Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin froh darüber, daß Herr Bundesminister von Merkatz die Gelegenheit wahrgenommen hat, um in der Sprache, wie sie nun einmal unter Angehörigen der gleichen Partei möglich ist, vor diesem Hause eindeutig und ohne Ausschluß eines Zweifels von dem abzurücken, was
Herr Kollege Schneider der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion soeben angetan hat.
Wir begrüßen diese Erklärung.
Vorhin hat Herr Kollege Schneider davon gesprochen, wie undemokratisch es sei, wenn man einen Antrag einer Fraktion, über den mehrere Stunden debattiert worden ist und der seit Monaten in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, nun nicht an einen Ausschuß überweist. Vielleicht entsinnt er sich, daß er hier einmal mitgewirkt hat, in einer anderen Frage, die für unser Staatsganzes auch von einem erheblichen Gewicht gewesen ist, nicht einmal die Diskussion in diesem Hause zuzulassen, sondern „Übergang zur Tagesordnung" zu beschließen.
Ich hielt es auch für einen seltsamen Widerspruch, im gleichen Atemzug die Diskussionsfreiheit zu fordern und dann nicht einmal einem Kollegen die Gelegenheit zur Stellung einer Zwischenfrage zu geben, auf die man doch mit gutem Gewissen hätte eingehen können. Das verträgt sich auch nicht miteinander.
Aber noch einmal zur Sache! Sie sagen, man darf nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und man soll bei dem Aufbau der Bundeswehr nun nicht alle Traditionen — die guten wie die schlechten — über Bord werfen. Das unterscheidet uns gar nicht. Sie können kein Volk und keinen Staat in der Wüste bauen. Jeder ist gegründet auf der Vergangenheit, die er nun einmal mitbekommen hat, auf den guten wie auf den schlechten Traditionen, und da kommt es darauf an, die guten zu entwickeln und die schlechten an der Weiterentwicklung zu hindern. Dazu muß man sich eben auch die Träger bestimmter Traditionen einmal ansehen. Vielleicht erklärt das auch etwas die traditionsformende Kraft des Personalgutachterausschusses, in dem man sich einmal die Menschen daraufhin ansieht, welche Art Tradition sie verkörpern, die gute oder die schlechte. Es ist richtig, nicht alles, was einstens Gold war, soll man heute als Blech behandeln. Aber vieles von dem, was manche Leute heute als Gold betrachten, hat sich in der Vergangenheit als Blech enthüllt. Sollten wir uns hier nicht darum bemühen, einmal zu scheiden, wo die gute Tradition, die es zu pflegen und zu entwickeln gilt, aufhört und wo die schlechte anfängt?
Zur schlechten Tradition — das möchte ich als Nachklang zu dem kleinen Zwischenfall soeben noch einmal sagen —, die wir eben noch in einer bösen Erinnerung haben, gehört es, die Anhänger der freiheitlichen sozialistischen Demokratie in Parallele zu setzen mit den Verfechtern einer blutigen Gewaltherrschaft.
Sie sagen, man solle die Menschen nicht nur nach der Vergangenheit betrachten Jawohl, es gibt viele uns allen bekannte Fälle, wo jemand aus dem Irrtum der Vergangenheit die richtigen Schlüsse gezogen hat. Aber der Maßstab, den wir anlegen müssen, ist der, ob jemand, der heute fest gegründet auf dem Boden der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie steht, das nicht nur in der Auseinandersetzung mit der totalitären Gewaltherrschaft des Bolschewismus tut, sondern ob er das in der gleichen Entschlossenheit auch in der Auseinandersetzung mit jener Gewaltherrschaft zu sagen wagt, die unser Volk ins Unglück gestürzt hat und die Spaltung unseres Landes damit verschuldete.