Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich hier leider nicht ganz so kurz fassen, wie ich das zu Punkt 5 der Tagesordnung getan habe, weil dies ein Gegenstand ist, der sehr eilbedürftig ist und über den heute wohl doch eingehender gesprochen werden muß.
Der Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Fortgeltung der Inanspruchnahme von Gegenständen für Zwecke der ausländischen Streitkräfte und ihrer Mitglieder beschränkt sich darauf, die weitere Inanspruchnahme von Gegenständen, die nach Art. 48 Abs. 1 des Truppenvertrags bis zum 5. Mai 1956 als in Anspruch genommen erklärt worden waren, bis zum 31. Dezember 1956 zu verlängern. Sie wissen aus der Vorlage Drucksache 2268, daß der Bundesrat sich gegen den Entwurf ausgesprochen hat. Die Bundesregierung hält ihn dennoch aus rechtlichen, tatsächlichen und außenpolitischen Gründen für notwendig.
In rechtlicher Beziehung ist davon auszugehen, daß mit dem Inkrafttreten der Bonner Verträge die Zuständigkeit der ehemaligen Besatzungsmächte aufgehört hat, Requisitionen in Form von eigenen Maßnahmen durchzuführen. Die Bundesrepublik hat jedoch in dem Truppenvertrag die Verpflichtung übernommen, durch eigene Maßnahmen für den Bedarf der ausländischen Streitkräfte zu sorgen. Die Vorschrift des Art. 48 Abs. 1 des Truppenvertrags, wonach Sachen, Werkleistungen oder Liegenschaften, die vor Inkrafttreten des Truppenvertrags durch die Behörden der beteiligten Macht in Anspruch genommen worden waren und deren Inanspruchnahme durch die Streitkräfte noch andauert, für die Dauer eines Jahres nach Inkrafttreten des Truppenvertrags als unanfechtbar in Anspruch genommen gelten, war als eine Übergangsregelung gedacht. Diese endet, wie Sie wissen, am 5. Mai dieses Jahres. Nach Art. 48 Abs. 2 des Truppenvertrags besteht jedoch eine weitergehende Verpflichtung. Diese Bestimmung lautet:
Sofern die Inanspruchnahme von Sachen, Werkleistungen oder Liegenschaften für Zwecke der Streitkräfte oder ihrer Mitglieder über die in Absatz dieses Artikels genannte Frist hinaus
— das ist der 5. Mai 1956 —
erforderlich ist, gewährleistet die Bundesrepublik die weitere Zurverfügungstellung nach Maßgabe des Verfahrens der einschlägigen Bundesgesetze.
Einschlägige Bundesgesetze sind das Bundesleistungsgesetz, das Landbeschaffungsgesetz und das Schutzbereichgesetz. Die Entwürfe dieser Gesetze haben dem Hohen Haus in erster Lesung bereits vorgelegen und befinden sich in der Beratung der Ausschüsse. Nach dem Stand dieser Beratungen kann jedoch nicht damit gerechnet werden, daß sie noch vor dem 5. Mai dieses Jahres verabschiedet werden können. Da diese drei Gesetze also nicht vor diesem Termin in Kraft treten, muß der Bedarf der ausländischen Streikräfte auf andere Weise sichergestellt werden.
Nun ist in Art. 37 Abs. 4 des Truppenvertrags vorsorglich bestimmt, daß das Reichsleistungsgesetzt von 1939, das Landbeschaffungsgesetz von 1935 und das Schutzbereichgesetz von 1935 fortgelten, wenn die Bundesrepublik keine neuen Gesetze zur Regelung dieser Sachgebiete erläßt. Es ist jedoch kaum wünschenswert, daß wir kurz vor dem Inkrafttreten neuer Gesetzesbestimmungen auf Gesetze zurückgreifen, die unter ganz anderen staatsrechtlichen Voraussetzungen erlassen worden sind.
Außer rechtlichen Erwägungen sprechen aber auch die tatsächlichen Verhältnisse für die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Übergangslösung. In der letzten Zeit ist zwar von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden — auch der Bundesrat scheint zum Teil dieser Ansicht zu 'rein —, daß kein praktisches Bedürfnis für die vorgesehene Übergangsregelung vorliege, weil die ausländischen Streitkräfte und ihre Mitglieder auf andere Weise untergebracht werden könnten. Diese Erwägungen treffen aber nach Auffassung der Bundesregierung leider nicht zu. Nach den Feststellungen des Herrn Bundesministers der Finanzen sind zur Unterbringung der ausländischen Streitkräfte, ihrer Mitglieder und deren Angehörigen unter der Geltung des Besatzungsregimes in großem Umfang Wohnungen der deutschen Bevölkerung in Anspruch genommen worden. Die Zahl dieser Wohnungen ist inzwischen durch die Errrichtung von neuen Wohngebäuden entscheidend vermindert worden. Trotzdem werden im Bundesgebiet am 5. Mai dieses Jahres voraussichtlich noch rund 15 700 Wohnungen gemäß Art. 48 Abs. 1 des Truppenvertrages in Anspruch genommen sein und über die-
sen Zeitpunkt hinaus einstweilen noch weiter benötigt werden.
Die Bundesregierung weiß, welche schwere Belastung die fortdauernde Inanspruchnahme besonders der Wohnungen für die davon Betroffenen bedeutet. Sie wird daher alles daransetzen, eine Freimachung der einstweilen noch weiterhin beanspruchten Wohnungen durch anderweitige Unterbringung der ausländischen Insassen zu ermöglichen. Als Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels kommen in Betracht: der Neubau von Wohnungen und Unterkünften für die ausländischen Streitkräfte, die volle Ausnutzung der den ausländischen Streitkräften bereits zur Verfügung gestellten Wohnungen, die freie Anmietung von bisher beanspruchten Wohnungen und schließlich die Neuanmietung von Wohnungen auf dem freien Markt. Bisher sind — ich darf das in die Erinnerung rufen — bereits 70 000 Ersatzwohnungen erstellt worden. Über die Planung und Fertigstellung des Restvolumens von zirka 15 700 Ersatzbauten kann Ihnen der Herr Bundesminister der Finanzen nähere Einzelheiten mitteilen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine wichtige Bestimmung des Gesetzentwurfs, der Ihnen vorliegt, besonders hinweisen. Dieser Entwurf enthält in § 1 Satz 2 folgende Vorschrift:
Die Inanspruchnahme ist aufzuheben, sofern der Gegenstand nicht mehr für Zwecke der ausländischen Streitkräfte und ihrer Mitglieder benötigt wird.
— Herr Kollege, ich fange an, das zu begründen. — Diese Vorschrift begründet einen Anspruch auf Freigabe der Objekte. Der Gesetzentwurf schafft damit erstmalig die Möglichkeit einer rechtsstaatlichen Überprüfung der fortgeltenden Inanspruchnahmen. Sollte ein Antrag, der auf § 1 Satz 2 gestützt ist und die Freigabe nach dieser Vorschrift fordert, von den zuständigen deutschen Behörden abgelehnt werden, könnte gegen diesen ablehnenden Bescheid der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden. Ich hoffe, daß diese Ausführung Sie befriedigen wird, Herr Kollege Atzenroth.
Das Fortgeltungsgesetz betrifft auch Gewerbebetriebe und nicht Wohnzwecken dienende Liegenschaften. Rund 1000 Objekte dieser Art sind in früherer Zeit in Anspruch genommen worden und kommen auch für den fortgeltenden Bedarf in Betracht. Ihre Freigabe bereitet trotz der verhältnismäßig geringen Zahl große Schwierigkeiten, so daß auch hier das Fortgeltungsgesetz benötigt wird.
Die Übergangsregelung erfaßt auch die während der Besatzungszeit requirierten Liegenschaften für Flugplätze, Truppenübungsplätze und sonstige Anlagen. Diese Liegenschaften sind ihrem ursprünglichen Verwendungszweck in der Zwischenzeit auf die Dauer entzogen worden. Sie müssen daher entweder angekauft oder, falls freihändiger Erwerb nicht möglich ist, enteignet werden. Die Vorhaben dieser Art umfassen Grundstücke mit einer Fläche von rund 50 000 ha. Nach den Erfahrungen aus den bisherigen Ankäufen sind zahlenmäßig noch mindestens 40 000 Einzelfälle abzuwickeln. Eine so große Zahl von Fällen erfordert eine Fülle von Verwaltungsarbeit, die nicht in Kürze erledigt werden kann. Auch hieraus ergibt sich die Notwendigkeit des Fortgeltungsgesetzes.
Schließlich, meine Damen und Herren, sind für die Anwendung der Übergangsregelung noch die
Schutzbereiche um militärische Anlagen zu erwähnen, die auf Grund von Requisitionen gebildet worden sind und gemäß Art. 48 Abs. 2 des Truppenvertrags beibehalten werden müssen.
Wenn wir nach dem 5. Mai dieses Jahres keine rechtliche Handhabe hätten, die Versorgung der ausländischen Streitkräfte, zu der wir uns verpflichtet haben, zu gewährleisten, müßte mit' unliebsamen Zwischenfällen gerechnet werden; diese zu vermeiden — ich brauche das, glaube ich, kaum weiter auszuführen — ist außenpolitisch unbedingt geboten.
Noch ein kurzes Wort zur Entschädigungsfrage, über deren große Bedeutung sich die Bundesregierung klar ist. Die Entschädigungsfrage wird in dem Entwurf bewußt nicht angesprochen. Ihre Lösung hat bei den Beratungen des Bundesleistungsgesetzes, des Schutzbereichgesetzes und des Landbeschaffungsgesetzes die Ausschüsse des Bundestags bereits eingehend beschäftigt. Die Verhandlungen über dieses Problem sind, wie die damit befaßten Damen und Herren wissen, noch nicht abgeschlossen. Es erschien daher nicht zweckmäßig, die gleiche Problematik nun auch noch im Rahmen dieses Gesetzentwurfs anzusprechen. Andererseits war es aber auch nicht erforderlich, sie aufzuwerfen. Für die Dauer der Übergangslösung nach dem Fortgeltungsgesetz bietet sich für die Entschädigungsfrage der noch fortgeltende Art. 12 des Finanzvertrags als vorläufige Regelung an. Ein Widerspruch zu Art. 14 des Grundgesetzes scheidet aus, denn diese Bestimmung des Grundgesetzes läßt es durchaus zu, daß die das Eigentum beschränkenden Gesetze auf die Entschädigungsregelung in anderen Gesetzen verweisen oder diese Regelung zur Grundlage haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend im Namen der Bundesregierung an das Hohe Haus die Bitte richten, diesen — das geht ja aus dem Termin schon hervor — äußerst dringlichen Gesetzentwurf möglichst noch termingerecht zu verabschieden, um damit eine für die Praxis brauchbare Übergangsregelung zu schaffen. Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß es weit befriedigender wäre, wenn die drei anderen Gesetze, die ich genannt habe, schon zu diesem Zeitpunkt in Kraft treten könnten. Das ist leider nicht möglich. Aber das hohe Haus wird sich sicher darüber klar sein, daß es einfach unser nationales und internationales Ansehen verbietet, einen rechtlich ungeregelten Zustand eintreten zu lassen. Ich glaube, diese Erwägungen sollten dazu führen, daß wir uns über eine Übergangsregelung verständigen.