Rede von
Dr.
Walter
Drechsel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sei mir zunächst gestattet, darauf hinzuweisen, daß es mir außerordentlich bedauerlich erscheint, daß wir heute erstmalig in diesem Hause über all die Fragen, die mit der Atomenergie in Zusammenhang stehen, sprechen. Es hätte meiner Auffassung nach schon eher die Notwendigkeit bestanden, und auch die Möglichkeit wäre gegeben gewesen. Ich erinnere, daß uns hier zwei Anfragen — vom 10. September und vom 3. Oktober 1955 —, die von Mitgliedern aller Fraktionen dieses Hauses unterzeichnet waren, vorgelegen haben. Die Beantwortung dieser Anfragen hätte zweifellos beste Gelegenheit gegeben, endlich einmal diese Dinge hier zur Sprache zu bringen, für die ja schließlich die Bundesrepublik seit der Ratifikation der Pariser Verträge, seit Mai 1955, auch zuständig ist. Wenn wir uns schon eher über diese Dinge ausgesprochen hätten, wären auch manche Unklarheiten hier im Hause und in der ganzen Bundesrepublik nicht aufgetreten.
Ich habe mit großer Freude die Äußerungen von Herrn Bundesminister Strauß gehört, daß die beiden Lösungen, die uns hier vorgetragen werden, Euratom und OEEC, irgendwie in Einklang gebracht werden könnten. So ohne weiteres kann man das eigentlich nicht einsehen; denn die Auffassung von Euratom scheint mir doch in erheblichem Gegensatz zu den Auffassungen zu stehen, die in der OEEC erarbeitet worden sind. Ich erinnere an die Übertragung des Eigentumsrechtes an allen Kernbrennstoffen, auch während der Umwandlung, an das Genehmigungsrecht für Einrichtung und Betrieb von Atomanlagen und an den Übergang aller Rechte, die aus bereits abgeschlossenen Verträgen einzelner Staaten hervorgegangen sind.
Wohl ist gesagt worden, daß Euratom nun allen anderen Ländern offensteht. Aber Herr Kollege Furler hat eben erklärt, er glaube, man sollte sich zunächst einmal auf die sechs Staaten der Montan-Union beschränken, während unserer Auffassung nach der Rahmen besser von vornherein größer gehalten werden sollte, nämlich, was eben möglich ist im Rahmen von OEEC, unter Beteiligung auch der Vereinigten Staaten und Kanadas, die das meines Wissens ja auch in Aussicht gestellt haben.
Ich halte die Lösung von OEEC auch in anderen Dingen für wesentlich glücklicher, weil sie nur eine Koordinierung vorsieht, die auf etwas freiwilligerer Grundlage beruht und einzelnen Ländern die Möglichkeit läßt, sich an Einzelprojekten zu beteiligen oder nicht zu beteiligen. Bei Euratom ist diese Möglichkeit wohl nicht so ohne weiteres gegeben; denn dort wird man zum Gesamten ja sagen müssen, sich aber nicht zu einzelnen Projekten getrennt entscheiden können.
Ich verkenne nicht, daß Euratom gewisse Vorteile hat, gerade durch die beweglichere Form der Organisation, indem man sich dort eine supranationale Behörde schaffen kann, die von der Bürokratie oder von der engeren Betrachtung der einzelnen Staaten unabhängig ist. Das ist zweifellos ein Vorteil.
Ich bin also sehr einverstanden damit, daß man jetzt versucht, in Verhandlungen — wie es gesagt worden ist — irgendeine Zusammenführung der beiden Ansichten zu erreichen und sich dann vielleicht auf einer gemeinsamen Basis zu finden.
Grundsätzlich scheint mir aber notwendig zu sein, bei allen Überlegungen davon auszugehen, daß die Freiheit der technischen Entwicklung gesichert sein muß. Diese Freiheit ist auch unerläßlich — das haben wir doch nun im Laufe der Zeit erfahren —, um wirklich neue Entwicklungen zu finden. Trotzdem muß natürlich eine Ordnung im Rahmen des Gemeinschaftslebens im einzelnen Staat und auch im zwischenstaatlichen Verkehr gegeben sein. Die Aufgabe wird sein, hierfür die günstigsten Bedingungen zu schaffen.
Es ist nur die Frage, ob man heute schon so weit gehen kann, die hier vorgelegte Drucksache 2229 mit zu unterzeichnen und schon als eine Grundlage für die weiteren Maßnahmen der Bundesregierung zu beschließen. Mir scheint gerade aus der Diskussion, die hier stattgefunden hat, aus den Äußerungen von Herrn Kollegen Schmid, aus den etwas gegensätzlichen Äußerungen des Herrn Bundesatomministers und auch von Herrn Kollegen Furler sich herauszukristallisieren, daß man sich selbst hier in diesem Hause noch nicht ganz klar ist. Das ist kein Wunder; denn auch die Herren in Brüssel sind ja mit ihren endgültigen Besprechungegn durchaus noch nicht am Ende, und es ist gesagt worden, daß die Berichte von OEEC und von Euratom in Arbeit sind und vorgelegt werden sollen. Unserer Auffassung nach sollte man, bevor man in diesem Hause zu einer Entscheidung darüber kommt, welcher Weg nun gegangen werden soll — wobei wir doch von vornherein wissen müssen, daß der erste Schritt auch weitere Schritte nach sich ziehen wird, man sich also den ersten Schritt besonders gut zu überlegen hat —, zunächst einmal abwarten, die Berichte prüfen und sie dann in ausführlichen Unterhaltungen in eine Übereinstimmung mit den etwas verschiedenen Auffassungen auch hier in den einzelnen Fraktionen bringen.
Es ist demnach die Frage, ob wir heute schon so weit gehen sollen. Wir in Deutschland beginnen ja — das ist auch gesagt worden — in der Atomenergiefrage eigentlich etwa bei Null. Wir sind überhaupt noch nicht die gewichtigen Partner, die etwas bieten können. Wir haben wahrscheinlich Mühe, die Organisationen und die vielen Komitees, die gebildet worden sind, mit Sachverständigen zu besetzen. Wir haben eine Handvoll Wissenschaftler, eine Handvoll Techniker, eine Handvoll Physiker, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben und über das nötige Sachverständnis verfügen, um uns in diesen notwendigen Ausschüssen zu vertreten. Wir haben eigentlich praktisch noch gar nicht begonnen.
Wir haben uns im letzten Jahre in der Bundesrepublik sehr viel über Organisationen unterhalten. Wir haben manchmal den Eindruck, daß wir die Organisationen für wichtiger halten als die eigentliche Arbeit. Wir haben hier in der Bundesrepublik viele Fachzeitschriften bekommen. Aber wir haben eins noch nicht in die Wege geleitet: die Ausbildung der Fachkräfte, die notwendig sind, um im Laufe der Jahre, und zwar in kürzester Zeit, zur Verfügung zu stehen. Bevor wir diese Grundlagen nicht geschaffen haben, sollten wir, glaube ich, bei einer internationalen Zusammenarbeit zurückhaltend sein; denn erst muß im eigenen Lande ein organisatorisches und auch gesetzlich gesichertes Fundament vorhanden sein. Hier ist die Frage, ob wir dieses Fundament haben, und ich meine, wir werden wohl sagen müssen, daß wir es nicht haben.
Wir müssen uns also selbst etwas konsolidieren. Deshalb haben wir die Bitte, die beiden Anträge Drucksachen 2152 und 2229 zunächst dem Ausschuß für Atomenergiefragen zur weiteren Überprüfung und vielleicht zur Neuformulierung zu überweisen. Herr Kollege Furler hat auf die zwei Punkte hingewiesen, die auch uns bei diesem Gemeinschaftsantrag bedenklich erscheinen. Dies ist einmal der Gesichtspunkt der ausschließlich friedlichen Entwicklung, der darin festgelegt werden soll. Auch wir sind der Auffassung, daß man das in den Vordergrund stellen soll. Aber für mich bestehen Zweifel, ob man sich bei den sechs Mitgliedstaaten von Euratom auf die ausschließlich friedliche Entwicklung der Atomenergie beschränken wird. Bisher jedenfalls hat wenigstens einer dieser Mitgliedstaaten eine andere Auffassung vertreten, und es würde nun zu klären sein, ob er sich jetzt offiziell verpflichten will, ausschließlich die friedliche Entwicklung der Atomenergie zu betreiben. Dann ist doch sehr die Frage, wie man die
militärische Verwendungsmöglichkeit der Atomenergie von ihrer friedlichen Verwendungsmöglichkeit trennen kann. Meiner Ansicht nach kann man das nicht; das greift weitgehend ineinander über, und es wird sehr schwer sein, irgendwelche bestimmten Begrenzungen zu ziehen.
Weiterhin hat Herr Kollege Furler auf ein Bedenken hingewiesen, das ich teile: die Übertragung der Eigentumsrechte an die Kommission. Wir sind der Auffassung, daß das absolut nicht notwendig ist.
Wir haben im Kernenergiegesetzentwurf, der von meinen Freunden vorgelegt worden ist, auch einen Weg gewiesen, wie man ohne Übertragung der Eigentumsrechte genügend Kontrollfunktionen ausüben kann. Auch Herr Kollege Furler ist der Auffassung, daß man ausreichende Kontrollen ohne Eigentumsübertragung durchführen kann. Diese Kontrollen müssen aber dann bei den einzelnen Staaten liegen. Es ist gar nicht notwendig, daß man nun einer supranationalen Behörde die Kontrollen bis in die einzelnen Betriebe jedes Landes überträgt. Diese Aufgabe könnte durchaus im Lande zusammengefaßt werden, und eine Kommission oder eine hoheitliche Stelle könnte die Verantwortung dafür übernehmen, daß die Kontrollen im Lande auch richtig durchgeführt werden. Dazu bedarf es keiner Eigentumsübertragung auf eine Organisation oder etwa gar auf eine supranationale Kommission. Diese Fragen sollten wir uns etwas näher überlegen.
Wir sind der Auffassung, daß man die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Kernenergie sehr ernsthaft betreiben sollte. Wir sollten uns aber hüten, uns bei der Verwirklichung einer so hervorragenden Idee von politischer Leidenschaft leiten zu lassen und die nüchternen Überlegungen in den Hintergrund zu stellen. Zweifellos handelt es sich nicht allein um eine ökonomische Frage, die hier zu behandeln ist, sondern auch um eine politische, und man sollte deshalb gerade die realpolitischen Überlegungen mit in den Vordergrund stellen. Selbstverständlich muß Europa auf diesem Gebiet seine Kräfte und Mittel zusammenfassen, um mit der Entwicklung in der Welt Schritt halten zu können. Hierin stimme ich den Vorrednern absolut zu. Es erscheint mir nur zweifelhaft, ob es dabei notwendig ist, so weit zu gehen, wie es der Antrag vorsieht. Herr Kollege Furler hat erklärt, daß es sich eigentlich nur um Grundsätze handelt, die angenommen werden sollten. Je nach dem Ergebnis der Brüsseler Verhandlungen oder nach sonst sich ergebenden Gesichtspunkten könne man dann noch ändern und modifizieren. Für einen unbefangenen Leser werden in diesem Antrag aber immerhin Grundsätze festgelegt und anerkannt. Beispielsweise steht unter Ziffer 2 a ausdrücklich, daß die Kernbrennstoffe, die hergestellt werden, der Kommission ausschließlich als Eigentum übertragen werden sollen, und unter Ziffer 2 b, daß die Errichtung und der Betrieb von Atomanlagen der Kommission zur vorherigen Genehmigung unterbreitet werden müssen. Hierin sind also zweifellos Grundsätze enthalten, die eine unterschiedliche Auffassung zulassen, wie es auch in der Debatte zum Ausdruck gekommen ist. Herr Kollege Schmid hat daraus die absolut kollektivistische und dirigistische Methode herausgelesen, während Sie, Herr Kollege Furler, eine etwas lockere Form in den Vordergrund gestellt haben.
Ich möchte damit abschließend noch einmal unsere Bedenken gegen den Antrag Drucksache 2229 zum Ausdruck gebracht und begründet haben, warum dieser Antrag von uns nicht unterzeichnet worden ist, obwohl wir grundsätzlich sehr wohl auf dem Standpunkt stehen, daß auf diesem Gebiet eine europäische Zusammenarbeit erreicht werden muß. Wir fürchten nur, daß schon diese Formulierung eine Voraussetzung schafft, die uns vielleicht in irgendeiner Phase Schwierigkeiten machen und Spannungen verursachen kann, was nicht im Interesse des europäischen Zusammenschlusses liegt. Deshalb nochmals meine Bitte, daß wir diesen Antrag zunächst dem Ausschuß überweisen, um ihn dort zu überprüfen und, wenn notwendig, zu ändern.