Decken unterschlug, die für ein sowjetisches Kriegsgefangenenlager bestimmt waren, und der einem verstorbenen Gefangenen die Goldzähne herausgebrochen hat, wurde vom Marinekriegsgericht zum Tode verurteilt und nach der Bestätigung des Urteils durch Dönitz auch hingerichtet.
Im Nürnberger Urteil wird ausdrücklich hervorgehoben, daß die britischen Seeleute in den Gefangenenlagern der Marine streng nach den Bestimmungen der Genfer Konvention behandelt worden sind.
Ein weiterer Fall: Ich glaube, im September 1942 verlangte Hitler von Dönitz in Gegenwart von Raeder den Befehl an seine U-Bootsbesatzungen, die feindlichen Schiffbrüchigen nach Versenken der Schiffe zu töten. Damit glaubte er den Engpaß der Alliierten, der durch den Mangel an Schiffsbesatzungen entstanden war, im Interesse der Kriegführung zu vergrößern. Dönitz lehnte das mit der Begründung ab, daß er von seinen Besatzungen, von denen er äußerste Kampfmoral verlange, keine unehrenhaften Handlungen fordern könne. Es ist nicht zu diesem Befehl gekommen.
Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß die deutschen U-Boote im Anfang des Krieges nach den Regeln des Völkerrechts gekämpft haben, bis durch den Lakonia-Fall die Rettung einfach unmöglich geworden ist, weil nämlich während der Rettungsversuche der U-Bootskommandanten und ihrer Besatzungen, die Hunderte von Menschen unter Gefahr für das eigene Leben aufgenommen hatten, Bombenangriffe auf die Retter erfolgten, so daß nun in Übereinstimmung mit der Praxis anderer Staaten der Befehl gegeben wurde, im Interesse der eigenen Besatzung Rettungsversuche nicht mehr zu unternehmen. Dabei ist zu betonen,
daß sich die Besatzungsmitglieder versenkter alliierter Schiffe im allgemeinen nach Möglichkeit davor drückten, von einem deutschen U-Boot aufgenommen zu werden; das U-Boot war sehr viel mehr gefährdet als ein Rettungsboot, das meist sehr schnell von alliierten Flugzeugen aufgefunden wurde. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Alliierten 87 % der Besatzung ihrer Schiffe, die im Kriege zur See fuhr, retten konnten und daß der Prozentsatz der Gefallenen, und zwar meistens im Kampf Gefallenen, 13% betrug, während bei den U-Booten von 40 000 eingesetzten Seeleuten 25 000 ihr Grab in der See gefunden haben.
Ich erwähne diese Fälle, um zu zeigen, daß man gegenüber dem, was Herr Professor Schmid sagte, auch die Dinge erwähnen kann, die sehr viel mehr Allgemeingut in der Marine sind und im Denken der früheren Untergebenen eher fortleben als die Fälle, die Herr Professor Schmid angeführt hat.
— Ich meine nur, daß diese Fälle, die Sie angeführt haben — —
— Ja, aber ich glaube nicht, daß wir diese Fälle hier im Bundestag entscheiden können. Das sind vielmehr Dinge, die, wie ich es auch betont habe, von einem deutschen Gericht entschieden werden müßten. Diese Klärung muß erfolgen, aber sie kann heute noch nicht erfolgen. Bis sie erfolgt, glaube ich, daß Beschuldigungen dieser Art, ich möchte sagen, nicht unserer Rechtsauffassung Rechnung tragen.
Es ist unnötig, zu betonen, daß auch in der Frage der U-Bootkriegführung ein Vorwurf, der oft erhoben wird, nicht zutrifft. Unter Berücksichtigung auch der amerikanischen und der französischen Kriegführung hat man in einem sehr lesenswerten Artikel die Menschlichkeit von Dönitz gerade in der Kriegführung hervorgehoben. Dieser Artikel steht in der „Revue Maritime", einer sehr angesehenen Zeitschrift, und ist etwa vor zwei Jahren erschienen. Ich führe das an, um zu zeigen, daß sich gerade der ehemalige Gegner, nachdem die erste Zeit der Kriegspsychose vorüber ist, bemüht, zu einer gerechten Beurteilung zu kommen.
Zu dem, was Herr Professor Schmid eben einwarf, daß sich der Admiral auch zu seiner Schuld bekennen sollte, möchte ich auf die Schlußworte, die Dönitz in Nürnberg gesprochen hat, hinweisen. Die Schlußworte vor dem Gerichtshof in Nürnberg lauteten:
Das Führerprinzip hat sich in der militärischen Führung aller Armeen der Welt aufs beste bewährt. Auf Grund dieser Erfahrung hielt ich es auch in der politischen Führung für richtig, besonders bei einem Volk in der trostlosen Lage von 1932. Wenn aber trotz allem Idealismus, trotz aller Anständigkeit und aller Hingabe der großen Masse des deutschen Volkes letzten Endes mit dem Führerprinzip kein anderes Ergebnis erreicht worden ist als das Unglück dieses Volkes, dann muß dieses Prinzip als solches falsch sein, falsch, weil die menschliche Natur offenbar nicht in der Lage ist, die Macht dieses Prinzipes zum Guten zu nutzen, ohne den Versuchungen der Macht zu erliegen.
Am Schluß meiner reichlich langen und sicher sehr trockenen Ausführungen spreche ich noch einen Wunsch aus. Ich habe es aus den verschiedenen Gründen, die ich darzulegen versucht habe, bedauert, daß die Große Anfrage eingebracht worden ist. Ich halte an diesem Standpunkt fest. Aber ich glaube, daß diese Aussprache vielleicht doch ein Gutes gehabt hat, nämlich das, daß wir uns gewöhnen, von der ständig zunehmenden Sicherheit unserer demokratischen Plattform aus die Dinge und Menschen der Vergangenheit sachlicher und leidenschaftsloser zu beurteilen, daß wir zwischen wirklicher und tragischer Schuld zu unterscheiden lernen, daß wir die Frage nach dem Motiv in die Waagschale der Entscheidung werfen und daß wir bei der Beurteilung nicht zuletzt auch das Schicksal dieser mit dem System verstrickten Menschen nicht vergessen, natürlich mit Ausnahme der Menschen, die sich kriminell vergangen haben.
Vielleicht haben meine Ausführungen darüber hinaus dazu beigetragen, daß auch die Menschen in der Bundeswehr sich stärker als Staatsbürger angesprochen fühlen können und nicht fortwährend außer von der Öffentlichkeit auch noch von den politischen Instanzen unter einer beinahe ängstlich anmutenden und die Autorität sicher nicht stärkenden beobachtenden Kritik gehalten werden. Aber ich bin der Ansicht, man sollte die Soldaten, die Staatsbürger in Uniform, auch dadurch werten, daß man bei so schweren Vorwürfen, wie sie in der Anfrage vorgebracht worden sind, sich doch die Mühe nimmt, sich mit dem betreffenden Menschen selbst zu unterhalten und ihn nicht einer öffentlichen Kritik auszusetzen, der gegenüber er vorher nicht seine Auffassung zur Geltung bringen konnte.
Ich glaube, wir alle sollten aber die Ruhe besitzen, das Wachsen und Reifen eines so komplizierten und schwer zu handhabenden Instrumentes, wie es die Bundeswehr darstellt, abzuwarten und nicht bei jedem Durchbrennen einer Sicherung den Ausbruch einer Feuersbrunst zu erwarten.
Einer der Verteidiger in Nürnberg hat seine Verteidigungsrede mit den Worten Plutarchs eingeleitet, die Hugo Grotius in seiner Untersuchung über die Verantwortung von Kriegsverbrechen zitiert hat: „Krieg ist ein grausam Ding, und er schleppt in seinem Gefolge Unrecht und Übeltaten die Menge." Diese Worte sind heute noch so wahr wie vor 2000 Jahren. Die Bundesrepublik bemüht sich ebenso wie andere Nationen, Wege zu finden, die Kriegsgefahr zu verringern und ein Kriegsrecht zu schaffen, das den Auffassungen über die Gesetze der Menschlichkeit Geltung verschafft. So schwierig die Verwirklichung dieser Absicht in der Welt der Tatsachen und der nationalen Interessen sein wird, so steht das ganze deutsche Volk — davon bin ich überzeugt — in Ost und West hinter diesen Bestrebungen. Aber als Bürger eines Rechtsstaates und als Verfechter des Rechtsgedankens sollten wir alle bemüht sein, die Wunden, die der Krieg geschlagen hat, zu heilen im Sinne der Menschlichkeit. Ich glaube, daß ich in diesem Punkte das gleiche Anliegen habe wie Herr Professor Schmid als Kollege von der SPD.